Die Zeugnisse von Johannes dem Täufer über den Herrn Jesus
In den Versen 19 bis 28 haben wir das erste große Zeugnis von Johannes dem Täufer. Er hatte sich ganz zurückgenommen und mit verneinenden Worten im Blick auf sich betont, dass er selbst nicht der von Gott verheißene Messias war. Er war ein sehr bescheidener Mann, und in dem Augenblick, in dem der Herr Jesus auftrat, trat er ganz in den Hintergrund (Joh 3,30). Wenige Zeit später war sein Dienst dann auch beendet.
In den Versen 29–34 haben wir dann sein zweites großes Zeugnis über den Herrn Jesus, in welchem er mit positiv bejahenden Worten auf das Lamm Gottes hinweist, das die Sünde der Welt wegnimmt. In diesem Abschnitt werden uns zwei Herrlichkeiten der Person des Herrn Jesus und auch zwei Seiten Seines Werkes gezeigt. Er wird als das Lamm Gottes gesehen, das die Sünde der Welt wegnimmt. Das ist eine Seite Seines Werkes. Der Herr Jesus als das Lamm Gottes würde die Sünde der Welt wegnehmen; es heißt nicht, dass Er sie weggenommen habe, oder dass Er sie wegnehmen wird, sondern: Er nimmt sie weg. Das ist die von Johannes, dem Schreiber des Evangeliums, sehr häufig benutzte abstrakte Ausdrucksweise. Es meint das, was Er am Ende der Zeitalter tun wird. Er wird derjenige sein, der die neue Schöpfung ohne Sünde bewirken wird. Der Herr Jesus hat das Werk vollbracht, aber die endgültigen Folgen von diesem Werk sind noch nicht im Ganzen sichtbar.
Dass der Herr Jesus als das Lamm Gottes die Sünde der Welt wegnimmt, beschreibt also das Endergebnis der Auswirkungen Seines Werkes. Dieses Endergebnis wird über verschiedene Zwischenschritte erreicht:
- der Herr Jesus und Sein Sterben am Kreuz ermöglichen es heute, dass Gott Sünden vergibt; das ist die erste Folge Seines Werkes, die schon heute existiert
- wenn Er noch einmal in Seiner Macht und Herrlichkeit auf diese Erde kommt, dann wird der Herr Jesus die Schöpfung freimachen von dem Gericht; Er wird herrschen und Seine Herrlichkeit zeigen, indem Er die Schöpfung erlöst; aber das ist noch nicht das Ende, noch nicht die letzte Folge Seines Werkes
- die letzte Folge ist, dass vor dem Angesicht Gottes für immer die Sünde weggetan wird; das ist heute noch nicht der Fall, aber es wird kommen! Im neuen Himmel und auf der neuen Erde wird es keine Sünde mehr geben (2. Pet 3,13), das ist das Endergebnis des Werkes des Herrn am Kreuz: in Ewigkeit wird vor dem Angesicht Gottes keine Sünde mehr da sein.
Das ist die erste Seite Seines Werkes.
Die zweite Seite hat es mit dem Sohn Gottes zu tun: der Herr Jesus tauft mit Heiligem Geist. Das ist eine weitere außerordentlich schöne und wichtige Tatsache, die ihre Grundlage in Seiner Verherrlichung als Mensch zur Rechten Gottes nach dem vollbrachten Werk auf Golgatha hat. Johannes der Täufer hatte in Vers 32 davon gesprochen, dass er im Jordan den Herrn Jesus getauft hatte und sich daraufhin die Himmel öffneten und der Heilige Geist wie eine Taube auf Ihn herabkam. Und Gott hatte ihm gesagt, dass der, auf den er den Heiligen Geist herabkommen sehen würde, der sei, der mit Heiligem Geist taufen wird. Die eine Seite des Werkes des Herrn ist also das Wegnehmen der Sünde, und das steht mit dem Lamm Gottes in Verbindung. Die zweite Seite ist das Ausgießen des Heiligen Geistes, und das hat mit Ihm als dem Sohn Gottes zu tun.
Der Heilige Geist kam auf den Herrn Jesus als Mensch, und da war noch kein Blut geflossen, Er war noch nicht gestorben. Er empfing den Heiligen Geist, ohne dass Blut fließen musste, weil Er der Heilige Gottes ist (Joh 6,69). Niemals zuvor ist ein Mensch mit dem Heiligen Geist getauft worden, erst der Herr Jesus. Und Er wird auch selbst andere mit Heiligem Geist taufen. Das ist der Ausdruck Seiner absoluten Gottheit. Undenkbar, dass ein Mensch über den Heiligen Geist oder eine andere Person der Gottheit verfügen könnte. Wer das vermag, muss Gott sein – und der Herr Jesus ist Gott! Er beweist Seine Gottheit dadurch, dass Er den Heiligen Geist gibt und damit tauft. Deshalb schließt Johannes der Täufer sein Zeugnis an diesem Tag mit den Worten: „Ich habe gesehen und habe bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes ist“ (Vers 34).
Haushaltungen im Johannes-Evangelium
Johannes der Schreiber des Evangeliums wurde vom Heiligen Geist nicht dazu benutzt, um Haushaltungen zu zeigen, für diese Aufgabe hat Gott hauptsächlich den Matthäus benutzt. Matthäus hat immer wieder in seinem Evangelium den Blick auf Haushaltungen, viele seiner Ausführungen kann man nur so verstehen. Die Aufgabe von Johannes war das nicht, und trotzdem redet gerade Johannes an Anfang und am Ende seines Evangeliums von Haushaltungen – das ist Inspiration.
In den Kapiteln 20 und 21 erwähnt Johannes vier Erscheinungen des auferstandenen Herrn:
- Maria Magdalene (Joh 20,11–18),
- am Abend des Auferstehungstages in der Mitte der Jünger (Joh 20,19–23),
- acht Tage später wieder in der Mitte der Jünger mit Thomas (Joh 20,24–29),
- und am See von Tiberias (Joh 21,1–14).
Insgesamt ist der Herr Jesus – soweit wir wissen – zwölf Mal in Auferstehung den Seinen erschienen, und Johannes erwähnt davon nur diese vier Begebenheiten. Eigenartigerweise sagt dann der Heilige Geist zu der Begegnung am See von Tiberias: „Dies ist schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, nachdem er aus den Toten auferweckt war“ (Joh 21,14). Johannes nennt vier Erscheinungen, im Ganzen waren es zwölf, und hier bei der siebten Erscheinung insgesamt nennt er sie das dritte Mal. Was ist der Grund für diese Zählweise? Johannes lässt die Erscheinung des Herrn bei Maria Magdalene weg, denn diese Szene ist kein Hinweis auf eine zukünftige Haushaltung. Maria Magdalene zeigt den Zustand des gläubigen Überrestes zu der damaligen Zeit des Herrn. Aber dann ist die erste Begegnung des Herrn mit den Jüngern auf dem Obersaal ein Bild der heutigen Zeit, wo Christus in der Mitte der Seinen ist und Seine Hände und Seine Seite zeigt (Joh 20,19–23). Acht Tage später ist Thomas bei ihnen, und er sieht den Herrn Jesus und kommt zur Anbetung – ein Bild der Wiederherstellung des Überrestes aus Israel (Joh 20,24–29). Und dann kommt in dieser Zählfolge das dritte Mal am See von Tiberias, ein Vorbild auf die Regierung Gottes wenn Er die Menschen hineinbringen wird in Sein wunderbares Reich.
