„Petrus spricht zu ihm: Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Mein Leben will ich für dich lassen. Jesus antwortet: Dein Leben willst du für mich lassen? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, der Hahn wird nicht krähen, bis du mich dreimal verleugnet hast“ (Joh 13,37.38).
Ich hatte diese Momente gekannt, als ich für Christus sterben wollte. Ich war mit dem brennenden Wunsch nach China gereist, Christus bis zum Äußersten zu dienen. Für mich lag darin kaum oder kein Opfer. Nichts auf der Welt wollte ich mehr tun. Ich sah keine Möglichkeit eines Rückzugs. Andere mochten scheitern, aber ich würde nicht scheitern. Andere mochten aus den Reihen fallen, aber ich würde treu bleiben. Ich würde bis zum Ende durchhalten.
Ich freute mich über den sich öffnenden Weg quer durch China, reiste glücklich den Jangtse hinauf, flog nach Chengdu, durchquerte die Ausläufer des Zentralasiatischen Plateaus bis an die tibetische Grenze. Es war nicht schwer. Es war leicht. Es war genau das, was jeder junge Mensch in seinen Zwanzigern gerne getan hätte.
Doch nach vielen Monaten saß ich allein in meiner kleinen Blockhütte, hunderte Meilen entfernt von der Außenwelt, ein christlicher Missionar unter den Buddhisten Tibets. Draußen vor dem kleinen Fenster erstreckte sich das immense Land westwärts. Der größte Teil davon war von Weißen unerforscht. Eindringlinge wurden schnell erschossen. Weite Grasländer, hohe Kämme und öde Pässe. Tiefer Schnee. Die Nacht brach früh herein. Das einzige Licht war eine kleine Butterlampe. Ich würde nun allein sein bis zum Tag X. Meine Zukunft bestand darin, in dieses Gebiet zu ziehen, der dortigen Feindseligkeit zu begegnen und den Samen Gottes zu säen. Andere waren in die Grenzgebiete gekommen, hatten gearbeitet, waren gestorben. Es gab Gräber in den Bergen, Gedenkgottesdienste in den Heimatländern. Um mich herum gab es Intrigen, hinter mir die Rote Armee Chinas, vor mir der Wille Gottes, der mich zu Bergen führte. Könnte ich es tun? Hatte ich nicht beteuert: „Mein Leben will ich für dich lassen“? Doch die Frage des Meisters taucht immer wieder auf: „Dein Leben willst du für mich lassen?“ „Willst du ... willst du ... willst du?“
Die Tage verstreichen und ich werde zum Gefangenen der kommunistischen Armee. Es geht um unbegrenzte Einzelhaft. Nach vielen Tagen allein werde ich von einem jungen Beamten herausgeholt, und er spricht ernsthaft mit mir über die Möglichkeit einer Hinrichtung. Er ist ruhig, aber bestimmt. Er scheint es ernst zu meinen. Ich bin jung und es fällt mir schwer, daran zu denken, allein dort draußen in den Hügeln zu sterben; und ich kehre zurück in die dunkle Zelle und kämpfe weiter, knie im Staub und in der Dunkelheit, versuche, meine Herzschläge zu beruhigen und die Tränen zurückzuhalten. „Mein Leben willst du für mich lassen? Willst du ... willst du?“ Monate vergehen. Die Situation ist sehr angespannt. Es scheint, als könne das Ende nicht mehr fern sein. Mir wird gesagt, dass ich auf den Tod warte. Ich werde intensiv verhört und dann ruft mich ein Beamter, der leise und vertraulich mit mir spricht. Er sagt mir, dass ich zwar nicht sofort erschossen werde, aber letztlich doch sterben muss, falls ich nicht nachgebe. Er spricht scheinbar sehr aufrichtig und scheint mir helfen zu wollen. Tatsächlich hat er als Mensch großen Eindruck auf mich gemacht. Ich konnte fast spüren, dass er in gewisser Weise Mitleid mit mir hatte. Das machte die Tortur nur noch schwerer zu ertragen.
Also stand mein Tod bevor und alles, was ich wusste, war, dass ich nicht mehr sagte: „Mein Leben will ich für dich lassen.“ Nicht, dass ich es nicht tun würde, wenn ich müsste, das weiß Er – aber nur, wenn ich müsste. Es war nicht wirklich mein Wille, für Ihn zu sterben. Der Wille zu leben war viel stärker. Warum war das so? Einfach, weil ich jetzt der Realität gegenüberstand und nicht den Hirngespinsten meiner Tagträume.
Ich hatte es noch nicht verstanden. Die Lehre des Abschieds. Wir sprechen darüber, für Christus zu leben. Es ist gewinnbringender, vom Sterben mit ihm zu sprechen. Wahrscheinlich gibt es heute zu viele von uns, die noch leben, aber schon längst hätten sterben sollen. Wir haben das Kreuz gemieden und den Abend unseres kurzen Tages im flackernden Licht der Welt verbracht. Unsere großen Bestrebungen sind vor dem einfachen Druck gewöhnlicher Menschen gescheitert, die erstaunt sind, dass jemand einer seiner Jünger sein möchte … Das also ist das Leid unseres Herzens, dass wir im Konflikt des Kreuzes versagen zu sterben. Dass wir noch bei guter Gesundheit sind und Fragen beantworten können, wenn wir eigentlich Nägel in Händen und Füßen haben sollten. Dass wir weitergelebt haben, um unserer Schande ins Auge zu sehen, anstatt in der Verheißung seiner Herrlichkeit zu sterben. Dass wir akzeptiert werden, wenn wir Ausgestoßene sein sollten. Dass wir als Freunde angesehen werden, wenn wir als Feinde verschmäht werden sollten.
„Dein Leben willst du für mich lassen?“[1]
[Aus dem Buch God holds the Key, gekürzt und etwas angepasst]
Fußnoten:
