Bethanien war für den Gottessohn, der sich selbst entäußerte, immer ein erholsamer Ort. Es war einer der wenigen Orte auf der Erde, wo Er geliebt wurde und wo sein verwundeter Geist Ruhe fand. Lazarus und seine Schwestern hatten eine wunderbare Gemeinschaft in ihrem Haushalt. Sie liebten einander und waren eins im Glauben an den verachteten und verworfenen Messias.

Dann drang Krankheit in ihr Haus ein, denn die Weisheit der Liebe Gottes bewahrt die Gläubigen nicht immer davor. Lazarus erkrankte zum großen Kummer seiner so hingegebenen Schwestern. Der Herr befand sich in diesem Augenblick jenseits des Jordans, wohin Er sich zurückgezogen hatte. Dort erreichte Ihn die Bitte: „Herr, siehe, der, den du lieb hast, ist krank“ (Joh 11,3). Die Schwestern baten Ihn nicht ausdrücklich, ihnen zu Hilfe zu kommen, da sie anscheinend davon ausgingen, dass diese Nachricht Ihn unverzüglich zu ihnen bringen würde. Er hätte den Kranken aus der Ferne durch sein Wort heilen können (wie im Fall des Knechtes des Hauptmanns in Lk 7,7), aber das tat Er nicht. Er eilte auch nicht nach Bethanien, sondern blieb noch zwei Tage dort, wo Er war.

Sein Verhalten hier würde uns verwundern, wenn wir nicht überzeugt davon wären, dass Er niemals irren kann. Er wandelte im Licht und hatte genau den Weg vor Augen, den Er zur Ehre Gottes gehen sollte. Kurz danach teilte Er seinen Jüngern mit, dass Lazarus tot sei und dass Er um ihretwillen froh sei, dass Er selbst nicht da war. Er fügte hinzu: „Aber lasst uns zu ihm gehen!“ (Joh 11,15). Auf ihre Warnung, dass Ihn in Judäa vielleicht Todesgefahr erwartete, ging der Herr nicht ein.

Ein gewaltiges Wunder sollte geschehen. Der Herr hatte bereits zwei Tote zum Leben erweckt: die Tochter des Jairus und den Sohn der Witwe von Nain. Die eine war gerade gestorben und der andere war auf dem Weg zum Begräbnis. Lazarus aber war schon vier Tage begraben, als der Heiland in Bethanien ankam. Die Verwesung des Leichnams war schon fortgeschritten. Martha konfrontierte Ihn mit der Bemerkung, dass ihr Bruder nicht gestorben wäre, wenn Er zur Stelle gewesen wäre.

Als Er daraufhin von der Auferstehung sprach, antwortete sie: „Ich weiß, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tag“ (Joh 11,24). Sie erkannte nicht, dass sie sich an den Auferstandenen und Lebendigen wandte, der die Macht hat, seine eigenen Entschlafenen aufzuerwecken, wenn es Ihm gefällt, und den Weg des Todes von seinen Lebenden abzuhalten, sodass sie niemals sterben werden. Trotz all des Lichts, das uns seit Martha durch die Briefe des Neuen Testaments offenbart ist, gibt es in der Christenheit nur wenige, die an mehr als die dürftige Vorstellung einer allgemeinen Auferstehung am Jüngsten Tag glauben.

Maria folgte ihrer Schwester hin zu den Füßen Jesu. Berührt von der Trauerszene seufzte und weinte der Heiland – ein kostbarer Beweis für die Realität seiner heiligen Menschlichkeit. Als Er zum Grab kam, wurde der Stein auf sein Wort hin entfernt, trotz des Einwandes von Martha. Nach einigen Worten im Gebet zum Vater folgte der laute Ruf: „Lazarus, komm heraus!“, und Seele und Körper waren wieder vereint (Joh 11,43). Nun folgte die Freiheit: „Macht ihn los, und lasst ihn gehen!“ (Joh 11,44). Wie wunderbar leuchtete die Herrlichkeit Gottes hier in Ihm auf, den die Menschen kreuzigen wollten! Hätte dieses Wunder seine Gegner nicht von der Vergeblichkeit ihrer Pläne gegen Ihn überzeugen müssen?

Er ist der, der die Toten lebendig macht. Zur festgesetzten Stunde wird Er die Seinen zur Herrlichkeit mit sich selbst im Vaterhaus auferwecken, und wenn alle Dinge aufgelöst werden (2. Pet 3,10), wird Er seine Feinde zur Auferstehung des Gerichts rufen (Joh 5,29). Bis dahin macht Er die Seelen der Menschen lebendig. Diejenigen, die auf seine Stimme in der Botschaft des Evangeliums hören, gehen schon jetzt vom Tod zum Leben über und haben die selige Gewissheit, dass sie niemals ins Gericht kommen werden (Joh 5,24–29). Leben und Freiheit sind in der Gegenwart der große Segen aller, die an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes glauben.