In den Kapiteln 1 und 2 sehen wir diese drei Bilder von aus damaliger Sicht zukünftigen Haushaltungen noch einmal (heutige Gnadenzeit, zukünftige Wiederherstellung Israels, 1000-jähriges Reich), aber hier in Form von aufeinanderfolgenden Tagen. Der erste Tag in dieser Zählweise ist der Tag von Vers 35–42, eindeutig ein Bild der Versammlung mit Christus in der Mitte. Christus sammelt die Menschen, deren Herzen von Ihm erfüllt sind und die dem Wort Gottes glauben. Der zweite Tag ist die Szene mit Nathanael, der ein Bild der Wiederherstellung des Überrestes aus Israel ist (Vers 43–51). Der Herr Jesus beruft die Jünger, sie kommen nicht von selbst, wie in dem vorherigen Tag. Der dritte Tag ist dann wieder ein universaler Tag der Freude, wenn der Herr Jesus Sein Reich aufrichten und weltweite Freude die Erde erfüllen wird – Wasser wird zu Wein (Joh 2,1–11). Wir haben also in diesen drei aufeinanderfolgend geschilderten Tagen eine großartig aufgebaute Belehrung des Heiligen Geistes über aus damaliger Sicht zukünftige Haushaltungen.
Wenn der Tag in Vers 29 der folgende Tag genannt wird, muss es auch schon einen vorhergehenden Tag gegeben haben und es wäre nach arithmetischer Zählweise dann der zweite Tag, Vers 35 der dritte Tag, Vers 43 der vierte Tag und Joh 2,1 der fünfte Tag. Aber hier geht es darum, wie Gott zählt, und Er lässt in der hier geschilderten Sichtweise den nach unserer menschlichen Zählweise ersten und zweiten Tag weg. Diese beiden vorhergehenden Tage sind nicht weniger wichtig, sie haben nur eine vorbereitende und in eine andere Richtung weisende Aufgabe, als die jetzt folgenden drei Tage. Es geht hier um eine geistliche Beurteilung. Die jetzt folgenden drei Tage haben den Herrn Jesus zum Mittelpunkt und Hauptgegenstand, und nach Ihm richtet sich die Zeitrechnung Gottes.
Es werden auch nicht buchstäblich aufeinanderfolgende Wochentage gewesen sein, denn die 40 Tage der Versuchung des Herrn in der Wüste müssen historisch zwischen diesen einzelnen Tagen liegen. Auch müssen zwischen dem Tag in den Versen 43 bis 51 und dem dritten Tag in Joh 2,1 mehrere einzelne Tage gelegen haben, denn zwischen Bethanien am Jordan und Kana in Galiläa liegen mindestens 150 km, für die man als Fußmarsch mindestens drei Tage benötigt. Der Heilige Geist möchte nicht, dass wir genau untersuchen, was zwischen dem Auftreten von Johannes dem Täufer und dem ersten Zeichen des Herrn Jesus chronologisch genau geschehen ist. Die hier genannten Tage folgen nicht buchstäblich als 24-Stunden-Tage aufeinander. Wir sollen hier eine Grundlagen-Lektion in Prophetie verstehen lernen, die Gott uns gibt – Haushaltungen, die Gott in diese Welt eingeordnet hat, die zu verstehen von höchster Bedeutung für das Verständnis des ganzen Wortes Gottes sind.
Der erste Tag – das Lamm Gottes der Anziehungspunkt und Mittelpunkt der Seinen (Vers 35–42)
„Des folgenden Tages stand Johannes wieder da und zwei von seinen Jüngern, und hinblickend auf Jesus, der da wandelte, spricht er: Siehe, das Lamm Gottes!“ (Vers 35+36)
Jetzt folgt also in Vers 35 der erste Tag in dieser Darstellung von Haushaltungen, an dem Johannes der Täufer keine prophetische Voraussage über den Herrn Jesus trifft – es ist der Ausdruck der Verbindung eines Herzens zu dem Herrn Jesus: „Siehe, das Lamm Gottes“. Er spricht einfach nur von der Person, von der sein Herz erfüllt war.
Er hatte schon an den zwei vorausgegangenen Tagen auf den Herrn Jesus hingewiesen (Vers 26 und 29). Offenbar hatte sein Zeugnis dabei noch keine Ergebnisse gehabt, erst nach diesem dritten Zeugnis folgen zwei Jünger dem Herrn Jesus nach. Er stand an diesem Tag wieder da. Ist das nicht eine Ermunterung für alle, die es auf dem Herzen haben, Zeugnis für den Herrn Jesus abzulegen, und die keine Ergebnisse davon sehen? Johannes hatte nicht aufgegeben und stand am nächsten Tag wieder da!
Hinblicken ist intensiver als sehen (Vers 29). Johannes der Täufer sah das Lamm Gottes, das da wandelte. Der Herr Jesus, wahrer Mensch und ewiger Gott, ist hier auf der Erde, man kann Ihn sehen. Johannes sieht Ihn, wie Er wandelte. Das ist anbetungswürdig: der Schöpfer Himmels und der Erde geht hier über diese Erde, über die Wege und durch die Felder dieser Erde. Und Johannes schaut Ihn an und sieht an Ihm die Herrlichkeit des Lammes Gottes und sagt voll Anbetung: „Siehe, das Lamm Gottes“! Er lässt hier den Nachsatz von Vers 29 weg, es geht einfach um Seine Person. Als das Lamm Gottes entsprach der Herr in allem vollkommen den Gedanken Seines Gottes. Dieses Lamm hatte Gott bereitgestellt, Er hat sich umgeschaut nach einem Lamm, das von vollkommener Reinheit (1. Pet 1,19) und von völliger Ergebenheit (Jes 53,7) spricht. Das ist die Person, die Anziehungspunkt und Mittelpunkt für unsere Herzen ist.
Was zieht die Herzen am meisten zu dem Herrn hin? Nicht unbedingt eine abstrakte Darstellung der Wahrheit, sondern wenn empfunden wird, welche Freude und Genuss und Wertschätzung der Redende für die Person hat, die die Wahrheit ist. Das macht den größten Eindruck auf die Herzen anderer. Es gibt keine größere Wirkungsmöglichkeit, als wenn Zuhörer spüren, dass der Dienende ergriffen ist von der Person des Herrn Jesus! Johannes der Täufer sagt hier weniger als beim vorherigen Mal, und doch sagt er mehr! Denn die Person ist immer größer als das Werk, das sie vollbringt.
„Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach.“ (Vers 37)
Johannes der Täufer hatte seinen Jüngern keine Predigt gehalten, aber sein Herz war voll Anbetung für Christus – und das genügte. Und das ist auch heute nicht anders. Wenn der Herr Jesus unser Herz erfüllt, dann wird auch das, was über unsere Lippen kommt, so sein, dass andere davon angezogen werden. Das ist die beste Predigt. Dann kommen Menschen unter die Anziehungskraft des Lammes Gottes. Der Herr Jesus ist wie ein Magnet, Seine Person ist so großartig, dass Ihn anzuschauen, wie Er hier als einfacher Mensch wandelte, das Herz mit Anbetung erfüllt und dann der Mund davon überfließen muss.
