Ein Trost, der sich allein mit der Prüfung und dem Kummer befasst, kann nicht echt und göttlich und muss letztlich wirkungsvoll sein. Es ist zwar eine willkommene Erleichterung für das wunde Herz, ein anderes Herz zu finden, das sich in seinen Kummer einfühlt; aber das ist eher Mitgefühl als Trost.

Trost zeichnet sich dadurch aus, dass er die Seele stärkt, damit sie ihre Last mit innerer Kraft und Ergebung tragen kann; und er erreicht dieses Ergebnis, indem er die Prüfung im Licht der Herrlichkeit Gottes betrachtet. Wenn die Seele von Kummer übermannt und überwältigt wird, macht sie sich selbst so manchen bitteren Schmerz, indem sie sich immer wieder die Frage stellt: Warum leide ich das? Warum ist das über mich gekommen?

Und unter diesen Umständen kann es keinen wirklichen Trost geben, bis man sich im Glauben an die Tatsache klammert, die die Heilige Schrift reichlich offenbart, dass die Wolken und Stürme nur Werkzeuge zur Erfüllung der segensreichen Absichten Gottes sind. Alle Dinge wirken zum Guten mit, und zwar für die, die Gott lieben und die nach Vorsatz berufen sind (Röm 8,28).

Das hätten wir ohne das Wort Gottes nicht gewusst; aber Er hat es uns zum Trost gegeben, damit wir seine Hand in jedem noch so kleinen oder großen Ereignis, das uns widerfährt, erkennen können. Lässt man Gott außen vor, so ist alles Verwirrung und Unordnung, eine Menge erbarmungsloser Unglücksfälle, die den Menschen in den Staub der Erde zermalmen, aus der er entstanden ist. Bring Gott hinein, und der Glaubende kann sich auch in der Bedrängnis freuen.

Die Begebenheit in Bethanien (Joh 11) mit ihren rührenden und ergreifenden Einzelheiten veranschaulicht, wie die goldenen Fäden der göttlichen Absicht mit dem dunkelsten Gewebe des Lebens der Gläubigen verwoben sind. Es wurde zweifellos zum Trost für die Seinen geschrieben, die dazu berufen sind, dem vielleicht bittersten aller Schmerzen in diesem Tal der Tränen zu begegnen.

Bethanien war ein Ort mit besonders lieblichen und kostbaren Verbindungen im Leben unseres Herrn. In Bethanien, dem Haus von Lazarus, Martha und Maria, fand der Herr einen Rückzugsort aus Jerusalem, wo Er von allen gehasst und verachtet wurde. Dort fand der Herr die Herrlichen der Erde, die Heiligen, an denen Er sein ganzes Wohlgefallen hatte (Ps 16,3). So lesen wir: „Jesus aber liebte Martha und ihre Schwester und Lazarus“ (Joh 11,5).

Es ist von großer Bedeutung, diese Tatsache zu beachten, die gleich zu Beginn der Erzählung erwähnt wird. Diese Familie gehörte nicht einfach zu den „Seinen“, zu denen Er kam, sondern zu denen, die Ihn aufnahmen und an seinen Namen glaubten (Joh 1,11.12) und damit in einem höheren Sinn „die Seinen“ wurden. Und in diesem Kreis der Gunst und des Segens war das Trio von Bethanien durch ihren Glauben und ihre Liebe, ihre Frömmigkeit und Hingabe zu einer solchen Bedeutung gelangt, dass sie wie ein anderer Jünger als diejenigen bezeichnet werden, die „Jesus liebte“.

Man könnte annehmen, dass ein so begünstigter Haushalt sich einer völligen Immunität gegen die Angriffe von Kummer, Krankheit und Tod erfreuen würde. So würden diejenigen denken, die nicht wissen, dass der Messias, der Fürst, auch der Mann der Schmerzen ist. Und wo Er zu Gast ist, sollte es nicht verwundern, wenn Er von Leiden begleitet wird.

Und so geschah es auch in Bethanien. Eine tödliche Krankheit befiel Lazarus, der zweifellos derjenige war, den man von allen in diesem Haus am wenigsten entbehren konnte. Die Schwestern hingen in weiblicher Zuneigung an ihm; sie waren in weiblicher Abhängigkeit auf ihn angewiesen.

