Dann ging der König in seinen Palast, und er übernachtete fastend und ließ keine Nebenfrauen zu sich hereinführen; und sein Schlaf floh vor ihm. Dann stand der König bei der Morgenröte, sobald es hell wurde, auf und ging schnell zur Löwengrube. Und als er sich der Grube näherte, rief er mit trauriger Stimme nach Daniel. Der König hob an und sprach zu Daniel: Daniel, Knecht des lebendigen Gottes, hat dein Gott, dem du ohne Unterlass dienst, vermocht, dich von den Löwen zu retten?“ (Daniel 6,19–21).

Daniel wird sicher keine gute Nacht gehabt haben in der Löwengrube, aber doch eine bessere als der König Darius in seinem Schlafgemach. Der hatte allen Ablenkungen entsagt und war inzwischen dem Daniel so zugetan, dass er nicht schlafen konnte. Und als der Morgen anbrach, da eilte auf einmal auch der König, aber in einem guten Sinn. Und schon aus der Ferne rief er den Namen Daniels. Die Wohlgesonnenheit des Königs Darius gegenüber Daniel nimmt zu. Darin können wir einen sich langsam anbahnenden Wechsel in der Gesinnung der Nationen sehen. Aber ihre Bekehrung, ein totales Umwenden der Nationen zu Gott, ist nur das Ergebnis der Gerichte, die Gott über sie bringen wird.

Zum ersten Mal bezeichnet jetzt Darius den Gott Daniels als den lebendigen Gott, später noch einmal in Vers 27. Und er zeichnet Daniel dadurch aus, dass er ihn Knecht dieses Gottes nennt. Gott hatte den Daniel in all diese Leiden gehen lassen, aber dann ist doch dieser Zuspruch da, dass dieser Märtyrer ein Knecht des lebendigen Gottes ist. Und dann folgt die nächste Auszeichnung: Darius bestätigt dem Daniel, dass dieser seinem Gott ohne Unterlass gedient hatte, die ganzen vielen Jahre hindurch.

Da sprach Daniel zum König: O König, leben ewig! Mein Gott hat seinen Engel gesandt und hat den Rachen der Löwen verschlossen, dass sie mich nicht verletzt haben, weil vor ihm Unschuld an mir gefunden wurde; und auch vor dir, o König, habe ich kein Unrecht begangen. Da freute sich der König sehr, und er befahl, Daniel aus der Grube herauszuholen. Und Daniel wurde aus der Grube herausgeholt; und keine Verletzung wurde an ihm gefunden, weil er auf seinen Gott vertraut hatte“ (Daniel 6,22–24).s

Daniel spricht den König hier in aller gebührenden Hochachtung an, diese Anrede geziemte sich. Er anerkennt die Stellung des Königs und gibt ihm durch diese Anrede die geziemende Ehrerbietung. Und dann könnten wir sagen, dass Daniel danach von seinem doppelten Gewissen spricht. Wenn der Herr uns in Prüfungen führt und wenn wir darin mit Gottes Hilfe rechnen wollen, dann muss einerseits unser Verhältnis zu Ihm in Ordnung sein. Es darf nicht etwas auf unserem Gewissen liegen, was nicht geordnet ist. Das ist auch ein wesentlicher Punkt für den Frieden unserer Seele. Aber zweitens hatte Daniel auch vor dem König ein gutes Gewissen, weil er vor ihm auch kein Unrecht begangen hatte. Er hatte sich keinen Fehltritt vorwerfen müssen, ähnlich wie David es in Psalm 26,1–6 zum Ausdruck bringt und Paulus in Apostelgeschichte 24,16. Sein Gewissen war also vor Gott und vor Menschen rein.