Der Herr Jesus zieht auch die Herzen anderer an. Die beiden Jünger verlassen ihren bisherigen Meister und folgen dem Herrn Jesus nach. Das waren die ersten Früchte der Arbeit von Johannes dem Täufer, immer auf den Herrn Jesus hinzuweisen. Johannes war nicht traurig darüber, dass zwei seiner Jünger von ihm weggingen, da war kein Neid bei ihm. Er freute sich darüber, dass seine Worte der Anbetung über das Lamm Gottes die beiden Jünger so stark anzogen, dass aus ihrem Glauben das Nachfolgen wurde. Wenn der Herr Jesus unser Herz erfüllt und wir zu Gläubigen oder Ungläubigen sprechen, dann wird das Anziehungskraft ausüben. So kommen auch heute noch Jünger zum Herrn Jesus. Nie zuvor hatte jemand im Auftrag Gottes andere um sich geschart, der Herr Jesus ist der erste, der gläubige Menschen um sich schart. So haben wir also an diesem ersten Tag den Herrn Jesus als den Mittelpunkt der Seinen.
Wenn Menschen das tun und andere um sich scharen, dann nehmen sie die Stelle des Herrn Jesus ein. Wir werden vor solchen gewarnt, die die Jünger abziehen hinter sich her (Apg 20,30). Jeremia hatte sich nicht entzogen, Hirte hinter dem Herrn her zu sein (Jer 17,16), das ist eine Haltung, die wir auch haben sollten. Herzen zu dem Herrn Jesus zu führen ist der größte Dienst, den wir auch heute noch tun können.
Die hier geschilderte Reihenfolge reden – hören – nachfolgen gilt auch heute noch (Röm 10,14+17). Das Wort Gottes wird geredet, wir hören dieses Wort, und dann glauben wir. Ohne Predigt gibt es keinen Glauben.
Einer dieser beiden Jünger wird Johannes, der Schreiber dieses Evangeliums selbst gewesen sein, der andere war Andreas (Vers 40). Es ist in diesem Evangelium immer die Weise von Johannes, seinen Namen zu verbergen.
„Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und spricht zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sagten zu ihm: Rabbi (was übersetzt heißt: Lehrer), wo hältst du dich auf?“ (Vers 38)
Zuerst wendet der Herr Jesus sich um und sieht die beiden Jünger Ihm nachfolgen. Hatte Er sie gekannt? Sie hatten Ihn vorher noch nie gesehen, und Er sie auch nicht. Aber Er hat sie gekannt vor Grundlegung der Welt! Wenn heute jemand mit der Frage dieser Jünger zum Herrn Jesus kommt und Ihm aufrichtig nachfolgt, dann darf auch er wissen, dass er auserwählt ist vor Grundlegung der Welt (Eph 1,4; Röm 8,29). Er hat längst im Voraus gewusst, dass einmal zwei Jünger des Johannes kommen und Ihm folgen würden.
Diese beiden Jünger bekommen jetzt Seine ganze Zuwendung und Aufmerksamkeit. Wenn der Herr Jesus sieht, dass Herzen Ihn suchen, wird Er sich immer ihnen zuwenden und ihre Herzenszustände vor Ihm offenlegen. Er kannte ihre Herzen, aber Er prüft sie jetzt. Sie waren Ihm ja nicht nachgefolgt, weil sie ein Zeichen von Ihm gesehen haben oder Sensationen mit Ihm erleben wollten, sondern weil sie von einem anderen mit diesem „Siehe“ auf Ihn aufmerksam gemacht worden sind. Er fragt jetzt nach dem Beweggrund für ihre Nachfolge, nicht danach, wen sie suchten, sondern was sie suchten. Bei Maria Magdalene stellt der Herr diese Frage nicht so, Er fragt sie: „Wen suchst du?“ (Joh 20,15). Bei ihr war es offenkundig, um welche Person es ihr ging.
Zuerst sprechen die Jünger Ihn als Rabbi an, was bedeutet, dass sie sich selbst als Lernende ansehen, die von Ihm als dem Lehrer lernen wollen. Der Herr Jesus sagt einmal den Schriftgelehrten und Pharisäern, dass nur Ihm diese Anrede ausdrücklich zusteht (Mt 23,7+8).
Ihre weitere Antwort ist sehr bemerkenswert: die beiden Jünger wollen da sein, wo Er selbst ist! Das ist der Ausdruck davon, dass sie Gemeinschaft mit Ihm suchen. Ist das auch unser Wunsch? Wollen auch wir die Gemeinschaft mit Ihm pflegen und genießen und bei Ihm bleiben? Die Antwort auf die Frage „wo?“ ist eine Person – der Herr Jesus.
Es ist sehr lehrreich, über einige Fragen im Wort Gottes nachzudenken, die mit einem „wo“ beginnen:
- „Wo weidest du, wo lässt du lagern am Mittag?“ (Hld 1,7)
- „Wo willst du, dass wir hingehen und bereiten, damit du das Passah essen kannst?“ (Mk 14,12)
- „Wo hältst du dich auf?“ (Joh 1,38)
Der Ausdruck, den Johannes hier für die Frage der Jünger „Wo hältst du dich auf?“ gebraucht, wird in seinem Evangelium häufig mit bleiben oder wohnen übersetzt, es ist im Griechischen das gleiche Wort. Wo wohnte der Herr Jesus? Er selbst sagt einmal von sich: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, aber der Sohn des Menschen hat nicht, wo er das Haupt hinlege“ (Mt 8,20). Als 12-jähriger Junge sagte Er Seinen irdischen Eltern, dass Er in dem sein muss, was Seines Vaters ist (Lk 2,49). Da hatte Er sich in dem Tempel aufgehalten; stets war Er in dem, was Seines Vaters ist. Wenn wir zu dem Herrn Jesus kommen, dann kommen wir auch zum Vater.
In der Anwendung dieses Bildes ist das der Ort, wo zwei oder drei versammelt sind zu Seinem Namen hin (Mt 18,20), wo Er selbst in unserer Mitte ist. Was suchen wir in den Zusammenkünften? Wenn es etwas anderes oder weniger ist als die Person des Herrn Jesus, dann ist das zu wenig! Er ist die Person, die uns an diesen Ort ziehen muss.
„Er spricht zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen nun und sahen, wo er sich aufhielt, und blieben jenen Tag bei ihm. Es war um die zehnte Stunde.“ (Vers 39)
Aus der Antwort des Herrn können wir lernen, wie wir solchen antworten sollten, die uns fragen, wo wir hingehen und uns versammeln: „Kommt und seht“ – ganz schlicht.
Wir haben hier noch nicht die öffentliche Berufung der Jünger in die Nachfolge des Herrn, sondern eine persönliche Berufung. Auch haben wir weder hier noch bei der offiziellen Berufung der Jünger den Zeitpunkt ihrer Bekehrung. Sie kamen als Angehörige des gläubigen Überrestes Israels, der auf den Messias wartete, zu Ihm; sie waren schon Glaubende. Vielleicht war der Zöllner Matthäus der einzige von den Jüngern, der bei seiner ersten Begegnung mit dem Herrn seine Bekehrung erlebt hat; alle übrigen (bis auf Judas Iskariot) gehörten dem gläubigen Überrest an und waren schon vorher bekehrt.
