Der Hauptteil des Johannes-Evangeliums, die Kapitel 3 bis 17, kann in drei Abschnitte mit gewissen prägenden Hauptthemen eingeteilt werden:

  • Kapitel 3 – 7: der Hauptgedanke ist Leben
  • Kapitel 8 – 12: der Hauptgedanke ist Licht
  • Kapitel 13 – 17: der Hauptgedanke ist Liebe

Schon in Johannes 1 sehen wir den Herrn Jesus als den Verworfenen; Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen Ihn nicht an (Joh 1,11). Und diese Verwerfung wird in den folgenden Kapiteln immer intensiver. Hier in Kapitel 8,19 haben wir die Verwerfung Seiner Person: „Ihr kennt weder mich noch meinen Vater“. In Vers 37 ist es die Verwerfung Seines Wortes: „weil mein Wort keinen Raum in euch findet“; und in Kapitel 9 finden wir in der Heilung des Blindgeborenen die Verwerfung Seiner Werke (Vers 24). Deshalb verlässt der Herr in Kapitel 10 den jüdischen Schafhof und ruft Seine eigenen Schafe heraus. In den Kapiteln 11 und 12 zeigt Gott dann noch einmal auf tief beeindruckende Weise verschiedene Seiten der Herrlichkeit des Herrn Jesus. In der Auferweckung des Lazarus wird Seine Herrlichkeit als Sohn Gottes sichtbar (Joh 11,4); in Kapitel 12 finden wir dann zunächst Seine Herrlichkeit als Sohn Davids, als König Israels (Joh 12,13), und dann Seine Herrlichkeit als Sohn des Menschen (Joh 12,23).

Doch obwohl Gott Seinen Sohn auf eine so beeindruckende Art noch einmal vorstellt, ist das Resultat bei Seinem Volk Unglaube (Joh 12,37). Daraufhin beschäftigt sich der Herr Jesus von Kapitel 13 bis 17 nur noch mit den Seinen. In Kapitel 13 stellt Er ihnen in der Fußwaschung die notwendige Voraussetzung vor, um die praktische Gemeinschaft mit den Personen der Gottheit genießen zu können. In Joh 14,1–3 geht es um die Gemeinschaft mit Ihm als Gegenstand des Glaubens, in Joh 14,4–14 um die Gemeinschaft mit dem Vater, und ab Joh 14,15 um die Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist. Der Genuss dieser Beziehungen ist nur möglich, wenn die Fußwaschung vorausgegangen ist.

Wenn wir so in der Gemeinschaft mit den Personen der Gottheit praktisch leben, bringt das Frucht für Gott hervor (Kapitel 15). Und diese Frucht löst die Feindschaft des Teufels und der Welt aus (Kapitel 16). Und in dem wunderbaren Gebet in Johannes 17 spricht der Herr dann angesichts dieser Feindschaft der Welt zu unseren Gunsten zu dem Vater.

Wenn wir also in den Kapiteln 8 und 9 die Verwerfung Seiner Person, Seiner Worte und Seiner Werke durch die Juden finden, dann macht Kapitel 15 deutlich, dass es dafür keine Entschuldigung gab, dass sie dieses Zeugnis nicht angenommen hatten. Dort lesen wir in den Versen 22 und 24, dass sie keinen Vorwand für die Verwerfung Seiner Worte und Seiner Werke hatten. Darin wurde ihre ganze Schuldigkeit offenbar.

Einleitung zu Johannes 8

In den Kapiteln 5 bis 7 wird immer die Herrlichkeit des Herrn Jesus im Kontrast zu dem jüdischen System mit dessen irdischen Erwartungen gesehen. Besonders in Kapitel 7 mit dem dort erwähnten Laubhüttenfest und den damit verbundenen jüdischen Erwartungen wird das deutlich. Der Herr Jesus zeigt dort, was seine Herrlichkeit und was das Christentum ist: Er würde verherrlicht als Mensch im Himmel sein und von dort den Heiligen Geist senden. Hier in Johannes 8 geht es mehr darum, wer und was der Herr Jesus als das wahre Licht ist, und welch ein Gegensatz zu der absoluten Dunkelheit in dem Herzen der Juden besteht, die Ihm hier als Feinde entgegenstehen.

