Von solchen, die mit den Gepflogenheiten im Nahen Osten bestens vertraut sind, wissen wir, dass das Gleichnis von den zehn Jungfrauen eine genaue Beschreibung der Gebräuche ist, die dort bis heute vorherrschen.

Die zehn Jungfrauen gingen aus, „dem Bräutigam entgegen” (Mt 25,6). Das ist ihre Aufgabe, ihre Rolle, die sie in den Zeremonien spielen. Im Haus der Braut versammelt, erwarten sie den Bräutigam, der nicht vor Mitternacht erscheint. Die Müdigkeit überkommt sie und sie schlummern und schlafen ein. Um Mitternacht ertönt der Ruf: „Siehe der Bräutigam, geht aus, ihm entgegen!“

Die Jungfrauen im Gleichnis sind nicht ein Bild der Versammlung in ihrem korporativen Aspekt, sondern ein Bild der einzelnen Jünger eines abwesenden Herrn. Ihr ursprünglicher Platz und ihre Aufgabe war es, auszugehen, dem Bräutigam entgegen. Sie waren Gottes Herausgerufene. Sie kamen aus dem Judentum und aus dem Heidentum heraus in den abgesonderten Bereich der Versammlung, „um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten“ (1. Thes 1,9–10).

Im Verlauf der Zeit ließen sie jedoch darin nach und verfielen im Schatten des Hauses in einen bewusstlosen und leblosen Zustand, wie er durch den Schlaf angedeutet wird.

Der Mitternachtsruf und die Worte: „Geht aus, dem Bräutigam entgegen”, rufen uns auf, nicht nur zu erwachen und uns der ursprünglichen Hoffnung der Versammlung – dem Kommen des Herrn – zu besinnen, sondern auch zu der ursprünglichen Position der Versammlung zurückzukehren – außerhalb der Welt, sowohl moralisch als auch religiös.

[Übersetzung: Marco Leßmann]