Es liegt etwas sehr Rührendes und gleichzeitig Lehrreiches darin, den Weg des Herzens in diesem Psalm zu verfolgen. Er erinnert uns vielleicht an Psalm 73 und kann als eine Äußerung der Juden unter der züchtigenden Hand Gottes in der Endzeit verstanden werden. Dennoch ist es für jeden Gläubigen möglich, von diesem Psalm Nutzen zu ziehen.

Der Anfangsvers macht das Ergebnis oder Ende des Weges deutlich, was in den Psalmen häufig bemerkt werden kann. Der Pfad des Herzens wird anschließend bis zum Beginn zurückverfolgt.

Wir haben hier eine schwierige Zeit vor uns, in welcher der Bittende den HERRN auf religiöse Weise suchte. Aber das war nicht die höchste Stufe des Glaubens. Es war mehr das Wirken religiöser Gefühle, das in einer Notzeit erwachte und nicht zur inneren Kraft und Freiheit führte. Erinnerungen tauchen auf, die den Schmerz nur verschlimmern. Das Herz sieht Gott eher in den eigenen Nöten und Übungen, als seine Werke und Wege anzuschauen. Es war Gott, aber Gott in Verbindung mit den gegenwärtigen Nöten und diese Sicht der Dinge führt zu Seufzern. Schließlich ist es dann aber der Geist Gottes, der seine Macht und sein Licht hineinbringt und damit auf einen Schlag den Herzenszustand ändert. Er führt den Rufenden zu der Einsicht, dass alles Bisherige rein irdisch war: „Das ist mein Kranksein“ (Ps 77,11). Darin lag der religiöse Charakter und das war so menschlich. Es war die natürliche Schwachheit im Gegensatz zu der Stärke und Ruhe des Glaubens. Der Geist führt das Herz dann weg von der Sichtweise, Gott in dem Licht der eigenen Schwierigkeiten zu sehen, und leitet ihn dahin, Gott in dem Licht seiner Wege zu betrachten und zu verstehen. Wieder kommt die Erinnerung an vergangene Dinge auf, aber jetzt sind es Dinge, die mit der Errettung Gottes verbunden werden und nicht mit den Nöten des Bittstellers (Verse 6 und 12). Wir lesen weiter von „Tagen der Vorzeit“, als sein Volk durch spurenlose Tiefen und ungebahnte Wege gehen musste, aber wo Gott sich dennoch als ihr Führer und Hirte erwies. Die Werke Gottes lassen ihn selbst erkennen, zeigen wer er ist und bilden so ein „Heiligtum“, wovon der Psalmist hier spricht (Vers 14).

Und ist es nicht der wahre Trost des Evangeliums zu wissen, dass unser Gott für uns handelt? Hier lernen wir eine einfache Tatsache, die keine weitere Auslegung nötig hat – es ist ein unmittelbarer Zeuge seiner hingegebenen, ewigen Liebe. Wir erkennen eine „Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi“, die uns glücklich macht. Seine Wege mit uns sind jedoch züchtigende Wege und ihre Deutung ist noch zukünftig. Hiob hatte Probleme, die Gedanken Gottes in seinem Handeln mit ihm zu erkennen. Trotzdem führte ihn der Geist in einem glücklichen Augenblick dahin, die Wege und Handlungen Gottes für ihn zu sehen – und alles ist triumphal (Hiob 19,23–27). Dasselbe finden wir hier bei dem Psalmisten.

[Übersetzt von Stephan Keune]