Dieser schöne Psalm gibt die Erfahrung des Überrests Israels späterer Tage wieder, wenn sie aus ihrer langen Gefangenschaft befreit sind und zurückkehren zu dem Wohnort Gottes in Zion.

Der Geist der Gnade, der diesen Psalm durchweht, macht es uns hier leichter als in anderen Psalmen, eine Anwendung auf den Christen zu machen, der auf dem Pilgerpfad zum Vaterhaus in der Höhe ist.

Drei Themen kennzeichnen die drei Abschnitte dieses Psalms.

  1. Die Schönheit des Hauses Gottes, wohin wir unterwegs sind, und die Glückseligkeit derer, die in diesem Haus wohnen (V. 1–4).
  2. Die Erfahrungen auf dem Weg, der zu dem Haus führt, und die Glückseligkeit derer, die diesen Weg beschreiten (V. 5–7).
  3. Der Trost des Gebets und die Glückseligkeit derer, die auf den Herrn vertrauen (V. 8–12).

So wird uns hier eine dreifache Glückseligkeit vorgestellt. Die Glückseligkeit des Wohnens, da wo Gott wohnt; die Glückseligkeit im Beschreiten des Weges, der zu Gottes Wohnung führt; und die Glückseligkeit des Vertrauens auf Gott beim Beschreiten dieses Weges (V. 4, 5, 12).

Die Wohnungen Gottes (Vers 1–4)

Der Psalm beginnt mit einem Ausdruck der Wonne im Haus Gottes – „Wie lieblich sind deine Wohnungen, HERR der Heerscharen.“ Das gottesfürchtige Herz erkennt, dass es berufen ist, bei Gott zu wohnen, in Gottes eigenen Wohnungen. Die Tatsache, dass Gott selbst – der lebendige Gott – da ist, macht diese Wohnungen für das Herz des Psalmisten so lieblich. Alles in diesen Vorhöfen spricht von der Herrlichkeit Gottes. Dort ist Gott völlig offenbart, und weil Er völlig offenbart ist, kann Er auch völlig erkannt werden. Die Seele verlangt danach, diese Vorhöfe der Herrlichkeit zu erreichen, das Herz und das Fleisch können getrennt von dem lebendigen Gott nicht befriedigt sein.

Im gleichen Geist blickt der Christ hin zu dem Haus des Vaters. Ein Haus, wo alles von Gott dem Vater spricht. Der Gläubige befindet sich in widrigen Umständen, in denen der Gottesfürchtige leidet, wo das Böse zunimmt, sowohl in der Welt als auch unter dem bekennenden Volk Gottes; wo der Eigenwille des Menschen herrscht und die Herrlichkeit des Menschen zur Schau gestellt wird; und wo Gott anscheinend nicht eingreift, sondern ruhig und still ist. Trotzdem weiß der Glaube, dass Gott lebt und er blickt hin zu dem Wohnort Gottes. Dort wird es offenbar werden, dass Gott der lebendige Gott ist und alles wird die Herrlichkeit Gottes verkünden. Zwar ist auch das Haus, zu dem wir unterwegs sind, vollkommen heilig; doch was wäre dieses vollkommene Haus ohne Den, dem das Haus gehört, und ohne Christus, der den Vater kundmacht.

Das Herz des wahren Israeliten ist sich bewusst, dass Der, der einem wertlosen Vogel ein Zuhause und einem ruhelosen Vogel Ruhe gibt, ganz sicher auch einen Ruheplatz für Sein Volk hat: „Deine Altäre, HERR der Heerscharen, mein König und mein Gott.“ Der Christ kann sagen, dass Gott einen Ruheplatz für Sein Volk in dem angenommenen Opfer Christi gefunden hat. „Den Gott dargestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben an sein Blut, … zur Erweisung seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist“ (Röm 3,26).

Wenn Gott jedoch Seinem Volk in Seinem Altar einen festen Ruheplatz gesichert hat, dann hat Er es getan, um Sein Volk bei Ihm in Seinem Haus wohnen zu lassen. In diesen Wohnungen werden sie Ihn stets loben (V.4). Christus ist das wunderbare Opfer auf dem Altar Golgathas geworden, um Gott ein lobsingendes Volk in Seinem Haus zu erwerben. Der Eine, der den Schrei ausstieß: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, konnte allein die Antwort geben: „Doch du bist heilig, der du wohnst unter den Lobgesängen Israels“ (Ps 22,1–3). Er starb um der Heiligkeit Gottes zu begegnen und ein lobsingendes Volk zu erwerben. Vor unseren Augen eröffnet sich die Lieblichkeit des Wohnorts Gottes – wo Gott in der Mitte eines lobsingenden Volkes wohnen wird.

