„So richte euch nun niemand wegen Speise oder wegen Trank oder hinsichtlich eines Festes oder Neumondes oder von Sabbaten, die ein Schatten der zukünftigen Dinge sind, der Körper aber ist des Christus“ (Kolosser 2,16.17).
„Ihr beachtet Tage und Monate und Zeiten und Jahre. Ich fürchte um euch, dass ich etwa vergeblich an euch gearbeitet habe“ (Galater 4,10.11).
„Der eine hält einen Tag vor dem anderen, der andere aber hält jeden Tag gleich. Jeder sei in seinem eigenen Sinn völlig überzeugt“ (Römer 14,5).
Gibt es irgendeinen Widerspruch in der Belehrung dieser verschiedenen Schriftstellen? Das ist unmöglich; aber es ist äußerst interessant, ihren Zusammenhang zu erkennen. In Kolosser 2 haben wir die Konsequenz des Gestorbenseins mit Christus für den Gläubigen in einem bestimmten Aspekt. In Römer 6 sind wir von der Sünde befreit – in Römer 7 vom Gesetz –, weil wir mit Ihm gestorben sind. Aber in Kolosser 2 werden wir vom Menschen befreit, sowohl was die Philosophie als auch was die Religion anbelangt. Da wir mit Christus den Elementen der Welt gestorben sind, sind wir nicht mehr Satzungen unterworfen, „als lebten wir in der Welt“. Keine menschlichen Vorschriften oder religiösen Riten oder Bräuche haben also irgendeinen Anspruch auf den Gläubigen, denn durch das Gestorbensein mit Christus ist er ganz und gar aus dem Joch des ersten Menschen herausgetreten. Er erkennt auf dem neuen Boden des Gestorbenseins und Auferwecktseins mit Christus die Autorität Christi allein an. Alles andere, wie heilig es auch sein mag, alle „Überlieferungen der Menschen“, lehnt er völlig ab, auch die Speisen, Getränke, heiligen Tage, Neumonde und Sabbate des Judentums; denn sie sind für ihn nur noch „Elemente der Welt“ und waren nie mehr als ein Schatten der zukünftigen Dinge, während der Körper aber des Christus ist (Kol 2,16.17 11).
Im Galaterbrief sah sich der Apostel damit konfrontiert, dass einige versuchten, den Gläubigen das Joch des Judentums wieder aufzuerlegen, und das wollte er nicht einen Augenblick lang hinnehmen. Es war eine totale Verleugnung der Gnade, und deshalb zögert er nicht, sogar Petrus ins Angesicht zu widerstehen, „weil er dem Urteil verfallen war“, den judaisierenden Geist gutzuheißen, der zu einer Trennung zwischen Gläubigen aus den Juden und den Heiden führte (siehe Gal 2). Als daher diese Lehrer der Beschneidung jüdische Gebräuche zur Pflicht machten, erklärt der Apostel, dass sie sich wieder den armseligen Elementen zuwandten, denen sie von neuem dienen wollten; und er sagt: „Ihr beachtet Tage und Monate und Zeiten und Jahre. Ich fürchte um euch, dass ich etwa vergeblich an euch gearbeitet habe“ (Gal 4,10.11). Er würde niemals der Auferlegung eines solchen Jochs zustimmen.
Wenn wir nun zum Römerbrief übergehen, ist der Fall ganz anders. Hier geht es um einen, der „schwach im Glauben“ war (Röm 14,1), und der sollte aufgenommen werden, aber nicht „zur Entscheidung strittiger Überlegungen“. Er mochte noch in vielen Dingen verhaftet sein, wie es bei jüdischen Bekehrten oft der Fall war; er mochte noch in viele jüdische Gewohnheiten verstrickt sein, was das Essen und die Einhaltung der heiligen Tage betraf. Dennoch sollte man einen solchen Menschen annehmen, ihn ertragen und versuchen, ihn zur vollen Wahrheit der christlichen Stellung zu führen; und der Apostel erinnert uns daran, dass wir den Knecht eines anderen nicht richten und unseren Bruder nicht herabsetzen und ihm keinen Anstoß oder Anlass zum Fall geben sollen. Mit einem Wort: Das schwache Gewissen soll geachtet werden (Röm 14,20.21), und die Starken sollen die Schwächen der Schwachen ertragen und sich nicht selbst gefallen, wozu sie durch das wunderbare Beispiel Christi angespornt werden, der sich nicht selbst gefallen hat, „sondern, wie geschrieben steht: ‚Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen‘“ (Röm 15,1–3).