Im Lauf der Zeit wurde immer deutlicher, wie sehr die Menschen den Herrn Jesus ablehnten. Die Juden waren schließlich sogar bereit, den Herrn in der Säulenhalle Salomos öffentlich zu steinigen (Joh 10,31). Vor diesem dunklen Hintergrund des mörderischen Hasses entfaltete Jesus die Macht des Lebens, indem Er Lazarus aus den Toten wiederbrachte. Dadurch erwies Er sich als Sohn Gottes (vgl. Röm 1,4).

Eine Auferstehung ist ein noch größeres Wunder als eine Heilung, denn durch die Auferstehung werden alle Funktionen des Körpers wieder in Gang gesetzt: Der Mensch kann wieder hören, sehen, laufen und vieles mehr. Unter den Auferweckungen nimmt die von Lazarus einen besonderen Platz ein, denn es geschah etwas, was es vorher noch nicht gegeben hatte, soweit die Schrift das berichtet: Ein bereits begrabener Mensch wurde ins Leben zurückgerufen.

Lazarus ist krank

Lazarus wohnte in Bethanien (Joh 11,1). Und zwar in dem Bethanien, das nahe bei Jerusalem liegt, und nicht in dem ca. 50 Kilometer entfernten Bethanien jenseits des Jordan, wo Jesus sich aufhielt (Joh 1,28; 10,40). Der Heilige Geist bezeichnet Bethanien als „Dorf der Maria und ihrer Schwester Martha“, was die Menschen damaliger Tage sicher nicht taten. Aber für den Herrn zählen die, die Ihm angehören. Er kennt seine Schafe mit Namen und sorgt für sie.

Der Evangelist Johannes kann Maria und Martha an dieser Stelle ohne weitere Erklärungen einführen, weil der Leser die Schwestern bereits durch die anderen Evangelien kennen sollte. Dementsprechend setzt Johannes auch die Salbung des Herrn durch Maria als bekannt voraus (Joh 11,2), obwohl Er diese für Gott so wertvolle Tat erst später beschreibt (Joh 12,3).

Eine schwere Krankheit drang in diese gottesfürchtige Familie ein. Auch heute erleben wir, dass treue und hingebungsvolle Gläubige und ihre Familien von schlimmen Krankheiten heimgesucht werden. Die Treue gegenüber Christus bewahrt nicht vor Leid. Mehr als einmal haben Christen diese einfache Wahrheit aus den Augen verloren.

Die Schwestern senden Boten  

Es mag sein, dass die beiden Schwestern sich ärztlichen Rat einholten, aber der göttliche Bericht zeigt nur, dass sie das Entscheidende taten: Sie wandten sich an den Herrn. Da sie in dieser prekären Situation ihren kranken Bruder nicht allein lassen wollten, sandten sie Boten zu Jesus, dessen Aufenthaltsort sie kannten.

Auf vorbildliche Weise ließen sie ihr Anliegen vor den Herrn bringen. Sie machten Ihm keinerlei Vorschriften, wie Er zu handeln habe. Bemerkenswert ist, dass sie den Namen Lazarus nicht erwähnten, sondern ihren Bruder als den beschrieben, den der Herr liebt (Joh 11,3). Indem sie sich auf die Liebe Christi beriefen, beriefen sie sich auf etwas, das vollkommen und unveränderlich ist!

Das ist richtungsweisend für uns: Wir wollen dem Sohn Gottes unsere Kranken vertrauensvoll im Gebet bringen und stets daran denken, dass Er sie in ihren Leiden sieht und in seiner Liebe zu seiner Zeit eine wunderbare Antwort auf unsere Gebete geben wird.

