Das Buch Esther ist ein eigentümliches Buch der Bibel. Man wird es nur verstehen können, wenn man die prophetische Linie und vorbildliche Bedeutung vor Augen hat. Der Heilige Geist hat hier die schwere Geschichte der Juden bis zur Herrschaft des Messias vorgezeichnet. Wenn man diesen Blickwinkel hat, dann ist Ahasveros ein Bild von Gott, Mordokai von dem Herrn Jesus und Esther vom jüdischen Überrest künftiger Tage.   

Wir wollen diesen Gedanken jetzt nicht weiter verfolgen. Vielen wird das ja auch gut bekannt sein. Aber gerade dann, wenn man mit diesem Gedanken vertraut ist, mag die Gefahr bestehen, dass man die praktische Seite des Buches Esther nicht recht würdigt. Und das wäre ein Verlust.  Aus prophetischer/vorbildlicher Sicht betrachtet, fallen die negativen Eigenschaften und Handlungen der genannten Personen nicht ins Gewicht. Der Heilige Geist schildert ja auch alles so, dass nicht das Fehlverhalten hervorgehoben oder gar als solches angeprangert wird.

Ein Beispiel: In Kapitel 1 liest man von dem großen Fest des Ahasveros. Man kann hier an die Güte Gottes denken, der alles reichlich zum Genuss darreicht. Das ist die bildliche Seite. Man kann aber auch an den Stolz, die Verschwendungs- und Genusssucht eines Ahasveros denken, die doch sicher hinter diesem Fest erkannt werden kann. Das ist die praktische Seite. Beide Perspektiven geben uns wertvolle Unterweisungen.

Bei Ahasveros ist das recht deutlich, dass man diese zwei Linien verfolgen kann. Aber wie ist es bei dem Held Mordokai und der Heldin Esther?  Da ist zunächst einmal die Frage, warum Mordokai und Esther überhaupt auf der Burg Susan wohnten und nicht dem Edikt Kores’ gefolgt sind, der den Juden erlaubt hatte, in ihr Heimatland zurückzukehren. Das wäre doch das Gebot der Stunde gewesen! Aber Gott verlässt sie auch in Persien nicht, obgleich er sich nicht öffentlich mit ihnen verbindet (darum wird auch der Name Gottes in dem Buch Esther nicht erwähnt). Er segnet Mordokai und Ester und lässt sie zum Segen sein. Auch heute gibt es Gläubige, die sich an Orten befinden, von denen sie sich absondern sollten. Ich denke zum Beispiel an einen gläubigen „Geistlichen“ in der katholischen Kirche. Doch auch wenn jemand diesen Schritt „hinaus“ nicht tut, obwohl es das Gebot der Stunde nach 2. Timotheus 2 ist, dann ist Gott barmherzig und hat einen Segen bereit. Doch der Segen, und dies ist zu beachten, ist nicht ein Beweis für die Richtigkeit einer Stellung oder eines Weges, sondern der Beweis für die Gnade Gottes.  

Doch gehen wir weiter. Esther wurde mit anderen Jungfrauen in das Frauenhaus des Ahasveros berufen (Esther 2). Diese hübschen Frauen kamen eine Nacht zu dem König. Dabei suchte er sich die Beste heraus, um sie als Ehefrau zu haben. Esther war zunächst einmal nur, überspitzt ausgedrückt, eine Edelhure – wie die anderen auch. Doch sie hatte das „Glück“, zur Ehefrau genommen zu werden. Und hier darf man sich die Frage stellen, ob es in Ordnung war, dass eine jüdische Frau solch eine Verbindung einging. Nach dem Gesetz Moses war das streng verboten! Sicher war ihre Situation sehr schwierig – was sollte sie gegen den Befehl des Königs sagen? Doch bedenken wir, dass sie gar nicht in diese Zwickmühle gekommen wäre, wenn sie mit den anderen Juden nach Israel zurückgekehrt wäre. Eins ist klar: Wenn sie gesagt haben würde: „Es ist doch gut, dass ich diese hohe Stellung bekomme. So kann ich meinem Volk zum Nutzen sein. Das Ganze ist eindeutig von Gott geführt“ – wenn das ihre Rede gewesen wäre, dann hätte sie einen Fehler begangen. Mose handelt anders. Die Vorsehung hatte ihn an den Hof des Pharao geführt, doch er weigerte sich, ein Sohn der Tochter des Pharao zu heißen und wählte lieber mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden. Das ist Glaube (Hebräer 11,24–26)!

Esther hatte in dem Frauenhaus ihr Volk und ihre Abstammung nicht kundgetan. Sie folgte damit dem Rat Mordokais (Vers 10), der sich dabei aber bestimmt nicht auf Gottes Wort berufen konnte. Was ist zu diesem „Spielchen“ zu sagen? Ja, ich möchte weitergehen und fragen: Kommt uns das nicht bekannt vor? Auch wir verschweigen, dass wir zum verachteten Volk Gottes gehören, weil wir die Konsequenzen nicht tragen möchten. Wir wollen den Schwierigkeiten aus dem Weg gehen. Aber welche Erfahrungen machte Esther mit dieser Taktik? Gerade die Tatsache, dass sie ihre Herkunft verschwieg, führte das ganze Volk an den Rand der Katastrophe! Denn wenn sie von Anfang an dem Ahasveros ihre Nationalität mitgeteilt hätte, dann hätte er doch wohl kaum dem teuflischen Genozid-Plan des Haman (Esther 3,4–6) zugestimmt. Und auch unser U-Boot-Christentum (nur auftauchen, wenn uns niemand sieht) bringt uns in völlig unnötige Probleme hinein. Darin dürfen wir dann zwar die Treue und Hilfe Gottes erleben, das ist wohl war, doch ein klares und eindeutiges Bekenntnis bewahrt uns vor vielen Problemen. Und das ist mehr als erstrebenswert.

Das soll an dieser Stelle einmal genügen. Lassen wir uns ermutigen, dem Wort Gottes kompromisslos zu folgen und rühmen wir die Gnade, die uns auch dann geholfen hat, wenn wir es nicht getan hatten!