Zwischen den Ereignissen zu Beginn des Kapitels 6 und denen des Kapitels 7 waren sechs Monate verstrichen. Über alles, was in der Zwischenzeit geschah, schweigt Johannes also ganz. Wir müssen alle Informationen darüber so gut wie möglich aus den drei synoptischen Evangelien entnehmen.

Das Passahfest stand kurz bevor, wie in Kapitel 6 erwähnt wird. Das Laubhüttenfest stand kurz bevor, wie wir in Kapitel 7 lesen. Das erstere Fest wurde im Frühling gefeiert. Dann lieferte die erste Reife der Getreideernte eine Garbe mit Erstlingsfrüchten, die am Morgen nach dem Passah-Sabbat vor dem Herrn gewebt werden sollte (3. Mo 23,11). Das letztere Fest wurde im Herbst, beginnend mit dem fünfzehnten Tag des siebten Monats, gefeiert, nachdem alle Erzeugnisse des Jahres, mit denen Gott sein irdisches Volk segnen würde, von den Getreidefeldern, den Weinbergen und den Olivenhainen eingesammelt worden waren.

Nun gab es drei im Gesetz festgelegte Jahreszeiten, zu denen alle Männer Israels vor dem Herrn erscheinen sollten. Das Fest der ungesäuerten Brote war das erste und das Laubhüttenfest, das auch das Fest der Einsammlung genannt wird, das letzte Fest. Dazwischen lag das Fest der Erstlingsfrüchte, das Pfingstfest. Dieses letzte Fest wird in der Geschichte des Evangeliums nicht erwähnt. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn wir uns daran erinnern, dass die beiden zuerst genannten Feste in besonderer Weise mit der Geschichte Israels verbunden sind, während das Pfingstfest seinen Platz im Neuen Testament in Verbindung mit einer neuen Haushaltung findet, da es die christliche Zeit einführte.[1]

Die Brüder des Herrn

Der Herr war in den vergangenen sechs Monaten in Galiläa und Umgebung geblieben. In diese Zeit können wir mit großer Wahrscheinlichkeit die Heilung der Tochter der syrophoenizischen Frau auf die dringende Bitte der Mutter legen (Mt 15; Mk 7); auch die des taubstummen Mannes, der in der Dekapolis geheilt wurde (Mk 7); die Speisung der Viertausend (Mt 15); das Öffnen der Augen des Blinden bei Bethsaida (Mk 8); gefolgt von der Verklärung und der Befreiung eines Kindes von der tyrannischen Macht eines stummen Dämons auf die ernste Bitte des Vaters hin (Mt 17; Mk 9; Lk 9). All dies wurde abseits der üblichen Szenen des Lebens und der Arbeit des Herrn in der Provinz Galiläa gewirkt. Er brachte den Tauben weg von der Menge; er speiste die Viertausend an einem Ort in der Wüste; er öffnete dem Blinden die Augen, als er ihn an der Hand nahm und aus der Stadt führte; und er trieb den Dämon von dem armen Jungen aus, als er die Menge zusammenlaufen sah (Mk 9,25).

Sodann schien das Lehren in den Synagogen, das so charakteristisch für das anfängliche Wirken des Herrn war, zum größten Teil aufgehört zu haben. Die Menschen mochten ihm zwar folgen, aber man fand ihn sozusagen draußen und er suchte die Menschen im Norden nicht an ihren gewöhnlichen Aufenthaltsorten. Er war bei diesen Gelegenheiten nicht in oder in der Nähe von Kapernaum.

Wenn sich der Leser diese Tatsachen ins Gedächtnis ruft, wird er die Absicht der Brüder des Herrn besser verstehen, die sagen: „Zieh von hier weg und geh nach Judäa, damit auch deine Jünger deine Werke sehen, die du tust; denn niemand tut etwas im Verborgenen und sucht dabei selbst öffentlich bekannt zu sein. Wenn du diese Dinge tust, so zeige dich der Welt“ (Joh 7,3.4). Sie dachten, ungläubig wie sie waren, dass das bevorstehende Laubhüttenfest für ihn, wenn er wirklich der Messias ist, eine passende Gelegenheit bieten würde, sich der Welt als solcher zu zeigen. Zu wirken, wo und wie er in letzter Zeit gewirkt hatte, schien ihnen nicht der geeignete Ort für ihn zu sein. Die Welt soll ihn sehen und sehen, was er kann. Machtdemonstrationen waren alles, woran sie dachten, rein natürliche Menschen wie sie waren (1. Kor 2,14). Die Antwort des Herrn war entschieden: „Meine Zeit ist noch nicht da, eure Zeit aber ist stets bereit. Die Welt kann euch nicht hassen; mich aber hasst sie, weil ich von ihr zeuge, dass ihre Werke böse sind. Geht ihr hinauf zu diesem Fest; ich gehe nicht[2] hinauf zu diesem [eher zum] Fest; denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt“ (Joh 7,6–8).

