Einleitung

Jeder unterwiesene Gläubige ist sich bewusst, dass die Kirche – die Versammlung Gottes – aus allen Gläubigen besteht, die durch den Heiligen Geist auf der Erde mit Christus in der Herrlichkeit verbunden sind, und dass die Versammlung beim Kommen des Heiligen Geistes zu Pfingsten entstanden ist und beim Kommen des Herrn zur Entrückung vollendet sein wird.

Wir wissen auch, dass die Versammlung unter verschiedenen Gesichtspunkten gesehen wird und in unterschiedlichen Bildern im Neuen Testament vorgestellt wird. Sie wird als die eine Herde gesehen (Johannes 10,16), als das Haus Gottes (1. Timotheus 3,15), als der eine Leib (1. Korinther 12,12.13), und schließlich als die Braut des Lammes (2. Korinther 11,2; Offenbarung 21,9).

Es handelt sich in jedem Fall um die gleiche Gruppe von Leuten, aber aus unterschiedlichen Blickwinkeln gesehen, um unterschiedliche Wahrheiten vorzustellen:

  • Die eine Herde beschreibt die Versammlung als bestehend aus allen Gläubigen, die zusammengehalten werden durch die Anziehungskraft Christi, des einen Hirten, der sein Volk durch die Wüste dieser Welt leitet, der sie vor dem Feind bewahrt, der sie vor jeder Gefahr beschützt und der sie auf grüne Auen führt.
  • Das Haus Gottes beschreibt die Versammlung als Wohnort Gottes, des Heiligen Geistes, auf der Erde, wo die Wahrheit aufrechterhalten wird und wo Zeugnis von der Gnade Gottes abgelegt wird.
  • Der eine Leib, von dem Christus das Haupt ist, beschreibt die Versammlung als eine Gemeinschaft von Leuten, die durch das Haupt genährt wird und in der die ganze Fülle Christi dargestellt ist.
  • Die Versammlung als Braut des Lammes ist nur für Christus da und der Gegenstand seiner Liebe, Fürsorge und Freude.

Diesen letzten Aspekt der Versammlung wollen wir kurz betrachten. Es ist ein Aspekt der Versammlung, der in besonderer Weise die Liebe Christi vor uns ausbreitet und deshalb unsere Herzen sehr direkt anspricht.

Es gibt keine innigere Beziehung als zwischen Bräutigam und Braut. Daher ist dieses Bild vollkommen geeignet, die Liebe Christi zu seiner Versammlung vorzustellen. Kurz gesagt benutzt der Geist Gottes diese innigste aller Beziehungen, um uns vorzustellen, dass die Versammlung (1) der Gegenstand der Liebe, Fürsorge und Freude Christi ist, (2) dass Christus in der Versammlung etwas sieht, was seiner Liebe würdig ist, und (3) dass die Versammlung eine Gefährtin sein wird, die passend ist, die kommenden Herrlichkeiten seiner Herrschaft zu teilen. Alles, was der Bräutigam erbt, wird auch die Braut erben. Die Teilhaberin seiner Leiden am Tag seiner Verwerfung wird auch die Teilhaberin seines Thrones am Tag der Herrlichkeit sein. Wenn Christus über die weite Erde herrschen wird, wird sie mit ihm herrschen.

Kapitel 1

Christus und seine Braut (Epheser 5,22–32)

In diesem sehr praktischen Teil des Epheserbriefes belehrt uns der Apostel über das Verhalten, das sich für Gläubige in der Ehe geziemt. Dadurch zeigt er uns den intimen Charakter dieser Beziehung. Es gibt andere Beziehungen im Leben – Eltern und Kinder oder Brüder und Schwestern –, aber in keiner Beziehung ist die Verbindung so eng wie bei Mann und Frau. Der Apostel sagt: „Die zwei werden ein Fleisch sein“, und: „Die Männer sind schuldig, ihre Frauen zu lieben wie ihre eigenen Leiber.“ Sie werden als eins gesehen; deshalb erklärt der Apostel, dass ein Mann, der seine Frau hasst, sich selbst hasst – ein Ding der Unmöglichkeit. Andererseits liebt der, der seine Frau liebt, damit sich selbst.

Um diese Ermahnungen zu bekräftigen und um den wahren Charakter dieser zeitlichen Beziehung zu zeigen, wendet sich der Apostel der ewigen Beziehung Christi und seiner Versammlung zu. Dies führt zu einer wunderschönen Entfaltung der Liebe Christi zu seiner Versammlung, im Bild einer Braut, von der Eva im Garten Eden ein auffälliges Vorbild ist. Der Apostel stellt uns die Liebe des Christus vor, die die Braut für sich selbst erwirbt; dann die Liebe, die die Braut, nachdem sie sie erworben hat, so formt, dass sie zu ihm passt; und schließlich die Liebe, die die Braut, nachdem sie sie zubereitet hat, sich selbst darstellen wird.

