„Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest, sondern dass du sie bewahrest vor dem Bösen“ (Joh 17,15)
Das ist ein Vers von großer Tragweite, und wir möchten vielleicht bei oberflächlichem Hinsehen sagen: „Wie schade, dass der Herr Jesus darum gebeten hat, dass der Vater uns aus der Welt wegnehme in die Herrlichkeit des Vaterhauses“. Das ist doch unser Ziel, dem wir entgegengehen, und darauf freuen wir uns doch hoffentlich, zuweilen wenigstens, wenn wir doch alle sagen müssen, dass wir es nicht immer tun und nicht oft genug.
Aber warum sagt Er: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest, sondern dass du sie bewahrest vor dem Bösen“? Ach, Er möchte so gern, dass, bevor wir zu Ihm kommen, wir hier auf der Erde ein wenig das darstellen, wovon es an anderer Stelle heißt: „dass, wie er ist, auch wir sind in dieser Welt“ (1. Joh 4,17). Es geht hier sicherlich nicht in erster Linie um das Zeugnis des Evangeliums, obwohl das dazugehört, denn die Gläubigen, die errettet sind, die Kinder Gottes sind, sind dazu da, anderen in der Welt davon Kunde zu geben, damit die Ernte, damit die Frucht des Werkes von Golgatha vermehrt werde.
Aber in diesem Zusammenhang hier haben wir wohl mehr daran zu denken, dass Gott so gern vom Himmel her etwas von dem wiedersehen möchte, was Er einst in der Person seines Sohnes sah. Wie Er, so auch wir in der Welt! „Das, was wahr ist in ihm“, sagt Johannes in 1. Joh 2,8, ist auch in euch, den Gläubigen, wahr. Damit meint Er die göttliche Natur, dieses göttliche Leben. Der Herr Jesus ist das Leben. Und dieses Leben ist auch zu sehen in den Seinen als Nachfolger, als Repräsentanten des Herrn Jesus selbst. Das ist etwas Hohes, das ist etwas Großes, und das ist es Gott wert, dass Er uns noch hierlässt, und es ist es auch dem Herrn Jesus wert, obwohl Er sich gewiss mehr nach uns sehnt, als wir uns im Allgemeinen nach Ihm sehnen. „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest“. Nein, sie sollten jetzt hier auf der Erde den Platz einnehmen, den Er einst und bis dahin eingenommen hatte.
„Sondern dass du sie bewahrest vor dem Bösen“. Dieses Bewahren ist eine wunderbare Sache. Es ist eine Sache, die Gott tut, und die nicht hier, in diesem Zusammenhang, unserer Verantwortlichkeit unterstellt ist. Wir wissen, dass wir uns auch bewahren müssen. Wir müssen uns bewahren nach dem Wort Gottes. Das muss nicht nur der Jüngling, von dem es ja in Psalm 119 ausdrücklich so heißt, sondern dass muss jeder, der aus Gott geboren ist. „Der aus Gott Geborene“, sagt Johannes in 1. Joh 5,18, „bewahrt sich“. Das ist eine Tätigkeit, die das neue Leben in uns und an uns vollführt, indem wir uns bewusst fernhalten von dem, was böse ist. Aber hier ist es das, was der Vater tut. Ich gehe hier durch diese Welt, durch diese Umstände, und zwar in dem Bewusstsein: „Der Vater bewahrt mich vor dem Bösen. Er sieht mich als einen, der in der Gesinnung seines Sohnes vorangeht“, und es wäre Ihm doch wohl zu schade, wenn ein solcher umkommen würde in den Fängen des Bösen. Das meint der Herr Jesus hier, indem Er den Vater bittet: „Dass du sie bewahrest vor dem Bösen“.
In Offenbarung 3,10, in dem schon erwähnten Sendschreiben an Philadelphia haben wir auch diese Ausdrucksweise, dass sie bewahrt werden vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird. „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast“, sagt der Herr zu dieser Versammlung in Philadelphia, „werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird“.
Da gibt es Leute in der Christenheit, und deswegen muss man hierauf einen Augenblick eingehen, die sagen: „Ja, wenn man da in den griechischen Text hineinguckt, dann sieht man, dass hier nicht ‚vor‘ steht, sondern ‚aus‘, also ‚bewahren aus dem Bösen‘, und in Offenbarung 3 heißt es: ‚Bewahren aus der Stunde der Versuchung‘. Man sieht also dort“, so sagen diese Leute, „dass es nicht so ganz sicher ist, ob diese Gläubigen nicht doch noch in die große Drangsal kommen“. Das ist eine der Lieblingsstellen, die angeführt werden, und deshalb, ohne dass wir uns anmaßen wollen, irgendetwas von dem griechischen Text zu verstehen, wollen wir das doch sagen – und diese Sache ist so simpel, dass man das wirklich leicht verstehen kann –, dass das Wort „bewahren“ wirklich nichts anderes heißt als „bewahren“. Es heißt nicht „erretten“. Und die Kraft der Aussage liegt nicht in dem Wort „vor“ oder „aus“, sondern sie liegt in dem Wort „bewahren“.
Dieses Bewahren geschieht, indem der Betreffende, der zu bewahren ist, ferngehalten wird von dieser Gefahr, und dass da ek steht, also „aus“, das ist zwar richtig, aber der Grund ist ein rein grammatischer. Bestimmte Tätigkeitswörter – das ist im Deutschen auch so – bestehen mit ganz bestimmten Präpositionen, und dieses Wort für „bewahren“, das steht nun mal mit ek. Dieses „Bewahren“ heißt: „Fernhalten“, „in Sicherheit stellen“. „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin“. Wie könnten solche dann dem Bösen zum Opfer fallen? Gott muss sie nicht da herausreißen, Gott verhindert, dass sie da hineingelangen.