Natürlich verstanden seine Brüder nicht die Bedeutung seiner Worte. Offenbarung vor der Welt schlugen sie vor, und das nur in diesem Leben, das war alles, wovon sie träumten. Die Offenbarung des Herrn vor der Welt wird stattfinden. Damals wie heute war das jedoch noch Zukunft. Er wird als der Sohn des Menschen in den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit gesehen werden (Mt 24,30). Mit wem sie redeten, wusste keiner von ihnen wirklich. Von natürlichen Banden konnten sie sprechen. Von ihm als Sohn Gottes kannten sie nichts. Sie schlugen vor, von Galiläa nach Jerusalem zu gehen. Doch aus dem Himmel wird er zu seiner öffentlichen Erscheinung kommen. Daniel hatte dies in prophetischer Vision gesehen (Dan 7,13). Die Welt wird diese Offenbarung in Wahrheit sehen und klagen. Sich der Welt zu zeigen, wird für alle auf der Erde Konsequenzen haben, die nie vergessen werden. Welche seiner feindlich gesinnten Brüder waren darauf vorbereitet? Denn das Gericht über die Gottlosen wird dann folgen, während alle seine himmlischen Heiligen mit ihm kommen werden als Begleiter in seinem Gefolge (Off 19). Sich damals der Welt zu offenbaren, hätte die endgültige Verdammnis des gesamten Menschengeschlechts bedeutet, denn noch war die Sühnung durch sein Blut nicht erfolgt. Die Zeit für diese Erscheinung wird kommen. Davon schrieb Maleachi vor langer Zeit (Mal 3,2) und sagte: „Wer aber kann den Tag seines Kommens ertragen, und wer wird bei seinem Erscheinen bestehen?“ Ein furchtbar feierliches Ereignis wird es sein. Wir müssen für immer dankbar sein, dass er nicht das getan hat, was sie verlangten.

Von seinen Brüdern lesen wir hier. Zum ersten Mal erwähnt Johannes sie (Joh 2,12), als sie ihn mit seiner Mutter von Kana bis Kapernaum begleiteten, und wir finden Hinweise auf sie in den synoptischen Evangelien. Sie lebten in Nazareth (Mt 23,55.56); und einige von ihnen versuchten gemeinsam mit seiner Mutter, ihn in seinem Dienst zu behindern (Mk 3,31). Johannes erwähnt den Unglauben einiger von ihnen (Joh 7,5). Wir reden von einigen, weil der Historiker nicht sagt, dass alle ungläubig in Bezug auf den Herrn waren. Hat sich Johannes in seinem Urteil über sie geirrt? Die Worte des Herrn an seine Brüder bestätigen die Aussage des Evangelisten: „Die Welt kann euch nicht hassen.“ Sie hatten sich Christus nicht angeschlossen (Joh 15,18.19). Die Welt hasste Christus, weil er bezeugte, dass ihre Werke böse waren. Welch ein Kennzeichen, das man der Welt geben muss! Was für eine ernste Aussage auch über seine Brüder aus dem Mund des Heilands der Welt!

Seine Brüder haben durch ihre Rede nichts gewonnen. Sie gingen zum Fest hinauf, wie wir in Johannes 7,10 lesen sollten. Christus bedeutete ihnen nichts. Der Herr und seine Jünger blieben noch in Galiläa zurück. Die richtige Interpunktion von Vers 10, die seine Brüder mit „dem Fest“ verbindet[3], ist in vollkommenem Einklang mit der besseren Lesart von Vers 8, auf die in einer früheren Anmerkung hingewiesen wird. Seine Brüder gingen ohne ihn. Wären Petrus, Jakobus und Johannes und die anderen ohne ihn hinaufgegangen? Sie hatten in ihm das gefunden, wonach ihr Herz sich sehnte, Judas ausgenommen. Aber der Herr würde nun sein Verlangen zeigen, das Herz eines jeden Geschöpfes zu befriedigen. Daher ging er hinauf, nicht offen, d.h. öffentlich, sondern sozusagen im Verborgenen, und erschien erst in der Mitte. Die Einzelheiten dieses Besuchs werden nun beginnen (Joh 7,14) und sich über einen langen Teil des Evangeliums erstrecken, sogar bis Kapitel 10,21.

Im Tempel

Die Menschen in Jerusalem sprachen über ihn und erwarteten ihn. Auch die Juden, seine erbitterten Gegner in Judäa, suchten nach ihm. Die Menge murrte über ihn. Es wurden Meinungen geäußert und Meinungen ausgetauscht. Einige sagten, er sei ein guter Mensch; andere, die eine andere Gesinnung hatten, behaupteten, er habe das Volk verführt. „Niemand jedoch“, schreibt Johannes, „sprach öffentlich von ihm aus Furcht vor den Juden“ (Joh 7,13). Was für eine Macht über das Volk hatten sie! Haben wir nicht in der heutigen Zeit und sogar in unseren eigenen Tagen etwas davon gesehen? „Menschenfurcht legt einen Fallstrick.“ Die kirchliche Zensur scheint furchtbar zu sein. „Wer aber auf den Herrn vertraut, wird in Sicherheit gesetzt“ (Spr 29,25). Ja. Wie geneigt sind doch die Menschen, sich der Schlinge zu ergeben und den Herrn zu vergessen! Und nun, während die Menschen so murrten und sich scheuten, ihre wahre Gesinnung offen auszusprechen, erschien der Herr, der Gegenstand ihrer Überlegungen, während des Festes im Tempel und lehrte. Die Juden hatten ihn gesucht, um ihn zu töten, aber sie fanden ihn nicht. Dann, so scheint es, erschien plötzlich das Objekt ihres Hasses im Tempel, dem öffentlichsten aller Zufluchtsorte, und zwar als Jerusalem von Anbetern aus allen Teilen des Landes überflutet wurde.

