Petrus wollte für seinen Herrn alles geben. Vollmundig redete er davon, für Ihn ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Doch er scheiterte kläglich, weil er auf sich selbst vertraute. Seine Geschichte war damit aber nicht zu Ende: Der Herr gab ihm eine neue Chance, Ihn zu verherrlichen.
Der Herr Jesus hatte mehrmals davon gesprochen, dass Er von den Menschen verworfen werden und in den Himmel zurückkehren würde. Die Jünger verstanden das nicht. Aber sie merkten doch, dass dunkle Schatten auf den Weg ihres Meisters fielen. Petrus versicherte darum seinem Herrn kühn: Er würde Ihn niemals im Stich lassen. Bei den anderen Jüngern war er sich nicht so sicher, aber bei sich selbst schon (Mt 26,33). Petrus war entschlossen, für Jesus ins Gefängnis und in den Tod zu gehen (Lk 22,33; Joh 13,37).
Hatte Petrus nicht beste Voraussetzungen, seinen Worten auch Taten folgen zu lassen? Petrus war
- ein berufener Apostel
- der Erste der Apostel
- vom Herrn begabt
- erfahren in der Nachfolge
- aufrichtig in der Liebe
- voller Energie
Doch es gab ein großes Aber, und das war sein Selbstvertrauen. Er glaubte, er würde in seiner Liebe zu Christus allen Schwierigkeiten begegnen und der Macht des Feindes trotzen können.
Petrus verleugnet Jesus
Als eine große bewaffnete Schar kam, um den Herrn Jesus gefangenzunehmen, blitzte zunächst der Mut von Petrus auf. Er zückte sein Kurzschwert und schlug einem Knecht des Hohenpriesters ein Ohr ab (Joh 18,10). Doch der Herr nahm diesen Schwerthieb nicht als Initialzündung, um seine Macht gegen die Feinde zu gebrauchen, sondern heilte das abgeschlagene Ohr (Lk 22,51). Kurz darauf wurden die heilenden und segnenden Hände gebunden. Petrus floh und folgte Jesus nur noch aus der Ferne (Mt 26,56; Lk 22,54).
Petrus hatte nun Zeit, die Gefahren zu analysieren. Die Feindschaft, das Gefängnis, der Tod erschienen immer größer und Petrus wurde kleiner. Als er am Kohlenfeuer der Feinde mit neugierigen Fragen konfrontiert wurde, war von seinem Selbstbewusstsein nichts mehr übrig geblieben. Im Gegenteil, er verleugnete seinen Herrn und erdreistete sich, Gott zum Zeugen anzurufen, dass er „den Menschen“ nicht kenne (Mt 26,74)! Sein Selbstvertrauen war verloren und alles endete in einem großen Desaster. Petrus weinte bittere Tränen der Reue (Mt 26,75).
Petrus verherrlicht Gott
Der Herr begegnete Petrus nach seiner Auferstehung persönlich (Lk 24,34; 1. Kor 15,5). Was sie besprachen, wissen wir nicht. Aber gewiss bekannte Petrus seine große Schuld.
Doch auch die Wurzel des Versagens – sein Selbstvertrauen – musste aufgedeckt und behandelt werden. Petrus, der gedacht hatte, seine Liebe sei größer als die der anderen Jünger, wurde darum dreimal vom Herrn gefragt, ob er Ihn liebe. Zweimal bejahte Petrus vorsichtig, beim dritten Mal sagte er traurig: „Herr, du weißt alles; du erkennst, dass ich dich liebhabe“ (Joh 21,17). Mit anderen Worten: „Ich habe meine Liebe nicht gezeigt. Aber in deiner Allwissenheit siehst du doch die kleine Flamme meiner Liebe unter dem Schutt meines ganzen Versagens.“ Ja, Petrus liebte seinen Herrn – aber er rühmte sich nicht mehr seiner Liebe. Sein hochmütiges Selbstvertrauen war zerstört.
Der Herr vertraute Ihm nun eine wichtige Arbeit an: Er sollte ein Hirte unter den Gläubigen werden. Darin durfte er seinem geliebten Meister, dem guten Hirten, ähneln. Aber nicht nur darin, denn der Herr sagte zu ihm: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und hinbringen, wohin du nicht willst. Dies aber sagte er, andeutend, mit welchem Tod er Gott verherrlichen sollte. Und als er dies gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!“ (Joh 21,18).
Petrus hatte vor der Verleugnung großspurig davon gesprochen, dass er für Christus ins Gefängnis und in den Tod gehen würde. Aber jetzt sagte der Herr, dass Petrus im Alter seine Freiheit verlieren und gebunden zu einer Richtstätte gebracht werden würde. Aus den Worten des Herrn können wir entnehmen, dass Petrus als Märtyrer gekreuzigt werden und so Gott verherrlichen würde.[1] Das konnte er aber nicht als ein selbstsicherer Mann tun, der mit seiner Liebe prahlt, sondern nur als gedemütigter und abhängiger Nachfolger eines Meisters, der alles wusste und Ihn (dennoch) liebte.
Ein Beispiel aus der Kirchengeschichte
Dem böhmischen Prediger und Vorreformator Jerome Hieronymus von Prag (1379–1416) erging es ähnlich wie Petrus. Sehen wir uns seine Geschichte kurz an.
Als sein Freund, Mitstreiter und Mentor Jan Hus[2] zur Verantwortung für seinen Predigtdienst vor ein katholisches Konzil in Konstanz geladen wurde, reiste Hieronymus zu ihm. Nach einigen Wirrungen wurde klar, dass Hieronymus seinem Freund nicht helfen konnte, und er wollte nach Böhmen zurückkehren. Doch er wurde auf dem Weg dahin gefasst und gefangen nach Konstanz gebracht.