Jesus antwortet

Der Herr ließ die Boten nicht ins Leere laufen. Seine Antwort lautete sinngemäß: „Der Tod ist nicht Zweck und Ziel der Krankheit, sondern Gott und sein Sohn sollen verherrlicht werden“ (Joh 11,4; vgl. Joh 11,40). Wie werteten die beiden Schwestern diese tiefgründige Aussage? Womöglich dachten sie: „Lazarus wird nicht sterben, sondern Jesus wird durch eine baldige Heilung zeigen, wie herrlich Er ist.“ Doch es kam anders, was die Schwestern sicher irritierte. Möglicherweise war Lazarus auch bereits gestorben, als die Boten bei den Schwestern ankamen – was die Sache für sie auch nicht einfacher machte.

Warum hatte der Herr nicht sogleich frei heraus gesagt, dass Lazarus sterben und auferweckt werden würde? Weil Er ihren Glauben erproben wollte. Was würden sie, die nicht an seiner Heilungsmacht zweifelten, angesichts des Todes tun? Würden sie Ihm vertrauen, auch wenn etwas geschah, was sie nicht einordnen konnten? Würden sie sich an sein Verheißungswort klammern und sagen: „Der Herr hat versprochen, dass der Tod nicht das Ende ist – so muss seine Herrlichkeit sich in der Auferstehung unseres Bruders zeigen“?

Auch unser Glaube wird erprobt und herausgefordert. Vielleicht vertrauen wir dem Herrn in der einen oder anderen Sache, aber sollten wir Ihm nicht in allem ganz vertrauen? Sind wir wirklich davon überzeugt, dass Ihm kein Ding unmöglich ist? Wir sagen das sehr schnell, aber wir verwirklichen es oft nur sehr langsam.

Jesus kommt nicht sofort

Bevor der Heilige Geist berichtet, dass Jesus an dem Ort blieb und die Krankheit ihren tödlichen Verlauf nahm, lesen wir von der Liebe des Herrn zu den drei Geschwistern, die einzeln genannt werden (Joh 11,5).[1]

Martha erscheint hier an erster Stelle, während die hingebungsvollere Maria lediglich als „ihre Schwester“ bezeichnet wird. Möglicherweise werden die drei Geschwister in der Geburtsreihenfolge genannt, aber wir entnehmen zwischen den Zeilen doch eine ermutigende Botschaft: Die Liebe des Herrn Jesus zu uns ist nicht von unserem Verhalten und Verständnis abhängig, sie ändert sich auch nicht, wenn der Herr uns, wie Martha, zurechtweisen muss – sie kommt aus seinem Herzen. Die Liebe, die Er zu uns hat, entspringt nicht unseren Wegen, sondern seinem Wesen.

Obwohl dem Herrn die ernste Krankheit seines Freundes vertrauensvoll vorgebracht worden war, ging Er nicht nach Bethanien. Er bewegte sich nicht einmal in diese Richtung, sondern blieb noch zwei Tage an seinem Ort (Joh 11,6). Der Herr Jesus sprach auch kein Wort der Macht aus der Ferne, wie Er es bei dem Sohn des königlichen Beamten getan hatte (Joh 4,50). Es geschah: nichts. Wo blieb die Hilfe Gottes, auf die der Name Lazarus hinweist („Gott hilft“)? Wie schwer wird den beiden Schwestern das Warten in dieser dramatischen Situation gefallen sein. Und was für dunkle Wolken zogen erst auf, als Lazarus starb? Sie hatten Heilung und Leben erwartet, aber es kam der Tod.

Wir müssen auch oft lange warten, bis der Meister helfend eingreift. Nach der Prüfung ist es einfach, zu sagen, dass der Herr alles gut gemacht hat; aber wenn wir in der Not stecken, ist das Warten sehr herausfordernd. Doch glückselig sind wir, wenn wir auf Ihn harren (Jes 30,18). Er hilft spätestens rechtzeitig.

Es ist lehrreich, zu sehen, wie der Herr seinen Weg in völliger Abhängigkeit von seinem Vater ging. Er wurde nicht durch das getrieben, was andere erwarteten. Das mussten seine Mutter, seine Brüder und hier auch seine Freunde lernen (vgl. Joh 2,4 und 7,8). Der erste Satz, der von Jesus berichtet wird, zeigt seine Haltung, die sein ganzes Leben prägte: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ (Lk 2,49).

