In den Schriften des Paulus wird das ewige Leben in der Regel in seinem vollen Ergebnis entsprechend dem Ratschluss Gottes gesehen, nämlich Gleichförmigkeit mit Christus in der Herrlichkeit. Im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen hingegen wird es entweder als ein moralischer Zustand betrachtet, wie in Johannes 5,24 (wo derjenige, der hört usw., das ewige Leben hat und aus dem Tod in das Leben übergegangen ist), oder als ein gegenwärtiger Besitz, wie oben und in 1. Johannes 5,12.13.

Die Stellen aus Römer 2,7, Römer 6,22.23 und 1. Timotheus 6,12–19 sind leicht zu verstehen, wenn man sich diese Unterscheidung vor Augen hält. So steht in Römer 2,7 nach „Unvergänglichkeit“ das „ewige Leben“. Die Unvergänglichkeit bezieht sich auf die Leiber der Heiligen in der Auferstehung (siehe 1. Kor 15,53.54), und daher ist das ewige Leben hier der ewige, vollendete Zustand des Heiligen in der Herrlichkeit. Dies ist ein höchst interessanter Punkt, da er zeigt, dass der Apostel in dieser Schriftstelle von christlicher Erkenntnis ausgeht.

Römer 6,22 ist ebenfalls zukünftig. Dort heißt es: „als das Ende aber ewiges Leben“, und der Ausdruck muss daher wie in Römer 2,7 ausgelegt werden. Auch Römer 6,23 ist keine Ausnahme, denn das ewige Leben steht im Gegensatz zum Tod als dem Lohn der Sünde, nur ist es hier abstrakter, da unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird, dass es eine Gabe Gottes ist und somit nicht verdient so wie der Tod durch die Sünde. Der Apostel will also nicht, dass wir vergessen, dass das ewige Leben in seiner ganzen gesegneten Entfaltung die reine Gabe der Gnade Gottes ist, und zwar in Christus Jesus, unserem Herrn. Und wie jemand geschrieben hat, „ist nicht nur das ewige Leben eine Gabe Gottes, sondern die Gabe Gottes ist nicht weniger als das ewige Leben“.

Wenn wir nun 1. Timotheus 6,12 betrachten, sehen wir keinen Grund, von der obigen Auslegung abzuweichen. Timotheus wird ermahnt, „das ewige Leben zu ergreifen“, und zwar als das Ziel und den Ausgang des Glaubenslebens. Zwei Überlegungen stützen diese Schlussfolgerung: Erstens folgt die Ermahnung auf diejenige, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen, was den gesamten Weg des Gläubigen umfassen muss; und zweitens fügt der Apostel die Worte hinzu: „zu dem du berufen worden bist“, was nicht weniger bedeuten kann als die Vollendung des christlichen Lebens in Herrlichkeit. Im guten Kampf des Glaubens sollte Timotheus also stets das Ziel im Auge haben (vgl. Phil 3,10–14; Heb 12,2); und wenn er daran „festhielt“, würde er einen mächtigen Anreiz und Ansporn erhalten, mit aller Treue und allem Mut in dem guten „Kampf“ des Glaubens, in dem er sich befand, auszuharren.

In 1. Timotheus 6,19 lautet die korrekte Lesart: „damit sie das wirkliche Leben ergreifen“. Es geht hier also nicht um das ewige Leben. Es geht um das, was Leben vor Gott ist, im Gegensatz dazu, dass man sein Leben in ungewissem Reichtum findet (vgl. Lk 12,15). Die Reichen sollten also aufgefordert werden, ihr Vertrauen nicht auf ungewissen Reichtum, sondern auf den lebendigen Gott zu setzen, ihren Reichtum im Hinblick darauf zu verwenden, dass sie nur Verwalter sind, und somit auf die Zukunft (denn das ist die eigentliche Bedeutung von „sich eine gute Grundlage für die Zukunft sammeln“); und auf diese Weise würden sie das festhalten, was wirklich Leben ist, sowohl jetzt als auch in der Ewigkeit.