Jan Hus wurde wenig später verurteilt und als Ketzer verbrannt. Aus Angst, dass ihm dasselbe widerfahren würde, widerrief Hieronymus seine Überzeugungen, die er aus der Bibel erkannt hatte.[3] Doch er rechnete nicht mit der Feindschaft seiner Widersacher: Er musste trotzdem in Haft bleiben. „So ein Ketzer darf niemals freikommen!“, forderten seine Feinde.
Im Gefängnis besann Hieronymus sich auf seinen Herrn im Himmel und fasste neuen Mut. Er bereute seinen Widerruf und zog ihn zurück. Wieder musste er vor dem Konzil erscheinen. Es gab keinen Zweifel, was passieren würde: Er wurde wegen Ketzerei zum Tod verurteilt. Nach der Urteilsverkündigung brachte man einen großen, spitzen „Ketzerhut“ aus Papier, ringsherum mit roten Teufeln bemalt. Hieronymus zog seine Kappe vom Kopf und warf sie auf den Boden. Er setzte sich den Ketzerhut selbst auf und sagte: „Unser Herr Jesus Christus trug, als Er zum Tod ging, die Dornenkrone auf dem Haupt. Und ich will, aus Liebe zu Ihm, gerne diesen Hut tragen.“
Hieronymus wurde aus der Kathedrale hinausgeführt. Den langen Marsch durch die Stadt bis zum Richtplatz sang er lateinische Hymnen. Er sollte genau dort sterben, wo Jan Hus verbrannt worden war. Als er an der Richtstätte ankam, fiel er auf die Knie und betete ernst. Bevor er an die Säule gekettet wurde, umarmte er sie. Als der Henker kam, um ein Feuer hinter seinem Rücken anzuzünden, sagte Hieronymus zu ihm: „Komm nach vorn und zünde das Feuer an, wo ich es sehen kann; wenn ich es fürchtete, wäre ich nicht hier.“ Er sang wieder und betete in den Flammen. Schließlich verstummte seine Stimme. Wenig später wurde seine Asche in den Rhein gestreut.
Der, der einst aus Angst widerrufen hatte, ging so mutig in den Tod, dass er sogar bei seinen erbitterten Feinden einen starken Eindruck hinterließ. Der päpstliche Sekretär Poggio schrieb: „Furchtlos stand er da, ungebrochen, den Tod nicht nur verachtend, sondern ihn begrüßend … So starb dieser Mann, ausgezeichnet in jeder Beziehung.“
Lektionen für uns
Wir haben vielleicht Mühe, Märtyrergeschichten mit unserem Alltag zu verbinden und daraus etwas zu lernen. Doch wir sollten bedenken, dass für die großen Geschichten des Lebens die gleichen Prinzipien gelten wie für die kleinen.
Wer hätte sich nicht schon mal vorgenommen, für Christus mutig zu zeugen und für Ihn etwas zu wagen? Vielleicht gab es auch einen kurzen Höhenflug, aber dann holte uns die Realität unserer Schwachheit ein: Wir haben Steilvorlagen für das Evangelium liegen gelassen und haben gekniffen, als es um Christus und die Wahrheit der Bibel ging. Wir fürchteten, Probleme zu bekommen, und liefen vor dem Schatten der Schwierigkeiten davon. Statt mit Schlagkraft für den Herrn zu zeugen, erlebten wir eine krachende Niederlage.
Die erste Gefahr nach so einer Niederlage ist die Resignation. Wir denken, dass alles keinen Wert hat, und verkriechen uns. Aber das ist nicht die richtige Reaktion. Der Herr, der seinen Jünger Petrus nicht aufgab, wird auch uns nicht aufgeben. Er löscht den glimmenden Docht nicht aus und will nach einer Umkehr neuen Segen schenken (vgl. Lk 22,32).
Die zweite Gefahr: noch mehr Selbstvertrauen. Wir denken vielleicht: „Jetzt habe ich eine bittere Niederlage einstecken müssen. Aber das wird mir nicht noch einmal passieren. Mit dieser Erfahrung und mit doppelter Kraft packe ich die Sache jetzt an!“ Doch das sind nur Pflastersteine, die den Weg zur nächsten Niederlage ebnen, denn getrennt von Ihm können wir nichts tun (Joh 15,5).
Wir brauchen die Haltung, die Petrus nach seiner Wiederherstellung zeigte: volles Vertrauen auf den Herrn und auf seine Liebe. In seiner Kraft können wir die zweite Chance nutzen, die Er uns geben mag. Der Herr macht auch heute noch aus Feiglingen mutige Zeugen. Er verherrlicht sich durch die, die alles von Ihm erwarten.
[Aus der Monatsschrift: Folge mir nach]
Fußnoten:
- Man vergleiche das mit der Formulierung, die der Herr für seinen Tod am Kreuz gebraucht: „Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. (Dies aber sagte er, andeutend, welchen Todes er sterben sollte.)“ (Joh 12,32.33). Dabei ist völlig klar, dass nur der Herr die Sühnung bewirken konnte.
- Siehe „Jan Hus – Märtyrer für Christus“ in FMN 02/2007, S. 31–36.
- Allerdings befand sich Jerome Hieronymus im Kerker und wurde gefoltert, deswegen sollten wir über diesen Widerruf sicher milde urteilen.