Jesus geht nach Judäa

Schließlich sprach der Herr davon, dass Er nach Judäa gehen wolle, ohne sein Ziel Bethanien zu erwähnen (Joh 11,7). Den Jüngern leuchtete es nicht ein, warum der Herr dahin gehen wollte, wo man Ihn kurze Zeit vorher steinigen wollte (Joh 11,8).

Die Jünger wollten nicht, dass Jesus nach Judäa geht, Maria und Martha wünschten, dass Er so schnell wie möglich nach Judäa komme. Das Gefühl sagt, dass man die Schwestern nicht warten lassen könne, und die Vernunft raunt, dass der Weg nach Judäa zu gefährlich sei. Doch der Herr allein kennt den richtigen Augenblick.

Jesus verglich seinen Weg mit jemand, der sich im Licht der Sonne zielorientiert und problemlos bewegt (Joh 11,9). Die Jünger aber waren wie jemand, der nachts unterwegs ist, und nicht sieht, wohin er geht, und deshalb stolpert (Joh 11,10). Wenn wir allein dem Willen Gottes folgen, haben wir Licht für unseren Glaubensweg und werden nicht straucheln (vgl. 2. Pet 1,10). Oft stolpern wir durchs Leben, weil wir uns von menschlichen Überlegungen leiten lassen und nicht in enger Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater sind.

Jesus spricht über seine Absichten

Um Licht in das Dunkel der Gedanken der Jünger zu bringen, redete Jesus davon, dass Er hingehen würde, um den eingeschlafenen Freund Lazarus aufzuwecken (Joh 11,11)[2] Die Bezeichnung „Freund“ zeigt, dass der Herr Jesus die Freundesbeziehung nicht vergessen hatte, auch wenn Er nicht sofort losgegangen war.

Warum redete der Herr von der Auferweckung aus dem Tod so, als würde Er jemanden nur aus dem Schlaf aufwecken? Dadurch wollte Er unter anderem deutlich machen, dass der Tod von Ihm, dem Sohn Gottes, so leicht beendet werden kann, wie man einen Schlafenden weckt. Ein einziger Ruf genügt.

Die Jünger meinten, Jesus rede von der Ruhe des Schlafes (Joh 11,12.13). Sie machten – wieder einmal – den Fehler, dass sie nicht über die Aussagen des Herrn nachdachten. Sie hätten überlegen können:

  • Wenn der Herr bei der Auferweckung der Tochter des Jairus den Tod als Schlaf bezeichnet hatte (Mk 5,39), warum sollte Er es jetzt nicht wieder tun?
  • Warum sollte der Herr nicht wissen, dass Schlaf heilungsfördernd ist?
  • Warum sollte der Herr eine lange und gefährliche Reise unternehmen, um einen Kranken aufzuwecken, der ohnehin bis zu seiner Ankunft von selbst aufwachen würde?
  • Warum betonte der Herr, dass Er ihn aufwecken würde, wenn doch jeder einen Menschen aus dem Schlaf holen kann?

Jesus redet offen

Nachdem sich das Unverständnis der Jünger gezeigt hatte, sagte der Herr geradeheraus, dass Lazarus gestorben sei (Joh 11,14.15). Er freute sich wegen der Jünger, dass Er nicht mit seiner heilenden Macht vor Ort gewesen war, denn sie sollten etwas Größeres erleben: die Macht der Auferstehung. Ihr Glaube sollte um einen Aspekt seiner Herrlichkeit bereichert werden. Das ist bei uns grundsätzlich nicht anders, wenn wir in Schwierigkeiten geraten und unser Vertrauen herausgefordert wird.

Der Herr sprach von Leben, aber Thomas redete von Tod (Joh 11,16)! Er schien gar nicht richtig zugehört zu haben und hatte auch hier Mühe, auf die Gedanken des Herrn einzugehen (vgl. Joh 14,4.5; 20,24–29). Er übersah, dass der Herr Jesus nicht einfach mit den Jüngern umgebracht werden konnte, denn keiner konnte Ihm das Leben nehmen, Er würde das Leben von sich selbst aus lassen (Joh 10,17.18).

