Lukas 9,22–26 stellt in sehr bewegender Weise die Leiden des Sohnes des Menschen und die Herrlichkeiten danach vor. Von der Hand der Menschen musste Er „vieles leiden“ und „verworfen“ und „getötet“ werden. Dann haben wir auf dem Berg der Verklärung eine vorübergehende Vision von der Herrlichkeit und Ehre, mit der der Sohn des Menschen nach dem Vorsatz Gottes gekrönt werden soll (Psalm 8). Darüber hinaus ist dieser Abschnitt eine Herausforderung für unsere Herzen, denn er zeigt deutlich, dass die Jünger, die das Vorrecht haben, Seine Herrlichkeit zu teilen, zuerst berufen sind, an Seinen Leiden teilzuhaben. So kommt hier einerseits der Weg und das Teil derer vor uns, die einem verworfenen Christus in dieser gegenwärtigen bösen Welt folgen; andererseits sehen wir die Herrlichkeit, zu der dieser Weg in der zukünftigen Welt führt.
Der Weg der Leiden (Vers 23–27)
Der Herr beginnt Seine Belehrungen mit den Worten: „Wenn jemand mir nachkommen will.“ Ergreifende Worte, die einschließen, dass Er vorangegangen ist und einen Weg für die Seinen gebahnt hat, und dass die Seinen den Wunsch haben, Seinen Spuren zu folgen. Am Eingang zu diesem Pfad hören wir die prüfenden Worte: „der verleugne sich selbst.“ Menschen reden von Selbstverleugnung und meinen damit, dass sie sich für eine begrenzte Zeit bestimmter Dinge zu enthalten, um mildtätige Zwecke zu fördern. Das ist jedoch genau das Gegenteil von Selbstverleugnung, denn es dient eher der Selbstgefälligkeit und der Erhöhung des eigenen Ichs. Die Selbstverleugnung bedeutet nicht einfach, uns selbst gewisse Dinge zu verwehren, sondern den Menschen in uns zu verleugnen, der nach diesen Dingen giert. Die Selbstverleugnung ist die vollständige Nichtbeachtung des Ichs, um anderen in Liebe zu dienen. Das war der Weg, den der Herr immer beschritt, als Er durch diese Welt der Not ging.
Außerdem ist der von dieser Welt verworfene Christus an einem Ort „außerhalb“, an einem Ort der Schmach, und die, die Ihm folgen, werden erleben, dass auch sie Schmach tragen müssen. Daher fordert der Herr den, der Ihm nachkommt, auf, „sein Kreuz täglich aufzunehmen.“ Für den Herrn bedeutete das Kreuz nicht nur Leiden und Schande von der Hand der Menschen, sondern auch die weit tieferen Leiden von der Hand Gottes. Er war allein in den Leiden von Seiten eines heiligen Gottes, als Er zur Sünde gemacht wurde; aber an Seinen Leiden von den Menschen können wir in unserem geringen Maß teilhaben, und Er hat uns das vollkommene Beispiel solcher Leiden hinterlassen, denn wir werden ermuntert, den zu betrachten, der „der Schande nicht achtend … das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes“ (Heb 12,2). Wir werden aufgefordert, zu Ihm hinauszugehen, „außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend“ (Heb 13,13). Auch muss diese Schmach „täglich“ aufgenommen werden. Das ist ein herzerforschendes Wort, denn es ist vergleichsweise leicht, ein großes Opfer zu einer bestimmten Gelegenheit zu bringen, aber das „tägliche“ Annehmen des Weges der Schmach und der Leiden um Christi willen im alltäglichen Leben bedarf großer Gnade.