Als der Herr Jesus auf der Erde inmitten Seines Volkes war, schien Er als das Licht in der Finsternis, aber die Finsternis hatte es nicht erfasst (Joh 1,4). Davon ist der erste Abschnitt von Johannes 8 ein einschlägiges Beispiel. Der Herr Jesus war inmitten Seines Volkes, Er war das Licht, Er sprach Worte des Lebens, aber die Juden in ihrer Finsternis haben es nicht angenommen.

Dieser erste Abschnitt ist in einigen guten Handschriften nicht enthalten und deshalb in vielen Bibelübersetzungen in Klammern gesetzt. Der Kirchenvater Augustinus hat allerdings bestätigt, dass diese Begebenheit von vielen Abschreibern aus der Sorge nicht eingefügt wurde, dass die aus ihrer Sicht nicht genügend scharfe Verurteilung des Ehebruchs wie eine Billigung des Herrn für Ehebruch gedeutet werden könnte; der Herr sei viel zu gnädig mit dieser Ehebrecherin gewesen. Er hätte sich in seiner Gnade über das Gesetz hinweggesetzt, das die Steinigung dieser Frau forderte. Man konnte das Wort Gottes nicht ertragen, weil man Angst hatte, es würden verkehrte Zustände aufkommen. Dabei geht es in diesem Abschnitt überhaupt nicht um Gnade der Vergebung, sondern um Licht. Der Herr Jesus stellt gerade in diesem Abschnitt ins Licht, aber nicht nur in das Licht des Gesetzes, sondern in das Licht, das Er selbst ist. Er schafft das Gesetz hier nicht ab, Er hindert auch niemanden an der Ausführung des Gesetzes – Er wirft nur das Licht auf die, die es missbrauchen wollten, um Ihn anzuklagen. Erstaunlich ist ja, dass die Ausdrücke Licht und Finsternis in diesem ersten Abschnitt überhaupt nicht vorkommen, aber der Verlauf der einzelnen Verse zeigt deutlich, dass es genau das ist, worum es dabei geht. Genau in dem Maß, wie hier das Licht scheint, wird auch die moralische Finsternis deutlich.

Als der Herr Jesus im Haus Simons, des Pharisäers war und dort die große Sünderin hinzutrat und Ihm die Füße mit ihren Tränen wusch und mit Salböl salbte (Lk 7,36–50), sehen wir bei der Frau echte Reue über ihre sündige Vergangenheit, und deshalb kann der Herr ihr gegenüber auch Gnade üben und ihr ihre vielen Sünden vergeben. Aber die Begebenheit hier in Johannes 8 trägt einen ganz anderen Charakter. Wir wissen nicht, ob diese Ehebrecherin überhaupt Buße getan hat über ihre Sünde; deshalb sind hier die letzten Worte des Herrn zu ihr: „Gehe hin und sündige nicht mehr“, und nicht wie in Lk 7,50: „Geh hin in Frieden“. Der Herr Jesus richtet hier nicht (Joh 3,17), sondern stellt alle handelnden Personen einfach in göttliches Licht. Diese Begebenheit hier ist also eine absolut passende Einleitung zu diesem neuen Hauptgedanken, dass der Herr Jesus das Licht der Welt ist.

Die große Masse der alten Handschriften enthält allerdings richtigerweise die elf Verse dieses Abschnitts. Man kann diesen Abschnitt auch gar nicht beiseitelassen, sonst gäbe es keinen sinnvollen Zusammenhang mit Vers 12, der damit beginnt: „Wiederum nun redete Jesus...“. Der Bezug zu Seinen Worten in den ersten Versen würde fehlen.