Versuchen wir, uns die Szene und die Umstände vorzustellen, in die er nun kam. Da waren die Juden, die seinen Tod herbeiführen wollten. Da war die Menge, die aus Galiläa und von anderswo herkam und die diesen Plan nicht kannte. Und da waren die Einwohner von Jerusalem, die sich dessen voll bewusst waren. Und schließlich gab es eine Gesellschaft, die sich allmählich entwickelte, die, offensichtlich durch seine Worte beeindruckt, an ihn glaubte. Das plötzliche Erscheinen des Herrn muss seine Gegner überrascht haben. Und seine Lehre brachte sie zum Staunen. „Wie besitzt dieser Gelehrsamkeit, da er doch nicht gelernt hat?“ (Joh 7,15), mussten sie bezeugen, erstaunt über seine Lehre. Es ist wahr, dass er an keiner Rabbinerschule studiert hatte. Ebenso wahr ist, dass er nie zu den Füßen Gamaliels gesessen hat. Doch er konnte lehren, und er lehrte wie jemand, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten. Haben sie sich über seine Fähigkeit zu lehren gewundert? Er würde diese Angelegenheit klären. „Meine Lehre“, sagte er, „ist nicht mein, sondern dessen, der mich gesandt hat.“ Er gründete keine neue Schule, wie die Menschen es nennen würden, wie ein Philosoph oder ein rabbinischer Professor. Doch seine Lehre war in der Tat neu. Schulen hatten die Juden, wie die von Hillel und Schammai. Die Lehre des Herrn war grundlegend anders. Woher stammte sie? Er würde es ihnen sagen und ihnen auch sagen, wie jeder, ob gelehrt oder ungelehrt, zu einem wahren Urteil darüber kommen konnte. „Wenn jemand seinen [d.h. Gottes] Willen tun will, so wird er von der Lehre wissen, ob sie von Gott ist oder ob ich von mir selbst aus rede. Wer von sich selbst aus redet, sucht seine eigene Ehre; wer aber die Ehre dessen sucht, der ihn gesandt hat, dieser ist wahrhaftig, und keine Ungerechtigkeit ist in ihm“ (Joh 7,16–18). Jeder wusste, wie er immer von seinem Vater sprach. Diesem Test, den er hier vorstellt, hat er voll und ganz entsprochen. Wenn in ihm keine Ungerechtigkeit war, warum versuchten dann diejenigen, die sich selbst nicht an das Gesetz hielten, seinen Tod mit dem Vorwurf zu rechtfertigen, er habe es gebrochen? Auf diese Frage gaben die Juden keine Antwort. Sie wussten, was sie vorhatten, und hier erfuhren sie, dass auch er es wusste.

An diesem Punkt schaltet sich die Volksmenge ein. Sie beschuldigen den Herrn, weil sie selbst als Fremde in Jerusalem leben und mit dem Plan der Juden nicht vertraut sind, und sagen: „Du hast einen Dämon, wer sucht dich zu töten?“ (Joh 7,20) – eine schreckliche Redeweise gegenüber dem Sohn Gottes. Aber es war nicht das letzte Mal, dass er in Jerusalem auf diese Weise angegriffen werden sollte. In dem Reichtum seiner Gnade ging er darüber hinweg und erklärte in aller Ruhe, welche Gründe die Juden für ihre schändlichen Pläne zu haben glaubten. Den hilflosen Mann, der Monate zuvor am Sabbat in Jerusalem geheilt worden war, hatten die Juden weder vergessen noch vergeben; und deshalb trachteten sie immer noch nach seinem Leben unter dem Vorwand, dass er den Sabbat gebrochen hatte – eine sinnlose Anschuldigung, die der Herr entlarvt. Wurden nicht Kinder am Sabbat beschnitten, um sie vor dem Tod zu bewahren? Die Beschneidung war kein Vergehen gegen das vierte Gebot. Wer konnte ihm dann vorwerfen, ein Gesetzesbrecher zu sein, weil er am Sabbat einen Mann geheilt hatte? Wer konnte darauf antworten? Die Juden haben es nicht versucht. Ihn zu verurteilen, weil er diesen Mann geheilt hatte, war kein gerechtes Urteil.

