Um das Passahfest zu feiern, verließ der Herr seinen Zufluchtsort und begab sich nach Bethanien, auf dem Weg nach Jerusalem. An diesem Punkt der Erzählung berichtet Johannes von Ereignissen, die auch andere aufgezeichnet haben. Wie auch Matthäus und Markus hebt er die Hingabe und Liebe Marias hervor. Ebenso wie Matthäus, Markus und Lukas berichtet er vom Einzug des Herrn in Jerusalem. Seit der Speisung der Fünftausend und der Überquerung des Sees (Joh 6) ist alles, was Johannes uns erzählt, nur in seinem Evangelium zu finden. Nun werden wir zwar ein wenig von Ereignissen lesen, die auch andere beschrieben haben, aber wir werden feststellen, dass seine Erzählung Tatsachen enthält, die von ihnen übergangen werden, was zeigt, wie völlig unabhängig er in seiner Arbeit von denen seiner Historikerkollegen war, die ihm vorausgegingen.

Das Abendessen in Bethanien

Und nun zu dem Abendessen in Bethanien. Johannes allein hielt das Datum des Abendessens fest. Es fand sechs Tage vor dem Passahfest statt und ging damit dem triumphalen Einzug des Herrn in Jerusalem voraus. Die Zurechtweisung, die Judas damals im Haus Simons, des Aussätzigen, erhielt, war der auslösende Grund, der zu seinem Verrat an seinem Meister für dreißig Silberlinge führte. Deshalb erwähnen sowohl Matthäus als auch Markus jene Nacht in Bethanien im Zusammenhang mit dem freiwilligen Angebot des Verräters, Christus zu verraten. Dass die Zurechtweisung so auf Judas wirkte, deutet Matthäus ziemlich deutlich an (Mt 26,14). Wie sehr muss er sich also geärgert haben! Es war kein plötzlicher Impuls, von dem er unwiderstehlich angetrieben wurde. Matthäus und Markus waren besonders mit den Ereignissen, die sich im Zusammenhang mit dem Abendessen ereigneten, befasst und erwähnen daher das Abendmahl in anderem Kontext. Johannes hingegen leitet seine Schilderung des Essens in der richtigen historischen Reihenfolge ein.

Das Abendessen wurde für den Herrn bereitet, der Lazarus von den Toten auferweckt hatte (Johannes 12,1.2). Und Lazarus, so erfahren wir hier, gehörte zu der Gesellschaft, während Martha, ihrem natürlichen Charakter entsprechend, diente. Aber wo fand das Abendmahl statt? Darüber schweigt Johannes; aber seine Brüder, die Evangelisten, der Sohn des Alphäus und der Sohn der Maria, haben beides aufgezeichnet. Es fand im Haus von Simon, dem Aussätzigen, statt. Von ihm wissen wir, wie wir bereits erwähnt haben, nicht mehr, als dass er, der Aussätzige, ein Haus in Bethanien besaß, in dem sie nun ein Abendessen für den Herrn hielten. Unser Wissen, dass das Abendessen in seinem Haus stattfand, erklärt jedoch, warum von Johannes erwähnt wird, dass Lazarus bei dieser Gelegenheit mit dem Herrn am Tisch saß. Denn wenn das Abendessen in Lazarus’ Haus stattgefunden hätte, wäre ein solcher Hinweis überflüssig gewesen.

Es muss eine glückliche Gesellschaft gewesen sein. Denn wenn Simon zu einem früheren Zeitpunkt vom Herrn geheilt worden war, wie angenommen wurde, dann muss sein Herz übervoll gewesen sein von der Barmherzigkeit, die ihm zuteilwurde. Kein Wunder, dass er Ihm ein Festmahl bereiten wollte. Und Lazarus war auch anwesend, der von den Toten auferweckt wurde – was für Beweise waren das für die Macht und Güte des Herrn! Gott allein konnte den Aussätzigen heilen; Gott allein konnte die Toten auferwecken. Ein Aussätziger, der geheilt war, ein Toter, der auferweckt war, und der Sohn Gottes, der den einen geheilt und den anderen auferweckt hatte, auch hier am Tisch – nie zuvor, das können wir ohne Furcht vor Widerspruch sagen, hatte ein Abendessen unter solchen Umständen stattgefunden. Und das ist noch nicht alles; denn Lazarus bei Tisch, nachdem er im Grab gewesen war, scheint eine Vorschattung der Geschichte Israels zu sein, wenn das Volk gleichsam aus seinem Grab auferstehen wird (Hes 37,12–14) und den Segen der Gegenwart des Herrn bei sich genießt. Voraussagen auf das 1000-jährige Reich sind in der Bibel keineswegs selten.

Maria

Martha diente, Lazarus speiste, was hatte Maria vor? Ihre Geschichte, wie sie zuvor aufgezeichnet wurde (Lk 10,39), lässt vermuten, dass sie nicht unbeteiligt war, wenn der Herr in ihrer Mitte war. Ihre Liebe zu Christus und ihre Dankbarkeit für das, was Er an ihrem Bruder getan hatte, waren nicht weniger glühend als die ihrer Schwester und ihres Bruders. Wenn Martha ihre Dankbarkeit im Dienen zeigte, so zeigte Maria ihre Dankbarkeit, indem sie den Herrn salbte. Und Johannes verdanken wir die Erkenntnis, dass es Maria war. Nur er erwähnt den Namen der Frau. Matthäus und Markus sagen uns, dass es eine Frau war. Alle drei sind sich einig, dass die Salbe sehr kostbar war, Markus und Johannes sagen uns, dass es Narde war, und Johannes hat dafür gesorgt, dass nicht in Vergessenheit gerät, dass sie ein Pfund schwer war. Der Heilige Geist freut sich, so können wir sagen, wenn er den Dienst an Christus aufzeichnet.

