Das Gewissen scheint zu einer Provinz in dem Innenleben des „modernen Menschen“ degradiert worden zu sein. Es ist nicht mehr populär, die Schuldfrage des Menschen aufzurollen und die Macht und die Qual des Gewissens zu überdenken.

Doch seit Jahrtausenden stellen Menschen sich Fragen zu dem Gewissen und diese Fragen sind immer noch aktuell: 

Was hat es mit dem Gewissen auf sich?

Wo kommt diese innere Stimme her, und wie funktioniert sie?

Wie muss ich mit dem Gewissen umgehen?

Jeder kennt die leisen und lauten Mahnrufe des Gewissens. Bevor wir etwas Unerlaubtes tun, vernehmen wir die Stimme des Gewissens recht leise, während der Tat ist sie kaum wahrnehmbar, aber danach ist sie umso durchdringender. Das Gewissen sagt uns, dass wir das Gute tun und das Böse lassen sollen, und verurteilt uns unbestechlich, wenn wir nicht hören wollten. Jedenfalls dann, wenn wir nicht ständig gegen das Gewissen gehandelt haben.

Das Gewissen ist die Instanz für „Gut und Böse“ in dem Menschen. Es ist sein moralisches Bewusstsein. Der Mensch unterscheidet sich dadurch deutlich vom Tier, das kein Gewissen hat. Ein Hund mag verstehen, dass er keine Katzen jagen soll, und sehr geknickt herumlaufen, wenn man ihn dabei ertappt – aber das ist nicht die Folge eines beschwerten Gewissens. Der Hund hat nur durch regelmäßige Übung (langsam) gelernt, was seinem Herrchen missfällt; eine innere Stimme, die von Recht und Unrecht zeugt, hat er jedoch nicht. Zudem hat ein Tier kein Bewusstsein von Gott, während das Gewissen den Menschen darauf hinweist, dass er sich für seine Taten vor einer höheren Macht verantworten muss. 

Wo kommt das Gewissen her?

Woher hat der Mensch sein Gewissen? Vor dem Sündenfall wusste der Mensch nichts von einem Gewissen. Er war im Zustand der Unschuld und konnte Gutes und Böses nicht unterscheiden (1. Mo 3,5). Nachdem Adam und Eva gesündigt hatten, sah die Sache anders aus: Sie schämten sich, dass sie nackt waren, und versteckten sich vor Gott. Da war auf einmal die innere Stimme, die ihnen klarmachte, dass sie so, wie sie von Natur aus waren, nicht vor Gott bestehen konnten. Jetzt wussten sie, was gut und böse war (1. Mo 3,22).

Das Wort Gewissen kommt in den angeführten Versen aus 1. Mose 3 (wie im ganzen Alten Testament) zwar nicht vor, aber die Sache selbst ist doch zu finden. So heißt es in 2. Samuel 24,10: „David schlug das Herz, nachdem er das Volk gezählt hatte.“ Mit „Herz“ dürfte an dieser Stelle vor allem das Gewissen gemeint sein.

Wie funktioniert das Gewissen?

Im Neuen Testament begegnet uns im Gegensatz zum Alten das Wort Gewissen öfters. Wir erfahren unter anderem, dass das Gewissen von etwas Kenntnis erlangen kann (2. Kor 5,11), Urteile fällt (1. Kor 10,29) und Zeugnis ablegt (Röm 2,15; Röm 9,1; 2. Kor 1,12). 

Das Gewissen, das für oder gegen uns zeugt, kann allerdings keine Kraft geben, den richtigen Weg zu wählen – es macht nur auf das Gute und vor allem auf das Böse aufmerksam. Das ist die große Funktion des Gewissens, die jeder aus Erfahrung kennt. Wenn auch das Gewissen bei jedem nach den gleichen Grundsätzen funktioniert, so sind die Urteile der Gewissen doch sehr verschieden. Woran liegt das? Das kommt daher, dass das Gewissen im Laufe der Zeit durch viele Einflüsse geprägt und gebildet wird. Und diese Einflüsse sind bei jedem Menschen unterschiedlich.

Wer fortlaufend Wertmaßstäbe vermittelt bekommt, die im Gegensatz zu der Bibel stehen, mag schließlich sogar das Gute als böse und das Böse als gut ansehen.

Wie gehen wir mit dem Gewissen um?

Das bringt uns zu der wichtigen Frage, wie wir mit unserem Gewissen umgehen. Welche Priorität räumen wir dem Gewissen ein? Wie reagieren wir auf die Proteste des Gewissens? Wie fördern wir unser Gewissen, damit es gut funktioniert?

a) Das Gewissen sollte nicht zum Führer werden. 

Das Gewissen ist kein absoluter und unanfechtbarer Maßstab für das Leben eines Gläubigen. In 1. Korinther 4,4 sagt Paulus: „Ich bin mir selbst nichts bewusst, aber dadurch bin ich nicht gerechtfertigt.“ Wir sind folglich nicht berechtigt zu sagen, dass alles in Ordnung sei, wenn unser Gewissen schweigt. Denn es könnte sein, dass das Gewissen durch viele schlechte Einflüsse geprägt ist und darum das Abweichen von der göttlichen Norm nicht anzeigt.