„Jesus aber ging an den Ölberg.“ (V. 1)

In Kapitel 7 hatte man versucht, den Herrn Jesus umzubringen, und doch konnte niemand die Hände an Ihn legen. Dann waren die Menschen, die sich darüber austauschten, jeder in sein Haus gegangen. Aber der Herr Jesus hatte hier auf der Erde kein Haus, Er hatte nur den Ölberg. Im Lukas-Evangelium finden wir es häufiger erwähnt, dass der Herr Jesus dorthin ging – gerade in der letzten Zeit kurz vor Seinem Kreuzestod (z.B. Lk 21,37; 22,39).

Das Öl ist im Wort Gottes sehr oft ein Bild des Heiligen Geistes, und so können wir hier auch noch eine Verbindung zu Kapitel 7 sehen, wo der Herr Jesus davon gesprochen hatte, dass nach Seiner Verherrlichung der Heilige Geist herniederkommen würde.

Im Blick auf das Haupthema dieses Kapitels erinnert uns das Öl aber auch daran, dass Öl notwendig war, um die Lampen im Heiligtum brennen zu lassen. Der Herr Jesus ist derjenige, der den Geist senden würde; und Er ist genauso auch derjenige, der in der Kraft des Geistes Gottes dieses Licht ausstrahlte – ob Er sprach oder nicht, ob Er besondere Werke tat oder nicht. Dieses Licht leuchtete in Seiner Person. Wie schade, dass es nicht immer dazu führte, dass sich Menschen durch dieses Licht verändern ließen! Aber ob Veränderung oder nicht, in jedem Fall überführt das Licht, es macht den Zustand der Herzen offenbar.

„Frühmorgens aber kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm; und er setzte sich und lehrte sie.“ (V. 2)

Aus der Gemeinschaft mit Seinem Vater auf dem Ölberg kann der Herr früh am Morgen in der Kraft des Geistes seinen Dienst fortsetzen. Er achtet nicht die sich immer deutlicher erweisende Verwerfung durch die Juden, sondern Er vollführte seinen Dienst. Wir staunen über den Frieden, den Er in seinem Herzen hat. Er hatte ergriffen werden sollen (Joh 7,44), dann hatte Er die Nacht auf dem Ölberg verbracht, und frühmorgens kommt Er wieder an den für Ihn so gefahrvollen Ort und setzt sich in aller Ruhe und überhaupt nicht innerlich angefochten nieder und lehrt das Volk.

Dieses ganze Kapitel spielt sich im Bereich des Tempels ab; in Vers 2 kam Er in den Tempel und in Vers 59 geht Er aus dem Tempel hinaus. Die Herrlichkeit Gottes hatte den Tempel schon längst verlassen (Hes 8,4; 9,3; 10,4.18.19; 11,22.23), aber hier war der Sohn Gottes als Mensch in dem Tempel und es wird etwas von dem Licht und der Herrlichkeit Gottes deutlich.

Zu Ihm kam alles Volk. Das war die Volksmenge, die in den Augen der religiösen Führer das Gesetz nicht kannte und deshalb verflucht ist (Joh 7,49). Aber diese Menschen waren angezogen worden von dem Herrn Jesus und seiner Lehre.

Der Herr Jesus spricht hier als Lehrer, und auch als Lehrer stellt Er seine Zuhörer in das Licht Gottes. Als Lehrer wird Er in Vers 4 dann auch von den Schriftgelehrten und Pharisäern angesprochen. Und so antwortet Er ihnen dann auch: nicht als Richter, sondern als Lehrer. Etwas Ähnliches finden wir auch in Lk 12,13 ff., wo Er wohl als Lehrer angesprochen wird, man aber doch von Ihm erwartet, dass Er ein richterliches Urteil über den Sachverhalt fällen würde. Er war nicht in dieser Funktion als Richter oder Erbteiler tätig, sondern gibt darauf als Lehrer eine moralische Belehrung, die auch da die Zuhörer in das Licht Gottes stellt. Wenn wir das für diesen Abschnitt hier beachten, verstehen wir das Vorgehen des Herrn Jesus richtig: Er handelt nicht als Richter sondern als Lehrer, der alles und alle in das Licht Gottes stellt und deutlich macht, dass man das Gesetz auch auf sich selbst anwenden muss, wenn man es gegen andere anwenden will (vgl. Röm 2,21–23).

