„Zur bestimmten Zeit wird er wiederkehren und gegen den Süden ziehen, aber es wird zuletzt nicht sein wie im Anfang. Denn Schiffe aus Kittim werden gegen ihn kommen; und er wird verzagen und umkehren, und er wird gegen den heiligen Bund ergrimmen und handeln: Er wird umkehren und sein Augenmerk auf diejenigen richten, die den heiligen Bund verlassen. Und Streitkräfte von ihm werden dastehen; und sie werden das Heiligtum, die Festung, entweihen und werden das beständige Opfer abschaffen und den verwüstenden Gräuel aufstellen. Und diejenigen, die gottlos handeln gegen den Bund, wird er durch Schmeicheleien zum Abfall verleiten; aber das Volk, das seinen Gott kennt, wird sich stark erweisen und handeln. Und die Verständigen des Volkes werden die Vielen unterweisen, aber sie werden fallen durch Schwert und Flamme, durch Gefangenschaft und Raub, eine Zeit lang. Und wenn sie fallen, wird ihnen mit einer kleinen Hilfe geholfen werden; und viele werden sich ihnen mit Heuchelei anschließen. Und von den Verständigen werden einige fallen, damit sie geläutert und gereinigt und weiß gemacht werden bis zur Zeit des Endes; denn es verzögert sich noch bis zur bestimmten Zeit.“ (Vers 29–35)

Antiochus Epiphanes wird erneut gegen den König des Südens heraufziehen, aber jetzt wird etwas passieren, was vorher so nicht geschehen war. Schiffe aus Kittim werden gegen ihn kommen; darin sehen wir den römischen Widerstand gegen den König des Nordens. Genau dieser Umstand wird schon ganz früh in der Geschichte des Volkes Israels in der Weissagung Bileams vorhergesagt (4. Mo 24,24), eine Vorhersage, die in vollkommener Übereinstimmung mit anderen Stellen im Wort Gottes ist. Dieser römische Widerstand ist so stark, dass Antiochus Epiphanes verzagt und umkehrt und sich in Israel gegen den heiligen Bund wendet.

Wir wollen deutlich betonen, dass wir hier noch nicht die Endzeit vor uns haben, aber dieses Geschehen hat sehr starke Parallelen zu dem, was in der Endzeit geschehen wird. Auch da wird der Assyrer, der König des Nordens, sich gegen Ägypten wenden, er wird Gerüchte hören und umkehren und sein Zorn gegen die Juden richten (Dan 11,40–45).

Ab Vers 30 in der Mitte bis zum Ende von Vers 35 hat dieser Feind Gottes eine andere Zielrichtung. Er konnte gegen die Römer nicht gewinnen und musste umkehren, und von da an richtet er sein Augenmerk und seine Angriffswut nur noch gegen die Juden, um ihren Glauben zu zerstören und sie den Heiden gleich zu machen. Zu dieser Zeit wird es in Israel solche geben, die selbst den heiligen Bund verlassen haben, und Antiochus Epiphanes wird sich mit diesen untreuen Juden vereinigen und seinen Hass gegen das Heiligtum richten. Er findet also in ihrer Untreue einen Anknüpfungspunkt für seine Absichten. Sie entweihen den Altar in Jerusalem mit der Opferung unreiner Tiere. Die Botschaft deckt sich hier wieder so exakt mit dem aus Daniels Sicht späteren Geschehen, dass wir einfach nur staunen können über die Genauigkeit des Wortes Gottes. Nicht Antiochus Epiphanes selbst hatte diese abartigen Gräueltaten begangen, sondern seine Leute, die Streitkräfte von ihm.

Das beständige Opfer ist das Morgen- und Abend-Brandopfer, das nach 2. Mo 29,38 ff. täglich geopfert werden sollte. Es war die Voraussetzung dafür, dass Gott in der Mitte Seines Volkes wohnen konnte. Es weist hin auf den beständigen Wert der Person und des Werkes des Herrn Jesus vor Gott; nur dadurch kann Gott mit Wohlgefallen auf Sein Volk sehen und in ihrer Mitte wohnen. Daran hatte der treue Überrest noch festgehalten. Ohne das beständige Brandopfer hatte Israel also nichts mehr, war die Voraussetzung zerstört, dass Gott in ihrer Mitte wohnen konnte. Die Grundlage der Beziehung Gottes zu Seinem Volk war nicht mehr vorhanden.