Die Juden schweigen jetzt und die Menge ebenso, einige der Bewohner Jerusalems werden nun sprechen. Mit dem Plan der Juden gegen den Herrn waren diese vertraut, und sie waren überrascht, dass die Obersten ihn so lehren ließen, wie er es getan hatte. Änderten die Machthaber ihre Meinung über ihn, schwankten sie in ihrem Widerstand und dachten, er könnte der Christus sein? Solche Gedanken gingen ihnen durch den Kopf. In einem Punkt waren sie sich jedoch, wie sie dachten, sicher – nämlich, dass er nicht der Christus war (Vers 27). Sie wussten, woher der Herr kam, und bezogen sich offensichtlich auf seine Mutter und seine frühen Jahre in Nazareth. Was den Christus betrifft, so sagten sie: „Niemand weiß, woher er kommt.“ War dies eine Vorstellung, die sich auf Jesajas 53,8 gründete? Wenn ja, zeigt es uns, wie die Worte des Propheten – „Wer wird sein Geschlecht aussprechen?“ – damals verstanden wurden. Ohne jedoch ihre Gedanken besser zu kennen, können wir in dieser Angelegenheit nur Vermutungen anstellen.

In diesem Augenblick wurde die Stimme des Herrn wieder gehört. Und er erhob sie offensichtlich – denn er rief, schreibt Johannes –, damit alle hören konnten, und antwortete denen von Jerusalem: „Ihr kennt mich und wisst auch, woher ich bin; und ich bin nicht von mir selbst aus gekommen, sondern der, der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, den ihr nicht kennt. Ich kenne ihn; weil ich von ihm bin, und er mich gesandt hat“ (Joh 7,28.29). Er hatte zuvor erklärt, wer er war – der Sohn des Vaters – als er den Tempel reinigte (Joh 2,16). Er hatte erneut erklärt (V. 17), dass Gott sein Vater war und dass er von ihm gesandt wurde (V. 24). Nun offenbarte er sich selbst erneut als von Gott gesandt. Es sollte keine falsche Vorstellung von seiner Person und seiner Beziehung zu Gott zurückbleiben. Er bekannte sich offen dazu. Aber sein Bekenntnis bewirkte einen erneuten Versuch, Hand an ihn zu legen, wenn auch wieder vergeblich, denn seine Stunde war noch nicht gekommen.

In was für eine Szene war er gekommen! In was für eine Gesellschaft wagte er sich damals! Die Juden, die Menge und die von Jerusalem, alle gegen ihn, und keiner der beiden letzteren versuchte, den wirklich mörderischen Plan der ersten Gruppe zu verhindern. Gab es also nichts, was das Bild aufhellte, was im Kontrast zu diesem dunklen Bild des Menschen als Mensch stand? So dunkel die Szene auch war, und so traurig sie für den Herrn gewesen sein muss, ein kleiner Strahl von Helligkeit leuchtete auf sie. Davon erzählt uns der Evangelist. Die Worte des Herrn hatten das Gewissen und das Herz einiger erreicht, und seine Wunder hatten ihre Aufmerksamkeit gefesselt. So lesen wir: „Viele aber von der Volksmenge glaubten an ihn und sprachen: Wenn der Christus kommt, wird er wohl mehr Zeichen tun als die, welche dieser getan hat?“ (Joh 7,31). Sicherlich war es zu dieser Zeit nicht populär, sich zu ihm zu bekennen. Doch in dunklen Zeiten für den Glauben – ja, in den dunkelsten Zeiten – wirkt Gott und ruft die Bekenner seiner Wahrheit heraus: eine Ermutigung für sein Volk, sich daran zu erinnern, dass auch heute das Zeugnis, was immer es sein mag, wenn es von Gott kommt, trotz aller Widerstände Früchte tragen wird. Diese Gelegenheit erregte sofort den Feind und spornte seine Werkzeuge zu neuer Aktivität an. Wenn möglich, musste das Objekt ihres Hasses beseitigt werden, sonst wären die Folgen nicht abzusehen. So werden nun die religiösen Führer zum Handeln bewegt. Die Hohenpriester und die Pharisäer schickten Diener, um ihn zu holen (Vers 32).

Ließ sich der Herr von dieser neuerlichen Feindseligkeit beirren? Er sprach sogleich von seiner unmittelbaren Zukunft. War seine Gegenwart ein Problem für die Juden und ihre Obersten? Bald würde dieses Ärgernis beseitigt werden. „Noch eine kleine Zeit bin ich bei euch, und ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat. Ihr werdet mich suchen und nicht finden, und wo ich bin, dahin könnt ihr nicht kommen“ (Joh 7,33.34). Es würde eine Trennung zwischen ihm und ihnen stattfinden – eine Trennung, die sie nicht beenden könnten. Er wäre bei seinem Vater im Himmel, nicht auf der Erde, oder in einem fernen Teil der Erde, um dort die unter den Griechen Zerstreuten zu lehren, wie sie es sich vorstellten. Ihre Gedanken erhoben sich nicht über die Erde. Seine Sprache verstanden sie nicht; denn die Wahrheit, dass er der Sohn des Vaters war, hatten sie nicht begriffen. Für den Moment, so kurz er auch war, herrschte scheinbar Ruhe, die Führer warteten vielleicht auf die Vollstreckung ihres Haftbefehls. Die Juden sprachen untereinander, griffen ihn aber nicht weiter an (Verse 35.36).

