Egal wie oft unser Bruder, unsere Schwester sich gegen uns versündigt, wir sollen immer vergeben. Hier gibt es keine Limits. Damit es Vergebung geben kann, muss Buße geschehen und ein Bekenntnis ausgesprochen werden. Doch selbst wenn das ausbleibt, sollen wir immer dazu bereit sein, zu vergeben.

Um die Einstellung zu verdeutlichen, in der wir unserem Bruder, unserer Schwester begegnen sollten, erzählt der Herr Jesus das Gleichnis von dem unbarmherzigen Knecht (Mt 18,23–35). Der Hauptgedanke ist, dass wir im Bewusstsein empfangener Gnade, die uns unsere unbezahlbar große Schuld erlassen hat, leben und jetzt auch unserem Nächsten Gnade erweisen sollen – eben, weil wir selbst solche Gnade erfahren haben.

In dem Gleichnis geht es im Kern um die Vergebungsbereitschaft eines Knechtes, der selber gerade erfahren hat, dass sein König ihm 10.000 Talente erlassen hat. Als aber ein Mitknecht ihm begegnet, der ihm lediglich 100 Denare schuldet, ist er unerbittlich und lässt ihn ins Gefängis werfen. Als der König dieses Verhalten erfährt, wird er zornig und lässt den Knecht, dem er gerade eine unbezahlbare Schuld erlassen hat, ins Gefängnis werfen.

In seiner eigentlichen Bedeutung geht es in diesem Gleichnis um Israel. Doch in der Anwendung auf uns sehen wir in dem Knecht den natürlichen Menschen mit seiner Schuld, die er durch seine Sünden Gott gegenüber aufgehäuft hat. Diese Schuld, dargestellt durch die 10.000 Talente, ist unbezahlbar. Auch wenn viele Menschen nicht einsehen wollen, dass sie ihre Schuld vor Gott nicht abbezahlen können und der Gedanke der Werksgerechtigkeit immer mehr vertreten wird, macht Gottes Wort doch unmissverständlich deutlich, dass wir allein „durch die Gnade“ und „nicht aus Werken“ (Eph 2,8.9) errettet werden.

Wir können die Panik verstehen, die den Knecht gepackt haben muss, als ihm sein Schicksal bewusst wurde. Man kann nur hoffen und beten, dass jeder Leser diesen Moment in seinem Leben kennt, in dem ihm seine Sündenschuld vor Gott bewusst geworden ist. Nicht, dass es auf unser Empfinden ankommt, noch dass uns das ganze Ausmaß der Schuld bewusst geworden sein sollte, aber die Tatsache, dass wird schuldig sind und nichts hatten, um diese Schuld auszugleichen, muss jeder Menschen einmal erkannt haben.

Wie groß aber dann auch die Erleichterung, als ihm die ganze Schuld erlassen wurde! Der Herr Jesus sagt in seinem Gleichnis nur, dass der König „innerlich bewegt“ war. In der Tat hat unsere Sünde, obwohl sie sich gegen Gott richtet, Gott nicht „kalt gelassen“. Zudem wissen wir, dass auch eine gewaltige Segnung wie Vergebung einer gerechten Grundlage bedarf. Ohne das vollbrachte Werk des Herrn Jesus am Kreuz von Golgatha wäre keine Vergebung möglich gewesen (vgl. Heb 9,22). Und wenn wir nun wissen dürfen, dass Gott uns, die wir an den Herrn Jesus glauben, alle Sünden vergeben hat, dann hat Er eben selbst dazu die gerechte Grundlage gelegt und uns „um seines Namens willen“, d. h. um des Namens des Herrn Jesus wegen, die Sünden vergeben: „Ich schreibe euch, Kinder“, schreibt der Apostel Johannes, „weil euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen“ (1. Joh 2,12). Unvorstellbare Gnade!

Wenn wir nun solche sind, die so eine unfassbare Gnade erfahren haben, sind wir dann auch solche, die in demselben Geist anderen Gnade erweisen? Anderen, die sich uns gegenüber noch längst nicht so viel zuschulden kommen lassen, wie wir gegenüber Gott?

Mit dem Gleichnis über den „unbarmherzigen Knecht“ macht der Herr Jesus eindrücklich deutlich, welches Verhalten bei seinen Jüngern nicht zu finden sein sollte. Obwohl die Schuld von 100 Denaren im Vergleich zu der gerade erlassenen von 10.000 Talenten verschwindend klein ist, will der erste Knecht seinem Mitknecht nicht vergeben.

Zum Ende des Gleichnisses macht der Herr Jesus deutlich, welche ernsten Konsequenzen so eine Unwilligkeit hat. Wenn wir nicht bereit sind dem anderen zu vergeben, obwohl uns von Gott so eine große Schuld vergeben worden ist, kann es sein, dass wir ernten, was wir gesät haben (Gal 6,7): „So wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht jeder seinem Bruder von Herzen vergebt“ (Mt 18,35).

Es ist wichtig, zu unterscheiden, dass hier nicht die ewige Vergebung unserer Sünden gemeint ist. Diese besitzen wir jetzt schon und werden sie auch in der Zukunft nicht mehr oder weniger besitzen als jetzt. Wir müssen beachten, dass es sich bei dem Gleichnis um ein Gleichnis von dem „Reich der Himmel“ handelt (V. 23). Damit ist das Gleichnis nicht auf den Himmel, sondern auf die Erde anzuwenden, denn das Reich der Himmel ist nicht der Himmel, sondern ein Bereich hier auf der Erde. In Bezug auf die Erde kann es sein, dass Gott uns in demselben Geist begegnet, wie wir unseren Mitgeschwistern begegnet sind und uns ernten lässt, was wir gesät haben.

Möge es uns immer wieder neu bewusst sein, wie viel uns vergeben worden ist. Das sollte dann auch dazu führen, dass wir einander vergeben, wie auch Gott in Christus uns vergeben hat (Eph 4,32). Wenn wir darüber nachdenken, wie Gott uns vergeben hat, können wir zweierlei festhalten:

  1. Dem Grundsatz nach hat er uns vergeben, nachdem wir Buße getan und unsere Sünden bekannt haben.
  2. Was den Umfang der Vergebung angeht, so hat Gott uns völlig und rückhaltlos vergeben. Nie mehr wird er auch nur eine einzige Sünde noch einmal zur Sprache bringen (Jes 43,25). Er hat sie völlig hinweg getan, er sieht sie nicht mehr (Jes 38,17)! So sollten auch wir vergeben.

„... wie auch der Christus euch vergeben hat, so auch ihr.“ (Kol 3,13)