Für die Jünger damals war die Aufforderung zum Kommen vielleicht das Überwinden einer äußeren Distanz. Für uns heißt das, dass wir innere Distanzen überwinden müssen, um ganz nahe bei Ihm zu sein. Und das Sehen ist dann das Erleben Seiner Gegenwart, für uns heute der Genuss Seiner Gegenwart persönlich und auch in den Zusammenkünften. Es gibt diesen einen Ort, wo Er Seine Gegenwart verheißen hat, wo wir wirklich erleben können, was es heißt, dass Er in der Mitte ist.
Dieser Gedanke des Genusses der Gegenwart des Herrn hat zwei Aspekte. Hier ist es die Seite, dass die Jünger bei dem Herrn blieben. In Lk 24,29 finden wir die Seite, dass der Herr bei den Jüngern bleibt. Beide Aspekte finden wir auch in dem Sendschreiben an Laodizea in Off 3,20, wo der Herr dem Überwinder verheißt, das Abendbrot mit ihm zu essen (vgl. Lk 24,29), und er mit Ihm (vgl. Joh 1,39).
Andreas und Johannes tun genau das, was der Herr Jesus ihnen gesagt hatte; sie kamen und blieben jenen Tag bei Ihm. Sie gehorchten Schritt für Schritt dem, was Er ihnen gesagt hatte. Diese Haltung des Gehorsams ist immer mit größerem Segen verbunden, denn die beiden blieben nicht stehen bei dem Sehen, sondern sie blieben bei Ihm. Bildlich gesprochen war diese Szene hier der Anfang der Versammlung Gottes auf der Erde. Es ist auffallend, dass wir hier keine Ortsbezeichnung finden. Wenn es um Sein Zeugnis geht oder um Seinen Wohnort, dann war das Kapernaum (Mt 4,13). Aber jetzt, wo die Jünger zu Ihm kommen, ist es ein unbekannter Ort. Die Welt kennt diesen Ort, wo Er in der Mitte der Seinen ist, nicht.
So wie die Jünger jene Worte des Herrn hörten, wird Er übrigens auch einmal zu uns sagen: „Kommt und seht“! Dann werden wir Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen, wie Er ist und werden – um mit den Worten dieses Verses zu sprechen– „jenen Tag“ bei Ihm bleiben. Das wird jedoch keine zeitliche Begrenzung haben, sondern unser ewiges glückseliges Teil im Vaterhaus sein. Dort werden wir bei Ihm bleiben und nie mehr hinausgehen. Ein beglückendes Wort der Einladung unseres Herrn!
Es ist beeindruckend, dass Johannes, der dieses Evangelium und seine Briefe und die Offenbarung ungefähr im Jahr 90 auf der Insel Patmos schrieb, ca. 60 Jahre nach diesen Ereignissen hier noch genau die Tageszeit weiß (nach unserer Zeit nachmittags 16 Uhr), in der er diese Begegnung mit dem Herrn gehabt hatte. Diese Begegnung muss einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht haben, und es hat sein ganzes weiteres Leben geprägt. Das führte dann auch dazu, dass er den Herrn Jesus in immer größerer Herrlichkeit erkennen lernte, und so wird das auch bei uns heute der Fall sein.
„Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer von den zweien, die es von Johannes gehört hatten und ihm nachgefolgt waren. Dieser findet zuerst seinen eigenen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden (was übersetzt ist: Christus).“ (Vers 40+41)
Man kann annehmen, dass die Jünger auch die Nacht über bei dem Herrn geblieben sind, da sie ja erst um 16 Uhr unserer Zeitrechnung zu Ihm gekommen sind. Erst am nächsten Morgen sucht und findet Andreas dann seinen Bruder Simon. Wenn ein Mensch von dem Herrn Jesus ergriffen ist, sucht er zuerst – vor allem anderen – in seiner engsten Umgebung solche, denen er davon berichten kann. Offensichtlich war es dem Andreas ein Anliegen, nachdem er einen Tag mit dem Herrn Jesus verbracht hatte, die dabei gemachten Erfahrungen nicht für sich allein zu behalten, sondern sie mit seinem eigenen Bruder zu teilen. Ein deutlicher Hinweis auf unsere Verantwortung, die zuerst in unserer eigenen Familie, im Nahbereich, liegt. Die eigene Verwandtschaft, die eigenen Nachbarn, die eigenen Schulkameraden und Arbeitskollegen sollen zuerst gefunden werden, bevor wir an Dienste für den Herrn in fernen Ländern denken.
Interessant, dass Simon Petrus hier so unvermittelt mit seinem alten und neuen Namen erwähnt wird, als würden die Empfänger des Evangeliums ihn schon kennen. Und in der Tat ist das auch so, denn dieses Evangelium ist sehr spät geschrieben worden, und Petrus war durch die anderen Evangelien und die Ereignisse der Apostelgeschichte bekannt. Gott geht immer davon aus, dass wir das, was Er uns an anderen Teilen Seines Wortes über Personen sagt, auch in Betracht ziehen; wir dürfen einzelne Teile des Wortes Gottes nie isoliert betrachten.
Es ist auffallend, dass Andreas jetzt nicht über den Herrn als das Lamm spricht, so wie er es von Johannes dem Täufer gehört hatte, sondern über den Messias. Das Lamm ist ohne Frage eine höhere Seite Seiner Person als die des Messias. Lamm Gottes ist weltumspannend in seiner Bedeutung, und Messias hat den eingeschränkten Bezug auf Israel. Dieser Ausdruck Messias kommt im Alten Testament nur in Dan 9,25+26 vor. Andreas wird diese höhere Seite Seiner Person noch nicht wirklich erfasst haben. Sie bleiben noch bei dem, was sie bisher von Ihm wussten, aber später wurden sie weitergeführt, weil sie Ihn liebten. Andreas konnte jedenfalls nicht schweigen über die tiefen Eindrücke, die er in diesem einen Tag von dem Herrn Jesus gehabt hatte.
Diese Jünger hatten also verstanden, dass jetzt derjenige auf der Erde war, von dem die alttestamentlichen Schriften gezeugt hatten. Sie hatten den Messias gefunden, und sie waren Ihm nachgefolgt – ohne zu wissen, was damit für sie in Verbindung stehen würde an Hass und Verfolgung von ihren eigenen Volksgenossen bis hin zum Märtyrertod! Wir wissen unsere Zukunft auch nicht, aber wenn wir den Herrn gefunden haben, dann gibt es nichts Besseres, Herrlicheres, Höheres für uns! Möchten wir Ihm nachfolgen, auch wenn die Wolken in unseren Tagen und unseren Ländern schon etwas dunkler werden – Er ist es wert! Er hat uns geliebt und Sein Leben für uns gelassen.
„Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sprach: Du bist Simon, der Sohn Jonas; du wirst Kephas heißen (was übersetzt wird: Stein).“ (Vers 42)
Bei dieser Begebenheit beginnt Andreas mit einer Tätigkeit, die wir noch zwei weitere Male im Johannes-Evangelium finden: er führt Einzelne zum Herrn Jesus (Joh 6,8; 12,20–22). Was mag er empfunden haben, als später durch die Predigten dieses seines Bruders Petrus, den er hier zu Jesus führt, an einem Tag Tausende bekehrt wurden? Aber so sind die Befähigungen und die Aufgaben jedes Einzelnen unterschiedlich – beide sind jedenfalls später vom Herrn als Menschenfischer berufen worden (Mk 1,16+17; Lk 5,1–11).
Zweimal in diesem Vers wird der Name Jesus erwähnt, und beide Male steht im Griechischen der Artikel davor: „Er führte ihn zu dem Jesus. Der Jesus blickte ihn an…“. Damit wird die Person des Herrn Jesus betont und hervorgehoben als derjenige, der hier der Mittelpunkt ist, der zentrale Gegenstand.
Der Herr Jesus blickte Petrus an. Was wird das für ein Blick der Liebe gewesen sein! Er blickt ihn an als jemand, den Er kennt – dessen Vergangenheit Er kennt, dessen Gegenwart Er kennt und dessen Zukunft Er kennt. Nach Verlauf von ungefähr dreieinhalb Jahren lesen wir noch einmal davon, dass der Herr Jesus den Petrus angeblickt hat (Lk 22,61). Das war, als er Ihn verleugnet hatte und der Herr Jesus kurz vor Seinem Tod stand. Als Petrus nicht mehr aus und ein wusste, blickte ihn der Herr Jesus auch an. Das muss auch ein Blick der Liebe des Heilandes gewesen sein, die Petrus zum völligen Zusammenbrechen geführt hat – das genügte.
Der Sohn Gottes kennt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von einem jeden Menschen. „Du bist Simon“, das ist Gegenwart; „der Sohn Jonas“, das ist Vergangenheit bzw. Herkunft; „du wirst Kephas heißen“, das ist Zukunft. Der Name Kephas oder Petros (Stein) wird ihm hier gegeben, aber die Bedeutung davon ist hier noch zukünftig, es ist eine prophetische Aussage auf eine spätere Zeit. Offenbar ist Petrus nie so genannt worden, bis zu der Begebenheit in Mt 16,17+18. Das ist dann die Einlösung der Verheißung hier aus Johannes 1.
Mit diesem Namen Kephas deutet der Herr an, dass Petrus selbst und alle wahren Gläubigen mit ihm einmal als lebendige Steine eingefügt würden in den Bau Gottes (1. Pet 2,5). Es ist eine schöne Übereinstimmung mit dem Charakter dieses ersten Tages, wo der Herr Jesus der Anziehungspunkt der Seinen ist, dass hier das Bauen der Versammlung schon angedeutet wird. Eine einfache Aussage, aber doch mit einer tiefgehenden Andeutung! Die haushaltsmäßige Bedeutung dieses Abschnittes ist in diesem einfachen Satz schon enthalten. Das Bauen der Versammlung hat hier noch nicht begonnen, das war bei dieser Unterredung noch zukünftig. Erst als der Herr Jesus nach vollbrachtem Werk verherrlicht war, begann Er mit dem Bauen Seiner Versammlung, nicht vorher.
Berechtigterweise Namen geben zu können bedeutet, dass man Autorität besitzt. Hier stand einer, der tatsächlich das göttliche Recht hat, einen neuen Namen zu geben; und mit dieser Namensgebung sind Ansprüche an die Person und deren Leben verbunden. Satan hat sich diesen Anspruch zu Unrecht angemaßt, denken wir z.B. an den von ihm benutzten König Nebukadnezar in Dan 1,6+7, wo er Daniel und seinen Freunden neue Namen geben ließ. Diese neuen Namen standen alle in Verbindung mit den Götzen der Babylonier. Das sollte ihre neue Lebensbestimmung sein und dadurch sollten sie für die Zwecke Satans vereinnahmt werden. Ein weiteres Beispiel ist Adam, der im Paradies von Gott die Autorität verliehen bekam, allen Tieren Namen zu geben (1. Mo 2,19+20). Er hatte dieses Recht nicht aus sich selbst, sondern es wurde ihm von Gott übertragen. Gott wollte damit zeigen, was Er an Weisheit und Unterscheidungsvermögen in den Menschen gelegt hatte, wodurch dieser befähigt war, jedem Tier den passenden Namen zu geben. Leider hat der Mensch durch den Sündenfall diesen hohen Stand wieder verloren!
In diesem Abschnitt werden drei hebräische Begriffe benutzt (Rabbi, Messias und Kephas), die alle für die Empfänger dieses Evangeliums in die griechische Sprache übersetzt werden müssen. Wenn wir mit Menschen sprechen, die unser Vokabular nicht gewöhnt sind, dann müssen wir Worte benutzen, die sie verstehen können. Bei allen drei Übersetzungen benutzt der Heilige Geist eine andere Ausdrucksweise: „was übersetzt heißt“, was übersetzt ist“, was übersetzt wird“. Es ist aber in allen drei Fällen Präsens, keine unterschiedliche Zeitform, aus der eine besondere Auslegung hergeleitet werden könnte.
Die offizielle Berufung der Jünger in den Dienst geschah erst später in Galiläa, wir finden sie in den anderen drei Evangelien. Hier im Johannes-Evangelium haben wir bis zu Beginn von Kapitel 4 die Tätigkeiten des Herrn Jesus, die zeitlich vor dem in den anderen Evangelien beschriebenen Dienst des Herrn stattfanden. Diese Szenen hier werden in den anderen Evangelien überhaupt nicht erwähnt, sie beginnen mit der Schilderung des öffentlichen Auftretens des Herrn zeitlich gesehen ungefähr erst mit der Gefangennahme Johannes des Täufers. Hier haben wir persönliche Appelle des Herrn an die Jünger vor ihrer Berufung in Seine Nachfolge.
Der Herr Jesus trägt in diesen Versen verschiedene Titel und Auszeichnungen. Zuerst ist Er als das Lamm Gottes der alleinige Mittelpunkt und Anziehungspunkt unserer Herzen. Dann wird Er als der Lehrer bezeichnet; danach als Messias, der Erfüller der alttestamentlichen Verheißungen. Und schließlich ist Er auch der Baumeister, der lebendige Steine dem Haus Gottes hinzufügt. Und im nächsten Abschnitt ist Er der Führer, der in der Wüste der Weg für die Seinen ist.
Der zweite Tag – Nathanael, ein Bild des Überrestes aus Israel (Vers 43–51)
„Am folgenden Tag wollte er aufbrechen nach Galiläa, und er findet Philippus; und Jesus spricht zu ihm: Folge mir nach! Philippus aber von Bethsaida, aus der Stadt des Andreas und Petrus.“ (Vers 43+44)
Unter dem Gesichtspunkt der Haushaltungen haben wir in diesem Abschnitt die Erweckung des jüdischen Überrestes. Wir könnten uns die Frage stellen, wo denn nach der Entrückung der Gläubigen der Überrest herkommt, wie er zum Glauben kommt und zum Messias geführt wird. Es ist der Herr Jesus selbst, der sich diesen Überrest bilden wird, so wie Er hier den Philippus findet. Dieser Überrest bildet sich übrigens nicht jetzt schon am Ende der Gnadenzeit. Unter der Bezeichnung messianische Juden wird das manchmal so behauptet, aber das ist ein Irrtum. In der Zeit der Gnade gibt es nur solche, die zur Versammlung gehören, und solche, die nicht zur Versammlung gehören. Der jüdische Überrest wird jetzt noch nicht gebildet, erst nach der Entrückung der Versammlung.
