In Epheser 5,15.16 werden wir aufgefordert: „Gebt nun acht, wie ihr sorgfältig wandelt, nicht als Unweise, sondern als Weise, die gelegene Zeit auskaufend, denn die Tage sind böse.“ Eine weise Lebensführung ist daher durch zwei Dinge geprägt: erstens durch das Auskaufen der gelegenen Zeit und zweitens durch ein klares Urteil über die Zeitverhältnisse („die Tage sind böse“).

Das Auskaufen der gelegenen Zeit

Das mit „gelegene Zeit“ übersetzte griechische Wort meint nicht eine Zeitdauer, sondern einen Zeitpunkt oder eine Gelegenheit. Wer die gelegene Zeit auskauft, der erkennt gute und günstige Gelegenheiten, ergreift sie und nutzt sie voll aus. Dazu gehört das Bewusstsein, dass unsere Lebensdauer begrenzt ist. Mose bestätigt das, indem er sagt, dass man durch das Zählen der Tage ein weises Herz erlangt (Ps 90,12). Für bestimmte Dinge haben wir nur in dem Leben hier auf der Erde Zeit.

Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass es in unserem Leben Zeiten oder Gelegenheiten gibt, die nie wiederkommen. Sorgfältig zu wandeln heißt daher auch, umsichtig und aufmerksam zu sein, um diese Gelegenheiten nicht zu verpassen.

Maria erkannte die Gelegenheit und ergriff sie, als sie dem Herrn die Füße salbte. Die Weisheit hierfür hatte sie in der Nähe und Gemeinschaft des Herrn erlangt. Es war die letzte Chance, und sie nutzte sie, während die Jünger ihre Tat für Verschwendung hielten.

Als der Herr Jesus im Garten Gethsemane zum dritten Mal zu seinen Jüngern zurückkam und sie schlafend fand, sagte Er: „Es ist genug“ (Mk 14,41). Damit drückte Er unter anderem aus, dass die einmalige Gelegenheit, mit Ihm in den schweren Stunden des ringenden Kampfes zu wachen, vorbei war. Die Jünger hatten diese Gelegenheit verpasst.

Wie man eine gute Gelegenheit erkennt, ergreift und voll ausnutzt, kann man am besten bei dem Herrn Jesus lernen. Als Er in Samaria am Brunnen saß, erkannte Er die Gelegenheit, sich einer sündenbeladenen Frau als der Heiland der Welt vorzustellen. Die Jünger hatten darin überhaupt keine Gelegenheit gesehen. Sie wunderten sich, dass Er mit einer Frau sprach. Der Herr Jesus muss ihnen sagen: „Sagt ihr nicht: Es sind noch vier Monate, und die Ernte kommt? Siehe, ich sage euch: Erhebt eure Augen und schaut die Felder an, denn sie sind schon weiß zur Ernte“ (Joh 4,35). Wo sie gar nichts wahrnahmen, sah Er die erntereifen Felder.

Aber Er sah nicht nur die Gelegenheit, sondern ergriff sie auch sofort, indem Er die Frau am Brunnen ansprach. Und Er nutzte die Gelegenheit auch voll aus, denn gerade als die Jünger zurückkamen, war Er mit der Frau an dem Punkt, wo Er sie haben wollte: Er konnte sich ihr als der Christus vorstellen.

Ein klares Urteil über die Zeitverhältnisse

Weisheit in der Lebensführung zeigt sich auch in einem klaren Urteil über die Zeit, in der wir leben. Unter den Männern, die sich zu David gesellten, waren auch solche, „die Einsicht hatten in die Zeiten [d.h. ein richtiges Urteil in der Erwägung der Zeitverhältnisse], um zu wissen, was Israel tun musste“ (1. Chr 12,33). Der Weise kann zwischen gut und böse unterscheiden (vgl. 1. Kön 3,9; Heb 5,14; Röm 16,19). Er weiß nicht nur, dass die Tage böse sind, sondern er weiß auch, welche Form das „Böse“ (oder Boshafte) in unseren Tagen annimmt, und zieht daraus seine Schlüsse für ein entsprechendes Verhalten.

Als Weise zu wandeln bedeutet also, das Richtige zur richtigen Zeit und auf eine richtige Art und Weise zu tun.

Und wie wird man weise?

Das lehren uns die folgenden Verse (Eph 5,17–21):

  1. Durch die Kenntnis des Willens des Herrn (Eph 5,17). – Hierzu braucht es vertraute Nähe und Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus. Denn wer Ihn kennt, der kennt auch seinen Willen. Hierzu braucht es auch gewohnheitsmäßigen Umgang mit Gottes Wort, das den Einfältigen weise macht und verständiger als seine Lehrer (Ps 19,8; 119,99).

  2. Durch das ungehinderte Wirken des Heiligen Geistes (Eph 5,18). – Der Geist ist der „Geist der Weisheit“ (Jes 11,2; 5. Mo 34,9). Die Aufforderung, mit dem Geist erfüllt zu werden, zeigt, dass wir dazu selbst etwas beitragen müssen – und zwar: Entrümpelung unseres Inneren und unseres Kalenders von Dingen, die den Geist behindern. Mit dem Geist erfüllt zu werden, bedeutet nicht, dass wir mehr vom Geist bekommen (das geht gar nicht, vgl. Joh 3,34), sondern dass der Geist mehr von uns bekommt.

  3. Durch den Umgang mit Weisen (Eph 5,19). – „Wer mit Weisen umgeht, wird weise“ (Spr 13,20). Die Weisen sind hier charakterisiert als solche, die geistliche Inhalte zueinander reden. Wer mit solchen umgeht, der profitiert von ihrer Weisheit, die sie in der Nähe zum Herrn gewonnen haben.

  4. Durch vertrauten Umgang mit Gott, dem Vater (Eph 5,20). – Wer Gott, dem Vater allezeit für alles danken kann, der hat im Umgang mit Ihm gelernt, dass man Ihm vertrauen kann, weil Er es immer gut mit uns meint. Es ist eine besondere Stufe der Weisheit, wenn man von eigenem Wünschen und Wollen frei ist und in dem Willen Gottes ruht mit der Bereitschaft, alles im Leben aus seiner Hand anzunehmen.

  5. Durch eine Gesinnung der Unterordnung, Demut und Gottesfurcht (Eph 5,21). – Wir haben in uns selbst keine Weisheit. Sie muss „von oben“ kommen (Jak 3,17). Sich selbst nicht für wichtig zu nehmen (was der Inbegriff von Torheit ist; vgl. 2. Kor 11,19; 12,11), den anderen höher zu achten und vor allem Gott den höchsten Platz im Leben zu geben, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Weisheit – und häufig der erste (Hiob 28,28).