In ihrer Not wenden sie sich an Jesus. Er war nicht in ihrer Nähe, aber sie schickten eine Botschaft, kurz, aber voller Glauben und unbedingtem Vertrauen. „Herr“, sagen sie, „siehe, der, den du lieb hast, ist krank.“ Es war kein aufdringliches, leidenschaftliches Bitten, sondern ruhig und gelassen in der Gewissheit, dass das Interesse des Herrn sofort geweckt werden würde. Es erhob sich über das Gebet des Aussätzigen: „Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen.“ Der Aussätzige war offensichtlich nicht über den Glauben an die Macht des Herrn hinausgekommen, während die Schwestern sowohl seine Liebe als auch seine Macht kannten und glaubten. Und es war dieses Gefühl der Liebe des Herrn, das ihnen das feste Vertrauen vermittelte, dass Er ihnen schnell und wirksam helfen würde. Sie überlegten, ob sie, wenn sie die Macht hätten, ihren Bruder zu heilen, ihm nicht schnell zu Hilfe eilen würden. Wie viel mehr würde das Jesus tun, denn seine Liebe zu Lazarus übertraf sogar ihre eigene!

Doch obwohl der Herr den Kranken liebte (so sehr, dass selbst die gleichgültigen Juden, als sie Ihn am Grab weinen sahen, sagten: „Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt“) und obwohl die Botschaft der Schwestern ein solches Vertrauen auf sein liebendes Interesse erkennen ließ, blieb der Herr noch zwei Tage länger an dem Ort, wo Er war. Es war nicht seine Gewohnheit, die an Ihn gerichteten Hilferufe so zu behandeln. Gewöhnlich kamen die Antworten schnell, sicher und im Übermaß. Die Berührung einer Frau aus der Menge, die Botschaft eines römischen Hauptmanns, der Schrei einer syro-phönizischen Frau – sie alle erhielten eine sofortige und angemessene Antwort. Aber der Wunsch dieser seiner lieben Freunde wurde nicht direkt beantwortet.

Gewiss, seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken und seine Wege nicht unsere Wege. Denn die Wege des Herrn waren zwar menschlich, aber gleichzeitig auch übermenschlich; sie waren zwar natürlich, aber auch übernatürlich. Echte Zuneigung hat manchen Diener Gottes in falsche Bahnen gelenkt, aber niemals den vollkommenen Diener. Patriotismus mag Jona nach Joppe statt nach Ninive führen, und verwandtschaftliche Beziehungen in Verbindung mit freundlichem Wohlwollen mögen Barnabas dazu bewegen, seinen Neffen Johannes Markus anstelle des Apostels Paulus zu wählen; aber enge Freundschaft veranlasste den Herrn nicht, ein Wort der Heilung für den sterbenden Lazarus zu sprechen. Es war kein Honig im Speisopfer (3. Mo 2).

Eine einzige Sache regelte die Schritte des Sohnes hier auf der Erde: Wie die Herrlichkeitswolke das Volk Gottes damals durch die Wüste führte, so war die Herrlichkeit Gottes immer vor dem Herrn Jesus. Aus diesem Grund sprach Er bei dieser Gelegenheit diese Worte, die zeigen, was sein Handeln damals wie zu allen Zeiten bestimmt hat. „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen.“ Und es war für die rechte Verwirklichung dieser Herrlichkeit unerlässlich, dass Er zwei Tage länger dort blieb, wo Er war. Und nichts, weder Hindernisse noch Verlockungen, konnten Ihn von dem Weg des vollkommenen Gehorsams abbringen.

Und hier sehen wir die Vollkommenheit des Herrn. Wer außer Ihm könnte die Rechte und Ansprüche Gottes in einem solchen Moment tiefen Kummers unangetastet lassen? Wer könnte die wunden Herzen in Bethanien lieben und vollkommen mit ihnen fühlen und dennoch ruhig das langsame Herannahen des Augenblicks abwarten, der, wie nichts anderes vorher, die Verherrlichung Gottes vollenden und gleichzeitig Lazarus zu seinen trauernden Schwestern zurückbringen würde? Es gab nur einen, und das war der Sohn Gottes.

Und können wir nicht sagen, dass Er, der in seiner Unterordnung unter die Herrlichkeit Gottes vollkommen war, auch vollkommen wusste, wie seine Seele Trost erhalten konnte? Wie Er in den Psalmen sagt: „Bei der Menge meiner Gedanken in meinem Innern erfüllten deine Tröstungen meine Seele mit Wonne.“ Möge die Betrachtung seiner Vortrefflichkeit eine Antwort in uns hervorbringen!