Doch wie ist es möglich, sich selbst zu verleugnen und Schmach zu ertragen? Nur indem wir einen Gegenstand vor uns haben, der größer ist als das Ich. Daher sagt der Herr: „Folge mir nach.“ Außerdem bedeutet die Nachfolge hinter Christus her zwangsläufig das Fahrenlassen des gegenwärtigen Lebens. Wer nur für das gegenwärtige Leben lebt – er sei gläubig oder ungläubig – lebt ein Leben, das er unweigerlich verlieren wird, denn es ist bestenfalls ein vorübergehendes Leben. Christus vor uns zu haben, heißt ein Leben zu leben, das nie vorübergehen wird – ein Leben, das schon jetzt genossen werden kann, das in seiner ganzen Fülle aber erst in der ewigen Heimat des Lebens verstanden werden kann. Schließlich ist es unmöglich, Christus nachzufolgen und gleichzeitig mit der Welt zu gehen und ihre Vorteile zu suchen. Paulus, für den das Leben Christus war, konnte sagen: „Was irgend mir Gewinn war, habe ich um Christi willen für Verlust geachtet.“ Welchen Vorteil hat es selbst für den Ungläubigen, die ganze Welt zu gewinnen für ein paar dahineilende Jahre und dann für ewig verloren zu gehen? Für den Gläubigen bedeutet die Verbindung mit der Welt und das Suchen ihrer Vorzüge den Verlust jeder Freude am Herrn, das Ende des Zeugnisses für den Herrn und den Verlust Seiner Anerkennung an dem Tag, „wenn er kommen wird in seiner Herrlichkeit und der des Vaters und der heiligen Engel.“ Dem verworfenen Christus wirklich nachzufolgen bedeutet also in dieser gegenwärtigen Welt die Verleugnung des Ichs, die Schmach von Seiten der Menschen und den Verlust des gegenwärtigen Lebens mit der Welt und ihren Vorzügen.
Die kommende Herrlichkeit (Vers 28–36)
Der Weg der Schmach und des Verlusts gegenwärtiger Dinge schließt Leiden für das Fleisch ein. Aber das Leiden ist nur für kurze Zeit, denn das ewige Gewicht von Herrlichkeit steht bevor. Der Herr möchte unseren Herzen einen Eindruck geben von dieser Herrlichkeit, indem Er die Schönheit und die moralischen Eigenschaften der Heimat der Herrlichkeit, die am Ende dieses Weges der Leiden liegt, vor uns entfaltet. Um in diese himmlischen Dinge eingehen zu können, müssen wir unseren Geist über diese gegenwärtige Welt erheben; deshalb lesen wir, dass Er „auf den Berg stieg.“ Ist es nicht, inmitten all der Leiden dieser Welt und der herzzerreißenden Prüfungen im Volk Gottes, eine Freude, über die Dinge, die wir hören und sehen, erhoben zu werden, und im Geist auf der Spitze des Berges durch Glauben einen Blick auf die kommende Herrlichkeit zu erhaschen? Es ermutigt und beruhigt den Geist, auf den Hügeln über dem dunklen Tal, durch das wir zu gehen haben, das Sonnenlicht zu sehen.
Nachdem sie den Berg bestiegen haben, ist das Erste, was die Jünger sehen, ein betender Mensch. Gebet ist der Ausdruck der Abhängigkeit von Gott und der Gemeinschaft mit Gott. Das Elend der Erde kann auf den Ungehorsam und die Unabhängigkeit eines Menschen zurückgeführt werden – Adam. Die Herrlichkeiten der zukünftigen Welt werden durch den völligen Gehorsam und die Abhängigkeit eines Menschen eingeführt – Christus. Die zukünftige Welt wird eine Welt des Glücks sein, weil dort jeder in Abhängigkeit von Gott leben wird. Es ist gut für uns, „auf den Berg“ zu steigen, um alles vor Gott auszuschütten, damit wir „in die Ebene“ hinabsteigen können, um alles für Gott zu tun, während wir auf das Kommen Christi warten. So verbindet auch Judas in seinem Brief das Gebet mit dem Kommen Christi, wenn er uns dazu auffordert, „betend im Heiligen Geist“ gefunden zu werden, während wir „die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwarten zum ewigen Leben“ (Judas, Vers 21).
1. In dieser wunderbaren Szene lernen wir den Wechsel kennen, den die Gläubigen erleben, wenn Jesus kommt. Wir sehen, dargestellt in Christus, das Bild des Himmlischen, das wir in der zukünftigen Herrlichkeit tragen werden. „Und wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen“ (1. Kor 15,49). So sehen die Jünger in der Person Christi, als Er betete, wie das Irdische in das Himmlische verwandelt wird. Petrus schrieb über diese wunderbare Szene: „Wir haben euch die Macht und Ankunft unseres Herrn Jesus Christus … kundgetan“ (2. Pet 1,16). Beachtet das Wort „Macht“. Petrus sagt gleichsam: „Wir haben nicht nur vorhergesagt, sondern wir haben gesehen, was geschehen wird, wenn Er kommt. Wir sahen Ihn als Mensch in Niedrigkeit, und dann, in einem Nu, waren Seine Kleider der Niedrigkeit ausgetauscht gegen Kleider der Herrlichkeit; und Sein Angesicht, das mehr entstellt war als das irgendeines Mannes, schien wie die Sonne. Wir sahen in Ihm die mächtige Kraft, die ‚in einem Augenblick’ diese Leiber der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leib der Herrlichkeit“ (Jes 52,14; 1. Kor 15,52; Phil 3,21).
