Es geht um Leben oder Tod. Bei den Königshäusern der Antike gilt es als todeswürdiges Verbrechen, in der Gegenwart des Königs traurig auszusehen. Doch Nehemia ist es nicht gelungen, seine viermonatige Trauer über den desolaten Zustand seiner Heimat Israel zu verbergen. Dem mächtigen König Artasasta (Artaxerxes I. Longimanus) ist das natürlich  aufgefallen, weshalb Nehemia es mit der Angst zu tun bekommt (Neh 2,2). Er weiß nicht, wie der persische König reagieren wird. Bevor er ihm auf seine Nachfrage, was Nehemia sich nun wünsche, antwortet, tut er das einzig Richtige – er sendet ein Stoßgebet Richtung Himmel: „Und der König sprach zu mir: Um was bittest du denn? Da betete ich zu dem Gott des Himmels; und ich sprach zum König“ (Neh 2,4.5).

Nehemia wird Artasasta wohl kaum lange warten gelassen haben, immerhin wartete dieser auf die Beantwortung seiner Frage. Und doch nimmt Nehemia sich noch kurz Zeit, sich von Gott Hilfe zu erbeten. Und sie kommt auch. Das Herz des Königs wird wie ein Wasserbach gelenkt (Spr 21,1).

Ein Bruder sagte einmal: „Ich denke, Stoßgebete kommen nicht weiter als bis zur Zimmerdecke“. Ich persönlich denke gerade das Gegenteil: Es ehrt Gott, wenn man in dramatischen Umständen, konkreten Notsituationen, unter Zeitdruck oder mentalem Stress schnell einen Hilferuf Richtung Himmel schickt.

Die vornehme römische Witwe Proba fragte im Jahr 130 n. Chr. den Kirchenvater Augustinus, was „unablässig beten“ (1. Thes 5,17) bedeute. Dieser antwortete, indem er Bezug nahm auf ägyptische Mönche: „Man sagt, dass die Mönche in Ägypten fast unablässig beten, doch sind es sehr kurze Gebete, so wie Pfeile [lat. quadammodo iaculatas]. Dadurch wollen sie vermeiden, dass die für die Beter so notwendige Wachsamkeit nachlassen könnte und sich verflüchtige, wenn das Gebet zu lange dauert ... Es sollte auch nicht allzu viele Worte enthalten, sondern voll Hingabe sein; so kann es in wacher Aufmerksamkeit verharren.“ Pfeile zum Himmel! So kann man auch Petrus Hilferuf bezeichnen: „Herr, rette mich!“ (Mt 14,30) – in der Gefahr, zu ertrinken, ist nur genug Zeit für einen schnellen Pfeil nach oben.

Martin Luther prägte im Mittelalter dann den Begriff „Stoßgebet“. Er sagt dazu: „Darum lobten die alten Väter die Stoßgebetlein, die man mit einem Wort oder zwei hinaufseufzt zum Himmel. Das kann man auch tun, wenn man liest, schreibt oder eine andere Arbeit verrichtet“.

Wahrscheinlich steckt genau das in der Aufforderung von Paulus aus 1. Thes 5,17. Er meint damit sicher nicht (nur) lange, ausgedehnte Gebetszeiten, so wertvoll und wichtig diese auch sind (Ps 55,18; Dan 6,11). Es geht darum, in unserem Alltag in einer Gebetshaltung zu sein und Gott so oft wie möglich in unsere Umstände miteinzubeziehen. Nach dem Amen betet man weiter. Dabei ist vordergründig nicht gemeint, alle 10 Minuten das stille Kämmerlein aufzusuchen, sondern während der Arbeit, der Autofahrt, des Kochens, der Prüfung, des evangelistischen Gesprächs etc. Gott „mit ins Boot zu nehmen“ und wirklich von ihm abhängig zu sein.

Als General Stonewall Jackson am Virginia Military Institute unterrichtete, meinte er einmal: „Ich habe mir das Beten so zu eigen gemacht, dass ich nicht einmal ein Glas Wasser trinke, ohne Gott dabei um seinen Segen zu bitten. Wenn ich einen Brief zuklebe, dann tue ich es mit einem Gebet, und wenn ich einen Brief aus dem Briefkasten nehme, dann richte ich meine Gedanken auch nach oben. Wenn ich eine neue Unterrichtsstunde beginne, dann bete ich für die Kadetten, die ich gerade verlassen habe, und für die neuen, die gerade hereinkommen.“

Haben wir einen ungewöhnlich geschäftigen Tag vor uns und meinen wir, in der Hektik keine Zeit zum Gebet zu haben, dann sollten wir uns an Martin Luther erinnern, der sagte: „Heute habe ich so viel zu tun, heute muss ich viel beten“.

Es ehrt Gott, wenn wir ihn trotz unserer Hektik nicht vergessen – und wir werden wunderbare Erfahrungen mit Ihm machen, wenn wir auf diese Weise die Situationen unseres Alltags mit Ihm verbringen.

Lassen wir uns von Nehemia ermutigen, auf Stoßgebete zurückzugreifen.