Im Buch Esra liegt der Schwerpunkt auf dem Wiederaufbau des Tempels, des Hauses Gottes. Dagegen geht es im Buch Nehemia vor allem um den Wiederaufbau der Mauer und Tore Jerusalems. W. Kelly schreibt dazu: „Der Schwerpunkt im Buch Nehemia liegt auf dem alltäglichen Leben, dem gemeinschaftlichen, bürgerlichen Leben Israels. Es geht hier nicht nur um das, was im religiösen Leben zum Ausdruck kommt, sondern es geht darum, Gott in die gewöhnlichen Verhältnisse des Lebens, des tagtäglichen Lebens, hineinzubringen.“
Die Mauer wurde nicht um den Tempelbezirk herum gebaut, sondern um die ganze Stadt, um die Häuser, um das gemeinschaftliche Leben. Die Mauer ist ein Bild der Trennung von Bösem, das eindringen will. Sie soll „zwischen dem Heiligen und dem Unheiligen scheiden“ (Hes 42,20). Und diese Absonderung muss nicht nur in den Zusammenkünften praktiziert werden, sondern zuerst und vor allem in den Häusern, im Alltag der Gläubigen. Das Abstehen von Ungerechtigkeit, das nach 2. Timotheus 2,19 unsere heilige Pflicht ist, ist kollektiv (d.h. als Versammlung) geradezu unmöglich, wenn es nicht auch persönlich praktiziert wird.
Der Hohepriester Eljaschib ist ein warnendes Beispiel. Er pflegte engen Kontakt zu den beiden erklärten heidnischen Feinden des Mauerbaus: Tobija, der Ammoniter, war ein Verwandter (Neh 13,4), und Sanballat, ein Mann aus Samaria, war der Schwiegervater seines Enkels (Neh 13,28). War das möglicherweise der Grund, warum er beim Bau des Schaftores zwar mit einer gewissen Würde vorging („sie heiligten es“; Neh 3,1), aber nicht mit der nötigen Sorgfalt? Es fehlten die Klammern (Schlösser) und die Riegel (Querbalken zum Versperren). So wurde aus dem an sich abschließbaren Tor eine Pendeltür, die keine Sicherheit vor dem Feind bot. Außerdem fällt auf, dass einige die Mauer vor ihrem eigenen Haus ausbesserten, während der Mauerabschnitt vor Eljaschibs Haus nicht von ihm selbst, sondern von einem anderen Priester gebaut wurde (Neh 3,1.21).
Später liest man, dass Eljaschib seinem Verwandten Tobija sogar eine Zelle im Haus Gottes hergerichtet hatte (Neh 13,4.5). Er hatte gar kein Interesse, den feindlichen Einfluss draußen zu halten, weder aus seinem Haus noch aus der Stadt noch aus dem Haus Gottes.
Das alles spricht eine deutliche Sprache zu uns. Wie sieht es mit der Mauer vor unseren Häusern aus?
- Sind die Bücher, die wir lesen, und die Videos, die wir schauen, frei von Unmoral, Lästerung, schändlichem Reden, Gewalttat und fremden Lehren (Eph 5,3.4; Phil 4,8)?
- Können wir an den Orten, die wir aufsuchen, in Gemeinschaft mit dem Herrn sein (Ps 1,1)? Und ist das, was wir dort sehen, rein in den Augen Gottes (Ps 119,37)?
- Ist die Musik, die wir hören, frei von dem Gedankengut dieser Welt, oder verunreinigen wir uns sogar mit den Texten (Jes 33,15.16)?
- Sind wir frei von dem ungleichen Joch mit Ungläubigen oder verfolgen wir gemeinsame Ziele mit weltlichen Vereinskollegen und Geschäftspartnern (2. Kor 6,14–18)?
- Pflegen wir Freundschaften mit der Welt, was nach Gottes Gedanken „Feindschaft gegen Gott ist“ (Jak 4,4)?
- Behüten wir unsere Kinder noch so lange wie möglich vor Erziehung nach weltlichen Maßstäben oder geben wir sie früher als nötig aus dem Haus (2. Mo 2,3)?
Merken wir nicht, dass unsere Mauerabschnitte Risse haben, dass unseren Toren die Klammern und Riegel fehlen? Und dass uns das gar nicht mehr so zu schaffen macht? Ist das vielleicht auch ein Grund, warum uns die Kraft und Konsequenz fehlen, in Bezug auf die Heiligkeit des Hauses Gottes wachsam zu sein? Bei Eljaschib war das offenbar der Fall.
Sollten wir uns nicht ein Beispiel an Nehemia nehmen? Er weinte und demütigte sich vor dem Herrn, als er von dem desolaten Zustand der Mauer und Tore hörte (Neh 1,3.4). Dann trieb er den Wiederaufbau der Mauer und Tore voran. Und ebenso zeigte er Eifer und Konsequenz, wenn es um die Wahrung der Heiligkeit des Hauses Gottes ging (Neh 13,8.9). Und was wir brauchen, ist Demütigung in Bezug auf die mangelhafte Trennung vom Bösen in unseren Häusern und in unserem Alltagsleben. Dann werden wir auch wieder ein sensibleres Gespür dafür haben, was es bedeutet: „Deinem Haus geziemt Heiligkeit, HERR, auf immerdar“ (Ps 93,5; vgl. Hes 43,12).