2. Auf dem Berg wird uns nahegebracht, dass wir in der zukünftigen Herrlichkeit nicht nur Ihm gleich, sondern auch bei Ihm sein werden, denn wir lesen: „Und siehe, zwei Männer redeten mit ihm.“ Er wird in der Herrlichkeit nicht allein sein. Er wird Genossen haben – auch wenn Er natürlich mehr als Seine Genossen mit Freudenöl gesalbt sein wird. In einer so herrlichen Szene hätten wir erwartet, dass Er von einer Schar von Engeln umgeben ist, aber Seine Genossen werden Menschen sein. Es sind Menschen, für die Er starb; die Er in die Herrlichkeit bringen wird; die Seine Herrlichkeit als Sohn des Menschen mit Ihm teilen werden. Im Himmel wird der Tod nicht mehr sein, „noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein“ (Off 21,4); aber die größte Freude wird sein, dass wir bei Ihm sein werden – dass wir bei Jesus sein werden. So schließt auch der wunderbare Abschnitt, in dem Paulus uns erklärt, dass wir entrückt werden, um dem Herrn in der Luft zu begegnen, mit den Worten: „Und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein“ (1. Thes 4,17).
3. Wir lernen, dass wir nicht nur bei Ihm in der Herrlichkeit sein werden, sondern dass wir in der Herrlichkeit zu Hause sein werden, denn wir lesen von diesen beiden Männern, dass sie mit Ihm sprachen. Hätte dort nur gestanden, dass Er mit ihnen redete, würden wir vielleicht denken, dass wir in der Herrlichkeit nur erleuchtete, aber stille Zuhörer sein werden. Wenn sie jedoch mit Ihm reden können, dann ist alle Distanz und Zurückhaltung vorbei. Gewiss pflegten auch die Jünger auf der Erde guten Umgang mit Ihm, wenngleich auch manchmal etwas gehemmt. In der Herrlichkeit werden wir fröhlichen und heiligen Umgang ohne eine Spur von Distanz haben. Es ist sicher schön, dass Er am Auferstehungstag zu zwei Jüngern kam und sie in ihren traurigen Wüstenumständen doch sagen konnten: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Wege zu uns redete.“ Aber wie viel wunderbarer ist die Szene, in der Er zwei Gläubige dazu führt, mit Ihm in Herrlichkeit zu reden!
4. Wir werden nicht nur Ihm gleich und bei Ihm sein, sondern wir werden auch Seine Herrlichkeit teilen, denn wir lesen von diesen beiden Männern: „Diese erschienen in Herrlichkeit.“ Sie haben Teil an der Herrlichkeit Christi als verherrlichter Mensch. So lesen wir von Gläubigen: „Wenn der Christus, unser Leben, offenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbart werden in Herrlichkeit“ (Kol 3,4). Es ist kein großes Opfer, die vergänglichen Herrlichkeiten dieser Welt fahren zu lassen und den Weg der Leiden anzunehmen, wenn wir wissen, dass wir an der Herrlichkeit Christi in der zukünftigen Welt teilhaben werden.