Gebahnte Wege (Vers 5–7)

Der Psalm beginnt in sehr schöner Weise mit der Herrlichkeit des Wohnortes Gottes. Denn stellt er uns den Weg vor, der zu diesem Wohnort führt. Das ist auch die Weise des Herrn, wenn er vor Seinen Jüngern in Seinen letzten Reden die Wahrheiten entfaltet. Er spricht nicht zuerst von den Übungen auf dem Weg, um ihnen erst dann, am Ende Seiner Reden, die Herrlichkeit des Hauses des Vaters vorzustellen. Er hat einen besseren Weg. Er beginnt die Rede in Johannes 14 mit der Entfaltung der Lieblichkeit des Hauses des Vaters. Bevor wir dazu berufen werden, die Reise anzutreten, mit ihren Übungen und Schwierigkeiten, wird uns die Herrlichkeit des Hauses versichert, zu dem diese Reise führt. Wie der Psalmdichter gehen wir den Weg durch das Tal – im Licht der Stadt, die auf dem Berg liegt.

Diese Reise wird uns in den Versen 5–7 vorgestellt. In Vers 5 werden wir als solche gesehen, die gebahnte Wege beschreiten – wir gehen vorwärts. In Vers 6 sind wir im Tal der Tränen – wir gehen hindurch. In Vers 7 ist Zion in Sicht – wir gehen ein. Die „gebahnten Wege“, die nach Zion führen, gehen durch feindliches Land. Manchmal erscheint der Weg vielleicht lang und rau und trübe, und das Herz sehnt sich nach dem Ende der Reise. Daher wird das allererste Bedürfnis Kraft für die Reise sein. Diese Kraft ist allein in Gott zu finden, deshalb sagt der Psalmist: „Glückselig der Mensch, dessen Stärke in dir ist.“ Der Abschnitt im Neuen Testament, der mehr als alle anderen den Pilgerpfad in bösen Tagen beschreibt, beginnt mit der Aufforderung: „Sei stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist“ (2. Tim 2,1). Wenn der Wohnort Gottes der Gegenstand des Herzens ist, wird auch der Weg dahin einen Platz im Herzen haben. Wenn der Pilgerpfad für unser Herz wenig anziehend ist, offenbart das dann nicht ein Herz, das nur wenig von der Herrlichkeit der Heimat in der Höhe ergriffen ist, zu der wir berufen worden sind?

Dann wird uns der Charakter dieses Weges vorgestellt. Er verläuft durch das Tränental. Es ist nicht nur ein Tal der Übungen, sondern ein Tal der Tränen. Die „Tränen“ sprechen weniger von Übungen, sondern viel mehr von den Erfahrungen in den Übungen. Für sich gesehen mögen die Übungen vielleicht verhärten; die Erfahrungen in den Übungen – die „Tränen“, die die tiefen Empfindungen des Herzens vor Gott in den Übungen ausdrücken – werden zu einer Quelle des Segens für das Herz. Wenn wir unsere Stärke von Gott beziehen und Ihm unsere Sorgen bringen, werden wir das „Tränental“ in einen „Quellenort“ geistlicher Segnungen verwandeln. Im Geist des Psalmisten sagt der Apostel zu Timotheus, dass er seiner Tränen gedachte (2. Tim 1,4). Er gedachte nicht nur der Übungen des Timotheus, sondern auch der „Tränen“, die durch die Übungen hervorgerufen wurden.

Darüber hinaus gibt es auf den gebahnten Wegen, die zum Haus Gottes führen, den „Frühregen”, der das Tal mit Segnungen bedeckt (Vers 6). Der Regen spricht von dem, was von oben kommt – der ganze Dienst Christi, den der Geist von oben herab bringt, um das Herz zu erfrischen und zu erfreuen. Das Wort „Frühregen“ bezeichnet den sanften und milden Regen, der den Boden zur Saatzeit erfrischt (5. Mo 11,14). Das „Tränental“ bereitet das Herz vor für den gnädigen Dienst Christi von oben vor.

So geht die Seele, erfrischt von der Quelle von unten und dem Frühregen von oben, weiter von Kraft zu Kraft. Diese Worte bezeichnen wohl kaum einen Vorrat an Kraft, zu dem immer mehr Kraft hinzugefügt wird, egal wie stark die Kraft zunehmen mag. Sie stellen vielmehr eine frische Versorgung mit Kraft von Tag zu Tag vor.

