In Kapitel 2 hatten wir die äußere Entwicklung dieser vier Weltreiche gesehen. In den Kapiteln 3 bis 6 finden wir jetzt historische Ereignisse, und zwar in Dan 3 – 5 in Bezug auf das erste Weltreich der Babylonier, und in Dan 6 ein historisches Ereignis in Bezug auf das zweite Weltreich der Meder und Perser. Aber es sind nicht nur historische Ereignisse, sondern sie tragen auch einen prophetischen Charakter. In dem Standbild, das sich Nebukadnezar in diesem Kapitel aufstellt, haben wir einen Hinweis auf den Gräuel der Verwüstung, der später im Tempel aufgerichtet werden wird (Mt 24,15), Götzendienst in seiner schlimmsten Form. Und in den drei Freunden im Feuerofen haben wir einen Hinweis auf die Leiden des Überrestes in der großen Drangsalszeit.

Diese vier Kapitel können wie folgt charakterisiert werden:

  • Kap 3: der Versuch, durch weltliche Religiösität Einheit zu erreichen

  • Kap 4: das Haupt wird zum Tier, jedes Gottes-Bewusstsein geht verloren

  • Kap 5: die Gottlosigkeit und Vermessenheit Belsazars, in der er zur Verunehrung Gottes auftritt

  • Kap 6: der Mensch macht sich selbst zum Gott in dem König Darius von den Medern

Und doch hat auf alle diese furchtbaren Fehlentwicklungen Gott eine Antwort, und alle vier Kapitel enden damit, dass Gott die Oberhand behält. Wenn wir bedenken, dass wir heute in diesen Zeiten der Nationen leben, dann müssen wir doch feststellen, dass auch die Regierungen heute letztlich diese Kennzeichen tragen. Wir dürfen uns keinen falschen Eindrücken von unseren sogenannten christlichen Regierungen hingeben; der moralische Charakter für die gesamte Zeitperiode der Zeiten der Nationen ist immer derselbe.

Der König Nebukadnezar machte ein Bild aus Gold: seine Höhe sechzig Ellen, seine Breite sechs Ellen; er richtete es auf in der Ebene Dura, in der Landschaft Babel“. (Vers 1)

Nebukadnezar hatte gerade unmittelbar zuvor eine Offenbarung des Gottes des Himmels gehört, aber seine Reaktion darauf war nur eine kurzfristige religiöse Aufwallung gewesen, eine Form der Gottseligkeit, ein frommes Bekenntnis, in seinem Herzen war er noch weit entfernt von Gott (Mt 15,8). Seine Lippen sprechen scheinbar wohllautende Worte aus, aber sein Herz vermochte nicht zu glauben. Was tatsächlich sein Herz bewegt, finden wir in diesem Kapitel. Diese Selbstverherrlichung in öffentlich zelebriertem Götzendienst ist das zersetzende Element weltlicher Herrschaften und ist die Wurzel ihres nahenden Endes. In diesem und den folgenden Kapiteln können wir sehen, woran diese Weltreiche gelitten haben und woran sie letztlich zugrunde gegangen sind.

Nebukadnezar ist ein erschütterndes Beispiel dafür, dass es ein vergebliches Glauben gibt (1. Kor 15,2). Wenn man nur glaubt aufgrund äußerer Wirkungen und Machterweisungen, wenn nur das der Inhalt des Glaubens ist und nicht zugleich das Gewissen berührt wird und ein Werk Gottes an der Seele geschehen kann, dann ist das, was man vorgibt zu glauben, vergeblich. Joh 2,23–25 zeigt uns auch so ein Beispiel für Glauben, ein Für-Wahr-Halten aufgrund von Beweisen, wo es keine Bewegung im Herzen gab, wo kein Werk Gottes in der Seele geschehen war. Nebukadnezar hatte auch geglaubt, dass der Gott Daniels der wahre Gott ist und dass dieser Gott die Quelle der Offenbarung war, die Daniel erhalten hatte. Aber das war zu wenig. Dan 4,5 zeigt deutlich, dass er immer an seinem Gott festgehalten hatte. Wenn man nur die äußeren Beweise zur Kenntnis nimmt und für wahr hält, und dann seinen Weg weitergeht, dann ist das der Weg zum Verderben. Das gleiche finden wir auch bei Simon dem Zauberer (Apg 8,13–21).