Drei weitere Einzelheiten in diesem Abschnitt machen auch deutlich, dass es hier um die Wiederherstellung dieses Überrestes geht. Zunächst geht es um Galiläa (Vers 43), nicht um Jerusalem, nicht um Judäa. Galiläa ist typisch für den Überrest (vgl. Mt 28,7+10+16); nach der Auferstehung des Herrn haben ausschließlich gläubige Juden Ihn gesehen. Zweitens finden wir bei Nathanael zuerst typisch jüdischen Zweifel (Vers 46), aber er kommt zum Glauben und zum Bekenntnis des Herrn als Sohn Gottes und als König Israels. Und als drittes war Nathanael unter dem Feigenbaum von dem Herrn Jesus gesehen worden (Vers 48); und der Feigenbaum ist im Wort Gottes ein Bild von dem irdischen Volk Gottes (Mk 11,12–14), besonders von dem aus der babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrten jüdischen Überrest.
Mit Vers 43 beginnt die historische Berichterstattung des Wirkens des Herrn Jesus. Zum ersten Mal sehen wir Ihn hier aktiv aufbrechen. Er wollte aufbrechen; als Sohn Gottes war Er immer in Übereinstimmung mit dem Willen Seines Vaters. Sein Dienst beginnt mit Philippus, der aus der gleichen Stadt stammte wie Andreas und Petrus. Hätte es nicht nahegelegen, dass der Herr Andreas und Petrus damit beauftragt, Philippus zu Ihm zu führen? Aber Er handelt selbst und findet Philippus, offensichtlich hatte Er ihn gesucht. Und Philippus hört die Wortes: „Folge mir nach“. Für unser christliches Leben ist das eine entscheidende Aufforderung. Bis Vers 42 hatten wir den Herrn Jesus als den Mittelpunkt gesehen, als Sammelpunkt für all die Seinen. Jetzt haben wir Ihn als den Weg vor uns. Der Herr Jesus war hier auf der Erde ein Fremdling, der nicht hatte, wo Er Sein Haupt hinlegen konnte. Er wanderte, ging Seinen Weg. Auch wir brauchen in der Wüste einen Weg, und davon spricht der Herr hier zu Philippus: „Folge mir nach!“.
So groß es ist, dass wir den Herrn Jesus als den Mittelpunkt unseres Zusammenkommens und unserer ganzen Existenz haben, so gibt es für uns doch auch einen zweiten Punkt daneben, und das ist der Weg. Der Herr Jesus ist ein Weg. Adam im Paradies brauchte keinen Weg, er war da, wo er sein sollte. Und wenn wir einmal in den Himmel kommen, brauchen wir auch keinen Weg mehr. Dann sind wir auch da, wo wir für immer hingehören. Aber heute brauchen wir einen Weg, und das ist viel wichtiger als wir glauben. Die Frage ist, folgen wir unserem verachteten Herrn nach, der hier keine Ehre fand, der hier keinen Platz hatte? Sind wir bereit, Ihm zu folgen? Es gibt keinen anderen Weg in der Wüste, als Ihn! Wir haben nicht Brüder nötig, wir haben nicht irgendwelche Gaben nötig, sondern Christus! Er ist unser Führer, Er ist der Weg. Hören wir auf den Ruf des Herrn, ob wir jünger oder ob wir älter sind: „Folge mir nach!“. Und dieser Weg der Nachfolge und Absonderung ist kein Weg, der in die Isolation führt; es wird andere geben, die auch dem Herrn nachfolgen, das zeigt uns auch dieser Abschnitt (vgl. 2. Tim 2,22). Es lohnt sich, Ihm zu folgen!
Ein Weltmensch kann dem Herrn Jesus unmöglich nachfolgen. Er muss von neuem geboren sein, um überhaupt den Wunsch und die Fähigkeit zu haben, Ihm nachzufolgen. Die alte Natur kann und will dem Herrn nicht nachfolgen. Es ist leider eine Realität, der wir uns oft nicht bewusst sind, dass in uns eine Natur ist, die dem Herrn gar nicht nachfolgen will. Wir müssen uns immer wieder klar machen, „dass in mir, das ist in meinem Fleisch nichts Gutes wohnt“ (Röm 7,18). Aber wir haben auch die neue Natur in uns, und „wenn wir durch den Geist leben, so lasst uns auch durch den Geist wandeln“ (Gal 5,25).
Nachfolgen bedeutet das zu tun, was Er vormacht (Mt 8,23). Der Herr ging in das Schiff, und die Jünger folgten ohne Widerworte. Wir folgen Seinen Fußstapfen nach (1. Pet 2,21), die wir nur im Wort Gottes finden. Wir können nicht sagen, dass wir Ihm nachfolgen, wenn wir uns auch nur in einem kleinen Punkt im Widerspruch zum Wort Gottes befinden. Wenn ich mein Verhalten nicht am Wort Gottes festmachen kann, ist es keine Nachfolge sondern ein eigener Weg. Wenn wir alle hinter dem Herrn Jesus hergehen würden, wenn wir alle das Eine denken würden (Phil 2,2+3), gäbe es niemals Zwiespalt unter uns! Wenn wir alle auf den Herrn blicken, dann tun wir alle dasselbe und gehen alle denselben Weg – und dann gibt es keinen Zwiespalt. Wenn ich als einziger z.B. in der Brüderstunde mit einem „Beschluss“ der Brüder nicht einverstanden bin und mich dagegen stelle, dann trage ich den Keim des Zwiespalts in die Brüderstunde und in die Versammlung. Vielmehr müsste ich mich fragen, wie es kommt, dass gerade ich im Widerspruch zu allen Brüdern stehe. Das Leben des Glaubens ist so einfach – „Folge mir nach“!
„Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von dem Mose in dem Gesetz geschrieben hat und die Propheten, Jesus, den Sohn des Joseph, den von Nazareth.“ (Vers 45)
Wenn Philippus hier wir sagt, dann macht er sich eins mit denen, die den Herrn Jesus als Messias kennengelernt haben, zumindest mit Andraes und Petrus, aus deren gleichen Stadt auch er stammte. Er stellt Nathanael also ein gemeinsames Zeugnis vor. Und er spricht von dem, der in dem ganzen Alten Testament angekündigt worden war. Er hatte Ihn selbst kennengelernt, und er wünschte nun auch, dass Nathanael Ihn kennenlernen würde. Und obwohl Philippus es war, der von dem Herrn gefunden wurde, sagt er zu Nathanael, dass er mit den anderen Jüngern den Herrn gefunden hatte. Jedes Finden eines Menschen liegt darin begründet, dass immer unser Herr den Anfang gemacht hat. Es ist immer ein Werk Gottes (Joh 6,44).