Das Gewissen funktioniert nur richtig, wenn es durch das Wort Gottes gebildet wird. Darum müssen wir das Gewissen immer wieder daran schärfen. Das Gewissen selbst kann nicht unser Führer und Maßstab sein. Diese Rolle kommt der Bibel zu!

b) Das Gewissen darf nicht ignoriert werden.

Obgleich das Gewissen nicht unser Führer sein kann, dürfen wir die Mahnungen des Gewissens keineswegs ignorieren. Das wäre sehr gefährlich! Wenn wir die Warnleuchten unseres Autos beachten sollten, dann noch viel mehr die unseres Gewissens, des von Gott gegebenen Warnsystems der Seele.

Jede Sünde schwächt das Gewissen. Wer ständig gegen sein Gewissen handelt, macht es unempfindlich und stumpf. Am Ende einer solchen Entwicklung steht, dass man das gute Gewissen von sich stößt und so, was den Glauben betrifft, Schiffbruch erleidet (1. Tim 1,19).

Wir wollen darum auf unser Gewissen hören und entsprechend handeln (Röm 13,7).

c) Das Gewissen sollte uns nicht knechten.

Das Gewissen darf also nicht ignoriert werden. Es sollte uns aber auch nicht knechten, indem es übertrieben empfindlich reagiert und uns geißelt. Wir verlieren dann durch Selbstvorwürfe die Freude am Herrn und tun möglichst gar nichts mehr, weil wir Angst haben, irgendetwas falsch zu machen.

Was ist zu tun, wenn ich merke, dass das Gewissen übertriebene Forderungen an mich richtet und es mir regelrecht zur Qual wird?

Es ist erstens wichtig, daran zu denken, dass Gott die Haltung unseres Herzens sieht. Ein Gedanke, der unwillkürlich in uns aufsteigt, oder eine nicht ganz gelungene Formulierung, die uns über die Lippen kommt, muss keine stundenlange Trauer nach sich ziehen. Der Apostel Johannes schreibt: „dass, wenn unser Herz uns verurteilt [das Gewissen ist ja eine Funktion des Herzens!], Gott größer ist als unser Herz und alles kennt“ (1. Joh 3,20). Gott weiß alles, er sieht unser Herz, und er weiß, wie wir es meinen. Daran zu denken, hilft gerade einem empfindsamen Menschen sehr; es soll aber natürlich kein Ruhekissen für den Gleichgültigen sein.

Zweitens: Das Gewissen darf uns nicht nur das Unrecht vorhalten, sondern es soll auch davon zeugen, was Gott gewirkt hat. Es ist ein Kontrollinstrument für Böses und Gutes. Das Gewissen von Paulus legte Zeugnis davon ab, dass er in Einfalt und Lauterkeit seinen Weg gegangen war (2. Kor 1,12). Wenn mein Gewissen mich nur quält, erfüllt es nicht seine volle Funktion. Auch hier gilt wieder: Um die ganze Wirksamkeit des Gewissens zu gewährleisten, ist eine (beständige) Neuausrichtung durch Gottes Wort nötig.

Verschiedene Zustände des Gewissens

Das Neue Testament spricht von verschiedenen Zuständen, in denen sich ein Gewissen befinden kann:

Gereinigtes Gewissen

Ein gereinigtes Gewissen ist ein Gewissen, das durch das Blut des Christus rein gemacht wurde (Heb 9,14). Der Sünder braucht nicht die Beruhigung, sondern die Reinigung seines Gewissens. Jeder Gläubige hat ein gereinigtes Gewissen; es geht hier nicht um die Praxis der Lebensführung.

Vollkommenes Gewissen

Ein vollkommenes oder vollendetes Gewissen wird nicht durch religiöse Werke erlangt, sondern durch den Glauben an das Werk des Herrn Jesus. Auf diese Weise wird das Gewissen von toten Werken gereinigt und man wird fähig, Gott wirklich zu dienen (Heb 9,9.14). Ein Gläubiger hat kein Gewissen von Sünden mehr (Heb 10,2), d.h. sein Gewissen erhebt nicht mehr den Vorwurf, dass die Sache mit Gott nicht in Ordnung sei. Das ist ein vollkommenes Gewissen! Auch das ist eine grundsätzliche und nicht eine praktische Angelegenheit.  

Gutes Gewissen

Ein gutes Gewissen zu haben, ist wichtig. Paulus schreibt, dass das Endziel des christlichen Gebots ist: Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben (1. Tim 1,5). Vielen Stellen sprechen von einem guten Gewissen (Apg 23,1; 1. Tim 1,19; Heb 13,18; 1. Pet 3,16.21). Ein gutes Gewissen hat derjenige, der nicht gegen sein Gewissen handelt. Ein gutes Gewissen vermittelt Zufriedenheit. „Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen“, sagt ein Sprichwort zu Recht.