Ein Pfund Salbe! Zwölf Unzen Narde, sehr kostbar! Für wen hatte man schon so viel ausgegeben? Aber nichts war ihr zu kostspielig, um es für ihn auszugeben. Marias Wertschätzung für Christus blieb unverändert und unwandelbar. Sie hatte zu seinen Füßen gesessen und von seinen Worten getrunken (Lk 10). Sie hatte sich mit Martha über die Auferweckung ihres Bruders Lazarus aus dem Grab gefreut (Joh 11). Nun bezeugte sie durch ihre Tat vor allen, was Christus für sie war. Vorher zu seinen Füßen sitzend, salbte sie diese nun – so schreibt Johannes; während Matthäus und Markus berichten, dass sie die Salbe auf sein Haupt goss. Und nur Johannes berichtet, dass sie seine Füße mit ihrem Haar abtrocknete. Der natürliche Schmuck und die Bedeckung einer Frau wurden durch eine solche Verwendung geehrt.

Zweifellos machte sie, ohne sich mit jemandem abzusprechen, von ihrer Salbe Gebrauch und zerbrach dabei auch das Alabastergefäß, in dem sie sich befand (Mk 14,3). Niemand sonst sollte jemals aus diesem Fläschchen gesalbt werden. Es war zerbrochen. Diese Salbe war für ihn bestimmt, und zwar für ihn allein. Wir lesen nicht von einen Wort, das über ihre Lippen kam, als sie ihn salbte. Ihre Taten sprachen jedoch lauter als Worte. Er war des Besten, das sie besaß, würdig, und kein anderer sollte jemals daran teilhaben. Doch ihre Tat konnte nicht unbemerkt bleiben; denn „das Haus“, schreibt der Evangelist, „wurde von dem Geruch des Salböls erfüllt“ (Joh 12,3). Jeder der Anwesenden muss seinen Duft wahrgenommen haben. Und sicherlich stieg sein Wohlgeruch zum Himmel auf, „ein duftender Wohlgeruch, ein angenehmes Opfer, Gott wohlgefällig“ (Phil 4,18), die Huldigung eines dankbaren Herzens an seinen geliebten Sohn.

Judas

Es gab jedoch einen Anwesenden, der Marias Tat nicht zu würdigen wusste und keine Sympathie für Marias Zeichen der Zuneigung hatte. Obwohl er weitaus mehr Gelegenheiten hatte, den Herrn kennenzulernen, als sie es je gehabt hatte, blieb sein Herz unberührt, und jede Liebe zu Christus war ihm völlig fremd. Sein Name war Judas, im Volksmund auch Iskariot genannt. Er war der Sohn von Simon, und die Stadt, zu der er und sein Vater gehörten, war Kerioth in Judäa. Er war also ein Mann aus Kerioth, wie der Name Iskariot eigentlich besagt. Die Elf waren wahrscheinlich alle Galiläer. Er allein gehörte zu Judäa – eine Tatsache, die nicht ohne Bedeutung ist, wenn wir uns daran erinnern, dass die erbittertsten Gegner des Herrn aus dem Judentum kamen. Vom Herrn auserwählt, das prophetische Wort zu erfüllen (Joh 13,18), der alles über ihn und das schreckliche Verbrechen wusste, dessen er sich schuldig machen würde (Joh 6,71), ahnten die anderen erst nach dem Verrat von seiner Doppelzüngigkeit und seiner Habgier. Er trug den Beutel, schreibt Johannes, und da er ein Dieb war, stahl er das, was darin war, wie es der Evangelist seinen Lesern wohl zu verstehen geben wollte (Joh 12,6). Die ersten Worte im Evangelium, die Judas zugeschrieben werden, sind die, die er bei dieser Gelegenheit gesagt hat: „Warum ist dieses Salböl nicht für dreihundert Denare verkauft und den Armen gegeben worden?“ Seine letzten Worte richtete er an die Hohenpriester, als er im Tempelhof den Lohn für seine Missetaten niederwarf und voller Reue ausrief: „Ich habe gesündigt, denn ich habe unschuldiges Blut überliefert.“ Als er dann Selbstmord begangen hatte, ging er, wie Petrus sagte, an seinen eigenen Ort (Apg 1,25), denn er war, wie der Herr ihn nannte, „der Sohn des Verderbens“ (Joh 17,12), und er sagte auch von ihm: „Wehe aber jenem Menschen, durch den der Sohn des Menschen überliefert wird! Es wäre besser für jenen Menschen, wenn er nicht geboren wäre“ (Mk 14,21). Diese Worte sind von schrecklicher Bedeutung, wenn wir bedenken, von wessen Lippen sie kamen.