Als der Herr nach Bethanien kam, lag der Leichnam des Lazarus schon vier Tage im Grab. In diesen vier Tagen hatten die Schwestern den Verlust ihres geliebten Bruders betrauert. Und der Gedanke, dass derjenige, der ihnen am meisten und am besten helfen und sie trösten konnte, abwesend blieb, war nicht die geringste bittere Zutat in ihrem Kelch des Kummers. Warum erschien Er nicht zu ihrer Hilfe? Warum missachtete Er die Botschaft, die man Ihm geschickt hatte? War seine Liebe zu ihnen wirklich so groß, wie sie angenommen hatten? Andere waren gesegnet worden, Fremde und Sünder gleichermaßen, Kranke und Gebrechliche aller Art. Der Sohn der Witwe und die Tochter des Jairus waren zum Leben erweckt worden. Aber für die in Bethanien gab es weder Worte noch Taten.

Der Unglaube mag solche Zweifel aufkommen lassen, aber wie entehrend wären sie für den, dessen Liebe so unveränderlich ist wie seine Macht! Sein Herz war die ganze Zeit über bei ihnen und trug ihre Sorgen, und im richtigen Augenblick würde Er kommen und ihnen ihren Bruder aus dem Grab zurückgeben. Und während diese Schwestern auf das Kommen des Herrn warteten, hatten sie seine eigenen Worte, die ihre Seelen während der Zeit seiner Abwesenheit trösteten. Sie wussten vielleicht nicht, dass Lazarus sogar in seinem Grab die Stimme des Sohnes Gottes hören und vor ihren Augen auferstehen würde. Aber auf jeden Fall hatten sie die Botschaft des Herrn, die Er ihnen gesandt hatte, um ihre Seelen zu stärken: „Diese Krankheit ist nicht zum Tod, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde.“

Auf welche Weise sollte dies ihre Herzen trösten? Indem es sie über sich selbst erhob und ihre Aufmerksamkeit auf das lenkte, was sie und wir so leicht vergessen, nämlich dass unser Gott und Vater alle Dinge lenkt und leitet, um seine eigenen weisen Ziele zu erreichen, wozu auch unsere endgültige und unaussprechliche Glückseligkeit gehört. Sie sollten also nicht denken, dass sie die Opfer einer „zufälligen Häufung“ von unvorhergesehenen Ereignissen waren, sondern im Gegenteil das auserwählte Werkzeug in Gottes Händen zur Darstellung seiner Herrlichkeit.

Es sind solche Erwägungen wie diese, die in ähnlichen Situationen immer Kraft zum Hören und Mut zum Ausharren verleihen. Sie verleihen etwas, das wirklich den Namen „fester Trost“ verdient. Außerdem ist zu beachten, wie eng die Herrlichkeit Gottes mit ihrer Hilfe verbunden war. Denn es war die Auferweckung des toten Lazarus, die der Anlass war, dass Gott in seinem Sohn verherrlicht wurde. Hier war ein Mann nicht nur tot, sondern verwest; auf das Wort Jesu hin entsteigt er dem Grab und wird vollkommen wieder lebendig und gesund. Wer außer Einem konnte so sprechen und es geschehen lassen? Es war kein anderer als der Herr aus dem Himmel; denn die Auferweckung des Lazarus kennzeichnete Ihn eindeutig als den Sohn Gottes. Aber gerade diese Tat, die so sehr zur Ehre Gottes und seines Sohnes beitrug, war die Tat, die nötig war, um die Last von den Herzen von Maria und Martha zu nehmen. Die Auferweckung des Lazarus aus den Toten war das wirksamste Mittel, um die Tränen aus ihren Augen zu wischen. Und so genügte diese eine Tat gleichzeitig den hohen Ansprüchen Gottes und der Hilfe für die Trauernden.

Aber wir dürfen nicht annehmen, dass der Herr, weil Er Maria und Martha nicht zu Hilfe eilte (wie man sagen könnte), deshalb unempfänglich für ihre Herzensangst war. In der vorliegenden Schriftstelle gibt es genug Hinweise darauf, dass der Herr viel tiefer in den Kummer eindrang, als sie es taten oder konnten. Es war nicht seine Absicht, den Kummer zu beseitigen, aber Er wollte sie in die Lage versetzen, ihn zu ertragen, indem Er ihnen versicherte, dass es zur Ehre Gottes geschah, und indem Er ihnen sein zärtliches Mitgefühl und sein vollkommenes Mitleid zeigte. Er sandte ihnen von Anfang an sein Wort (Joh 11,4). Und als Er kam, zeigte Er sein liebevolles Interesse, das Er die ganze Zeit über empfunden hatte. „Als nun Jesus sie (Maria) weinen sah und die Juden weinen, die mit ihr gekommen waren, seufzte er tief im Geist und erschütterte sich und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sagen zu ihm: Herr, komm und sieh. Jesus vergoss Tränen. Da sprachen die Juden: Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt … Jesus nun, wieder tief in sich selbst seufzend, kommt zur Gruft“ (Joh 11,33–38).