Immerhin wollte Thomas lieber als Märtyrer mit dem Herrn Jesus sterben, als ohne Ihn zu leben. Seine Hingabe war echt, wenn sich auch sein Glaube nicht über die Umstände erheben konnte. Thomas, der sich vielleicht zu den Realisten zählte, rechnete – so wie wir oft – nicht mit der Realität der Macht des Herrn und sah nur die Macht der Menschen.

Martha hört von Jesus

Bevor beschrieben wird, wie Jesus zur Gruft des Lazarus kommt und ihn herausruft (Joh 11,38–43), stellt der Heilige Geist fest, dass Jesus seinen Freund „schon vier Tage in der Gruft liegen“ fand (Joh 11,17). Der Herr ging also nicht als weiterer Tröster in das Haus der Trauer, sondern sein Ziel war es, am Grab den Trost der Auferstehung zu bringen. Vers 17 macht auch klar, dass seine spätere Frage nach der Grabstelle um der anderen willen geschah und dass Er wusste, wie lange Lazarus im Grab lag, ehe Martha Ihm diese Information zurief (vgl. Joh 11,34.39).

Im Haus von Martha und Maria waren viele Trauernde versammelt. Da Jerusalem nur ungefähr drei Kilometer von Bethanien entfernt ist, konnten etliche aus der Hauptstadt kommen, um ihr Beileid zu bekunden (Joh 11,18.19). Das war ein weiterer Grund, warum Jesus nicht sofort gekommen war: Er wollte, dass viele Menschen die Herrlichkeit Gottes in der Auferstehung sehen.

Wie so oft blieb es nicht verborgen, dass Jesus da war. Sobald Martha davon hörte, ging sie dem Meister sofort entgegen, ohne ihre Schwester Maria zu informieren, die im Haus saß (Joh 11,20). Als Martha den Herrn Jesus traf, brach es aus ihr heraus: „Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben“ (Joh 11,21). [3] Sie war überzeugt, dass Jesus eine im Glauben vorgebrachte Bitte um Heilung nicht abgewiesen hätte, aber ihr war nicht klar, dass der Herr das Leben wiedergeben konnte. Sie dachte, Jesus habe den Wettlauf mit dem Tod verloren.

Doch dann sagte sie etwas Erstaunliches: „Aber auch jetzt weiß ich, dass, was irgend du von Gott bitten magst, Gott dir geben wird“ (Joh 11,22). Mit diesen kühnen Worten kann eigentlich nichts anderes als die Auferstehung gemeint sein, aber im Folgenden sehen wir, dass dahinter nicht wirklich der Glaube an eine sofortige Auferweckung stand.

Als Martha davon sprach, dass Jesus alles von Gott erbitten könne, gebrauchte sie ein Wort, das man mit „unterwürfig bitten“ wiedergeben könnte; Joseph von Arimathia verwendete es, als er Pilatus um den Leib Jesu bat. Der Heilige Geist benutzt diesen Begriff im Blick auf den Herrn Jesus nie. Einige Verse später sehen wir, dass der Sohn Gottes auf eine Art und Weise zu dem Vater betete, wie es Geschöpfen nicht zusteht (Joh 11,41.42). Martha war sich nicht bewusst, dass derjenige vor ihr stand, der die Auferstehung und das Leben ist (Joh 11,25).

Jesus spricht über die Auferstehung

Der Herr griff die Worte von Martha auf und sagte: „Dein Bruder wird auferstehen“ (Joh 11,23). Doch Martha wendete sich von der konkreten Verheißung des Herrn weg und redete von der Auferstehung der Toten am letzten Tag (vgl. Joh 6,39.40.44.54). Es ist immer einfacher, das zu glauben, was Gott in der Zukunft tun wird, als das, was Er in der Gegenwart zu tun vermag!