Die erste Äußerung von Judas war bezeichnend für diesen Mann. Indem er sich als Freund der Armen ausgab, in Wirklichkeit aber von Habgier beherrscht wurde, schätzte er die Salbe auf dreihundert Denare, etwa 10 Pfund, und missbilligte, dass diese Summe für den Herrn ausgegeben wurde, für dessen Verrat er anschließend bereit war, dreißig Sekel Silber zu erhalten – also weniger als 4 Pfund. Die Antwort des Herrn wies Judas zurecht. „Erlaube ihr“, sagte Er, „es auf den Tag meines Begräbnisses aufbewahrt zu haben; denn die Armen habt ihr allezeit bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit.“ Sie hatte weder die Absicht, es zu Geld zu machen, noch es den Armen zukommen zu lassen. Und der Herr deutet ihre Tat so, wie er sie im Zusammenhang mit seinem Begräbnis sah. Judas hatte die Frage der Verschwendung aufgeworfen. Andere, so erfahren wir bei Matthäus und Markus, schlossen sich dem an. Die Antwort des Herrn brachte offensichtlich jeden Mund zum Schweigen, denn niemand sagte ein Wort nachdem Er sich eingeschaltet hatte. Aber die Antwort, die alle Einwände zum Schweigen brachte, war, wie wir gesagt haben, der zündende Grund im Herzen des Judas, seinen Meister zu verraten (Mt 26,14). Was Johannes uns hier von der Antwort berichtet, ist genug, um zu zeigen, was für eine Zurechtweisung es war. Markus gibt einen viel ausführlicheren Bericht über das, was der Herr sagte. Zweifellos hielt es Johannes, der vom Geist geleitet wurde, nicht für nötig, alles zu wiederholen, was geschehen war. Wir verdanken ihm jedoch drei Angaben in dieser kurzen Geschichte: erstens den Zeitpunkt des Geschehens, zweitens den Namen der Frau, die den Herrn salbte, und drittens den Namen desjenigen, der den Einspruch erhob. Und die Tat Marias und die Worte des Judas sind unvergänglich im Gedächtnis geblieben und werden es auch bleiben. Das hat Maria sicher nicht gedacht. Judas hätte sich sicher gewünscht, dass seine Rolle in der Angelegenheit in Vergessenheit gerät.

Kommen wir zur Geschichte zurück. Die erneute Anwesenheit Jesu in Bethanien lockte einige der einfachen Leute dorthin. Sein Ruhm durch die Auferweckung des Lazarus hatte sich verbreitet. Deshalb kamen viele nach Bethanien, um ihn zu sehen, und auch Lazarus. Den Hohenpriestern erschien dies wie ein Schlag gegen ihre Zwecke. Denn viele der Juden gingen weg und glaubten an den Herrn. Das Wunder beeindruckte sie. Keiner konnte es leugnen. Da war Lazarus, der Auferweckte. Da war Jesus, der Auferwecker von den Toten. Die Wirkung auf die Menschen, die sich offensichtlich ausbreitete, hätte die Hohenpriester vielleicht zum Nachdenken bringen können. Stattdessen wurde ein neuer Ratschlag gefasst. Der Tod von Lazarus wurde nun ebenso erwogen wie der Tod von Christus. Keine Schlechtigkeit war zu groß, wenn nur dadurch die Ausbreitung der Bewegung aufgehalten werden konnte. Und wie viele andere in späteren Zeiten, wollten sie den Menschen Angst einjagen, indem sie Christus und auch Lazarus das Leben nahmen. Was hatte Letzterer getan, was den Tod verdiente? Er war Gegenstand einer allmächtigen Macht, über die er keine Kontrolle hatte. Dennoch sollte auch er sterben (Joh 12,9–11). Aber einen noch größeren offensichtlichen Schlag sollten jene Menschen sehr bald erhalten.

Der Einzug des Königs in die Hauptstadt

Denn vom Haus Simons in Bethanien werden wir zum Ölberg und nach Jerusalem geführt, wo der Evangelist kurz den öffentlichen Einzug des Herrn in die Stadt erwähnt. Wir sagen kurz, denn die Ereignisse, die von den anderen Evangelisten berichtet werden, übergeht Johannes mit Schweigen. Matthäus berichtet von dem Aufruhr in Jerusalem, der durch den Einzug des Herrn verursacht wurde (Mt 21,10). Die genauesten Angaben über die Eselin und das Versprechen, sie zurückzuschicken, hat Markus wiedergegeben (Mk 11,2–4). Die Klage des Herrn über Jerusalem, als Er es vom Ölberg aus betrachtete, hat Lukas aufgezeichnet (Lk 19,41–44). All dies lässt Johannes aus, bestätigt aber die Aussage seiner Evangelistenbrüder, indem er erklärt, wie es war, dass eine große Menschenmenge dem Herrn an jenem Tag vorausging und auch eine große Menschenmenge ihm folgte. Eine Volksmenge ging von Jerusalem aus, um ihm entgegenzugehen, als sie hörten, dass Er in die Stadt kommen würde. Und eine Schar begleitete ihn von Bethanien aus (Joh 12,12.13.17.18). Die Ersteren, die dem Herrn begegneten, drehten natürlich um und gingen ihm voraus. Die Geschichte dieses triumphalen Einzugs, die von allen vier Evangelisten aufgezeichnet wurde, braucht also das, was jeder von ihnen berichtet hat, um das Bild zu vervollständigen. Wir haben den Bericht des Johannes „kurz“ genannt. In anderen Punkten ist das zu sehen. Die Sprache der Menge, die an anderer Stelle ausführlicher wiedergegeben wird, wird von Johannes kurz wiedergegeben. Und das Zitat aus Sacharja, das Matthäus ausführlicher wiedergibt, begegnet uns hier (Joh 12,15) etwas gekürzt.[1] Was also die Jünger an jenem Tag von dem auf dem Esel reitenden Herrn sahen, hatte der Prophet Sacharja vorausgesagt, obwohl es des Kommens des Heiligen Geistes zu Pfingsten bedurfte, um die Jünger zum Verständnis zu führen (Joh 12,16). Der Herr zog in Jerusalem als ihr König ein. Sie sollte ihn als solchen ablehnen.

