Brief von J. N. Darby
Übersetzt aus „Letters of J.N. Darby“, Band 2. S. 10–12
Liebe Brüder,
weil ich nicht recht weiß, wer in . . . ist, schreibe ich für beide, ja, dem Verlangen meines Herzens nach für alle, und Ihr werdet sicher über mein Interesse an der Versammlung dort nicht erstaunt sein. Von Mr. . . . und noch jemand anders – habe ich natürlich nur eine Seite des Sachverhalts gehört, und daher sage ich nur wenig darüber. N. hat allerdings auf die aufgeworfene Frage angespielt, nicht aber auf den Sachverhalt. Ich werde hauptsächlich auf Grundsätze eingehen, denn es wird Euch bewußt sein, daß wir alle, als von einem Leib, an dem eingenommenen Standpunkt interessiert sind, und mehr noch an der Herrlichkeit Christi und dem Wohlergehen unserer Brüder.
Was die Aufnahme von Heiligen zur Teilnahme am Tisch des Herrn mit uns betrifft, besteht die Frage, ob jemand zugelassen werden kann, der nicht formell und regelmäßig unter uns ist. Es geht nicht darum, ob wir Personen ausschließen, die ungesund im Glauben oder ungöttlich in der Praxis sind, oder ob wir uns mitschuldig machen („an der Sache“ nicht „rein sind“), wenn wir bewußt mit solchen zusammengehen, die lehrmäßig ungesund im Glauben oder in der Praxis ungöttlich sind. Ersteres steht außer Frage; auf letzterem haben die Brüder, darunter auch ich, immer bestanden, was uns selbst große Schmerzen gekostet hat. All dies ist mir aus der Schrift sehr klar und deutlich. Es mag feinsinnige Vorwände für eine Duldung des Bösen geben, doch wir sind darin immer fest geblieben; und ich glaube, daß Gott das völlig anerkannt hat. Darin besteht die Frage nicht.
Aber stellen wir uns jemand vor, der als gottesfürchtig und gesund im Glauben bekannt ist, aber sein kirchliches System nicht verlassen hat, ja sogar denkt, die Schrift befürworte einen ordinierten Dienst, der sich aber freut, bei sich bietender Gelegenheit mit uns das Brot brechen zu können. Nehmen wir an, wir wären die einzige Gruppe von Christen am Ort, oder der Betreffende wäre mit keiner anderen Gruppe am Ort in Verbindung, hielte sich aber bei einem Bruder auf oder dergleichen. Soll er zurückgewiesen werden, weil er irgendeinem System angehört, im Blick auf das sein Gewissen nicht erleuchtet ist, das er sogar für richtiger halten mag? Er ist ein gottesfürchtiges Glied des Leibes Christi und als ein solches bekannt. Soll er zurückgewiesen werden? Wenn ja, dann macht man die Gemeinschaft abhängig von dem Maß an Licht, das einer besitzt, und die Versammlung, die die betreffende Person abweist, verleugnet die Einheit des Leibes. Der Grundsatz des Zusammenkommens (als Glieder Christi, die in Gottseligkeit wandeln) wird aufgegeben, Übereinstimmung mit uns wird zur Richtschnur gemacht, und die Versammlung wird eine Sekte mit Mitgliedern wie jede andere. Die einen kommen nach ihren Grundsätzen zusammen, die Baptisten nach anderen – Ihr nach Euren, und wenn jemand nicht formell als solcher zu Euch gehört, den laßt Ihr nicht zu. Damit wird der Grundsatz der Zusammenkünfte der Brüder aufgegeben und eine neue Sekte gebildet, vielleicht mit mehr Licht, aber das ist auch alles.
Es mag schwieriger sein und größere Sorgfalt erfordern, jedem Fall für sich auf den Grund zu gehen nach dem Grundsatz der Einheit aller Glieder Christi, als einfach zu sagen: „Du gehörst nicht zu uns, du kannst nicht kommen“; aber die ganze Grundlage des Zusammenkommens ist sonst dahin. Ein solcher Weg ist nicht von Gott.