Martha betonte, dass sie etwas von der Auferstehung am letzten Tag weiß (Joh 11,24). Dabei wird sie die Vorstellung gehabt haben, dass alle Toten gleichzeitig auferstehen. Darum zog Jesus den Schleier weg, der über diesem Tag lag, und machte Details bekannt, die bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt waren.

Der Herr zeigte zuerst, dass die Gläubigen zum Leben kommen werden, auch wenn sie gestorben sind (Joh 11,25). Der Tod kann nicht verhindern, dass Gottes Kinder das ewige Leben einmal in Herrlichkeit genießen. Von dieser Auferstehung zum Leben hatte Christus bereits in Johannes 5,29 gesprochen, wo Er auch die Auferstehung zum Gericht erwähnt hatte. Das Gericht finden wir hier nicht, weil Christus sich mit einer gläubigen Frau über einen gläubigen Mann unterhält. Die Auferstehung zum Leben ist eine „Aus-Auferstehung“ (Phil 3,11; Anmerkung), die bei der Wiederkunft Christi wahr werden wird. Sie wird bildlich vorgestellt in der Auferstehung des Lazarus, der herauskam, während die anderen Toten liegen blieben. [4]

Zweitens werden manche Gläubige gar nicht sterben (Jo 11,26). Das sind diejenigen, die auf der Erde leben, wenn der Herr zur Entrückung kommt und sie verwandeln wird. Diese Wahrheit war im Alten Testament nicht bekannt, deshalb spricht Paulus von einem Geheimnis, wenn er in 1. Korinther 15 über dieses Thema schreibt: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden“ (1. Kor 15,51.52). Und in 1. Thessalonicher 4,15–17 sagt derselbe Apostel: „Dieses sagen wir euch im Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf [so wie Er Lazarus laut gerufen hat], mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabkommen, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft.“ Diese Bibelstellen zeigen die beiden Gruppen von Gläubigen, die bei der Entrückung verwandelt werden: die Toten in Christus und die Lebenden in Christus. Sie werden in dieser Reihenfolge auch in Johannes 11,25.26 genannt.

Was für eine Machtentfaltung wird es sein, wenn sich Millionen Gräber öffnen und die Gläubigen aus den Toten auferstehen! Der Herr wird die Gläubigen gerade dort auferwecken, wo sie begraben worden sind: Am „Ort ihrer Schwachheit“ wird seine Macht sichtbar werden. Und uns, den Lebenden, wird Er dann einen für die Herrlichkeit passenden Leib geben. Wie vollständig ist sein Triumph über den Tod! Doch lasst uns nie vergessen, dass wir das Leben in Auferstehung nur deshalb genießen können, weil Er für uns die ganze Bitterkeit des Todes am Kreuz von Golgatha geschmeckt hat.

Martha holt Maria

Nachdem der Herr diese wichtigen Belehrungen gegeben hatte, fragte Er Martha nicht, ob sie das verstehe, sondern ob sie das glaube (Joh 11,26). Martha bestätigte es, gab aber eine ausweichende Antwort, indem sie sich auf das zurückzog, was sie wusste (Joh 11,27). Ähnlich war es bei der Samariterin am Jakobsbrunnen, die die erhabenen Worte über die Anbetung des Vaters rasch wie folgt kommentierte: „Ich weiß, dass der Messias kommt, der Christus genannt wird; wenn er kommt, wird er uns alles verkündigen“ (Joh 4,25).

Martha merkte, dass der Herr etwas sagte, was über ihr Verständnis hinausging. Was lag näher, als ihre Schwester zu holen, die viel zu den Füßen Jesu gelernt hatte? Sie rief Maria heimlich, um ihr die Möglichkeit zu geben, ein ungestörtes Gespräch mit dem großen Lehrer zu führen (Joh 11,28). Unterdessen wartete der Herr in erhabener Ruhe an der Stelle, wo Er mit Martha zusammengetroffen war (Joh 11,30). Als Maria hörte, dass der Lehrer sie gerufen habe, stand sie schnell auf und lief zu Ihm (Joh 11,29). Sie ging mit den Füßen dahin, wo ihr Herz schon lange war (Joh 11,31).