Das Unbehagen der Pharisäer

Und nun haben wir ein weiteres Eingeständnis der Pharisäer, dass es scheinbar aussichtslos war, die Bewegung zu stoppen. Als sie den Enthusiasmus der Menge und die Aufregung in der Stadt sahen, die durch den Einzug des Herrn auf diese Weise verursacht wurde, drückten sie ihre Gefühle in Worten aus: „Ihr seht, dass ihr gar nichts ausrichtet; siehe, die Welt ist ihm nachgegangen“ (Joh 12,19).

Griechen

Mit diesen letzten Worten wären wahrscheinlich einige der Jünger einverstanden gewesen. Und Johannes, der sich nun wieder von den anderen Evangelisten trennt, berichtet seinen Lesern von einer Begebenheit, die anderswo nicht beschrieben wurde – eine Begebenheit jedoch, die eine sehr wichtige Entwicklung nahm. Griechen wollten den Herrn sehen – Griechen, die nach Jerusalem hinaufzogen, um auf dem bevorstehenden Fest anzubeten. Der triumphale Einzug und das, was sich danach im Tempel abspielte – die gereinigten Vorhöfe, die Kinder, die dort „Hosanna dem Sohn Davids“ riefen, die Lahmen und die Blinden, die in dem geweihten Tempelbezirk geheilt wurden (Mt 21,12–15) – all das mag den Wunsch der Griechen geweckt haben, den Herrn zu sehen. Aber sie kamen nicht nur aus Neugierde; denn warum hätten sie sich dann an Philippus gewandt, um ihren Wunsch zu stillen? Wir nehmen an, dass sie wirklich den Wunsch hatten, Christus kennenzulernen; und zu diesem Zweck wandten sie sich an einen der Zwölf, nämlich an Philippus, der aus Bethsaida in Galiläa stammte, der Stadt von Andreas und Petrus. Vielleicht kannten diese Griechen Philippus in seiner Heimatstadt. Philippus sagte dem Herrn nicht sofort Bescheid, da er natürlich wusste, dass Christus zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt war, und zwar nur zu ihnen (Mt 15,24). Er suchte Andreas auf, seinen Mitbürger und Mitapostel, und teilte ihm den Wunsch dieser Griechen mit. Beide zusammen sagen es Jesus. „Herr, wir möchten Jesus sehen“, hatten sie gesagt. Da ihr Anliegen nun vor dem Herrn lag, war es an ihm, es nach seinem Gutdünken zu behandeln.

Er antwortete nicht direkt darauf, sondern sagte zu den Jüngern: „Die Stunde ist gekommen, dass der Sohn des Menschen verherrlicht werde“ (Joh 12,23). War die Stunde seiner Verherrlichung und seines endgültigen Triumphes so nahe? Würde die Welt ihm jetzt nachgehen? War dieser ausdrückliche Wunsch der Griechen nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zu seiner Verherrlichung als König der Juden? War das seine Absicht? Seine Gedanken waren ganz anders. Er dachte zwar an die ferne Zukunft, aber Er dachte auch an die nahe Zukunft. Der Tod lag auf Seinem Weg, bevor Er verherrlicht werden würde, und dieser Tod war der Tod am Kreuz. Wenn Philippus, Andreas und die anderen hofften, dass das Reich der Macht nahe sei, würde Er sie eines Besseren belehren. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, wird es verlieren; und wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren. Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn jemand mir dient, so wird der Vater ihn ehren“ (Joh 12,24–26).

Viele meinten vielleicht, alles laufe jetzt darauf hinaus, den Herrn auf den Thron seines Vaters David zu setzen. Hatte die Menge nicht erst kürzlich gerufen: „Hosanna, gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! Gepriesen sei das kommende Reich unseres Vaters David. Hosanna in der Höhe!“ (Markus 11,9–10)? Und nun, da die Griechen ihn sehen wollen, musste die Stunde sicher nahe sein, in der Er seinen unbestreitbaren Anspruch, der lang erwartete Messias zu sein, einlösen wird. Er war und ist der Messias; aber wie viel musste nach dem göttlichen Ratschluss noch geschehen, bevor der Tag seiner Herrlichkeit anbrechen sollte? Er hatte in beeindruckender Weise gesprochen und seiner Mitteilung die bei Johannes so häufig vorkommenden Worte vorangestellt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch“. Dann erklärte Er die Notwendigkeit seines Todes, wenn Er nicht allein bleiben wollte. Seine Nachfolger, Gefährten in der Herrlichkeit, aber Jünger hier unten, was hatten sie zu erwarten, wenn Er sterben würde? Jüngerschaft am Tag seiner Macht wäre eine leichte Sache; aber Jüngerschaft für diejenigen, die einem verworfenen Christus folgen, würde Prüfungen und Schwierigkeiten mit sich bringen, und könnte den Märtyrertod bedeuten. Seine Nachfolger müssen ernsthaft sein, echte Soldaten; Soldaten, die bereit sind, zu leiden und Härte zu ertragen (2. Tim 2,3; 4,5), und wenn es sein muss, für Christus zu sterben.