Babel ist von 1. Mo 10 bis Off 18 immer das Bild von religiöser Macht, gekennzeichnet durch Menschenverherrlichung bis hin zur Vergöttlichung von Menschen und Gewaltausübung. Das zeigt sich schon bei Nimrod, dem ersten König von Babel, der ein gewaltiger Jäger war (1. Mo 10,8+9). Die Jagd ist Gewaltausübung, die nicht notwendig ist, Lust am Töten. Und das zweite Kennzeichen finden wir dann in 1. Mo 11,4, wo sich die Menschen von Babel durch den Turmbau einen Namen machen und bis an den Himmel gelangen wollten. Und diese beiden Kennzeichen finden wir dann auch noch bei dem Babel der Endzeit, obwohl es dann nur noch ein religiöses Machtsystem sein wird Menschenverherrlichung und Gewaltausübung.

Es scheint fast, als wäre Nebukadnezar durch die Deutung des Traums, wo ihm gesagt wurde, dass er selbst das Haupt von Gold sei, zur Errichtung dieses goldenen Bildes inspiriert worden. Er machte von sich dieses Bild, vor dem sich dann jeder niederbeugen musste. Ähnlich machte es später auch Rom bei den Christenverfolgungen, wo den Gläubigen versprochen wurde, wenn sie sich vor dem Kaiser niederwerfen würden, dass sie am Leben bleiben würden. Die Maße dieses Bildes sind gewaltig, es war zehmal so hoch wie breit, 30 Meter hoch und 3 Meter breit. Es erinnert tatsächlich auch an den Gräuel der Verwüstung in Off 13,15–17, wo der Antichrist dieses Bild aufrichten wird, und wer nicht davor niederfällt, zugrunde gehen wird. Nebukadnezar hatte seine übrigen Götter nicht abgeschafft, das wird aus Dan 3,14 deutlich; aber mit diesem Super-Götzenbild wollte er alle verschiedenen Religions-Strömungen und Götter-Kulten seines riesigen Reiches auf eine einfache Weise zusammenbringen. Er führt hier eine Einheitsreligion auf einfachstem Niveau ein, um die politische Einheit und vielleicht auch den Fortbestand seines Reiches zu sichern. Dieses Götzenbild kommt dem natürlichen Menschen entgegen, denn jeder Mensch trägt eine gewisse Religiösität in sich, und wenn es dann noch so eindrucksvoll präsentiert wird, wie hier dieses 30 Meter hohe Bild aus Gold, dann führt das die Menschen zusammen.

Und der König Nebukadnezar sandte aus, um die Satrapen, die Befehlshaber und die Statthalter, die Oberrichter, die Schatzmeister, die Gesetzeskundigen, die Rechtsgelehrten und alle Oberbeamten der Landschaften zu versammeln, damit sie zur Einweihung des Bildes kämen, das der König Nebukadnezar aufgerichtet hatte. Da versammelten sich die Satrapen, die Befehlshaber und die Statthalter, die Oberrichter, die Schatzmeister, die Gesetzeskundigen, die Rechtsgelehrten und alle Oberbeamten der Landschaften zur Einweihung des Bildes, das der König Nebukadnezar aufgerichtet hatte; und sie standen vor dem Bild, das Nebukadnezar aufgerichtet hatte. Und der Herold rief mit Macht: Euch wird befohlen, ihr Völker, Völkerschaften und Sprachen: Sobald ihr den Klang des Horns, der Pfeife, der Zither, der Sambuke, der Laute, der Sackpfeife und aller Art von Musik hören werdet, sollt ihr niederfallen und das goldene Bild anbeten, das der König Nebukadnezar aufgerichtet hat. Und wer nicht niederfällt und anbetet, der soll sofort in den brennenden Feuerofen geworfen werden. Darum, sobald alle Völker den Klang des Horns, der Pfeife, der Zither, der Sambuke, der Laute und aller Art von Musik hörten, fielen alle Völker, Völkerschaften und Sprachen nieder und beteten das goldene Bild an, das der König Nebukadnezar aufgerichtet hatte.“ (Vers 2–7)

Wenn Gott in den Zeiten der Nationen den Menschen Macht verleiht, entsteht immer die Frage, ob sich der Mensch dieser verliehenen Macht würdig erweisen wird. Auch dieses Kapitel zeigt wie damals schon bei Mose, dass Macht in der Hand von Menschen zur Schlange wird (2. Mo 7,10), der Mensch hat sich nie dieser Macht würdig erwiesen.

Zur Einweihung des Bildes wurden Legislative, Exekutive und Judikative, alle Beamten, Gewalten und Repräsentanten der Führungsschicht des Landes zusammengerufen, um dieses Bild anzubeten. Sie sollten praktisch dem einfachen Volk damit zeigen, dass dies nun die Religion sei, der man zu folgen habe. Und alle folgen diesem Ruf, vielleicht nicht alle freiwillig, aber sie folgten, weil sie wussten, dass ihnen der Tod drohte, wenn sie nicht hingehen würden. Wenn unter der Anstiftung Satans eine Massenbewegung ihren Anfang nimmt, müssen alle ihr folgen. Gehören wir heute zu der Masse, die auch bestimmten Götzen hinterher läuft?

