Geoffrey T. Bull (1921–1999) diente dem Herrn viele Jahre als Missionar. Im Jahr 1950 kam er als erster evangelikaler Missionar in das abgeschiedene Tibet, nachdem er vorher in China einige Zeit die Sprache der Tibeter studiert hatte.

Das Land war von einem finsteren Aberglauben verschleiert. Wenn der  Missionar von Sünde sprach, dachten die Tibeter hauptsächlich an das Töten von Tieren. Das Schlimmste für sie war, einen Fisch zu töten, denn diese könnten schließlich nicht sprechen. Aber in Wirklichkeit war ihre Unzucht und Zügellosigkeit etwas, worin sie sich sehr stark versündigten. Einmal traf Geoffrey auf ein Mädchen, das „Siebenundsechzig“ hieß. Als er sich nach der Bedeutung dieses Sitznamens erkundigte, bekam er die lapidare Antwort: „Sie heißt so, weil sie mit 67 Männern zusammen war, bevor sie 17 wurde.“

Die Chinesen kommen

Dennoch diente Geoffrey freudig unter den Tibetern und zeigte ihnen den Weg zum Heiland und zum Himmel. Doch seine Dienstzeit währte nicht lange: China überfiel Tibet und spielte sich als der große Befreier auf. Geoffrey wurde von den Chinesen mit der Begründung festgesetzt, er wäre ein Spion. Er wurde in ein schauerliches Burgverlies gesteckt, wo ihn eine riesige Welle der Enttäuschung zu Boden drückte. Wieso durfte er nicht weiter in Freiheit das Evangelium verkündigen? Dazu war er doch in dieses Land gekommen! Seine Peiniger redeten wenig mit ihm und verhörten ihn dafür umso mehr. Misstrauisch waren sie auch, weil Geoffrey nicht für eine Missionsgesellschaft unterwegs war. Die Verhöre zehrten an seinen Nerven.

Durch das Lesen der Bibel wurde er in dieser Zeit immer wieder auf die Zahl drei und auf „drei Jahre“ gelenkt. Eigentlich war er sehr vorsichtig damit, Bibelverse aus dem Zusammenhang zu reißen und sie einfach in eine bestimmte Situation zu werfen. Doch was hatte es mit diesen drei Jahren auf sich? Sollte er etwa drei Jahre in Gefangenschaft bleiben?

Einzelhaft, kläglicher Verpflegung, beschwerliche Reisen von Gefängnis zu Gefängnis zermürbten unseren Bruder fast. Dazu die Ungewissheit, wie es weitergehen wird. Doch immer wieder betonte er in den Verhören, dass er kein Spion sei und er bezeugte seinen Glauben. Aufgrund seiner vermeintlichen Sturheit wurde er in eine Zelle gesteckt, die nur etwa 2,50 Meter im Quadrat maß. Nacht für Nacht wurde er geweckt und unter das Sperrfeuer irrsinniger Anklagen genommen. Das setze ihm zu und er begann, sich unbegründete Vorwürfe zu machen.

Im Gefängnis der Gegenrevolutionäre

Dann kam er in das Gefängnis der Gegenrevolutionäre. Dort sollte er umerzogen und auf den Kommunismus getrimmt werden. Es kam zu der gefürchteten Gehirnwäsche. Pausenlos wurde er „therapiert“, gequält und mit dem Unsinn des Kommunismus überflutet. An Gottes Wort konnte er sich nicht erfreuen, weil man ihm seine Bibel abgenommen hatte. Da kam ihm zugute, dass er viel auswendig gelernt hatte! Er schreibt:

„Ich ging weiterhin die Gedanken die ganze Heilige Schrift durch. Bei dem ersten fing ich an und rief mir jede einzelne Begebenheit, so gut es mir möglich war, ins Gedächtnis. Das geschah so, dass ich mir zuerst das betreffende Geschehen deutlich machte, dann über bestimmte Einzelheiten nachdachte und schließlich über alles betete. So arbeitete ich mich Schritt für Schritt durch die ganze Bibel. Die Kraft, die mir aus diesen bewussten regelmäßigen Meditationen erwuchs, war meiner Überzeugung nach ein wesentlicher Grund dafür, dass ich alles überstand und mir auch mein Glaube bis zuletzt erhalten wurde.“ Ein weiterer Eckpfeiler seiner inneren Stabilität war das Gebet.