Was wäre also ihr Lohn? Wenn sie alles aufgeben, was die Menschen hier schätzen, was könnte ihr Lohn sein? Ach! Das wurde damals noch nicht alles entfaltet; aber was gesagt wurde, war genug, die Schwachen zu ermutigen und die Unentschlossenen zu stärken. „Wenn jemand mir dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein; wenn jemand mir dient, so wird der Vater ihn ehren“ (Joh 12,26). Es war der Sohn des Menschen, dem alles unterworfen sein wird, der hier redete (Heb 2,8). Es war auch der Sohn Gottes, der redete und verkündete (und Er wusste, wovon Er sprach), wie der Vater solche Diener beurteilen würde, die ihm treu dienen. „Wo ich bin, da wird auch mein Diener sein.“ Der Knecht bei seinem Meister! Welche Ehre! „Der Vater wird ihn ehren.“ Das Ansehen bei den Menschen, der Reichtum, die Ehren, die Würden auf Erden: Lege das alles in die eine Waagschale, und in die andere die hier gemachten Verheißungen. Diese letztere Waagschale wird die andere bei weitem überwiegen. Vorübergehende Würden und Regierungsgewalt mögen wertvoll und erstrebenswert erscheinen; doch all das wird mit der Zeit vergehen. Aber mit Christus droben zu sein und vom Vater geehrt zu werden – das sind ewige Gunstbezeugungen, die niemals vergehen können. Welche Ermutigung für treue Diener!

Gnadenerweisungen erwarteten seine Jünger, ja, aber Leiden, wie sie niemand außer ihm je kennen konnte, erwarteten ihn. Von seinem Tod hat Er gesprochen (Joh 12,24). Denn Er würde wie ein Weizenkorn sterben, um Frucht zu bringen. Das eine Korn bringt viele hervor. Sein Tod würde eine zahllose Anzahl von Seelen hervorbringen, die durch sein kostbares Blut erlöst werden – eine Schar, die wir jetzt nicht zählen können, die aber für immer bei ihm sein wird. Die Pharisäer und die Hohenpriester könnten ein Komplott schmieden, um seinen Tod herbeizuführen, in der Hoffnung, dadurch die Bewegung, die sie hassten, zu vernichten. Vergebliche Hoffnung! Sein Tod würde zu einer Ausbreitung der Bewegung führen, wie sie noch nie gesehen worden wäre und wie niemand sie sich ausgemalt hätte. Und es würde eine Jüngerschaft in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß entstehen, die weder durch Verfolgung noch durch Gefangenschaft oder gar Märtyrertod aufzuhalten wäre. Nachdem der Herr also das Bild von dem einen Weizenkorn gegeben hatte, skizzierte Er, wie wir gesehen haben (Joh 12,26), das, worauf sich seine Jünger vorbereiten mussten, mit der sicheren, so gnädig entfalteten Aussicht auf seine Freude an seinen treuen Dienern und auf die Willkommens-Ehrung eines jeden durch seinen Vater.

Die Stimme des Vaters

Aber sein Tod, der für die Heiligen Segen bringt, war für ihn keine leichte Sache. Das sollten alle lernen. Deshalb wollte Er es an dieser Stelle erklären. „Jetzt ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde; doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen. Da kam eine Stimme aus dem Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn auch wiederum verherrlichen“ (Joh 12,27.28). Die Stunde war gekommen, in der der Sohn des Menschen verherrlicht werden sollte. Damit das geschehen konnte, musste Er zuerst den Tod sterben, und zwar den Tod am Kreuz. Würde Er davor zurückschrecken? Nein. Er war gekommen, um zu sterben, bevor Er in die Herrlichkeit zurückkehren sollte. Sein Gebet bestand also nicht darin, dass Er dem Tod entgehen möge. Im Gegenteil, Er bat darum, dass der Name des Vaters verherrlicht werde. Er, der vollkommene Sohn, sorgte sich um die Ehre des Vaters. Wir haben das bei der Krankheit und dem Tod des Lazarus gesehen. Dieser Wunsch wird uns wieder begegnen. Hier, mit dem Kreuz vor Augen und im vollen Bewusstsein all dessen, was damit verbunden war, konnte Er sagen: „Vater, verherrliche deinen Namen.“ Sofort kam die für alle hörbare, wenn auch nicht verständliche Antwort: „Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn auch wiederum verherrlichen“ (Joh 12,28). Er hatte ihn durch die Auferstehung des Lazarus verherrlicht. Er wird ihn verherrlichen in der Auferweckung seines Sohnes (Röm 6,4).