Erstens lesen wir, dass „Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat“ (Epheser 5,25). Die Quelle aller Segnungen für die Versammlung ist die unverdiente Liebe Christi. Bevor die Versammlung überhaupt existierte, liebte er sie mit vollkommener, göttlicher und unendlicher Liebe. Er starb nicht erst für sie und reinigte sie, um sie danach zu lieben, sondern er liebte sie zuerst und starb für sie, um sie danach zu reinigen. Und weil er die Versammlung liebte, gab er sich selbst für sie hin. Er tat nicht nur etwas für sie, er gab auch nicht nur etwas für sie auf. Seine Liebe ging viel weiter, als nur etwas für die Versammlung zu tun oder etwas für sie aufzugeben. Seine Liebe ging bis zum Äußersten: Er gab sich selbst hin; alles, was er ist in seinen unendlichen Vollkommenheiten – nichts hielt er zurück. Er gab sich selbst; mehr konnte er nicht geben. Und durch seine Hingabe für die Versammlung erwirbt er sie für sich selbst und hat einen vollkommenen Besitzanspruch auf sie. Dass die Versammlung überhaupt existiert, ist ein Ergebnis des Werkes Christi. Christus hat sie für sich selbst erkauft. Daher besteht die Beziehung zwischen Christus und seiner Versammlung bereits, obwohl die Hochzeit noch nicht stattgefunden hat. Die Versammlung ist nicht eine Gruppe von Leuten, die durch Gebote, die zu befolgen sind, einem Test unterzogen wird, um dadurch diese Beziehung zu erlangen. Nur durch sein Werk hat Christus uns in Beziehung mit sich selbst gebracht; es ist die Frucht seiner Liebe. Die Verantwortlichkeiten und Vorrechte der Versammlung entspringen der Beziehung, die bereits geknüpft ist. Wir gehören Christus, und es ist sowohl unser Vorrecht als auch unsere Pflicht, ganz ihm geweiht und für ihn da zu sein. Christus, das bedarf keiner besonderen Erwähnung, war immer treu in seiner unveränderlichen Liebe, auch wenn die Braut leider oft in ihrer Hingabe an den Bräutigam versagt hat.

Zweitens fährt der Apostel fort, von der Tätigkeit der Liebe Christi in der Gegenwart zu sprechen, nachdem er die Liebe Christi und seine Hingabe für die Versammlung in der Vergangenheit so ergreifend vorgestellt hat. Er sagt uns, dass Christus sich seine Braut erworben hat, „damit er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort“ (Epheser 5,26). Die Liebe, die sich die Braut durch den Tod erworben hat, ist jetzt damit beschäftigt, sie für das höchste Glück vorzubereiten: bei ihm in der Herrlichkeit zu sein. Der Bräutigam wird aus ihr einen würdigen Gegenstand seiner Liebe machen, fähig, seine Liebe zu beantworten. Bis dieses Ziel erreicht ist, beschäftigt sich die Liebe mit der Heiligung und Reinigung der Braut. Sie wird nicht gereinigt, um ihm zu gehören, sondern weil sie ihm gehört, und er möchte, dass sie zu ihm passt. Er möchte, dass wir in hingebungsvoller Zuneigung nur für ihn abgesondert sind und von allem, was nicht mit ihm in Übereinstimmung ist, gereinigt sind.

Das Mittel, womit dieses erreicht wird, ist die „Waschung mit Wasser durch das Wort“. Der Herr drückt das in seinem Gebet zu dem Vater so aus: „Heilige sie durch die Wahrheit: Dein Wort ist Wahrheit … und ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie Geheiligte seien durch Wahrheit“ (Johannes 17,17.19). Der Herr sondert sich selbst im Himmel ab, damit wir, wie Stephanus, durch die geöffneten Himmel aufblicken können und in Christus in Herrlichkeit einen heiligenden Gegenstand finden. Wenn wir ihn in der Herrlichkeit betrachten, sehen wir, wie er uns haben möchte, und die Herrlichkeit des Herrn anschauend werden wir in dasselbe Bild verwandelt werden von Herrlichkeit zu Herrlichkeit und so die verwandelnde Kraft eines vollkommenen Gegenstandes erleben. Das „Wort“ richtet unsere Blicke zu Christus, offenbart uns aber auch die wahren Vollkommenheiten dessen, auf den wir blicken, damit wir nicht irgendwelchen gefühlsmäßigen Vorstellungen unserer eigenen Herzen überlassen sind. Andererseits wird das Wort in uns und um uns herum alles aufdecken und verurteilen, was nicht in Übereinstimmung mit Christus und mit dem Ort ist, an dem er jetzt ist.