Keine Verletzung wurde an Daniel gefunden, nicht einmal eine Schramme! Warum? Weil er seinem Gott vertraut hatte. Wir gehen alle mehr oder weniger durch schwierige Tage und Umstände, persönlich und gemeinsam. Aber wenn wir auf unseren Gott vertrauen, dann wird auch uns weder Teufel noch Welt eine Verletzung beibringen können. Wenn wir das aus dieser Konferenz-Betrachtung mitnehmen, dass wir unserem Gott still vertrauen, dann werden wir die Rettung Gottes erfahren – auf die eine oder auf die andere Weise. Er wird behüten unseren Ausgang und unseren Eingang (Ps 121,8), Er wird jedes Vertrauen auf Ihn belohnen! So hatten es auch die drei Freunde Daniels in dem Feuerofen erfahren, an sie war noch nicht einmal der Geruch des Feuers gekommen (Dan 3,27). Auch in unserem Leben möchte sich Gott verherrlichen; Er wird uns retten und sich dadurch verherrlichen – „Meine Ehre gebe ich keinem anderen“ (Jes 42,8; 48,11).

In Hebräer 11,33.34 werden uns zwei Begebenheiten von Glaubenshelden aus dem Buch Daniel beschrieben; zum einen die drei Freunde Daniels, die durch ihren Glauben des Feuers Kraft auslöschten, und zum anderen Daniel selbst, der durch Glauben der Löwen Rachen verschloss. Diese Beispiele gehören in Hebräer 11 zu der Gruppe der Glaubenshelden, deren Glaube ausharrt und dadurch Widerstände überwindet. Zur gleichen Zeit aber tritt auch Gott machtvoll ein und setzt hier die Naturgesetze außer Kraft, denn sonst hätten die Löwen den Daniel zerrissen. Daniel schreibt also seine Rettung dem Engel Gottes zu, und Gott schreibt seine Rettung dem Glauben Daniels zu (Heb 11).

Daniel selbst konnte gegen die Löwen nichts tun, er konnte nur seinem Gott vertrauen. Und Gott belohnt solches Vertrauen mit Errettung (Ps 22,5). Gott hat Daniel gerettet – ein wunderbares Beispiel auch für unser Glaubensleben: Das feste Glaubensvertrauen kann höchste Hindernisse überwinden. Der Herr weiß die Gottseligen aus der Versuchung zu erretten (2. Pet 2,9). Und Er tut das – wie auch bei den drei Freunden im Feuerofen –, indem Er ihnen in ihrer Drangsal beisteht (Jes 63,9). Prophetisch ist es ein Bild davon, dass der Herr an den Drangsalen des Überrestes teilnimmt.

Hatte Darius eigentlich das Recht, den Daniel jetzt aus der Löwengrube herauszuholen? Brach er damit das Gesetz der Meder und Perser? Nein, die Beschlussfassung lautete nur, dass derjenige in die Löwengrube geworfen werden sollte; es war nicht verordnet worden, dass er auch von den Löwen gefressen werden sollte. Genau das war geschehen: Daniel war in die Löwengrube geworfen worden, dem Gesetz war Rechnung getragen worden, und Darius war jetzt berechtigt, Daniel daraus herauszuholen. Er hatte sich damit keines Fehlers schuldig gemacht.

„Und der König befahl, und man brachte jene Männer, die Daniel angezeigt hatten, und man warf sie in die Löwengrube, sie, ihre Kinder und ihre Frauen; und ehe sie noch auf dem Boden der Grube angekommen waren, bemächtigten sich ihrer die Löwen und zermalmten alle ihre Gebeine“ (Daniel 6,25).

Darius reagiert hier mit unverhältnismäßiger Tyrannei, indem er auch noch die Frauen und Kinder seiner Satrapen in die Löwengrube werfen lässt (vgl. 5. Mo 24,16). Aber aus Sicht der Satrapen werden sie in dem Netz gefangen, das sie heimlich gelegt haben (Ps 9,16.17; Spr 11,8). Gott wird es so leiten, dass diese Feinde des jüdischen Überrestes selbst in die Grube fallen werden, die sie für den Überrest gegraben haben.

Durch das, was hier in diesem Kapitel ganz praktisch mit Daniel geschieht, verherrlicht sich Gott. Und auch in der prophetischen Sichtweise dieses Kapitels verherrlicht sich Gott dadurch, dass Er einen Überrest rettet und dass Er an den Feinden Gericht übt. Das Gericht an den Feinden und die Aufrichtung des Reiches des Herrn werden dazu führen, dass die Nationen, die Ihn bisher gehasst haben, sich – nicht ohne Schmeichelei (Ps 18,45) – direkt unterwerfen werden unter die Herrschaft des Herrn (Zeph 3,9; Sach 8,23).