Eine Stimme war zu hören. Es war eine Stimme aus dem Himmel. Sie muss laut geklungen haben, denn die Menge sagte, es habe gedonnert. Andere, die erkannten, dass es eine deutliche Sprache war, sagten: „Ein Engel hat mit ihm geredet“. Daraufhin erklärte der Herr: „Nicht um meinetwillen ist diese Stimme ergangen, sondern um euretwillen“. Und nun wird etwas Weiteres entfaltet, als der Herr einen Blick in die Zukunft wirft. „Jetzt ist das Gericht dieser Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden. Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. (Dies aber sagte er andeutend, welchen Todes er sterben sollte)“ (Joh 12,31–33). Bald würde die Menge seinen Tod fordern – damit Er wegen Gotteslästerung und Verrat an Cäsar gekreuzigt würde. Es mochte so scheinen, als ob der Fürst dieser Welt, der die Menschen dazu brachte, Ihn zu kreuzigen, wenn dieses Verbrechen vollbracht wäre, einen bedeutenden Sieg errungen hätte. Kann das wirklich der Fall sein? Ganz im Gegenteil. Die Welt dazu zu bringen, Christus zu kreuzigen, würde das sichere und endgültige Gericht über die Welt bringen. Wenn Satan die Welt am Kreuz als ihr Fürst anführt, wird er dennoch mit Sicherheit hinausgeworfen werden. Und der Gekreuzigte wird einmal in Herrlichkeit erscheinen, als derjenige, den alle sehen werden und der alle zu sich ziehen wird (Ps 72,11–17). Dann wird es nur Einen geben, auf den alle sehen werden, nur Einen, auf den alle hören müssen. Die Macht des Feindes wird gebrochen sein, sein Einfluss vernichtet, er selbst hinausgeworfen, auch gebunden, und im Abgrund (Off 20,1–3), und der Nazarener allein wird herrschen. Diese Worte Christi schauen voraus auf das 1000-jährige Reich: „Ich werde alle zu mir ziehen.“ Menschen verschiedener Nationalitäten werden jetzt zu ihm gezogen, weil in ihren Seelen ein Werk der Gnade stattgefunden hat. Dann werden alle angezogen werden, Bekehrte und Unbekehrte; denn es wird der Tag Seiner Macht, Seines Triumphes und Seiner Vorherrschaft sein.

Eine Rekapitulation

Weitreichende Ergebnisse wurden uns in diesen Versen (Joh 12,20–32) vor Augen geführt. Fassen wir sie noch einmal zusammen. Das Verlangen der Griechen, den Herrn zu sehen, ist ein Vorgeschmack auf die Zeit, in der die Welt ihn als den Verherrlichten sehen wird. Bis dieser Tag anbricht, wird, wie wir in Johannes 7 gelernt haben, die Zeit, sich der Welt zu zeigen, nicht anbrechen. Sein Tod am Kreuz sollte dem vorausgehen. Sein Volk sollte also bereit sein, an seiner Verwerfung teilzuhaben, und die Nachfolge könnte Leiden bis hin zum Tod mit sich bringen, aber mit der Gewissheit, sich der ewigen Seligkeit zu erfreuen, mit Christus und in der unveränderlichen Gunst des Vaters zu sein. Dann muss die Welt, weil sie Christus am Kreuz verworfen hat, unweigerlich das Gericht über sich ergehen lassen. Und der Teufel, ihr Fürst, wird hinausgeworfen werden und eine unwiederbringliche und ewige Niederlage erleiden. Er aber, der am Kreuz hing, ein Schauspiel für die Menschen, verachtet und verspottet, wird der einzige Gegenstand sein, auf den sich alle Augen richten werden, und für den Fortbestand seiner Regierung werden täglich Gebete aufsteigen. Eine solche Vorhersage konnte nur Gott allein geben. Und derjenige, der sie macht, ist der Sohn des Vaters.

Personen der Gottheit

Als Antwort auf die Bitte seines Sohnes wurde die Stimme des Vaters gehört. Es gibt verschiedene Personen in der Gottheit. In den Evangelien wird das deutlich gemacht. Bei der Taufe des Herrn wurden die drei Personen unterschieden. Hier haben wir den Vater und den Sohn. Die Menschenmenge war bei dieser Gelegenheit Zeuge davon, dass der Vater und der Sohn verschiedene Personen sind. Die Stimme des Vaters wurde gehört. Der Sohn gab ihre Bedeutung an. Das öffentliche Zeugnis wurde also dem Sohn gegeben. Er sprach. Alle konnten hören, was Er sagte. Sofort kam eine Antwort vom Himmel. Der Vater nahm zur Kenntnis, was auf dieser kleinen, im Vergleich zu den großen Himmelskörpern, die sich um uns herum im Weltraum bewegen, unbedeutenden Weltkugel geschah. Der Vater war ganz nah. Er antwortete sogleich. Es gibt nur einen Gott. Es kann nicht zwei höchste Wesen geben. Es war die Aufgabe des Judentums, das zu verteidigen (5. Mo 6,4). Es gibt drei Personen in der Gottheit, vollkommen voneinander unterschieden. Dies zu bekennen gehört zum Glaubensbekenntnis des Christen. Und diese drei Personen werden in der Schrift der Vater, der Sohn und der Heilige Geist genannt (Mt 28,19).