Der letzte Tag des Festes

Denn es war ungefähr in der Mitte des Festes, das wir gerade vor uns hatten. Nun soll die Aufmerksamkeit auf den letzten Tag dieses Festes gelenkt werden – den großen Tag, den achten Tag. Da „stand Jesus“, lesen wir, „und rief und sprach: Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Dies aber sagte er von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten; denn noch war der Geist nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war“. Die Juden wollten ihn loswerden, und doch war er für jede ehrliche und durstige Seele unentbehrlich. Und er stellte sich in dieser Zeit als Gegenstand für alle jene dar und als Quelle des Segens für jeden, der davon Gebrauch machen wollte. Er sprach nicht von dem Herrn, dem Gott der Heerscharen. Er erwähnte nicht den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Er wies nicht einmal auf seinen Vater hin. Er wollte alle Augen auf sich selbst richten, indem er alle Durstigen einlud, zu ihm zu kommen und zu trinken. Welch ein Gegensatz zwischen seinen Gegnern und ihm selbst! Sie waren darauf bedacht, ihn loszuwerden. Er würde sich um die Bedürfnisse der Seele kümmern. Traditionelle, aber völlig falsche Lehren über den Sabbat hatten die Juden gegen ihn aufgewiegelt, und die Furcht vor dem Einfluss des Herrn bei der Menge trieb die Hohenpriester und die Pharisäer dazu, seine Festnahme zu versuchen. Er wünschte und suchte das ewige Glück aller, ob Juden oder Galiläer, ob Herrscher oder einfaches Volk, zu ermöglichen, als er an jenem Tag im Hof des Tempels stand und rief, damit er durch seine Stimme eine größere Zahl der Volksmenge erreichen könnte: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke.“

Es war der letzte Tag dieses Festes, und dieses Fest war ein Fest der besonderen Freude (5. Mose 16, 13–15). Alle Schichten sollten an der Freude teilhaben – d.h. der Sohn, die Tochter, der Diener, die Magd, der Levit, der Fremde, der Heimatlose und die Witwe. Der letzte Tag war gekommen, und bald würde die Menge sich zerstreuen, um in ihre verschiedenen Häuser zurückzukehren. Der Jubel war also fast vorbei, und es würde in den nächsten sechs Monaten kein neues, vom Gesetz vorgesehenes Fest stattfinden, das die Menschen zusammenbringen würde. Es war auch der große Tag des Festes, der achte Tag, der typisch für den ewigen Zustand ist und eine Besonderheit dieses Festes darstellt. Er markierte auch das Ende der landwirtschaftlichen Saison. Alles, was das Volk in diesem Jahr von dem Boden erwarten konnte, hatten sie geerntet und eingesammelt, bevor sie sich in Jerusalem versammelten, um sich vor dem Herrn zu freuen. Als sich ihre Freude dem Ende zuneigte, trat der Herr hervor und lud jeden Durstigen ein, zu ihm zu kommen und zu trinken.

Das war bemerkenswert und lehrreich zugleich: Er, der das Herz des Menschen gebildet hat und es lesen konnte, war in ihrer Mitte. Er wusste gut, dass irdische Freuden und die Fülle des landwirtschaftlichen Segens die Wünsche einer unsterblichen Seele nicht befriedigen konnten. Die Scheunen mögen voll sein, die Keltern frei fließen und die Lagerhäuser bis zur Decke vollgestopft, der Überfluss zum Greifen nah sein, ohne Furcht vor Hungersnöten oder gar vor Knappheit; und dennoch kann das Herz unbefriedigt sein, die Seele durstig und der Mensch ein Verlangen haben, das er durch nichts zu stillen vermag. Selbst für das irdische Volk war mehr als nur zeitlicher Segen erforderlich. Der Herr wünschte, dass alle verstehen sollten, dass er ihnen dieses Mehr in greifbare Nähe rückte, wenn sie nur kommen würden, um es zu empfangen. Vom Trinken sprach er, aber er definierte nicht die Menge. So viel zu trinken, wie es jeder braucht, um seinen Durst in Ewigkeit zu stillen, war es, was der Herr wünschte und hier anbot. Segen, wie ihn das Gesetz nicht geben konnte, bot er in Gnade an. Unermessliche Segnungen, soweit es sie betraf, und nur begrenzt durch die Bereitschaft und die Fähigkeit des Einzelnen, sie zu empfangen, bot er an diesem Tag an. Und um das zu verkünden, erhob er seine Stimme über die übliche Lautstärke und rief: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke.“ Es gab eine Quelle der Erfrischung, von der er sprach. Das war er selbst. Wer außer dieser einen wahrhaft göttlichen Person hätte sich selbst im Hof des Hauses des Gottes Israels so vorstellen können? Hätte der, der seine Ehre keinem anderen geben würde, einem Geschöpf (denn wenn er nicht eine göttliche Person ist, muss er ja ein Geschöpf gewesen sein), hätte er, so fragen wir, einem Geschöpf gestattet, sich den Menschen in seinem Haus als Gegenstand vorzustellen, an den sich alle wenden können? Gott muss bei dem Geschöpf an erster Stelle stehen, und erst recht in seiner Wohnstätte – dem Tempel. Wer hat sich also so als Gegenstand für alle vorgestellt, wenn nicht der Sohn Gottes, der Gesandte des Vaters?