Dieses Abschaffen des beständigen Opfers und das Aufstellen des verwüstenden Gräuels hier darf nicht verwechselt werden mit dem Geschehen in Dan 12,11. Hier ist es das historische Geschehen in der Zeit der Makkabäer, wo der König des Nordens Schweine in dem Tempel geopfert hat. Der König des Nordens zeigt hier seinen wahren Charakter. Der verwüstende Gräuel in Kap 12 ist das Bildnis, das in der Zukunft im Tempel in Jerusalem durch den Antichrist für das Haupt des römischen Reiches aufgerichtet wird (Off 13,14+15; Mt 24,15), um sich göttliche Verehrung darbringen zu lassen. Wenn der Herr Jesus davon spricht, macht Er selbst deutlich, dass das nicht etwas schon geschehen war sondern noch zukünftig ist.

Dreimal also finden wir den Gräuel der Verwüstung, aber nie in genau den gleichen Worten. In Dan 9,27 bezieht es sich auf die Endzeit, wo der Gräuel im Tempel beschirmt wird von dem Antichristen und dem Haupt des römischen Reiches, und deshalb der Assyrer als der Verwüster kommen wird. Hier in Dan 11,31 bezieht es sich auf die Vergangenheit in der Zeit des Antiochus IV Epiphanes. In Dan 12,11 ist es wieder bezogen auf die Endzeit.

Die untreuen Juden der damaligen Zeit wurden durch Antiochus Epipahnes durch Schmeichelei zum Abfall verleitet. Dagegen hat es in dieser schlimmen Zeit aber auch treue Juden gegeben, die ihren Gott kennen und sich stark erweisen und handeln. Diese Verständigen des Volkes haben die Masse des Volkes unterweisen, und sie mussten den Märtyrer-Tod sterben. Gott hat sich auch in den dunkelsten Zeiten in seinem irdischen und auch in Seinem himmlischen Volk einen Überrest erhalten, das muss uns glücklich machen. In den Versen 32 und 33 haben wir also drei Personengruppen aus Israel beschrieben:

  • das Volk, das seinen Gott kennt; ein jüdischer Überrest, der seinen Gott kennt, der die persönliche Beziehung zu seinem Gott wahrnimmt und pflegt; es war nur eine einzige Familie mit ihren Angehörigen; dieser kleine Überrest wird von Gott als das Volk bezeichnet! Es wird auch nicht so bezeichnet, dass es das Volk ist, das von Gott gekannt ist, obwohl auch das richtig ist, sondern bewusst andersherum der schöne Gedanke, dass sie ihren Gott kannten
  • die Verständigen des Volkes; diesen wenigen Treuen schenkt Gott eine kleine Gruppe von solchen, die sie belehren eine kleinere Gruppe aus diesem Überrest, die von Gott in dieser ernsten Zeit benutzt werden, die Wahrheit Gottes unter den Juden noch zu verkündigen; wir können in ihnen die Familie des Mattatias von den Makkabäern sehen, durch deren Treue und Glaubwürdigkeit Gott noch eine Erweckung wirken konnte
  • die Vielen des Volkes; die Masse des jüdischen Volkes, die von Gott nichts wissen will