Wie schön ist das! Hatten sie gewagt, dem Meister zu misstrauen? Das Seufzen und die Tränen waren die Antwort. Seine zärtliche Frage an die Schwester mit gebrochenem Herzen: „Wo habt ihr ihn hingelegt?“, zeigt, wie sanft der Herr die Last des trauernden Herzens erleichterte, indem Er sie erkennen ließ, dass sein Herz genau dort war, wo ihres war – am Grab des Lazarus. Zu der Witwe von Nain sagte der Herr: „Weine nicht.“ Zu Jairus sagte er: „Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft.“ In beiden Fällen war es seine Absicht, die Tränen abzuwischen. Aber in Bethanien weint der Herr mit seinen Heiligen. Die großartigste Entfaltung der Macht des Herrn, Tote lebendig zu machen, wurde von dem größten Zeugnis seines tiefen Mitgefühls mit den Trauernden begleitet.

Als Maria und Martha den Herrn sehen, äußern sie beide denselben Gedanken: „Herr, wenn du hier gewesen wärst, so wäre mein Bruder nicht gestorben.“ Beide hatten recht, als sie glaubten, dass es in der Gegenwart Jesu keinen Tod geben konnte; aber sie irrten wie viele andere Gläubige in der Annahme, dass es für sie besser gewesen wäre, wenn ihr Kummer verhindert worden wäre. Wäre der Herr gekommen, so dachten sie, wäre ihnen der Kummer erspart geblieben. Aber dann hätten sie die Herrlichkeit Gottes nicht gesehen, wie der Herr zu Martha sagte: „Habe ich dir nicht gesagt, wenn du glaubtest, so würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ (Joh 11,40).

Und bei seiner Ankunft sahen sie tatsächlich die Herrlichkeit Gottes. Lazarus kam auf den Ruf des Herrn aus der Verwesung und dem Grab hervor. Welch ein Triumph der Macht des Herrn wurde so in dem entschlafenen Lazarus gezeigt! Die Tochter des Jairus wurde vom Bett auferweckt, der Sohn der Witwe von der Bahre, Lazarus aber aus dem Grab.

Wir können nun die gnädige Absicht Gottes in dem, was mit dieser Familie geschah, erkennen. Und was wir in der Geschichte dieser Ereignisse so deutlich dargestellt sehen, hätten wir vielleicht schon vorher im Glauben erfassen können. Aber ohne Martha und Maria für ihre Glaubensschwäche zu tadeln, sollten wir bedenken, dass wir unter ähnlichen Umständen mehr Schuld auf uns laden als sie, wenn wir nicht aus dem Bericht über das, was ihnen widerfuhr, Nutzen ziehen und sehen, wie Gott durch Christus zu seiner eigenen Ehre und zu ihrem letztendlichen Segen gewirkt hat.

Die Heiligen von Thessalonich waren in ähnlicher Weise um die besorgt, die entschlafen waren, bevor der Herr kam. Welcher Kummer wäre ihnen erspart geblieben, wenn der Herr vom Himmel gekommen wäre, bevor ihre Lieben gestorben waren! Aber der Apostel zeigt ihnen, dass, wenn der Herr mit einem Ruf vom Himmel herabkommt, auch die in den Gräbern seine Stimme hören und hervorkommen werden. Deshalb sollten sie sich nicht betrüben wie die übrigen, die keine Hoffnung hatten. Ihre Lieben hatten keinen Sprung in die Dunkelheit gemacht. Die Macht des Herrn wird bei seinem Kommen sowohl die lebenden als auch die entschlafenen Gläubigen zu sich holen.

Und während wir wie Maria und Martha in Bethanien auf das Kommen des Meisters warten, haben wir sowohl das unschätzbare Vorrecht seines gegenwärtigen Mitgefühls als auch den Trost seines Wortes. Denn Er ist berührt, wenn wir uns schwach fühlen. Er, der am Grab des Lazarus weinte und seufzte, ist nicht unempfänglich für die Tränen und Schreie seiner trauernden Gläubigen heute.

Lasst uns daher unserem Kummer mit der unumstößlichen Überzeugung begegnen, dass er unweigerlich zur Herrlichkeit Gottes führen muss und dass wir auch inmitten der Prüfung keinen Geringeren als den Sohn Gottes selbst bei uns haben!