Frage: Hat der Verräter Judas Iskariot am Abendmahl teilgenommen?

Antwort: Diejenigen, die behaupten, dass Judas Iskariot am Abendmahl teilgenommen habe, stützen sich meistens auf die Erzählung in Lukas 22,19–23. Nun ist aber klar, dass Matthäus und Markus die Erzählungen der Zeitfolge nach (chronologisch) aneinanderreihen, während wir in Lukas fast durchweg eine rein sachliche Anordnung der Tatsachen und Gespräche finden, d.h. nach moralischen Gründen geordnet. Der Ausdruck in Lukas 1,3, wo Lukas berichtet, dass er „der Reihe nach“ schreiben würde, bezieht sich nicht auf die Reihenfolge in der Zeit („Zeitfolge“), sondern auf die Reihenfolge nach ihrem inneren Zusammenhang. Würde man dies nicht berücksichtigen, dann müsste man zum Beispiel nach Lukas 24 annehmen, der Herr sei noch am Tag seiner Auferstehung in den Himmel gefahren, während dieses Ereignis in Wirklichkeit doch erst vierzig Tage später stattfand (vergleiche auch die Reihenfolge der Versuchungen des Herrn in der Wüste in Matthäus 4 und Lukas 4). In Lukas 22 kommt es dem Heiligen Geist besonders darauf an, die Gesinnung des Herrn Jesus der Gesinnung seiner Jünger gegenüberzustellen. Er tut dies anhand einiger Gespräche, die an jenem denkwürdigen Abend stattgefunden haben, und zwar ohne Rücksicht auf die Zeitfolge. Daher wird auch der Rangstreit der Jünger nach dem Mahl, d.h. kurz vor dem Gang nach Gethsemane, berichtet. Nach den anderen Evangelien geschah dies alles jedoch viel früher auf dem Weg nach Jerusalem und keineswegs bei oder nach dem Mahl (vgl. Mt 20,20–28 und Mk 10,35–45).

So eng die Verbindung zwischen Lukas 22,20 und 21 zu sein scheint, so ist doch nach den angegebenen Umständen nicht anzunehmen, dass die Worte „Doch siehe, die Hand dessen, der mich überliefert, ist mit mir auf dem Tisch“ nach dem Mahl gesprochen wurden. Nach Matthäus und Markus wurde Judas schon vorher durch den Herrn entlarvt und als Verräter bezeichnet (Mt 26,25)! Die Behauptung, dass der Herr Jesus sowohl vor als auch nach dem Abendmahl von dem Verrat des Judas gesprochen habe, ist unstatthaft. Denn die Übereinstimmung der in Lukas 22,23–23 gesprochenen Worte ist mit denen in den beiden anderen Evangelien berichteten Worte zu groß (vgl. Mt 26,22.24; Mk 14,19.21). Da Judas schon als Verräter bezeichnet worden war, konnte nach dem Abendmahl unter den Jüngern kein Zweifel mehr über diese Person bestehen. Auch gibt Lukas durch die Worte „nach dem Mahl“ (Lk 22,20) zu verstehen, dass das in diesem Vers Berichtete der Schlussakt der ganzen Mahlzeit war. Wenn es nachher in Lukas 22,21 heißt: „Die Hand dessen, der mich überliefert, ist mit mir auf dem Tisch“, so liegt darin schon eine Andeutung, dass dies während des Passahmahles, aber vor dem eigentlichen Abendmahl gesprochen wurde.

Nach unserer heutigen Schreibweise würde Lukas es vielleicht so berichten: „Und gleichwohl geschah es gerade während der Passah-Mahlzeit, bei welcher Jesus Seinen Jüngern die höchsten Beweise Seiner Liebe gab, dass Er betrübten Herzens sagen musste: ‚Siehe, die Hand dessen, der mich überliefert, ist mit mir auf dem Tisch.‘“ Diese Art von Übergängen verwendet die Heilige Schrift aber nie. Es wird dem gläubigen Leser überlassen, den Zusammenhang selber herauszufinden. Denn Gott hat ihm Seinen Heiligen Geist gegeben, damit er die Gedanken Gottes beurteilen kann.

Ferner ist beachtenswert, dass Johannes, nachdem der Herr in Johannes 13,26 den Verräter bezeichnet hat, gleich hinzufügt: „Als er [Judas] nun den Bissen [vom Passahlamm in eine Essigschale mit Kräutern getaucht] genommen hatte, ging er sogleich hinaus. Es war aber Nacht“ (Joh 13,30). Schon aus dieser Angabe muss man annehmen, dass Judas vor dem Abendmahl das Haus verlassen hatte (vgl. dazu Mt 26,20–25; Mk 14,17–21).

Das Abendmahl war und ist nur für die Gläubigen. Wenn der Herr es schon unter dem Gesetz streng untersagt hatte, dass ein Unbeschnittener am Passahmahl teilnahm, wie hätte Er jetzt bei dem heiligen Abendmahl, das eine große, ewige Rettung feiert, Judas Iskariot teilnehmen lassen? Wir wissen doch, dass der Herr den Seinen befiehlt,  bei ihrer Gemeinschaft untereinander, die im Abendmahl ihren höchsten Ausdruck findet, den Bösen hinauszutun (1. Kor 5,9–13). Leider liegt manchen Christen viel daran, annehmen zu können, dass Judas Isakriot am Abendmahl teilgenommen habe. Sie wollen damit ihr Gewissen beruhigen, wenn sie mit Menschen, von denen sie sicher überzeugt sein können, dass sie keine Kinder Gottes sind, das Abendmahl feiern. Aber diese Praxis widerspricht dem Bibelwort: „Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle nehmen teil an dem einen Brot“ (1. Kor 10,17). Sind Kinder Gottes und Unbekehrte wirklich vor Gott ein Leib, wie sie das durch das gemeinsame Abendmahl vor Gott, Engeln und Menschen, die dabei zusehen, bezeugen? Sicher nicht (2. Kor 6,11–8)!