Das sichere Ende der Reise ist, dass alle „vor Gott in Zion” erscheinen werden (Vers 7). Wir mögen vielleicht straucheln auf dem Weg, und ach, wir tun es auch. Wir mögen zögern auf dem Weg, wir mögen des Weges überdrüssig werden, wir mögen in der Nachfolge schwach werden; aber trotz allen Versagens und aller Schwachheit werden alle vor Gott in Zion erscheinen. Wenn der Herr gesagt hat: „Meine Schafe … gehen nicht verloren in Ewigkeit, dann können wir sicher sein, dass schließlich alle Seine Schafe die Heimat erreichen werden. Sie gehen ihren Weg weiter, einer nach dem anderen entschwindet unseren Blicken, aber alle „erscheinen vor Gott in Zion.“ Und dort werden endlich alle zusammentreffen.

Das Gebet (Vers 8–12)

Der Psalm endet mit dem Gebet der gottesfürchtigen Seele, die auf dem Weg ist, der zum Haus Gottes führt. In schöner Weise spricht der Psalmist Gott als den „Gott der Heerscharen“ und den „Gott Jakobs“ an. Der Psalmist wendet sich zu Gott, in dem Bewusstsein Seiner göttlichen Majestät und Macht, als dem Gott der Heerscharen, und zugleich zu dem, der jede Gnade hat und mit dem ihn eine Bundesbeziehung als Gott Jakobs verbindet. Gott trat mit Jakob auf der Grundlage souveräner Gnade in Beziehung, und Gott erwies dem versagenden Jakob seine ganze Wanderschaft hindurch jede Gnade. Der Gott der Macht und der Gott der Gnade, mit dem wir in Beziehung stehen, ist Der, der uns allein auf den Weg zur Herrlichkeit bringen kann.

Dann drückt der Psalmist in seinem Gebet den Grund seines Vertrauens aus, indem er auf Gott blickt: „Du, unser Schild, sieh, o Gott; und schau an das Antlitz deines Gesalbten!“ Wer, wenn nicht Christus, ist der Gesalbte Gottes? Die Grundlage all unserer Segnungen – der Grund all unseres Vertrauens – besteht darin, dass Christus alles ist, was Gott von Ihm wünscht, und alles getan hat, was Gott getan haben wollte, damit Seine Gnade ausfließen kann in Segen für unwürdige Sünder. Gott sieht auf Christus als Den, der dazu gesalbt wurde, das große Werk zu vollbringen, und Gott ist befriedigt in Christus und Seinem vollbrachten Werk. Daher kann Gott ein Schild für den Gläubigen sein. Er kann ihn vor dem Gericht, vor dem Tod und vor aller Macht des Feindes beschützen, aufgrund alles dessen, was Er in Christus gefunden hat. Wie gut, dass wir uns immer auf die Befriedigung, die Gott in Christus gefunden hat, berufen können und sagen können: „Schau an das Antlitz deines Gesalbten!“

Im Licht der kommenden Herrlichkeit kann die Welt und alles, was sie zu bieten hat, zurückgelassen werden. Was können die Zelte der Gesetzlosen bieten im Vergleich zu den Vorhöfen des Herrn? Ein Tag in Seinen Vorhöfen ist besser als tausend Tage in den günstigsten Umständen in den Wohnungen der Menschen. Die Welt hat bestenfalls ein vorübergehendes Zelt zur Wohnung; der Herr bringt uns in eine ewige Heimat.

Mit dem Gott der Macht und Gnade vor dem Herzen; gesegnet und angenommen in dem Gesalbten; die Welt hinter sich und die Herrlichkeit vor sich, kann der Gläubige seinen Weg in dem Bewusstsein weitergehen, dass Gott Sonne und Schild ist. Er ist das Licht, das uns in einer dunklen Welt leitet, und der Schild, der uns vor einer bösen Welt bewahrt. Tag für Tag gibt Er die nötige Gnade; und die Gnade, die auf der Erde begann, wird in der Herrlichkeit in der Höhe enden. Nichts als Herrlichkeit ist die passende Antwort auf Seine Gnade. Das ewige Gewicht von Herrlichkeit ist die einzige angemessene Antwort auf den überragenden Reichtum Seiner Gnade. Am Anfang unserer Reise suchte und fand uns die Gnade, am Ende erwartet uns die Herrlichkeit. Und zwischen der Gnade zu Beginn und der Herrlichkeit am Ende wird Er „kein Gutes vorenthalten denen, die in Lauterkeit wandeln.“

In dem sicheren Bewusstsein der „Gnade”, „Herrlichkeit“ und des „Guten“, kann die Seele wirklich abschließend sagen: „Glückselig der Mensch, der auf dich vertraut!“

[Übersetzt von Marco Leßmann.]