„Als aber Johannes im Gefängnis die Werke des Christus hörte, sandte er durch seine Jünger und ließ ihm sagen: Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten? Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und verkündet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde werden wieder sehend und Lahme gehen umher, Aussätzige werden gereinigt und Taube hören und Tote werden auferweckt und Armen wird gute Botschaft verkündigt; und glückselig ist, wer irgend nicht an mir Anstoß nimmt!“ (Mt 11,2–6).
Johannes der Täufer war im Gefängnis. Nicht weil er selbst etwas getan hatte, was verwerflich gewesen wäre, sondern weil er König Herodes darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es ihm nicht erlaubt war, die Frau seines Bruders Philippus zu haben (Mt 14,3.4). So saß er nun im Gefängnis, während Jesus umherzog, um zu lehren und zu predigen (Mt 11,1).
Johannes hätte es viel besser haben können. Er hätte das Leben genießen können, denn als Sohn des Priesterehepaares Zacharias und Elisabeth gehörte er zur oberen Schicht des Volkes. Aber stattdessen stellte er sein Leben von Jugend an konsequent in den Dienst Gottes. Als Vorläufer des Herrn sollte er das unbußfertige Volk auf den angekündigten Messias vorbereiten. Das bedeutete für ihn Absonderung und Verzicht: kein Leben in Jerusalem, sondern in der Wüste; keine besonderen Speisen, sondern Heuschrecken und wilder Honig; keine vornehme Priesterkleidung, sondern ein einfacher Mantel.
Doch was hatte ihm dieser aufopferungsvolle Dienst eingebracht? Man mochte meinen, nichts, denn nun saß er im Gefängnis. Und dort hörte er von den Wunderwerken des Herrn. Der Herr schien sich um jeden zu kümmern – nur nicht um ihn! Hatte der Herr ihn etwa vergessen? Wir können verstehen, dass ihn in dieser Situation Gedanken des Zweifels und des Unglaubens beschlichen. Und so ließ er den Herrn fragen: „Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Auch in uns können solche Fragen aufsteigen: „Warum passiert mir das? Hat Gott mich nicht mehr lieb? Warum sieht Er nur die anderen und nicht mich?“
Doch was tut der Herr, als Er die Frage von Johannes hört? Er richtet die Aufmerksamkeit seines Vorläufers auf das Zeugnis der Schriften, indem Er Jesaja 35,5.6 zitiert: „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden; dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und jubeln wird die Zunge des Stummen.“ Diese Stelle, die ihre vollständige Erfüllung einmal im Tausendjährigen Reich finden wird, hatte sich bereits jetzt in Ihm erfüllt. Die Wunderwerke, die Er tat, waren der deutliche Beweis dafür, dass Er der angekündigte Messias war. Das sollte Johannes die Gewissheit geben, dass Er der Kommende war. Er sollte im Glauben daran festhalten und keine Gedanken des Unglaubens hegen (Joh 20,27). Gleichzeitig nennt der Herr die glückselig, die keinen Anstoß an Ihm nehmen würden (Mt 11,6). Damit fordert Er Johannes auf, ein „Ja“ zu den Wegen zu sagen, die Er ihn führen würde.
Auch wir dürfen und sollen im Glauben daran festhalten, was die Schrift uns lehrt – auch dann, wenn wir die Wege Gottes mit uns nicht verstehen. Der Ratschluss Gottes wird zustande kommen – auch wenn wir in der jetzigen Zeit manchen Kummer und manches Leid erfahren müssen. Aber glückselig ist, wer irgend nicht an Ihm Anstoß nehmen wird!
(In Anlehnung an einen Vortrag von Johannes Leßmann)