Ich habe gehört, daß gesagt wird – und zum Teil glaube ich es, denn ich habe einige unbesonnene und heftige Menschen anderswo dasselbe sagen hören –, die verschiedenen sektiererischen Feiern des Abendmahls seien Tische der Dämonen. Doch diese Auffassung beweist lediglich die ungebrochene Gesinnung und Unkenntnis dessen, der sie äußert. Die heidnischen Altäre werden ausdrücklich Tische der Dämonen genannt, weil die Heiden das, was sie opferten, den Dämonen opferten und nicht Gott (nach 5. Mose 32,17). Wenn aber jemand bekennende christliche Versammlungen, mögen sie auch die Wahrheit der Kirche nicht kennen und daher auf eine falsche Weise zusammenkommen, Tische von Dämonen nennt, so ist das ein entsetzlicher Unsinn und zeigt den schlechten Zustand dessen, der so redet. Kein nüchterner und aufrichtiger Mensch kann bestreiten, dass die Schrift damit etwas ganz anderes meint.
Ich habe gehört, es sei gesagt worden – ob das wahr ist, weiß ich nicht – die Brüder in England handelten auf dieser Grundlage. Wenn das gesagt worden ist, dann ist es einfach völlig falsch. Während meiner Abwesenheit in Amerika sind zwar neue Zusammenkünfte gebildet worden, die ich nicht besucht habe; aber die älteren, die schon lange als Brüder wandeln, kenne ich dafür, daß sie von Anfang an solche aufgenommen haben, die als Christen bekannt sind, und das tun daran zweifle ich nicht – die neueren ebenfalls überall, und das in jedem Land. Ich habe Einzelpersonen gekannt, die den erwähnten Gedanken aufgegriffen haben, wenigstens einen Fall in Toronto, aber die Versammlung hat stets wahre Gläubige aufgenommen: drei haben auf diese Weise noch am letzten Tag des Herrn, als ich in London war, Brot gebrochen.
Im Blick auf Heiligkeit und Wahrheit kann nicht genug Sorgfalt geübt werden; der Geist ist der Heilige Geist und der Geist der Wahrheit. Aber Unkenntnis der Wahrheit über die Kirche ist kein Grund, jemand von der Gemeinschaft fern zuhalten, wenn das Gewissen und der Wandel unbefleckt sind. Käme jedoch jemand mit der Bedingung, daß ihm erlaubt wird, an beide Orte zu gehen, dann käme er nicht in Einfalt im Blick auf die Einheit des Leibes. Ich erkenne das als böse und kann es nicht zulassen; der Betreffende hat kein Recht, der Kirche Gottes irgendwelche Bedingungen aufzuerlegen. Sie muß vielmehr Zucht ausüben, wenn Fälle eintreten, die das nach Gottes Wort erfordern. Ich glaube auch nicht, daß jemand, der regelmäßig systematisch von einer Gruppe von Christen zur anderen geht, Überhaupt mit Redlichkeit zu einer von bei den geht; er tut so, als sei er über beide erhaben und lasse sich zu jeder von ihnen herab. In einer solche Handlung kommt kein „reines Herz“ zum Ausdruck.
Möge der Herr euch leiten! Denkt daran: Ihr handelt stellvertretend für die ganze Kirche Gottes, und wenn ihr im Blick auf den Grundsatz des Zusammenkommens vom rechten Weg abweicht, indem ihr euch von ihr absondert, heißt das, daß ihr eine örtliche Sekte nach euren eigenen Grundsätzen bildet. Wenn es um die Treue geht, erstrebe ich niemals irgendwelche Nachlässigkeit – Gott ist mein Zeuge. Aber Satan ist eifrig bemüht, uns auf die eine oder andere Seite zu führen: die Weite der Einheit des Leibes entweder zu zerstören oder daraus bloße Laxheit in Praxis und Lehre zu machen. Um das eine zu vermeiden, dürfen wir nicht in das andere fallen. Die Aufnahme aller wahren Heiligen ist das, was dem Ausschluß solcher, die nachlässig wandeln, seine Kraft gibt. Wenn ich aber alle, die zwar ebenso gottesfürchtig wandeln, aber nicht mit uns nachfolgen, mit ausschließe, verliert der Ausschluß seine Kraft; denn gottesfürchtige Personen werden dann ebenfaIls ausgeschlossen.
Es gibt keine Mitgliedschaft unter Brüdern. Auch Mitgliedschaft bei einer Versammlung ist der Schrift unbekannt. Es geht um Glieder des Leibes Christi. Wenn alle zu Euch gehören müssen, heißt das praktisch Mitgliedschaft Eurer Körperschaft. Der Herr bewahre uns davor; das ist ganz einfach der Boden der Freikirchen.
Mit herzlichen Grüßen, geliebter Bruder,
Wenn ich nach.. . . komme, werde ich ein deutliches Zeugnis darüber verlangen, auf welcher Grundlage Ihr zusammenkommt.
Kingston, 19. April 1869