„Wie erkenne ich den Willen Gottes in dieser oder jener Frage?“ Eine spannende Frage. In den wenigsten Lebensfragen gibt uns die Bibel genaue Anweisungen. Sie ist eben kein detailliertes Lehrbuch, sondern ein Wegweiser, der uns allgemeine Grundsätze vorgibt, die wir dann konkret anwenden sollen. Wir könnten auch sagen: Gottes Wort ist keine Straßenkarte (auf der man jedes Detail für jeden Fall finden kann), sondern ein Kompass (der die Richtung angibt).

Und so sehr man es sich auch wünschen mag: Der viel zitierte „Brief vom Himmel“, in dem Gott uns unseren Beruf, unseren Wohnort, unseren Partner und jedes andere Detail unseres Lebens zweifelsfrei mitteilt, kommt nie. Schade? Ganz und gar nicht!

Gott will, dass wir unser Leben im Glauben leben. „Durch Glauben“, wie es in Hebräer 11 mehrfach heißt. Gott will, dass wir Ihm vertrauen. Da jede Entscheidung ein Risiko birgt, gilt das umso mehr. Deshalb schickt Gott uns kein Zeichen und keinen Brief – Er will, dass wir von Ihm abhängig sind und bleiben. Er will, dass wir lernen, Schritte des Glaubens zu tun. „Wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen“ (2. Kor 5,7).

Der Brief vom Himmel kommt nicht – aber das ist auch nicht nötig! Christen, die in Gemeinschaft mit ihrem Herrn leben, brauchen die Frage nach seinem Willen nicht unnötig verkomplizieren. Wer – in welcher Lebensfrage auch immer – mit dem Wort Gottes übereinstimmt, darf mutig Glaubensschritte nach vorne tun. Dabei gehen wir einen Schritt nach dem anderen und nicht direkt einen Riesensatz bis ans Ziel.

Dabei wollen wir eins nicht vergessen: Der Herr hat für jeden Gläubigen einen Plan und wird auch dementsprechend führen. Das kann durch Weissagung (prophetisches Wort) sein, durch passende Schriftstellen, durch Umstände, durch Frieden. Das wird wohl jeder ernsthafte Christ bestätigen können. Gott hat ein Interesse daran, uns seinen individuellen Willen kundzutun. Ein Beispiel: Er zeigt uns nicht nur den allgemeinen Grundsatz, keinen Ungläubigen zu heiraten, sondern möchte uns dann auch konkret zu dem speziellen Menschen führen, den Er als Partner vorhergesehen hat. Und dennoch bleibt bestehen: Diesen Willen wird Er nicht per Brief vom Himmel kundtun.

Eine zentrale Schlüsselstelle bei der Frage, den Willen des Herrn zu erkennen, ist für viele Christen Apostelgeschichte 16,6–11: „Sie durchzogen aber Phrygien und die galatische Landschaft, (a) nachdem sie von dem Heiligen Geist daran gehindert worden waren, das Wort in Asien zu reden; als sie aber gegen Mysien hin kamen, (b) versuchten sie, nach Bithynien zu reisen, und (a) der Geist Jesu erlaubte es ihnen nicht. Als sie aber an Mysien vorübergezogen waren, gingen sie nach Troas hinab. Und es erschien Paulus in der Nacht ein Gesicht: Ein gewisser mazedonischer Mann stand da und bat ihn und sprach: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! Als er aber das Gesicht gesehen hatte, suchten wir sogleich nach Mazedonien abzureisen, da (c) wir schlossen, dass Gott uns gerufen habe, ihnen das Evangelium zu verkündigen. Wir (d) fuhren aber von Troas ab.“

Folgende Punkte werden hier deutlich:

  • Der Herr wird uns vor einem falschen Weg bewahren, wenn wir ihn darum bitten. Ein Bruder hat einmal einen guten Rat gegeben: um Hindernisse auf dem Weg zu beten, wenn ein bestimmter Weg nicht der Wille des Herrn sei.

  • Der Herr lässt uns in vielen Lebensfragen eine gewisse Entscheidungsfreiheit (die natürlich keinesfalls zu Unabhängigkeit führt – ein Christ wird den Herrn um Wegweisung bitten). Das sehen wir daran, dass das Missionsteam in Apostelgeschichte 16 zunächst zwei Orte besuchen wollte, die dann doch nicht besucht wurden. Bei Gottes Willen für das persönliche Leben geht es oft – und wenn wir das erkennen, kann uns das von viel Druck befreien – nicht so sehr um die Frage: „Was ist richtig und was ist falsch?“, sondern vielmehr um die Frage: „Was ist der gute Weg und was ist vielleicht der bessere Weg?“ (siehe Phil 1,10).

  • Der Kern: Paulus und seine Gefährten „schlossen“. Der treue Paulus, dessen Glaubensstärke für uns alle wohl unerreichbar bleiben wird, der dem Herrn so nahe war wie kein anderer – dieser Paulus „schloss“. Wie wunderbar, dass der Heilige Geist dies für uns hat aufschreiben lassen. Die Situation damals wird wohl einfach so gewesen sein, dass die Brüder zusammensaßen, beteten, ihre Eindrücke austauschten, abwägten und dann eine Entscheidung trafen. Kein Brief vom Himmel mit der endgültigen Lösung, sondern vielmehr ein Zusammentragen der Hinweise des Herrn, sozusagen ein Zusammenfügen des Puzzles. Dieses „Schließen“ lässt den Christen eben nicht unabhängig oder achtlos agieren, sondern hält ihn in der Abhängigkeit vom Herrn.

  • Schließlich machten sie sich auf den Weg. Sie fragten nicht nach weiteren zweifelsfreien Zeichen, sondern taten den Schritt im Glauben. Oft hört man von jungen Gläubigen, dass sie Gott um ein bestimmtes Zeichen bitten. Das ist gefährlich. Das oft zitierte Beispiel von Gideon mit dem Vlies (Ri 6,37–40) hilft hier nicht wirklich weiter: Erstens kannte Gideon den Willen Gottes bereits und wollte nur eine weitere Bestätigung; zweitens gab es ihm keine Ruhe, da er weiterhin unruhig war; drittens ist es eher ein Beweis für Gideons mangelndes Glaubensvertrauen. Bedenken wir: Gideon hatte weder den Heiligen Geist noch das Wort Gottes, wir haben beides. Dass Gott in seiner Gnade Gideon ein Zeichen gab, bedeutet nicht, dass die Bitte um ein Zeichen in Gottes Interesse lag. Ein Zeichen ist eigentlich kein Fundament, auf dem wir eine Entscheidung aufbauen sollten. Wenn wir Gott um ein klares Zeichen bitten, um einen „Wink mit dem Zaunpfahl“, dann ist das oft nur der Wunsch nach mehr Sicherheit als nötig und weniger Verantwortung.

Bei jeder persönlichen Lebensentscheidung geht es letztlich darum, zu „schließen“. Wir fragen den Herrn um Wegweisung und Er gibt uns Hinweise (hauptsächlich durch das Wort Gottes), die wir dann wie Puzzlestücke zusammenlegen. So sehen wir es sogar bei dem Apostel Paulus, der so nah mit dem Herrn lebte wie wohl kaum ein anderer. Dieses Schließen ist keine Unsicherheit, sondern ein bewusstes Werfen auf den Herrn.