Welche Ermunterung wird es für Daniel gewesen sein, zu hören, dass es auch in diesen schweren aus seiner Sicht noch zukünftigen Tagen solche geben würde, die treu blieben, die mit ihrem Gott lebten. Zu seiner Zeit war er ja ein solcher gewesen, der seinen Gott kannte und mit ihm lebte, und er war auch einer der Verständigen in seiner Zeit. Sie stehen im Gegensatz zu denen, die durch Schmeichelei abgefallen waren, und sie mussten für ihre Treue den Märtyrertod erleiden (Vers 33). Dass sie sich stark erwiesen und handelten bedeutet, dass sie Widerstand leisteten, eine Art Guerillakrieg führten. In Heb 11,35 ff. finden wir sie in der Reihe der alttestamentlichen Gläubigen wieder; sie tragen dort die gleichen Kennzeichen wie in Daniel 11: sie hatten die Befreiung nicht angenommen, die ihnen Antiochus Epiphanes in seiner Schmeichelei angeboten hatte; viele von ihnen fielen durchs Schwert oder kamen ins Gefängnis. In den Büchern der Makkabäer wird beschrieben, wie furchtbar sie leiden mussten.

Und dadurch, dass von den Verständigen einige diesen furchtbaren Märtyrertod erleiden, werden die Übrigen sehen, dass man umkommen kann, wenn man treu ist, und die Auswirkung davon bei einigen von ihnen ist, dass ihr Glaube geläutert wird und sie sich praktischerweise reinigen.

Den Verständigen des Volkes wird mit einer kleinen Hilfe geholfen werden (Vers 34); nicht denen, die gefallen sind, denn diese sind ja gestorben, aber den Übrigen. In der Endzeit der großen Drangsal dagegen wird es nicht eine kleine Hilfe sein, sondern der Herr wird selbst erscheinen zur Rettung Seines Volkes. In der höchsten Not des Überrestes wird der Herr selbst kommen, und das wird eine große Errettung durch Ihn sein. Der Überrest in der Endzeit wird allerdings nicht aufgefordert, Widerstand zu leisten und zu kämpfen, sondern sie sollen in die Berge fliehen (Mt 24,15 ff.).

Die Zeit des Endes (Vers 35) ist eindeutig heute noch nicht da. Aber die Mühe und Treue dieser Makkabäer, die ihren Gott kannten, ihre Entschiedenheit wird nicht vergessen, sie wird eine Antwort finden von Seiten Gottes – so wie es auch wieder in einer Parallele mit den treuen Juden der Endzeit sein wird (Dan 12,3).

All die Ereignisse dieses Abschnittes können in den beiden Makkabäer-Büchern nachgelesen werden. Diese beiden Bücher haben einen gewissen historischen Wert, sie geben uns interessante Hintergrundinformationen – aber mehr auch nicht! Sie gehören nicht zum inspirierten Wort Gottes, und wir müssen sie auch nicht lesen. Wir brauchen auch die Bücher der Makkabäer nicht unbedingt, um die Daniel 11 verstehen zu können. Diese beiden Bücher gehören zu den sogenannten alttestamentlichen Apokryphen; das sind alte Schriften von den Juden, die aber von den Juden selbst nie als Gottes Wort anerkannt worden sind. Manche dieser Apokryphen enthalten sogar absolut falsche Dinge, dazu gehören die Bücher der Makkabäer nicht, weil sie historisch recht zuverlässig zu sein scheinen.

Wir sollten überhaupt grundsätzlich vorsichtig sein in der Auswahl der Kommentare und Auslegungen über die Prophetie. Es gibt viele christliche Autoren, auch gläubige, die das Thema der Prophetie aufgreifen und darüber schreiben, die aber Dinge verfassen, die überhaupt nicht in Einklang sind mit dem, was uns die Gesamtheit des prophetischen Wortes in der Bibel vorstellt. Man kann die abenteuerlichsten Dinge lesen z.B. über die Person des Antichristen. Wir sollten so etwas gar nicht erst lesen, weil es überhaupt nicht hilft. Dagegen müssen wir doch staunen, wenn wir die Schriften unserer alten Brüder lesen, die zu einer Zeit geschrieben haben, als sich das Volk Israel noch nicht in der nationalen Wiederherstellung befand wie heute (vor 1948). Wenn man diese Auslegungen liest, staunt man über die Einsicht und Weisheit, die sie besaßen. Mit diesen Schriften befinden wir uns auf sicherem Boden und machen auch keine Fehler in der Auslegung.