5. Sie „besprachen seinen Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte.“ Wenig später sprachen zwei andere Jünger auf ihrem trostlosen Weg nach Emmaus über Seinen Ausgang, den die Menschen erfüllt hatten, denn sie sagen: „Wie ihn die Hohenpriester und unsere Obersten überlieferten, um zum Tod verurteilt zu werden, und ihn kreuzigten.“ Kein Wunder, dass sie traurig waren, denn alles, was sie im Tod Christi erkennen konnten, war das, was Gericht über den Menschen brachte. Doch hier, auf dem Berg, vergessen zwei Männer den Menschen und seine Bosheit und sehen nur Jesus und den Tod, „den er … erfüllen sollte.“ Sie sehen in Seinem Tod die vollkommene Darstellung Seines Gehorsams dem Vater gegenüber, in dem Er den Willen des Vaters ausführt und sich selbst ohne Flecken Gott opfert. Sie sehen also in Seinem Tod das, was Gott verherrlicht und dem Menschen den Weg des Segens öffnet. Wie gut ist es, auf den Berg zu steigen und sich über alle Bosheit des Menschen und das Versagen der Gläubigen zu erheben, um die überreiche Liebe zu sehen, die den Herrn trieb, sich selbst hinzugeben, und um Ruhe zu finden in dem Tod, den Er erfüllte. Ebenso wird auch die versammelte Schar der Erlösten in den Tagen der kommenden Herrlichkeit von dem Tod sprechen, den Er erfüllt hat, denn die Sprache des neuen Liedes wird sein: „Du … hast für Gott erkauft, durch dein Blut.“
6. In dieser wunderbaren Szene werden wir im Geist über die Herrlichkeit des Reiches hinaus in das geführt, was von dem Haus des Vaters spricht. Wir lesen, dass eine Wolke kam und sie überschattete. Der Tod, den Christus erfüllte, öffnet den Gläubigen nicht nur den Weg zur Teilnahme an den Herrlichkeiten Christi im Reich, sondern befähigt sie auch, in Gemeinschaft mit Christus in die unmittelbare Gegenwart Gottes, das Vaters, einzutreten, wovon die Wolke spricht. Petrus spricht in seinem Brief von der überragenden Herrlichkeit, denn er sagt, dass „von der prachtvollen (o. überragenden) Herrlichkeit eine …Stimme an ihn erging“ (2. Pet 1,17). Es gibt die Herrlichkeit des irdischen Reiches, aber es gibt auch die überragende Herrlichkeit – die Herrlichkeit der Gegenwart des Vaters im Haus des Vaters. Die Jünger hatten die Herrlichkeit des Sohnes des Menschen gesehen. Aber es gibt noch eine andere Herrlichkeit – eine größere Herrlichkeit – eine Herrlichkeit, von der der Herr spricht, wenn Er in Seinem Gebet den Vater bittet, dass „sie meine Herrlichkeit schauen“ (Joh 17,24). Seine Herrlichkeit als Sohn des Menschen werden wir teilen; Seine Herrlichkeit als Sohn Gottes werden wir schauen.
7. In dieser überragenden Herrlichkeit dürfen wir hören, wie der Vater Sein Wohlgefallen an Seinem Sohn ausdrückt, denn wir hören die Stimme aus der prachtvollen Herrlichkeit, die sagt: „Dies ist mein geliebter Sohn, ihn höret.“ Die Stimme sagt nicht: „Dieser ist mein Sohn, den ihr lieben sollt“, sondern: „Dieser ist mein Sohn, den ich liebe.“ Wir werden in das Haus des Vaters gebracht, um dort Gemeinschaft mit dem Vater zu haben in Seinem Wohlgefallen an Seinem Sohn.
Hier wird uns also das herrliche Teil vorgestellt, das unser sein wird, wenn Jesus kommt. Wir werden Ihm gleich sein; wir werden bei Ihm sein; wir werden bei Ihm zu Hause sein; wir werden Seine Herrlichkeit im Reich teilen; wir werden nicht nur die Freude haben, alles mit Ihm zu teilen, sondern auch alles Ihm zu verdanken, denn wir werden über Seinen Ausgang sprechen; über die Herrlichkeiten des Reiches hinaus werden wir eingeführt in die überragende Herrlichkeit des Hauses des Vaters, um dort das Wohlgefallen des Vaters an dem Sohn zu erkennen und zu genießen. Da wir aber noch auf der Reise zur Herrlichkeit mit Christus sind, wollen wir uns ebenso daran erinnern, dass wir den Herrn auch auf unserer Wüstenreise bei uns haben. Deshalb lesen wir: „Und indem die Stimme geschah, wurde Jesus allein gefunden.“ Die Vision endet, Mose und Elia gehen zurück, die Wolke verschwindet, die Stimme ist still, aber Jesus bleibt. Wenn wir unseren Weg durch diese Welt mit all ihren Versuchungen und all ihrem Leid gehen, ist Er bei uns, wie Er es selbst versprochen hat: „Ich will dich nicht versäumen, noch dich verlassen.“ Er liebt uns bis ans Ende, und so wird Er auch bis ans Ende bei uns sein, bis wir bei Ihm sind und nie mehr weggehen, und wenn die Segnungen des Berges unser ewiges Teil sein wird.
[Übersetzt von Marco Leßmann.]