In der einsamen Zelle versuchte er sich auch mit irgendetwas die Zeit zu vertreiben. So stellte er bei seinen Untersuchungen fest, dass in seiner Zelle sechs verschiedene Arten von Moskitos waren. Mit irgendetwas muss man sich eben beschäftigen!

Wenn eiserne Tore nachgeben

Eines Tages wurde ihm eine Zusammenfassung sämtlicher Verhöre übergeben, die er unterschreiben sollte. Bahnte sich eine große Veränderung an? Bull vermerkt: „In dieser wohltuenden Stille überprüfte ich mich selbst hinsichtlich meines Glaubens. Viele Wogen und Wellen waren während der letzten drei Jahre über mich hinweggegangen. Satan hatte nichts unversucht gelassen, mir mein Gottvertrauen zu nehmen oder doch empfindlich zu schwächen. Mein Verstand hat derart gelitten und war so erschöpft, dass ich kaum wusste, wie ich noch denken sollte. Aber sicher sollte ich auch gar nichts mehr festhalten als das, dass der Sohn Gottes lebte und mein Erlöser war, dass er sein Blut für mich vergossen hatte. Ich war innerlich und äußerlich zerrissen und zerschunden worden, aber immer noch war ich mir dessen bewusst: Ich war getragen von seinen ewigen Armen. In meinem Herzen befand sich auch jetzt noch das Zeugnis seines Geistes, immer noch triumphierend und immer den Angriffen des Feindes gewachsen. Ich wusste: Ich stand mit beiden Füßen auf dem unannehmbaren und unerschütterlichen Fels der Zeiten, Jesus Christus, meinem Gott und Herrn. Und wäre so da saß, quoll aus der Tiefe meiner Seele jene Worte, die Gott über alles anderen Äußerungen der Menschen stellt: Ich glaube!“ Er war wohl der einzige in dieser Zeit, dessen Verstand und dessen Überzeugungen standgehalten haben!

Exakt drei Jahre nach seiner Gefangennahme wurde ihm schließlich mitgeteilt, dass er entlassen sei und China verlassen sollte! Er war nun ein freier Mann! Diese Freiheit nutze er, um seinen Herrn zu dienen. Dazu gehörte auch, dass er Bücher schrieb, aus den seine schriftstellerische Begabung deutlich zu erkennen ist. Dieser kurze Lebensbericht ist eine Zusammenfassung seines Buches: „Am Tor der gelben Götter“ (im Original: When Iron Gates Yields).

Im Jahr 1957 hat sogar der SPIEGEL (das waren noch Zeiten!) eine kleine Buchbesprechung veröffentlicht, die ich an dieser Stelle einmal anführen möchte:

„Bericht eines amerikanischen Missionars, der den Einmarsch der rot-chinesischen Truppen in Tibet und die Begegnung zwischen mittelalterlichem Buddhismus und modernem Kommunismus erlebte. Drei Kerker-Jahre bei den Rotchinesen befähigen den Autor, eine realistische Darstellung kommunistischer „Gehirnwäsche“ zu geben. Die „Gehirnwäsche“, so enthüllt Missionar Bull, ist nicht ein System barbarischer Torturen, sondern ein ideologischer Zermürbungsprozess, den – wie auch die amerikanischen Erfahrungen aus dem Koreakrieg zeigen – gläubige Menschen am ehesten ungefährdet bestehen. (Brockhaus Verlag, Wuppertal. 312 Seiten. 12,80 Mark.)“

Das Buch wurde im Jahre 2020 unter dem Titel „Hinter eisernen Toren“ neu herausgegeben und kann im CSV-Verlag bestellt werden:

https://www.csv-verlag.de/junge-leute/31434-hinter-eisernen-toren-9783866996328.html?search_query=bull&results=2