Der Durst in der Seele, den die zeitlichen Freuden nicht stillen können, den alle Reichtümer und Ehren dieser Welt nicht befriedigen können, wird durch die Tätigkeit des Gewissens verursacht, und nur Gott kann ihn stillen. Und dieser Christus ist bereit und willens, dies zu tun. Am Brunnen von Sichar bot er der Frau lebendiges Wasser an, von dem sie, wenn sie es trinken würde, niemals Durst haben würde (Joh 4,14). In Kapernaum in Galiläa versprach er denen, die an ihn glaubten, dass sie niemals dürsten würden (Joh 6,35). Hier in Judäa lud er alle Durstigen ein, zu ihm zu kommen und zu trinken. In Samaria, in Galiläa, in Jerusalem zeigte er Seine vollkommene Kenntnis der Bedürfnisse des Menschen und der Sehnsucht einer Seele, in der Gott wirkt, und er lud sie alle ohne Berücksichtigung ihrer Nationalität oder Rasse ein, zu ihm zu kommen und zu trinken. Er wandte sich zwar in erster Linie an Juden und Proselyten, aber seine Ausdrucksweise schließt jeden Durstigen auf Erden ein. Die Juden, die seinen Tod planten, die Menge, die erklärte, er habe einen Dämon, die in Jerusalem, die sich sicher waren, dass er nicht der Christus sei, an alle und jeden richtete sich die Einladung, wenn sie nur Durst hatten. Wenn wir an die Umstände denken, in denen sich der Herr befand, an die Ablehnung, der er begegnete, an die verschiedenen Gruppen, die ihn umgaben und sich ihm entgegenstellten, können wir über eine so freie Einladung nur staunen, die alle einschloss und niemanden ausschloss.

Gabe des Heiligen Geistes

Aber an diesem Tag wurde im Tempelhof noch mehr angeboten, wenn auch in vollkommener Reihenfolge. Persönliche Bedürfnisse müssen zuerst befriedigt werden, bevor jemand frei ist, sich in den Dienst der anderen zu stellen. Der Durstige sollte zuerst befriedigt werden, als Gläubiger sollte er dann selbst zum Kanal des Segens werden. Diese letzte Gnade ist ein Fortschritt gegenüber der Lehre des Herrn am Brunnen oder in der Synagoge von Kapernaum. Sie eröffnet den christlichen Segen, der sich aus der Himmelfahrt des Herrn ergibt. In Kapital 6 hatte er von seinem Tod gesprochen, in Kapitel 7 hatte er seine Rückkehr in den Himmel angekündigt, und hier, als Konsequenz daraus, kündigt er das Vorrecht an, das diejenigen, die wirklich an ihn glaubten, genießen sollten – dass aus ihnen Ströme lebendigen Wassers fließen sollten (Vers 38). An diesem Punkt hörte die Mitteilung des Herrn an diesem Tag auf. Der Evangelist sagt uns jedoch, was sie wirklich bedeutete: „Dies aber sagte er von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten; denn noch war der Geist nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war“ (Vers 39). Er muss verherrlicht werden, so erfahren wir, bevor diese Sendung des Heiligen Geistes stattfinden kann.

Aber das erfordert weitere Aufmerksamkeit. Von den Gläubigen, die an ihn glauben, sprach der Herr in Vers 38. „Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat“, so lautete seine gnadenvolle Botschaft, „aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen“ (Vers 38). Keine Schrift hatte das von an Christus Glaubenden vorhergesagt, noch wollte der Herr das behaupten. Aber die Schrift hatte davon gesprochen, dass ein Mensch eine Quelle der Erfrischung sein würde, deshalb würden diejenigen, die an ihn glauben, so charakterisiert werden. Aber wo lesen wir von so etwas? Wir glauben, dass Jes 58,11 die Stelle ist, auf die sich der Herr bezieht. Dort wird der Gottesfürchtige des Überrestes, wenn er Früchte der göttlichen Natur zeigen würde, beschrieben „wie ein bewässerter Garten und wie ein Wasserquell, dessen Gewässer nicht trügen“. Diesen Segen, sagte der Herr, der für den Überrest in Jesaja kennzeichnend ist, würden die an ihn Glaubenden genießen. Und in Übereinstimmung mit der dann beginnenden Haushaltung der Gnade würden die Gläubigen als Teilhaber an der göttlichen Gnade im Einklang damit handeln. Gnade ist in ihrem Charakter expandierend. So würde im Dienst an anderen in der Kraft und unter der Führung des Geistes aus ihnen das fließen, was der Herr hier lebendiges Wasser nennt.

