„Als nun Jesus sie weinen sah und die Juden weinen, die mit ihr gekommen waren, seufzte er tief im Geist und erschütterte sich und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sagen zu ihm: Herr, komm und sieh! Jesus vergoss Tränen. … Jesus nun, wieder tief in sich selbst seufzend, kommt zur Gruft. Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag davor. Jesus spricht: Nehmt den Stein weg! Die Schwester des Verstorbenen, Martha, spricht zu ihm: Herr, er riecht schon, denn er ist vier Tage hier. Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubtest, so würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen? Sie nahmen nun den Stein weg. Jesus aber hob die Augen empor und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich aber wusste, dass du mich allezeit erhörst; doch um der Volksmenge willen, die umhersteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. Und als er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus, an Füßen und Händen mit Grabtüchern gebunden, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch umbunden. Jesus spricht zu ihnen: Macht ihn los und lasst ihn gehen!“ (Johannes 11,33–35.38–44).

Die Auferweckung des Lazarus („Gott hat geholfen“) war die dritte Auferweckung, die der Herr Jesus während seines Lebens auf der Erde vorgenommen hat. Sie ist das siebte Zeichen im Johannesevangelium. Dabei wird die Herrlichkeit des Sohnes Gottes in besonderer Weise sichtbar (Joh 11,4).

Die Auferweckung des Lazarus war nicht von der persönlichen Gegenwart des Herrn abhängig (Joh 11,21.32), sondern eine souveräne Machtdemonstration des Sohnes Gottes. Der Sohn Gottes handelte in eigener Machtvollkommenheit. Und doch sehen wir in diesen Versen besonders auch seine menschliche Seite. Denn gerade das Evangelium, das uns den Herrn Jesus als Sohn Gottes vorstellt, macht an vielen Stellen deutlich, dass Er auch vollkommen und wahrhaftig Mensch war. Er war und ist in der Tat Gott und Mensch in einer Person.

Als Jesus Maria und die Juden weinen sah, seufzte Er tief im Geist und erschütterte sich (Joh 11,33). Das waren seine Empfindungen Gott gegenüber. Etwas später lesen wir: Jesus vergoss Tränen (Joh 11,35). Das waren seine Empfindungen den Menschen gegenüber. Während wir in seinem tiefen Seufzen seine heilige Entrüstung über den Tod als Folge der Sünde erkennen, sehen wir in seiner Erschütterung eine gewisses Vorempfinden der Tatsache, dass Er einmal auf Golgatha würde leiden und sterben müssen, um die Folgen der Sünde für immer wegzunehmen (Joh 12,27).

Nachdem der Herr sich erkundigt hatte, wo man Lazarus hingelegt hatte, vergoss Er Tränen. Dies beschreibt ein leises Schluchzen – nicht wegen Lazarus, denn Er würde ihn in wenigen Augenblicken auferwecken. Nein, Jesus vergoss Tränen, weil Er mit den Schwestern und den trauernden Juden tief mitempfand. Bevor Er seine göttliche Allmacht auf wunderbare Weise entfaltete, machte Er sich mit den Trauer und Not der Menschen eins (Jes 53,4) und weinte mit den Weinenden (Röm 12,15). Was für ein wunderbarer Herr!

Dann kommt Er zur Gruft, aber nicht, ohne noch einmal tief in sich selbst zu seufzen (Joh 11,38). Nachdem der Stein weggenommen worden war, wurde der hoffnungslose Zustand von Lazarus noch einmal für alle deutlich sichtbar: Die Verwesung seines Körpers hatte eingesetzt und er roch schon. Bevor der Herr sich nun Lazarus zuwendet, wendet Er sich noch einmal im Gebet an seinen Vater und dankt Ihm bereits jetzt für seine Erhörung. Dann ruft Er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Diesem lauten Ruf des Sohnes Gottes konnte der Tod nicht widerstehen. Er musste Lazarus herausgeben, und so kam der Verstorbene wieder aus der Gruft heraus. Was für eine Machtdemonstration des Sohnes Gottes! Welch eine Entfaltung seiner Herrlichkeit!

Dass der Verstorbene wirklich auferweckt und wieder lebendig geworden war, konnten die Menschen mit allen ihren Sinnen erkennen: Zum Ersten hörten sie den lauten Ruf des Herrn (Joh 11,43); zum Zweiten sahen sie, wie der Verstorbene herauskam (Joh 11,44); zum Dritten bemerkten sie, wie der Leichengeruch wich (Joh 11,39); und zum Vierten konnten sie beim Abnehmen der Grabtücher und des Schweißtuches spüren, dass Lazarus wirklich lebte (Joh 11,44). Konnte es da irgendeinen Zweifel geben, dass Lazarus wirklich auferweckt worden war?

In der Auferweckung des Lazarus sehen wir auch einen deutlichen Hinweis auf die Auferweckung der Gläubigen bei der Entrückung. Wenn der Herr Jesus wiederkommt, um die Seinen zu sich in die Herrlichkeit zu holen, dann werden alle Toten in Christus auferstehen, während der Rest der Toten liegen bleibt (Phil 3,11). So wie der Herr damals Lazarus mit lauter Stimme rief, wird Er auch all die Seinen mit gebietendem Zuruf zu sich rufen. Und so wie Lazarus zu Ihm herauskam, werden auch wir in Wolken zu Ihm kommen (1. Thes 4,16.17). Was für ein herrlicher Augenblick wird das sein!