„Die Schriftgelehrten und die Pharisäer aber bringen eine Frau zu ihm, im Ehebruch ergriffen, und stellen sie in die Mitte und sagen zu ihm: Lehrer, diese Frau ist im Ehebruch, bei der Tat selbst, ergriffen worden. In dem Gesetz aber hat uns Mose geboten, solche zu steinigen; du nun, was sagst du?“ (V. 3–5)

Die Schriftgelehrten und Pharisäer wollten den Herrn hier in eine ganz gesetzeswidrige Situation hineinziehen. Die Stellen, vor deren Hintergrund sie diese Anklage erhoben, sagen deutlich, dass nicht nur eine Person bei einem Ehebruch bestraft werden sollte, sondern beide beteiligten Personen (5. Mo 22,22; 3. Mo 20,10); sie hätten hier also zumindest auch noch den bei diesem Ehebruch beteiligten Mann mit der Frau vor den Herrn stellen müssen. Aber den Mann haben sie gar nicht belangt, sie traten daher dem Herrn hier auf einer ganz verkehrten Grundlage entgegen.

Auch hatten sie keine Zeugen für diese Tat gebracht. Das war ihr zweites ernstes Versäumnis, denn jede Sache musste von zwei oder drei Zeugen bestätigt werden (5. Mo 17,6; 19,15). Ein dritter Punkt war der, dass nicht die Pharisäer und Schriftgelehrten einen solchen Fall verhandeln durften, sondern er musste vor die Ältesten gebracht werden; diese mussten jede Sache besehen, die im Volk geschah und gegen das Gesetz verstieß.

Wenn Nathan David von dessen Sünde mit Bathseba und Urija überführt (2. Sam 12,1–15), erreicht er mit der Geschichte von dem armen Mann, dessen einziges kleines Lamm durch einen reichen Mann weggenommen wurde, dass David in Zorn ausbricht und ein scharfes Urteil über diesen reichen Mann fällt: „Der Mann, der dies getan hat, ist ein Kind des Todes“. War das nicht auch das, was die Schriftgelehrten und Pharisäer über diese Frau sagten? In ihren Augen müsste sie gesteinigt werden, hatte sie den Tod verdient. Nathan stellt dann David in das Licht Gottes, und so tut es der Herr hier auch mit den geistlichen Führern des Volkes.

Die Schriftgelehrten und Pharisäer geben hier zwei Dinge vor, die aber in Wirklichkeit gar nicht auf sie zutrafen. Sie erwecken den Anschein, als wäre es ihnen wichtig, was der Herr Jesus zu dieser Sache sagt; und sie geben vor, dass sie an dem interessiert sind, was das Gesetz zu dieser Situation zu sagen hat. Beides war jedoch nur ein unaufrichtiger Vorwand, den der Herr Jesus erkannt und durchschaut hatte.

Die Sünde war offenkundig geschehen, die Frau war auf frischer Tat ertappt worden. Diese Sünde musste zweifellos auch behandelt werden, aber sie wurde hier nicht in der richtigen Weise behandelt. Das ist eine wichtige Lektion auch für uns! In einer örtlichen Versammlung mag es sein, dass jemand noch so sehr Recht haben mag mit einer Anklage gegen einen Bruder oder eine Schwester. Aber wenn das nicht in der Gesinnung behandelt wird, wie Gottes Wort sie uns vorstellt, dann wird das zu einem übereifrigen Richtgeist führen, den der Herr niemals segnen kann.