Das Judentum kannte nichts dergleichen. Unter dem Gesetz wurden die Menschen gelehrt, auf sich selbst zu achten, damit sie im Genuss der Segnungen bleiben konnten, die von ihrem Gehorsam abhängig waren. Die Ausweitung auf andere war nicht das Merkmal dieser Haushaltung. Gott umzäunte sie mit Gesetzen und Verordnungen, um sie von den umliegenden Nationen fernzuhalten. Im Christentum hingegen soll sich ein anderer Geist zeigen; denn die Gläubigen, die selbst in den Genuss von geistlichen Segnungen kommen, sollten danach streben, anderen geistliche Segnungen mitzuteilen. Dürfen wir hier nicht fragen: Wird das allgemein verstanden? Sind nicht viele damit zufrieden, für sich selbst Gutes zu erlangen, und darin zu ruhen? Aber es war nie die Absicht, dass der Christ wie ein Schwamm sein sollte, der zwar aufnimmt, aber nicht austeilt. Aus ihm sollten Ströme lebendigen Wassers fließen. Beachte, dass der Herr nicht von einem Klerus spricht, der so handelt, wie es die Moderne tun würde. Jeder Gläubige wird von Ihm als ein Kanal des Segens für andere angesehen. So war es in den Anfangstagen, als „die Zerstreuten umhergingen und das Wort verkündigten“ (Apg 8,4). Lebendiges Wasser floss im Überfluss durch sie; und als jene einfältigen Christen von Zypern und Kyrene, Antiochien erreichten, und zu den Griechen sprachen, indem sie den Herrn Jesus verkündigten, welch eine Ernte an Seelen gab es da in dieser Stadt! „Und die Hand des Herrn war mit ihnen, und eine große Zahl glaubte und bekehrte sich zu dem Herrn“ (Apg 11,21).

Aber wann würde dieses Ausströmen lebendigen Wassers stattfinden? Der Herr definierte die Gruppe, die zu Kanälen werden sollte – die an ihn Glaubenden. Hier schaltet sich der Evangelist ein und sagt seinen Lesern: „Dieses aber redete er von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten“ (Johannes 7,39). Er führt, so lernen wir, eine Belehrung ein, die mit der Gabe des Geistes verbunden ist, eine eindeutig christliche Segnung, die Folge des wahren Glaubens an ihn ist. Denn Johannes schrieb, „die an Ihn Glaubenden“, usw. Der Glaube an Christus muss der Gewährung dieser Gabe vorausgehen. Ganz anders also als bei der neuen Geburt.[4] Mit einem Wort, der Mensch muss ein echter Glaubender an den Herrn sein, bevor er an der Gabe des Geistes teilhat und somit zu einem Kanal für das Ausströmen lebendigen Wassers wird (Apg 5,32; 19,2; Eph 1,13).

War noch nicht da

Und dies wird im weiteren Verlauf als sehr verschieden von der neuen Geburt angesehen, da es mit der persönlichen Gegenwart des Geistes auf der Erde verbunden ist. „Denn“, schreibt Johannes, „noch war der Geist nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war.“ Natürlich hat der Geist als Person der Gottheit immer existiert. Wir lesen von ihm, wie er über der Fläche der Wasser schwebte, als die Erde in einem Zustand des Chaos war. Jedes geistliche Werk in jeder Seele von Abel an abwärts ist die Frucht des Geistes. Auch der Täufer sah ihn in der Gestalt einer Taube auf den Herrn bei Seiner Taufe herabsteigen. Dennoch war es wahr: „Er war nicht da“, bis der Herr verherrlicht worden war. „War nicht da“, bezog sich also nicht auf seine Existenz. Es handelt sich, so könnte man sagen, um einen Fachbegriff, der sich auf die persönliche Anwesenheit auf der Erde bezieht. So war Henoch, als er entrückt wurde, „nicht mehr, denn Gott nahm ihn weg“ (1. Mose 5,24). Er war nicht mehr auf der Erde, sondern in der anderen Welt. Als Jakob wiederum gebeten wurde, Benjamin zu erlauben, nach Ägypten hinunterzugehen, rief er aus: „Ihr habt mich der Kinder beraubt: Joseph ist nicht mehr, und Simeon ist nicht mehr; und Benjamin wollt ihr nehmen!“ (1. Mose 42,36). Man sieht also, dass der Ausdruck „war nicht“ in der Schrift eine bestimmte Bedeutung hat. Es bedeutet, dass der Heilige Geist nicht persönlich auf der Erde anwesend war, bis der Herr in den Himmel aufgestiegen war. Und das veranschaulicht auch die Antwort jener Jünger an Paulus in Ephesus. Er fragte sie: „Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, nachdem ihr gläubig geworden seid?“ Sie antworteten: „Wir haben nicht einmal gehört, ob der Heilige Geist da ist“ (Apg 19,2). Zu trinken, um gesättigt zu werden und anschließend ein Kanal für das Ausströmen lebendigen Wassers zu sein – diese Gnaden bot der Herr Jesus an jenem Tag im Hof des Tempels jedem Durstigen an. Welche Segnungen, welche Vorrechte können diejenigen genießen, die an ihn glauben!

Doch die Hohenpriester und die Pharisäer waren darauf bedacht, ihn nach Möglichkeit loszuwerden. Wie blind! Wie verblendet! Man schickte Diener, um ihn zu verhaften. Sie machten sich auf den Weg, um ihre Aufgabe zu erledigen. Währenddessen stellte sich der Herr, in voller Kenntnis ihrer Pläne, als derjenige vor, der für das ewige Wohlergehen der Menschen unverzichtbar ist. Und nun erfahren wir die Wirkung seiner Worte auf einige aus der Volksmenge und auf die Diener. In der Volksmenge gab es einige, die sagten: Er ist der Prophet. Andere sagten, er sei der Christus. Eine dritte Gruppe wandte ein, dass Christus nicht aus Galiläa kommen würde, sondern aus dem Samen Davids und aus Bethlehem stammen müsse. Dies löste eine Frage aus, die zu einer Spaltung unter ihnen führte, und einige wollten ihn greifen. Doch niemand legte die Hände an ihn.