Eine Frage

Der Herr hatte bei einer früheren Gelegenheit (Joh 8,28) davon gesprochen, dass Er erhöht werden würde, und hier (Joh 12,32) erneut, und damit angedeutet, durch welchen Tod Er sterben würde (Joh 12,33). Das Volk meldete sich nun in einer Angelegenheit zu Wort, von der es glaubte, dass sie Erklärung bräuchten. „Wir haben“, sagten sie, „aus dem Gesetz gehört, dass der Christus bleibe in Ewigkeit, und wie sagst du, dass der Sohn des Menschen erhöht werden müsse? Wer ist dieser, der Sohn des Menschen?“ (Joh 12,34). Es war eine Schwierigkeit, für die sie keine Lösung hatten. In der Tat, der Christus wird in Ewigkeit bleiben (Ps 72,15–17; Jes 9,6; Hes 37,25; Dan 7,14). Das wird jedoch in der Auferstehung und als Herrscher in Macht sein. Seine Erniedrigung und seinen Tod, die ebenfalls vorhergesagt waren, hatten sie nicht begriffen. Daher ihre Schwierigkeit. Er antwortete jedoch nicht direkt auf ihre Frage, sondern ermahnte sie, wie bei seinem letzten öffentlichen Wirken in diesem Evangelium, sich des Lichtes zu bedienen. Dann würde alles klar werden. „Noch eine kleine Zeit ist das Licht unter euch. Wandelt, während ihr das Licht habt, damit nicht Finsternis euch ergreife. Und wer in der Finsternis wandelt, weiß nicht, wohin er geht. Während ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichts werdet“ (Joh 12,35.36).

Die letzten Worte Christi in seinem allgemeinen Dienst, die von Johannes aufgezeichnet wurden, waren nun gesprochen worden. Das wahre Licht war da. Es würde bald wieder verschwinden, und dann würde sich Dunkelheit über das Volk legen. Ist das nicht ein wahrer Ausblick auf die Geschichte dieses Volkes vom Kreuz bis zum heutigen Tag? Ihre Väter waren gesegnet mit einer Offenbarung nach der anderen, während die Heiden in Finsternis gehüllt blieben. Wie gesegnet war diese Generation, weil Christus unter ihnen wirkte. Würden sie nun zeigen, dass sie ihre Gelegenheit, durch den Glauben an das Licht Söhne des Lichts zu werden, zu schätzen wussten? Oder würde sie eine Finsternis umhüllen, die intensiver wäre als die, die einst Ägypten heimsuchte – eine Finsternis, die auf Seelen fällt, die das Licht endgültig und absichtlich abgelehnt haben? Die Antwort des Herrn auf ihre Frage war also von echter Weisheit. Sie zeigte auf, was sie brauchten. Wenn sie dem Licht folgten, das damals leuchtete, würden ihre Schwierigkeiten bald geklärt sein. Und die Tatsache, ob sie ihm folgten oder nicht, würde zeigen, ob sie wirklich den Wunsch hatten, zu verstehen, was sie angeblich verwirrt hatte, oder nicht.

Christus hatte gesprochen. Am Anfang des Evangeliums wurde Er als das Licht der Menschen vorgestellt (Joh 1,4), dann hatte Er von sich selbst als dem Licht der Welt gesprochen, damit jeder, der ihm nachfolgt, nicht in der Finsternis bleibe, sondern das Licht des Lebens habe (Joh 8,12). Er hatte auch gesagt, dass Er, solange Er in der Welt sei, das Licht der Welt sei (Joh 9,5). Bald würde das Licht verschwinden, da sein Tod nahe bevorstand. Liegt dann nicht etwas furchtbar Feierliches in diesen wenigen Worten unseres Kapitels (Joh 12,35.36)? Er hatte unter ihnen gepredigt. Er hatte unter ihnen Wunder gewirkt. Er hatte sich in seinem Dienst auch an das Land gehalten, das Gott Abraham verheißen hatte. Er hat nie außerhalb dieses Landes gewirkt. Er hat es nicht einmal verlassen. Das Volk in diesem Land hatte Möglichkeiten genossen, die keinem anderen vergönnt waren. Was war nun das Ergebnis, als sein öffentliches Wirken endete? Er „ging weg und verbarg sich vor ihnen.“ Wer von ihnen trauerte über seinen Weggang oder versuchte ihn zu finden? Und wann war dieser Weggang?

Im Markusevangelium werden die verschiedenen Tage in Jerusalem in der letzten Woche des irdischen Lebens des Herrn deutlicher als anderswo vermerkt. Er erreichte Bethanien sechs Tage vor dem Passahfest, wie Johannes berichtet (Joh 12,1). Von da an muss Markus unser Führer sein. Am fünften Tag zog Er auf einem Esel in Jerusalem ein (Mk 11,1–11). Er reinigte den Tempel am vierten Tag (Mk 11,12–19). Am dritten Tag lehrte Er im Tempel und beantwortete die verschiedenen Fragen, die ihm gestellt wurden. Am Ende des dritten Tages saß Er mit seinen Jüngern auf dem Ölberg und sagte die Zukunft des Volkes und der Stadt voraus. Von da an bis zum Abend des Passahfestes lesen wir nichts, was Er tat, außer dass Er Petrus und Johannes anordnete, das Mahl vorzubereiten. Es gab offenbar eine kurze Zeit der Ruhe, bevor der Passahtag kam. Sein öffentliches Wirken endete wahrscheinlich mit der scharfen Verurteilung der Pharisäer und der Ankündigung seinerseits, dass ihr Haus ihnen öde gelassen würde und sie Ihn von nun an nicht mehr sehen sollten, bis sie sagen würden: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn“ (Mt 23,39).