„Dies aber sagten sie, um ihn zu versuchen, damit sie etwas hätten, um ihn anzuklagen.“ (V. 6a)

Die Pharisäer und Schriftgelehrten hatten also nicht nur im Sinn, zu erfahren, ob der Herr die Schärfe des Gesetzes auch anwenden würde. Indem sie die Frau trotz all ihrer eigenen Versäumnisse hinsichtlich einer vorgeschriebenen Verhandlung vor den Herrn brachten, wollten sie erreichen, dass Er ein Urteil sprach, ohne dass der beteiligte Mann dabei war, ohne dass genügend Zeugen dabei waren und ohne dass der Fall vor die Ältesten gebracht wurde. Damit hätten sie einen weiteren Grund gehabt, Ihn anzuklagen, nämlich weil Er die formalen Forderungen des Gesetzes übergangen hätte. Der Heilige Geist kommentiert mit diesem Satz durch den Apostel Johannes die Beweggründe dieser religiösen Führer.

Hätte der Herr gesagt, dass die Frau gesteinigt werden müsse, wo wäre dann seine Gnade gewesen? Hätte Er gesagt, sie könne frei ausgehen, hätten die Ankläger Grund gehabt, Ihm vorzuwerfen, dass Er das Gesetz übertreten würde. Hätte Er sich auf die Seite des Gesetzes gestellt, hätten sie Ihn bei den Römern anklagen können, denn unter deren Besatzungsmacht war es ihnen nicht erlaubt, jemanden umzubringen (Joh 18,31). Beeindruckend, wie sich der Herr durch diese Möglichkeiten, die sie Ihm vorlegen, nicht in die Enge treiben ließ. Man möchte fast fragen, wer hier eigentlich die größere Sünde begeht, die ehebrecherische Frau oder diese religiösen Führer des Volkes! Sie versuchen den Sohn Gottes; ist das nicht weitaus schlimmer, als das, was die Frau getan hatte? Sünde bleibt Sünde in den Augen Gottes, und nicht nur grobe Sünden müssen verurteilt werden; aber wenn wir Sünde verurteilen, dann zuerst bei uns selbst.

„Jesus aber bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde.“ (V. 6b)

Aber der Herr war nicht gekommen, um zu richten (Joh 3,17), schon gar nicht, dass Er sich in solch ein einseitiges und parteiisches Gericht dieser Führer der Juden hineinziehen ließ. Sie wollten wissen, was Er dazu sagte, aber Er sagt erst einmal gar nichts, sondern schreibt mit dem Finger auf die Erde. Wir wissen nicht, was Er geschrieben hat, darum geht es also nicht in erster Linie. Die Tatsache, dass hier der Finger Gottes auf die Erde schrieb, ist das Bedeutende.

Chronologisch gesehen finden wir den Finger Gottes zuerst in Ps 8,4; die Schöpfung ist durch die Finger Gottes entstanden, die Finger Gottes stehen also für die Schöpfer-Allmacht Gottes. Das wird auch deutlich bei der Plage der Stechmücken in Ägypten (2. Mo 8,15): Leben aus dem Staub hervorzubringen vermag nur die Schöpfer-Allmacht Gottes. Ebenfalls im zweiten Buch Mose finden wir den Finger Gottes im Zusammenhang mit dem Gesetz (2. Mo 31,18). Hier steht der Finger Gottes also für die göttliche Autorität.

In Daniel 5,5 finden wir Finger einer Menschenhand, die von Gott kam (Vers 24), und die ein göttliches Urteil über den vermessenen König Belsazar fällt: „Auf der Waage gewogen und zu leicht befunden“ (Vers 27).

In Lukas 11 treibt der Herr Jesus einen Dämon aus einem Menschen aus und einige aus der Volksmenge sagten, dass Er das durch den Beelzebub, der Fürsten der Dämonen getan hätte. Der Herr erwidert darauf, dass Er den Dämon durch den Finger Gottes ausgetrieben hatte (Lk 11,14–20). In göttlicher Autorität und Macht selbst über Dämonen hatte Er den Dämon ausgetrieben.