Wenn wir die Worte von Philippus mit den Worten von Andreas in Vers 41 vergleichen, finden wir, dass Philippus sehr viel mehr über den Herrn Jesus sagt als Andreas, aber er meint auch den Messias. Diese beiden Männer drücken sich ganz verschieden aus, Andreas ganz kurz, Philippus viel ausführlicher. Aber sie reden beide über die gleiche wunderbare Person, und sie haben beide den gleichen Wunsch, Menschen zum Herrn Jesus zu führen. Wir sind alle verschieden, auch in der Art, wie wir Menschen ansprechen; dem einen liegt es, in kurzen knappen Worten etwas zu sagen, andere sind viel umschreibender in ihrer Ausdrucksweise, sie brauchen mehr Worte, um das gleiche zu sagen.
Mit dem Ausdruck die Propheten sind nicht nur die 12 kleinen und 4 großen Propheten gemeint. Eigentlich hat ja fast das ganze Alte Testament einen prophetischen Charakter. Mose selbst wird als Prophet bezeichnet (5. Mo 18,15), das weist darauf hin, dass auch seine Bücher einen gewissen prophetischen Charakter haben. In Mt 13,35 zitiert der Herr Jesus selbst aus den Psalmen, aber Er sagt nicht, dass das in den Psalmen stehen würde, sondern dass es durch den Propheten geredet ist. Auch die Psalmen haben einen gewissen prophetischen Charakter. Selbst David wird von Petrus als Prophet bezeichnet (Apg 2,29+30). Philippus sagt also dem Nathanael, dass sie den gefunden hatten, der der Erfüller sämtlicher alttestamentlicher Prophezeiungen ist.
Philippus nennt den Herrn Jesus den Sohn Josephs. Nach Lk 3,23 war der Herr – wie man meinte – ein Sohn Josephs. Joseph war nicht Sein natürlicher Vater, obwohl Maria einmal so von ihm spricht (Lk 2,48), und auch die Juden in Seiner Vaterstadt Nazareth nannten Ihn den Sohn des Zimmermanns bzw. Sohn Josephs (Mt 13,54+55; Lk 4,22+23). Juristisch gesehen war Joseph der Vater unseres Herrn, obwohl er es abstammungsmäßig nicht war. Was aber Seine Abstammung aus der königlichen Linie Davids betrifft, stammte Er über Maria und Joseph von David ab, eine doppelte Anwartschaft auf den Königsthron.
Joseph wohnte in Nazareth, obwohl sein Stammhaus in Bethlehem war (Lk 2,4+39). Als die Verordnung von Augustus zur Einschreibung erging, mussten sie nach Bethlehem, der Stadt, aus der sie stammten. Dort wurde dann der Heiland geboren, wie es im Propheten Micha angekündigt worden war (Mich 5,1). Und doch wird Er hier und an vielen anderen Stellen der Nazaräer genannt. Dadurch wird von Anfang an auf die Verachtung des Herrn Bezug genommen. Nazareth steht für Verachtung, es war eine Stadt in Galiläa, die wohl von den aus der babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrten Juden gegründet wurde. Der Name der Stadt hat seinen Ursprung in dem hebräischen Wort Nezer, und das bedeutet Spross, Schössling (vgl. Jes 11,1), vielleicht wollte man dieser Stadt mit diesem Namen die Bedeutung einer aufsprossenden Stadt geben.
Aus Mt 2,23 wird deutlich, dass Joseph in Nazareth wohnen musste, damit über den Herrn Jesus die Prophezeiung erfüllt würde: „Er wird Nazaräer genannt werden“. Im Alten Testament findet sich diese Weissagung in diesem Wortlaut nicht, aber die Summe der prophetischen Aussagen bezeugte das. Manchmal werden im Neuen Testament zwei alttestamentliche Prophezeiungen zusammengezogen, um daraus eine einzige Verwirklichung zu machen. Wenn man in Bezug auf diese Aussage hier die beiden Stellen aus Jes 11,1 und Sach 6,12 zusammenfügt, findet man in Jes 11,1 einen ganz deutlichen Bezug auf den Messias: der Schössling (Nezer) aus den Wurzeln Isais wird Frucht bringen. Und Sach 6,12 ist die Stelle, die vom Wortlaut her dem Zitat in Mt 2,23 am nächsten kommt.
„Und Nathanael sprach zu ihm: Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen? Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh!“ (Vers 46)
Nazaräer hat im Neuen Testament also eine doppelte Bedeutung: zum einen Nezer, dass Er der verheißene Sproß ist, und zum anderen Nazareth, eine kleine Stadt, mit deren Namen Verachtung und Spott verbunden ist – und diese zweite Bedeutung zeigt Nathanael in seinem Einwand hier. Für die Juden war ja ganz Galiläa ein verachteter Landstrich und Nazareth als ein kleines unbedeutendes Dorf noch verächtlicher; und gerade diese Gegend wählt sich Gott aus, als Er das Licht in diese Welt sendet.
In Seinem ganzen Leben wird der Herr Jesus immer wieder mit diesem verächtlichen Namen in böser Absicht in Verbindung gebracht. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Christen in der Apostelgeschichte die Sekte der Nazaräer genannt werden (Apg 24,5); im Hebräischen und Arabischen ist das heute noch so. Der IS malt an die Häuser der Christen ein arabisches N, um deutlich zu machen, dass in diesen Häusern Christen wohnen, die umgebracht werden können. Das ist die Schmach, die mit dem Namen des Herrn Jesus verbunden ist. Er hat diese Schmach willig getragen, und wir sollten ihr auch nicht aus dem Weg gehen.
Der Herr Jesus hat diesen schmachvollen Titel während Seines ganzen Lebens mit Würde getragen. Es beginnt in Mk 1,24, wo Er zu Beginn Seines öffentlichen Dienstes von Dämonen so bezeichnet wird; und es endet gleichsam wie ein Höhepunkt menschlicher Bosheit in der Aufschrift, die man über Ihn an Seinem Kreuz als ein universales Zeugnis in drei Sprachen befestigte: „Jesus, der Nazaräer, der König der Juden“ (Joh 19,19); hebräisch für die Juden, lateinisch für die Römer und griechisch als die damalige Weltsprache; wir könnten auch sagen, die religiöse Welt, die politische Welt und die kulturelle Welt. Auch die Engel nennen Ihn an Seinem leeren Grab so (Mk 16,6). Und in der ersten Rede des Petrus in Apg 2,22 nennt Ihn auch Petrus mit diesem Titel. Besonders bewegend ist, dass der Herr Jesus diesen Namen sogar mit in den Himmel genommen hat. Als Er vom Himmel her den Saulus von Tarsus vor Damaskus mit diesem strahlenden Licht zu Boden warf und von diesem gefragt wird, wer Er sei, antwortet Er: „Ich bin Jesus, der Nazaräer, den du verfolgst“ (Apg 22,8). Gerade da, wo sich der verherrlichte Herr untrennbar mit den Seinen auf dieser Erde verbindet, trägt Er immer noch mit Würde diesen Titel! Die Würde des Herrn Jesus beruhte auf dem, was Er war – der Sohn Gottes. Als solcher nimmt Er unter den Verachtetsten Seinen Platz ein. Seine Würde hängt nicht davon ab, wo Er auf der Erde lebte.