Die, die im Haus waren, um Trost zu spenden, wussten nicht, worum es ging. Sie dachten, Maria würde an die Stätte des Todes gehen, um dort zu weinen. Doch sie würde dem Fürsten des Lebens begegnen. Ohne nachzufragen, ob es passend sei, gingen die Trauergäste mit Maria (Joh 11,31).

Maria begegnet Jesus

Als Maria den Herrn Jesus sah, fiel sie Ihm weinend und ehrfurchtsvoll zu Füßen – da, wo wir sie immer finden, wenn von ihr berichtet wird. Maria redete weniger als Martha, ihr Mund ging nicht weiter als ihr Herz, aber eine Aussage war genau gleich: „Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben“ (Joh 11,32; vgl. Joh 11,21). Wie oft mögen sich die beiden Schwestern in den vergangenen vier dunklen Tagen diese Worte zugeworfen haben: „Wenn der Herr nur hier gewesen wäre!“

Maria sprach nicht von dem, was sie wusste, sie war überwältigt vom Schmerz. Demgemäß wurde sie nicht wie Martha belehrt, sondern durch das Mitgefühl seiner Liebe getröstet: Sie erlebte aus unmittelbarer Nähe, wie der Herr Jesus seine Empfindungen zeigte und weinte.

Jesus seufzt und weint

Als Jesus die Tränen von Maria und den Umstehenden sah, seufzte Er tief im Geist. Er war bewegt von dem, was die Sünde angerichtet hatte; und Er war sichtbar erschüttert (Joh 11,33). Mit seiner Frage, wo Lazarus lag, machte Er allen deutlich, dass Er sich der Sache annehmen würde, und veranlasste zudem die Trauenden, mit Ihm zur Gruft zu laufen (Joh 11,34).

Es wird oft geweint, wenn Menschen den schweren Weg zum Grab gehen. Aber hier geschieht etwas Besonderes: Der Sohn Gottes bricht in Tränen aus! Mit welcher Sorgfalt wird Gott diese kostbaren Tränen „in seinen Schlauch“ gebracht haben (vgl. Ps 56,9). Kurze Zeit später weinte Jesus über Jerusalem und in Gethsemane (Lk 19,41; Heb 5,7). Seine Tränen flossen somit stets in der Nähe Jerusalems und stets angesichts des Todes – des Todes seines Freundes, des Todes seiner Feinde und seines eigenen Todes.

Die Juden sahen in den Tränen des Herrn einen Beweis seiner Liebe zu Lazarus (Joh 11,35.36). Doch Er weinte nicht um Lazarus, den Er in wenigen Augenblicken aus dem Reich des Todes holen würde. Er weinte aus Liebe zu denen, die unter der Macht des Todes seufzten!

Dennoch ist es natürlich wahr, dass der Herr den Lazarus liebte, was in diesem Kapitel mehrfach bezeugt wird. Die beiden Schwestern hatten davon gesprochen, der Heilige Geist ließ es niederschreiben, und hier bezeugten es die jüdischen Trauergäste. Lasst uns, gerade angesichts von Leid und Tod, unbedingt an seiner Liebe festhalten!

Manche der Anwesenden fragten sich, warum Jesus den schwerkranken Lazarus nicht geheilt und damit vor dem Tod und sie alle vor der Trauer bewahrt hatte (Joh 11,37). Doch der, der sein ganzes Mitgefühl zeigte, verfügte auch über alle Macht und musste sich nicht wie der empfindungslose Gehasi hilflos von einem Toten abwenden (vgl. 2. Kön 4,27.31).

Jesus kommt zur Gruft

Als Jesus zur Gruft seines geliebten Freundes Lazarus kam, seufzte Er noch einmal tief in sich selbst (Joh 11,38). Doch wenn auch der Herr innerlich getroffen war, so sehen wir, wie Er in erhabener Ruhe handelte, die des Sohnes Gottes würdig ist.