Die Diener kehrten nun zu ihren Herren zurück, die Verhaftung wurde nicht durchgeführt. Die Worte Christi hatten einen Eindruck hinterlassen. „Niemals“, so sagten sie, „hat ein Mensch so geredet.“ Denn so sollten wir es lesen. Enttäuscht in ihrer Absicht, sprechen die Pharisäer nun verächtlich über das Volk. Ein unwissender Haufen, der das Gesetz nicht kannte, wer würde auf ihre Meinung Wert legen? Dann fragten sie triumphierend: „Hat wohl jemand von den Obersten an Ihn geglaubt oder von den Pharisäern?“ Menschen mit Verstand und Ansehen würden sich niemals von einem solchen vereinnahmen lassen, auch wenn die Volksmenge durch seine Reden verführt werden mochte. Warum sollten ihre Diener von seinen Worten beeindruckt sein?

Jemand von den Pharisäern oder Obersten sollte an ihn glauben! Unmöglich, dachten sie. Aber es gab einen, der in diesem Moment anwesend war, der anders dachte. Es ist Nikodemus, der jetzt spricht und eine einfache, treffende, aber höchst unwillkommene Frage stellt: „Richtet denn unser Gesetz den Menschen, ehe es zuvor von ihm selbst gehört und erkannt hat, was er tut?“ (Vers 51) Eine solche Frage hätte aufrichtige Menschen durchaus zum Innehalten veranlassen können. Aber sie verärgerte lediglich diejenigen, an die sie gerichtet war, und sie wandten sich sofort an Nikodemus und sagten: „Bist du etwa auch aus Galiläa? Forsche und sieh, dass aus Galiläa kein Prophet aufsteht.“ Sie versuchten, wie es oft geschieht, wenn man eine schlechte Sache unterstützt, ihn, dessen Frage höchst unbequem war, zum Schweigen zu bringen. Und, wie bei vielen anderen mit einer ähnlichen Gesinnung, achtete man nicht auf die Genauigkeit der Aussage. Einen Prophet, wenn nicht noch mehr, aus Galiläa hatte es zweifellos gegeben – Jona, den Sohn des Amittai, von Gath-Hepher.

Mit dieser Szene im Synedrium schließt der Bericht über diesen Tag. Dreimal wollten sie den Herrn greifen (Verse 30, 44, 45), aber vergeblich. Er war dort und ertrug den Widerspruch der Sünder gegen sich selbst und wünschte nur, den Seelen Segen zu spenden. Welch ein Bild – der Herr der Herrlichkeit unter Seinen Geschöpfen, der Schmach erduldet, der auch Gegenstand bitteren Hasses von Seiten einiger ist, und doch das ewige Heil verlorener, sündiger Menschen sucht! Hass und Widerstand zeigen sich ihm gegenüber. Liebe und Geduld mit Seinen Gegnern zeigte Er. Nun ist das Thema Christus als das Leben dargelegt worden und größtenteils abgeschlossen. In Kapitel 5 stellt er sich selbst als der vor, der die Seelen lebendig macht und die Toten auferweckt. In Kapitel 6 erfahren wir, dass er sich selbst, das lebendige Brot, für das Leben der Welt gibt. Indem man sein Fleisch isst und sein Blut trinkt, empfängt man geistliches Leben. Indem man sich von ihm nährt, wird das Leben erhalten, und die Auferstehung zum ewigen Segen wird für alle solche sicher folgen. In Kapitel 7 lädt er die Durstigen ein, zu trinken, und wird sie zu Kanälen der Erfrischung für andere machen. Es ist ein Dienst von Christus selbst als das Leben; als nächstes wird sein Dienst als das Licht folgen.


Fußnoten:

  1. In Hesekiel 45, wo das geistliche Jahr Israels neu geregelt wird, taucht Pfingsten, oder das Fest der Wochen, nicht mehr auf. Das, was es vorschattete, liegt außerhalb des Judentums.
  2. „noch“ sollte nach den besten Autoritäten ausgelassen werden.
  3. „Als seine Brüder zum Fest hinaufgegangen waren, ging auch er hinauf, nicht offen“ usw. So lesen Lachmann, Tischendorf, Tregelles, Alford, Westcott und Hort. Dreimal im Jahr sollten alle Männer in Israel vor Gott erscheinen, und zwar an den drei Festen. Diesem Befehl entsprach der Herr. Er ging hinauf, aber nicht zu Beginn, wie es scheint.
  4. Ganz anders auch als die Lehre von Johannes 4,14. Dort ist es eine Quelle lebendigen Wassers, die in dem Gläubigen zu seinem eigenen Genuss sein wird. Hier spricht der Herr von dem Wasser, das aus ihm zu anderen fließt, ein Fortschritt in der Lehre über den Heiligen Geist. Der Segen in Johannes 4 konnte vor dem Kreuz genossen werden, der von Johannes 7 erst nach Pfingsten.