Welchen Wert bekommt das „Wort” dadurch! Denn es ist das „Wort“, das er zur Reinigung seiner Versammlung benutzt. Welche Zuversicht sollte uns das in der Anwendung des Wortes auf unsere eigenen Seelen und im Austeilen des Wortes an andere geben –  die Zuversicht, dass wir das Wort gebrauchen, das auch er in Gnade gebraucht.

Im Licht dieser Schriftstelle, die uns erkennen lässt, womit Christus von seinem himmlischen Platz aus beschäftigt ist, sollten wir unsere Herzen überprüfen, womit wir hier unten beschäftigt sind. Die Entfaltung der Liebe Christi zu seiner Braut erfolgt sicher im praktischen Teil des Briefes mit der Absicht, eine praktische Auswirkung auf unser Leben zu haben. Uns allen stellt sich die Frage: Haben wir vor unseren Herzen, was Christus vor seinem Herzen hat? Haben wir ein Verlangen danach, passend für ihn zu sein und fähig zu sein, seine Liebe schon jetzt zu genießen und zu beantworten, so dass wir Christus in der Zeit seiner Abwesenheit treu sind als eine auf ihren abwesenden Bräutigam wartende Braut?

Drittens geschieht die gegenwärtige Tätigkeit der Liebe Christi für seine Braut im Hinblick auf das, was jetzt noch zukünftig ist – „die Hochzeit des Lammes“, bei der er die Versammlung sich selbst als eine verherrlichte Versammlung darstellen wird, „die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei“ (Epheser 5,27). Die Versammlung wird nicht nur in der Herrlichkeit sein, sondern auch „verherrlicht“. Sie wird Christus gleich sein, passend für seine herrliche Gegenwart. So hat er sich selbst für seine Braut hingegeben, bereitet sie für sich selbst zu und wird sie sich selbst darstellen. Seine Liebe ist die Quelle von allem, und was die Liebe am Kreuz begonnen hat, wird die Liebe in der Herrlichkeit vollenden.

Es gibt allerdings in diesem Abschnitt noch eine weitere wichtige Wahrheit Christus und seine Versammlung betreffend. Der Apostel fährt fort zu sagen, dass Christus die Versammlung nährt und pflegt, indem er mit uns als mit „Gliedern seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen“ handelt (Epheser 5,30). Das stellt uns eine andere kostbare Wahrheit vor, die sich von dem, was wir bisher betrachtet haben, unterscheidet. Wir haben gesehen, dass Christus seine Braut für den Himmel zubereitet; jetzt lernen wir, dass er auch für seine Braut auf der Erde sorgt. Heiligung und Reinigung geschehen im Hinblick auf die Darstellung in Herrlichkeit; das Nähren und Pflegen bezieht sich auf unseren Weg auf der Erde. Seine Liebe hat nicht nur die Herrlichkeit im Blick, sondern wacht auch über uns, wenn wir auf dem Weg zur Herrlichkeit durch diese dunkle Welt gehen, wo er abwesend ist. Er kennt die Umstände, in denen wir sind; die Prüfungen, denen wir begegnen müssen; unsere Schwachheiten und Gebrechlichkeiten, und in all diesem sorgt er für uns und begegnet unseren Bedürfnissen; das ist sein Nähren. Aber er pflegt uns auch, das heißt, er begegnet nicht nur unseren Bedürfnissen, sondern er begegnet uns als solchen, die er schätzt und die wertvoll für ihn sind. (Das Wort „pflegen“ bezeichnet im Griechischen einen Ausdruck der Wertschätzung und Zuneigung, Anm. d. Üb.).

Um uns ein Empfinden dafür zu geben, wie kostbar wir für ihn sind – welchen Wert er der Versammlung beimisst –, spricht er von uns als von Gliedern seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen. Das meint, dass es, wenn er uns sieht, so ist, als ob er sich selbst sähe, denn das Fleisch des Menschen ist der Mensch selbst. Wenn er also für die Versammlung sorgt, sorgt er für sich selbst. Deshalb sagt er auch zu Saulus: „Was verfolgst du mich?“ (Apostelgeschichte 9,4). Eigentlich verfolgte Saulus die Versammlung, aber indem er das tat, verfolgte er Christus.

Wie kostbar ist es, wie ein anderer gesagt hat, dass „die Nöte, die Schwachheiten, die Schwierigkeiten, die Ängste der Versammlung für Christus nur Gelegenheiten sind, seine Liebe zu üben. Die Versammlung bedarf der Nahrung, genau wie unser Körper; und er nährt sie. Sie ist der Gegenstand seiner zarten Zuneigung; er pflegt sie. Auch wenn der Himmel auf sie wartet, ist sie hier doch nicht alleingelassen. Sie lernt seine Liebe da kennen, wo ihr Herz sie nötig hat. Sie wird sie völlig genießen, wenn jede Not für immer vorüber ist.“

[Übersetzt von Marco Leßmann]