Jesus ordnete etwas an, was an sich unerhört war: Der Stein vor der Gruft sollte weggerollt werden (Joh 12,39). Der Herr begründete seinen Wunsch nicht. Womöglich dachten die Umstehenden, dass Er Lazarus noch einmal sehen wollte, und sagten sich: „Dann hätte er früher kommen müssen! Das ist Störung der Totenruhe!“ Martha wurde zur Sprecherin in dieser Schrecksekunde und meinte, es besser als der Meister zu wissen (vgl. Lk 10,40.41): Sie wollte nicht, dass den Versammelten der Verwesungsgeruch entgegenschlug.

Der Herr erinnerte Martha an eine persönliche Botschaft, die Er ihr gegeben hatte: Wenn sie glauben würde, würde sie die Herrlichkeit Gottes sehen (Joh 11,40). Nachdem Martha die tadelnden Worte des Herrn Jesus gehört hatte, legte sie keinen weiteren Widerspruch ein – und der große Stein vor der Gruft wurde beiseitegeschoben (Joh 11,41).

Jesus weckt Lazarus auf

Der Herr blickte nicht in die geöffnete Gruft hinein, sondern erhob seine Augen zum Vater im Himmel. Das Gebet, das Er sprach, zeigt die ganze Größe seiner Person: Er bat nicht unterwürfig, sondern dankte in dem Bewusstsein, dass das Gebet bereits erhört worden war (Joh 11,41). Der, der allezeit das dem Vater Wohlgefällige tat (Joh 8,29), war sich bewusst, dass der Vater Ihn allezeit erhören würde. Er sprach diese Worte laut, damit die Volksmenge begriff, dass Er der Gesandte des Vaters war (Joh 11,42). Und dann tönte in die gespannte Stille hinein der Ruf: „Lazarus, komm heraus!“ (Joh 11,43). Sicher waren nun alle Augen auf die geöffnete Gruft gerichtet. Und siehe da: Lazarus erschien. Das Wunder war geschehen!

Die Füße und Hände von Lazarus waren mit Grabtüchern und sein Gesicht mit einem Schweißtuch umwickelt (Joh 11,44). War es jetzt nicht selbstverständlich, ihm die Tücher abzunehmen? Aber vielleicht waren alle so überwältigt, dass sie sich nicht rührten. Deshalb gab Jesus die Anweisung, Lazarus zu befreien.

Einen Toten aus dem Grab herausrufen konnte nur Er. Aber den Grabstein wegrollen und die Grabtücher wegnehmen, vermochten auch die Menschen. Wir sehen bei den Wundern des Herrn immer wieder, dass Er Menschen in sein göttliches Werk einband. Und das ist im Prinzip heute nicht anders – was uns zu Aktivität und zum Dienst ermuntern sollte.

Der Herr ordnete an, dass sie Lazarus gehen lassen sollten (Joh 11,44). Es hätte sehr schnell Wirbel um den Mann entstehen können, der ein Denkmal göttlichen Eingreifens geworden war. Als Petrus auf wunderbare Weise durch einen Engel aus einem Gefängnis befreit worden war, teilte er das den Heiligen mit, aber er verschwand direkt danach wieder aus ihrer Mitte – sicher aus demselben Grund (Apg 12,17).

Es fällt auf, dass nichts von der Freude erzählt wird, welche die Schwestern empfunden haben müssen, oder vom Erstaunen der Volksmenge. Der wunderbare Bericht endet mit einer Anweisung des Sohnes Gottes, um dessen Ehre und Verherrlichung sich alles dreht.

Die Reaktion der Menschen

Viele von den Juden, die zu Maria gekommen waren, glaubten an den Herrn Jesus, als sie sahen, was Er getan hatte (Joh 12,45). Doch nur Er allein weiß, bei welchen der Glaube zu einer Überzeugung des Herzens geworden war (vgl. Joh 2,23–25).