Ein Rückblick

An dieser Stelle hält unser Evangelist inne, um einen Rückblick auf die Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Dienst des Herrn durch Wunder und Belehrung zu werfen. Das Volk war noch immer ungläubig, obwohl Christus so viele Wunder getan hatte. War dieser Unglaube verwunderlich? Vielleicht, wenn wir nur an den Dienst des Herrn denken; aber nicht, wenn wir uns an die prophetischen Worte von Jesaja 53,1 erinnern. Und Johannes, vom Geist geleitet, führt uns hier dahin zurück. Die Verwerfung Christi durch das Volk wurde vorhergesagt. Außerdem kam die Strafe der Verblendung über sie, gemäß einem anderen Wort desselben Propheten (Jes 6,9.10), der in der dort aufgezeichneten Vision denselben Herrn in seinem Tempel gesehen hatte, den das Volk verwarf, als Er in Erniedrigung erschien. Wenn das Volk ihn auch ablehnte, so glaubten doch viele der Obersten an ihn, obwohl sie es aus Furcht vor den Pharisäern nicht zugaben, da sie, wie der Evangelist bemerkt, die Ehre bei Menschen mehr liebten als die Ehre bei Gott (Johannes 12,37–43). Wie wird ihr Verhalten im Licht des Tages der Herrlichkeit Christi erscheinen? Dies ist sicherlich ein Prüfstein für die Menschen heute.

„Viele Wunder“, sagt Johannes, und doch hat er nur sehr wenige erwähnt. Sicherlich rechnete er damit, dass seine Leser einige, wenn nicht sogar alle drei anderen Evangelien kannten, als er „viele Wunder“ schrieb. Sein Evangelium hat seinen besonderen Platz im Kanon des Neuen Testaments, war aber nie dazu gedacht, den Gebrauch der von Matthäus, Markus und Lukas verfassten Evangelien zu ersetzen.

Eine Zusammenfassung der Lehre des Herrn

Nach dem Rückblick gibt uns Johannes nun eine Zusammenfassung der Lehre des Herrn. Denn da Er sich verborgen hatte und das Volk verließ, dürfen wir das, was folgt (Joh 12,44–50), nicht als neues Wirken des Meisters auffassen. Wenn wir die Verse lesen, werden wir an die Lehren erinnert, die wir in den Johannes 3; 5; 7 und 10 kennengelernt haben, die uns seinen Dienst in Jerusalem schildern. An die Folgen, wenn man ihn verwirft, werden wir noch einmal erinnert (Joh 12,48). Denn es wird ein Gericht kommen, bei dem die Gelegenheiten, die die Menschen jetzt versäumt haben, vor dem unbestechlichen Richter zur Verurteilung aufsteigen werden. Und als sie Christus sahen, sahen sie auch den, der ihn gesandt hat. Sich also zu Gott zu bekennen, aber Christus abzulehnen, würde an jenem kommenden Tag niemandem etwas nützen. Andererseits würden die Menschen, wenn sie an Christus glaubten, nicht in der Finsternis bleiben. Und auf seine Worte sollte man sich stützen, denn Er sprach, wie sein Vater geboten hatte, und denen, die sie annahmen, floss ewiges Leben zu. Welche Gelegenheiten hatten sich geboten! Aber wie viele hatten sie missachtet.

So lautet der Schluss dieses Teils des Evangeliums, der sehr passend erscheint. Und hier möchten wir den Leser daran erinnern, dass wir nun drei große Abschnitte dieses Buches vor uns hatten, die ein dreifaches Zeugnis für den Herrn Jesus Christus geben. Wir hatten das Zeugnis von Johannes dem Täufer in Johannes 1 bis 3. Wir haben das Zeugnis des Herrn über sich selbst in Johannes 4 bis 10. Und das Zeugnis des Vaters über seinen Sohn haben wir in den Johannes 11 und 12 gefunden. Nach Beendigung des öffentlichen Dienstes des Herrn werden wir als Nächstes von ihm lesen, wie Er an dem denkwürdigen Abend vor seinem Kreuz allein mit seinen Jüngern war.


Fußnoten:

  1. Johannes zitiert selten das Alte Testament, um seine Aussagen zu untermauern. Dies ist die erste Stelle in seinem Evangelium, an der er das tut. Anderswo tut er es. Siehe Johannes 12,38.40; 19,24.36.37. Manchmal, wenn er die Worte des Herrn wiedergibt, teilt er seinen Lesern mit, dass der Meister alttestamentliche Offenbarungen zitiert (Joh 6,45; 8,17; 10,34; 13,18; 15,25). Einmal wird das von einer Menschenmenge gesagt (Joh 6,31). Einmal wird auch berichtet, dass der Täufer es zitiert hat (Joh 1,23). Und die Menge, die dem Herrn bei seinem triumphalen Einzug begegnete, benutzte die Sprache von Psalm 118,26. Und die Jünger im Tempel erinnerten sich (Joh 2,17) an die Worte von Psalm 69,10. Dies sind alle Stellen, an denen in diesem Evangelium Zitate aus dem Alten Testament vorkommen.