Der Finger also, der hier auf die Erde schrieb, war der Finger, der in Allmacht und Sorgfalt und Genauigkeit die Schöpfung erschaffen hat, der in göttlicher Autorität das Gesetz gegeben hat, der in richterlicher Autorität Urteile fällt, und der Macht selbst über Dämonen ausübt. Wenn die Schriftgelehrten Jer 17,13 kannten, muss sie dieses Handeln des Herrn doch zum Nachdenken gebracht haben!

Der Herr Jesus bückt sich in seiner beeindruckenden inneren Ruhe zwei Mal nieder, um so auf die Erde schreiben zu können. Er gibt ihnen offensichtlich dadurch auch die Zeit und Gelegenheit zum Nachdenken über die Niedertracht ihrer Absichten.

„Als sie aber fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und wieder bückte er sich nieder und schrieb auf die Erde.“ (V. 7.8)

Die religiösen Führer des Volkes lassen nicht locker. Sie hatten die Ehebrecherin in die Mitte gestellt. Bei anderen Gelegenheiten hatte der Herr diese religiösen Führer im übertragenen Sinn auch als ein ehebrecherisches Geschlecht bezeichnet (Mt 12,39; 16,4). Sie hatten die Sünde der Frau durchaus richtig gesehen, aber sich selbst nicht in diesem gleichen Bild gesehen. Ist das nicht auch bei uns manchmal so? Wie traurig, wenn wir bei anderen verkehrte Dinge sehen, aber bei uns selbst nicht.

Vor einem gesetzmäßigen Gericht hätte der Herr diese Worte der Erwiderung nicht sagen können, denn sonst könnte kein einziger Mensch einen anderen verurteilen. Aber Er sagt diese Worte diesen jüdischen Führern, um ihnen deutlich zu machen, dass sie darin, dass sie diese Frau in einer solchen Wiese vor Ihm anklagten, überhaupt kein rechtmäßiges Gericht waren. Deshalb besaßen sie auch keinerlei Autorität und Befugnis, jemanden zu verurteilen. Als Noah auf der durch die Flut gereinigten Erde aus der Arche kam, hatte Gott das Zeitalter der Regierung begonnen und ihm gesagt: „Wer Menschenblut vergießt, durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden“ (1. Mo 9,6). Nun wäre das ja gar nicht durchführbar, wenn nur sündlose Menschen ein solches Urteil vollziehen könnten, denn kein Mensch ist ohne eigene Sünde. Jeder Richter ist ein fehlbarer und fehlender Mensch. Aber er ist eine von Gott eingesetzte Autorität. Unter bestimmten Voraussetzungen sollte dieses Recht durchgeführt werden. Und diese Voraussetzungen waren in dem hier vorliegenden Fall überhaupt nicht gegeben. Ein äußerlicher Anlass lag zwar vor, aber keinerlei gesetzmäßige Grundlage, vor dem Herrn dieses Urteil zu vollziehen.

Diese Antwort des Herrn konnte nur Er als das Fleisch gewordene Wort, als der Sohn Gottes, geben: Er hält das Gesetz aufrecht und nimmt nichts von dessen Forderungen weg. „Werft den Stein“, sagt Er. Das Gesetz war durch Mose gegeben worden, aber die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden (Joh 1,17). Nur der Herr Jesus konnte beides gleichzeitig aufrechthalten, und das tut Er hier. Wie wird hier die moralische Kraft und Herrlichkeit seiner Person sichtbar – nicht in aufsehenerregender Weise, sondern in schlichten Worten!

Unter ihnen stand der Einzige, der wahrhaft ohne jede Sünde war; Er kannte keine Sünde (2. Kor 5,21), Er tat keine Sünde (1. Pet 2,22), und Sünde ist nicht in Ihm (1. Joh 3,5). Welche unvergleichliche Herrlichkeit dieses Lichtes!