Da, wo Gott wirkt, gibt es auch Widerstand: So gingen einige, die dieses Wunder erlebt hatten, zu den Führern des Volkes, um sie davon zu unterrichten (Joh 11,46). Diese Leute beratschlagten sich und kamen zu der Überzeugung, dass sie Jesus umbringen mussten, um eine Auseinandersetzung mit den Römern zu verhindern (Jog 11,47–53). Der Mann, der einen Toten zum Leben gebracht hatte, sollte sterben, damit sie nicht getötet würden! Was für ein entsetzlicher Hass und was für eine schreckliche Sünde! Und zudem eine Torheit: Sollte der, der Tote auferwecken konnte, nicht auch selbst aus den Toten auferstehen können?

Nun bewegte sich der Herr nicht mehr öffentlich unter dem Volk, sondern zog sich in die Stadt Ephraim zurück (Jog 11,54). Unterdessen stachelten die Führer des Volkes die Juden an, Jesus zu verraten, damit sie Ihn greifen könnten (Joh 11,55–57).

Gottes Ziel

Dadurch, dass der Herr Jesus seinen Freund Lazarus nicht heilte, konnten wunderbare Dinge geschehen:

  • Der Herr Jesus wurde durch die Auferstehung verherrlicht (Joh 11,4).
  • Die Herrlichkeit Gottes wurde offenbar (Joh 11,4.40).
  • Der Name des Vaters wurde verherrlicht (Joh 12,28).
  • Der Glaube der Jünger wurde neu ausgerichtet (Joh 11,15).
  • Menschen kamen zum Glauben (Joh 11,45; 12,11).

Auch für die drei unmittelbar betroffenen Geschwister war diese Erfahrung nützlich. Wenn wir in Johannes 12 auf sie stoßen, merken wir, dass sie im Vergleich zum ersten Bericht über sie (Lk 10,38–42) Fortschritte gemacht hatten:

  • Martha wurde nicht abgezogen durch vieles Arbeiten, sondern sie diente gut (Lk 10,40; Joh 12,2).
  • Maria, die von Jesus belehrt wurde, gab Ihm nun etwas, indem sie seine Füße salbte und mit ihren Haaren trocknete (Lk 10,39; Joh 12,3).
  • Lazarus, der in Lukas 10 nicht einmal erwähnt wurde, lag jetzt mit zu Tisch (Joh 12,2).

Das, was der Herr Jesus damals tat, führte zur Verherrlichung Gottes und zum Segen der Menschen. Sollte es heute anders sein? Nein, und deshalb wollen wir Ihm auch dann vertrauen, wenn dunkle Schatten auf unseren Weg fallen und wir Enttäuschungen verarbeiten müssen. Gleichzeitig belebt uns stets der Gedanke, dass der Herr bald wiederkommen und uns zu sich in den Himmel nehmen wird, „von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen“ (Phil 3,20.21).

[Aus der Monatszeitschrift Im Glauben leben]


Fußnoten:

  1. Die Schwestern sprachen davon, dass Jesus Lazarus liebhabe (griech. phileo). Der Geist Gottes benutzt aber den stärkeren Ausdruck und redet davon, dass Jesus sie liebte (griech. agapao).
  2. Das Wort im Grundtext für „eingeschlafen“ meint nicht nur „schlafen“, sondern auch „entschlafen“. Doch das griechische Wort für „aufwecken“ ist das Wort, das man für das Aufwecken von Schlafenden und nicht für die Auferweckung von Toten gebrauchte.
  3. Die vier Evangelisten berichten nirgends davon, dass jemand in der Gegenwart des Fürsten des Lebens starb. Der gefährliche Schwertstreich von Petrus tötete Malchus nicht, und Jesus starb, bevor die beiden Verbrecher am Kreuz aus dem Leben schieden.
  4. Es gibt natürlich einen grundsätzlichen Unterschied: Die Auferweckung von Lazarus war lediglich eine Rückkehr in die alte Schöpfung. Lazarus starb später noch einmal. Die Auferstehung des Herrn und die kommende Auferstehung der Heiligen ist eine Auferstehung, die zur neuen Schöpfung gehört: die Gläubigen werden nie mehr sterben.