Reines Gewissen

Von einem reinen Gewissen spricht der Apostel Paulus zweimal (1. Tim 3,9 und 2. Tim 1,3). Das Gewissen ist dann rein, wenn es im praktischen Leben nicht durch Sünde befleckt worden ist. Es ist eng verwandt mit dem guten Gewissen.

Schwaches Gewissen

Ein schwaches Gewissen wird auch durch Dinge befleckt, die in sich selbst nicht sündig sind (1. Kor 8,7.10.12). Es wird sehr leicht verletzt und bringt Skrupel und Irritationen mit sich.

Beflecktes Gewissen

Ein beflecktes Gewissen ist durch die Sünde verunreinigt. Das ist bei Ungläubigen grundsätzlich der Fall, kann aber leider auch bei Gläubigen vorkommen (Tit 1,15; 1. Kor 8,7).

Böses Gewissen

Ein böses Gewissen belastet die Seele dessen, der etwas Böses getan hat. So jemand hat (im tiefsten Innern) Angst vor dem Gericht Gottes. Christen sind von einem bösen Gewissen gereinigt worden (Heb 10,22).

Verhärtetes Gewissen

Ein verhärtetes Gewissen ist hart und unempfindlich, weil der Betreffende bewusst und andauernd gegen das Wort Gottes gehandelt hat. In 1. Timotheus 4,2 wird gesagt, dass das Gewissen wie mit einem Brenneisen gehärtet wurde: Das Gewissen ist also so hart und fest, wie wenn ein Stück Kuhhaut mit einem Brenneisen gebrannt wird.

Vergleiche zum Gewissen  

Mit den Bibelstellen zu den verschiedenen Zuständen des Gewissens haben wir einen Panoramablick über das Thema gewonnen. Nun möchte ich mit einigen Vergleichen das bisher Gesagte vertiefen und anschaulicher machen.

Das Gewissen ist wie eine Kirchenglocke. Man überhört sie im Getriebe und achtet wenig darauf. Wenn aber alles ruhig ist, sieht die Sache ganz anders aus. Wir sollten nicht so viel „Lärm“ in unserem Leben dulden, damit wir die Stimme des Gewissens besser hören können.

Das Gewissen funktioniert wie ein Fenster und nicht wie eine Glühbirne: Es lässt Licht in die Seele hinein, aber produziert kein eigenes. Die Fenster unserer Seele müssen regelmäßig gereinigt werden, damit das Licht des Wortes Gottes hineinstrahlen kann.

Ein Gewissen ist wie ein Richter. Ein Richter stützt sich auf bestehende Gesetze und verabschiedet keine neuen. So handelt das Gewissen aufgrund vorhandener Leitlinien und definiert keine eigenen. Das Gewissen kann nur dann richtig urteilen, wenn es die Richtlinien und Vorschriften des Wortes Gottes „kennt“ und anwendet.  

Das Gewissen ist wie eine Armbanduhr. Sie muss immer wieder nach einem verlässlichen Maßstab – zum Beispiel einer hochpräzisen Atomuhr – gestellt werden. Der Maßstab für das Gewissen ist das Wort Gottes, das wir täglich lesen sollten.

Das Gewissen ist wie ein Wachhund, wenn die Sünde vor der Tür lagert. Schlägt der Hund an, wird sein Besitzer darauf reagieren. In gleicher Weise hören wir auf das Gewissen, um keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. Der Hund muss aber gut erzogen werden: Er darf nicht laut bellen, wenn ein Schmetterling vorbeifliegt, und er darf nicht gemütlich liegen bleiben, wenn jemand dreist über den Zaun steigt. Ebenso wollen wir unser Gewissen erziehen, sich bei wirklicher Gefahr zu melden.

Das Gewissen ist wie ein Jagdhund, wenn die Sünde getan wurde. Ein Jagdhund verfolgt mit großer Ausdauer sein Opfer; und so „jagt“ uns das Gewissen, wenn wir gesündigt haben. Es ist gut, wenn wir unsere Schuld sofort bekennen und die Angelegenheit rasch ordnen! Haben wir das getan, hat das Gewissen auch kein Recht mehr, uns diese Sache weiter vorzuhalten. 

Das Gewissen ist wie eine Waage, die geeicht werden muss. Unser Gewissen sollte dabei nicht einer Viehwaage gleichen, die kleinere Gewichte überhaupt nicht anzeigt, sondern einer Briefwaage, die sofort reagiert. Wir brauchen ein zartes Gewissen.

Wie wir mit unserem Gewissen umgehen, ist entscheidend für unser Leben als Christ. Wir wollen danach trachten, unseren Weg mit einem guten Gewissen zu gehen. Und wir wollen unser Gewissen anhand des Wortes Gottes täglich „schärfen“, damit es richtig funktioniert.