Unsere Vorväter haben auch solche Machtausübung auf religiösem Gebiet erlebt, als die Verbotszeit kam. Adolf Hitler hat sich verehren lassen mit dem Ruf „Heil Hitler“ als vermeintlicher Retter seines Volkes, und dann hat er auch bestimmte Auflagen den Gläubigen gegeben, wenn sie sich versammeln wollten. Und es haben erschreckend viele Gläubige diesen Statuten zugestimmt, nur um sich versammeln zu können. Aber wir wollen auch nicht vergessen, wie in dieser Zeit treue Gläubige die Kraft hatten, diesem zu widerstehen und Verfolgungen und Gefängnis auf sich zu nehmen – der Herr hat sich in dieser Zeit darin verherrlicht, dass Er ein schwaches Zeugnis von seiner Versammlung erhalten hat. Und welchen Segen haben wir dadurch empfangen! Unsere Voreltern haben gelitten, und den Segen von ihrer Treue dürfen wir heute noch erleben.

Was die verschiedenen Musikinstrumente betrifft, so werden sie hier in erster Linie als Signal benutzt, um anzuzeigen, wann man vor dem Bild niederfallen musste. Musik hat aber auch einen betörenden Einfluss auf die Empfindungen des Menschen. Und so können wir hier auch sehen, dass Nebukadnezar eigentlich zwei Mittel benutzt, um die Gefühle des natürlichen Menschen und sein Fleisch anzusprechen:

  • das Auge wird durch dieses beeindruckende und gewaltige Standbild aus Gold gefesselt; dieses Standbild ist ein visuelles Eingangstor – der wahre Gottesdienst setzt dagegen das Wort Gottes

  • das Ohr wird durch die Musik angesprochen; bei der Musik mag sich die verschiedenen Epochen hindurch der Stil ändern, aber es ist immer dasselbe Ziel der Beeinflussung – im wahren Gottesdienst hat Gott Lieder gegeben, die wieder Sein Wort beinhalten und ausdrücken. Die dreimal in diesen Versen wiederholten vielen unterschiedlichen Musikinstrumente weisen darauf hin, dass für jeden Geschmack etwas dabei war. Auch in unseren Tagen drohen uns durch das Eingangstor der Musik manche Gefahren. Den Ursprung der Musik finden wir in 1. Mo 4,21, wo Jubal getrennt von Gott fröhlich sein wollte.

Frage: Hat Nebukadnezar in diesem Abschnitt auch eine prophetische Bedeutung? Steht er vielleicht für den Antichristen oder für den Fürsten des kommenden römischen Reiches?

Bei der Betrachtung eines Abschnittes gibt es immer verschiedene Aspekte. In erster Linie wollen wir immer erst die konkrete Auslegung des jeweiligen Abschnittes in ihrem Schrift-Zusammenhang verstehen und festhalten. Anwendungen sind immer Ausweitungen der Belehrung auf ganz andere Bereiche. Wir erliegen sehr leicht der Gefahr, bei Anwendungen zu weit zu gehen. Natürlich kann man Anwendungen machen, aber wir sollten uns dann immer fragen, ob wir schon die eigentliche Auslegung richtig verstanden haben. Und dann haben wir häufig noch den Aspekt der Prophetie eines Abschnittes, auf welche zukünftigen Ereignisse weist ein Abschnitt neben seiner buchstäblichen geschichtlichen Auslegung noch hin, denn natürlich kann Geschichte auch prophetische Belehrungen enthalten.

In Kapitel 2 haben wir die göttlich inspirierte Darstellung der vier Weltreiche, die damals mit Nebukadnezar begannen und die bei der Erscheinung des Herrn zur Aufrichtung Seines Reiches ihr Ende finden werden. Diese vier Reiche werden der Reihe nach so ablaufen und aufeinander folgen. In den Kapiteln 3 bis 6 haben wir dann Schilderungen des praktischen Verhaltens der Könige Nebukadnezar, Belsazar und Darius, die spezielle Charakterzüge dieser Reiche deutlich machen. Wenn also Nebukadnezar hier in Kapitel 3 dieses Bild aufrichten lässt, dann bezieht sich das zunächst einmal auf ihn selbst und nicht auf das vierte, noch zukünftige Reich. Es muss klar sein, dass hier nicht der Charakter speziell der Endzeit des römischen Reiches beschrieben wird, sondern der des babylonischen Reiches. Wenn dann in künftigen Tagen das römische Reich aufgerichtet wird, wird es allerdings die Charakterzüge aller vorhergehenden Reiche tragen. Auch der Charakter des babylonischen Reiches wird im römischen Reich wieder auftreten.