„Als sie aber dies hörten, gingen sie einer nach dem anderen hinaus, anfangend von den Ältesten bis zu den Letzten; und Jesus wurde allein gelassen mit der Frau in der Mitte“ (V. 9)

Offenbar war das Gewissen der Schriftgelehrten und Pharisäer getroffen, auch sie standen jetzt durch die Worte des Herrn in dem göttlichen Licht, indem sie realisierten, dass sie nicht ohne eigene Sünde waren. Aber weiter ging ihre Selbsterkenntnis nicht; sie waren überführt worden, dass Ihre Schlinge den Herrn nicht zu Fall zu bringen vermocht hatte – mehr nicht. Man kann sich vorstellen, dass sie mit knirschenden Zähnen diesen Schauplatz verlassen haben. Sie waren nicht bereit, in seiner Nähe Heilung zu suchen.

Sie hätten nicht hinausgehen müssen. Niemand, der in das göttliche Licht gekommen ist, muss sich entfernen. Sie hätten Buße tun können, das Heil war ihnen zum Greifen nah. Heller konnte ihnen das Licht nicht scheinen, aber sie haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht (Joh 3,19). Und weil sie es nicht ergreifen wollten, werden sie einmal vor dem, der
hier noch nicht richtet, als ihrem Richter stehen müssen – und dann werden sie alle auf ewig von Ihm weichen müssen (Mt 7,23; Lk 13,27).

Man hätte nachvollziehen können, dass die ‚aus der letzten Reihe‘ anfangen, hinauszugehen. Aber es begann bei den Ältesten, und das brachte die übrigen noch mehr zum Nachdenken. Und der Herr bleibt schweigend so lange gebückt, bis außer der Frau niemand mehr da war – sehr beeindruckende Haltung unseres Herrn!

Zwei bleiben hier übrig: die Erbärmliche und das Erbarmen.

„Als Jesus sich aber aufgerichtet hatte und außer der Frau niemand sah, sprach er zu ihr: Frau, wo sind sie, deine Verkläger? Hat niemand dich verurteilt? Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht; geh hin und sündige nicht mehr!“ (V. 10.11)

Die Schriftgelehrten und Pharisäer hatten den Herrn Jesus als Lehrer angeredet, die Frau hier nennt Ihn Herr. Diese unterschiedlichen Anreden drücken auch etwas Unterschiedliches aus (vgl. die Jünger und Judas in Mt 26,22.25). Die Frau zeigt, dass sie weit mehr von Seiner Person wahrgenommen und erfasst hatte, als die religiösen Führer des Volkes.

Wir finden in diesen Worten nichts davon, dass diese Ehebrecherin etwa Buße getan hätte. Der Herr gewährt ihr hier auch keine Vergebung ihrer Sünden. Er reiht sich nur nicht in die Riege der falschen Ankläger mit ein und sagt ihr nur diesen Grundsatz, der für jeden Menschen gilt: „Sündige von nun an nicht mehr“ (Fußnote zu Vers 11)! Damit hatte Er klar zum Ausdruck gebracht, dass sie gesündigt hatte und dass sie dies von nun an nicht mehr tun sollte. Gott hasst Sünde, und es wird auch hier ganz deutlich, dass Er diese Sünde überhaupt nicht oberflächlich oder leichtfertig behandelt. Er handelt einfach als das Licht. Deutlicher konnte Er sich von der Sünde nicht distanzieren. Er spricht hier keine Worte des Evangeliums oder der Gnade, sondern allenfalls der göttlichen Langmut, die nicht will, dass irgendjemand verloren geht (2. Pet 3,9). Gott war hier auf der Erde in Christus, die Welt mit sich selbst versöhnend (2. Kor 5,19), und es war für die Frau noch Zeit, diese Versöhnung anzunehmen. Ob sie es getan hat, wissen wir nicht. Ihre Haltung und ihre Worte sind allenfalls Indizien einer nicht ablehnenden Haltung, aber mehr auch nicht. Gottes Wort sagt nichts darüber, was danach mit dieser Frau geschehen ist, deshalb können wir auch nicht weiter gehen und Vermutungen darüber anstellen.