Philippus lässt sich durch den Einwand von Nathanael nicht abschütteln, er bleibt dran und gibt in seinem Bemühen, ihn zum Herrn zu führen, nicht auf. Und er benutzt dabei die gleiche Aufforderung, mit der der Herr Andreas und Johannes in Vers 39 aufgefordert hatte: „Kommt und seht!“
„Jesus sieht Nathanael zu sich kommen und spricht zu ihm: Siehe, wahrhaftig ein Israelit, in dem kein Trug ist.“ (Vers 47)
Aus diesen Worten des Herrn können wir doch entnehmen, dass Nathanael nicht in negativer Absicht über den Herrn gesprochen hatte, sondern nur die allgemeine Meinung über das verachtete Nazareth zum Ausdruck gebracht hatte. Er muss auch ein Teil des gläubigen Überrestes gewesen sein, der auf den Messias gewartet hatte, sonst hätte der Herr nicht so positiv von ihm gesprochen. Der Herr Jesus wollte mit diesen Worten an Nathanael in seinem Herzen Zuversicht wecken. Es ist bewegend, wie Er dessen Herz erreicht.
Diese Worte des Herrn scheinen auch eine Anspielung auf die Worte des Herrn in Zeph 3,13 im Blick auf den zukünftigen Überrest zu sein. Da wird das Kennzeichen des zukünftigen jüdischen Überrestes mit ganz ähnlichen Worten zum Ausdruck gebracht, wie der Herr Jesus sie hier auf Nathanael anwendet. Das bestätigt noch einmal die haushaltsmäßige Bedeutung dieses zweiten Tages.
„Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Ehe Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.“ (Vers 48)
Nathanael hatte den Herrn Jesus bis zu diesem Augenblick noch nicht gesehen, aber der Herr Jesus hatte ihn schon vor diesem ersten Zusammentreffen unter dem Feigenbaum gesehen. Wir sehen darin die Allwissenheit und Allgegenwart des Herrn Jesus. Offenbar hatte Nathanael geglaubt, dort unter dem Feigenbaum absolut allein zu sein. Was er dort unter dem Feigenbaum tat, hat der Heilige Geist uns nicht mitgeteilt. Vielleicht wartete er dort auf das Kommen des Messias, vielleicht betete er dort in dieser Erwartung. Aber nur Nathanael und der Herr Jesus wissen über diese Dinge.
„Nathanael antwortete ihm: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels“. (Vers 49)
Die Allwissenheit des Herrn Jesus überwältigt den Nathanael und bringt ihn zur Anbetung. Die Person des Herrn ist vor ihm und ist ihm groß. Und was er hier über Ihn ausspricht, ist ein wunderbares Zeugnis: „Du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels“. Nathanael bezieht sich in diesen Worten auf Psalm 2, und der Herr antwortet darauf mit Psalm 8. Sohn Gottes im Sinn von Ps 2,7 meint nicht die absolute Gottheit des Herrn Jesus, Seine ewige Sohnschaft – denn als absoluter Gott wurde Er nicht gezeugt – sondern beschreibt Seine Abstammung als Mensch von Gott, von Gott gezeugt (Lk 1,35).
Siebenmal im Johannes-Evangelium hören wir ein Zeugnis über die Gottheit des Herrn Jesus:
- Johannes der Täufer: „Ich habe gesehen und habe bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes ist“ (Joh 1,34)
- Nathanael: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels“ (Joh 1,49)
- Petrus: „Wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist“ (Joh 6,69)
- der Herr Jesus selbst: „Du lästerst (weil ich sagte: Ich bin Gottes Sohn)?“ (Joh 10,36)
- Martha: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes“ (Joh 11,27)
- Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28)
- die Heilige Schrift: „Damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“ (Joh 20,31)
Bei aller Verachtung, die dem Herrn Jesus zu Teil wurde, sorgte Gott dafür, dass das Zeugnis Seiner Gottheit auf siebenfache Weise in diesem Buch gezeigt wird.
Dieses Zeugnis Nathanaels in seinen beiden Teilen ist ähnlich dem des Thomas in Joh 20,28 und ist eine Bestätigung alttestamentlicher Prophezeiungen (z.B. Ps 45,12; Jes 25,9; 51,22). Und es ist genau der Anlass zu dem Todesurteil, das die Römer und die Juden über den Herrn Jesus ausgesprochen haben (Joh 19,7+14–15). Weil Er das von sich bezeugt hatte, was Er wirklich war, nämlich der Sohn Gottes, haben sie Ihn verurteilt; und auch weil Er der König Israels war, haben sie Ihn verurteilt. Selbst als der Herr Jesus schon am Kreuz hing, haben die Führer des Volkes Ihm genau diese beiden Dinge noch zum Vorwurf gemacht und deshalb verspottet (Mt 27,40–43). Und das sind auch genau die beiden Punkte, die der gläubige Überrest späterer Tage einmal bekennen wird. Sie werden anerkennen, dass Er der Sohn Gottes ist, und sie werden anerkennen, dass Er der Messias, der König Israels ist.
Es ist schön zu sehen, wie schnell Nathanael von seinem mit Vorurteilen behafteten Denken wegkommt und dieses wunderbare Zeugnis über den Herrn Jesus ausspricht. Er war aufrichtig, ein Mann ohne Trug; wer in dieser inneren Herzenshaltung mit der Wahrheit konfrontiert wird, wird weitergeführt werden. Aufrichtigkeit ist der Schlüssel dafür, Vorurteile abzulegen.
„Jesus antwortete und sprach zu ihm: Weil ich dir sagte: Ich sah dich unter dem Feigenbaum, glaubst du? Du wirst Größeres als dieses sehen. Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel geöffnet sehen und die Engel Gottes auf- und niedersteigen auf den Sohn des Menschen.“ (Vers 50+51)
Nathanael hatte also in Übereinstimmung mit Psalm 2 den Herrn Jesus als den Sohn Gottes angesprochen. Deshalb ist es erstaunlich, dass der Herr Jesus jetzt mit Psalm 8 antwortet und als Sohn des Menschen spricht. Zunächst sagt Er dem Nathanael, dass er Größeres sehen würde als die Allwissenheit und Allgegenwart des Herrn, die darin zum Ausdruck kam, dass Er ihn unter dem Feigenbaum gesehen hatte. Dieses Größere ist, dass der Herr Jesus Gegenstand des geöffneten Himmels sein würde.
Der Herr Jesus leitet Seine folgenden Worte mit einem „Wahrlich, wahrlich“ ein. Dieses doppelte Wahrlich wird nur im Johannes-Evangelium benutzt und kommt darin 25 mal vor, hier zum ersten Mal. Es bedeutet so viel wie Amen, Amen und leitet immer Aussagen von besonderer Bedeutung ein.
In einer früheren Version der Elberfelder Übersetzung wurden dann noch in eckigen Klammern die Worte hinzugefügt: „[Von nun an] werdet ihr den Himmel geöffnet sehen…“, als würde sich die folgende Ankündigung des Herrn auf die Gegenwart beziehen. Die Klammern wurden gesetzt, weil damals schon Zweifel daran bestand, ob diese Worte überhaupt dazu gehörten. Sie sind in den besten alten Handschriften so wenig bezeugt, dass sie jetzt in der überarbeiteten Fassung weggelassen wurden. Würden sich diese Worte des Herrn auf die Gegenwart beziehen, wären die Engel auch während des Lebens des Herrn als Mensch auf der Erde auf- und niedergestiegen auf Ihn. Natürlich haben Engel dem Herrn während Seines Lebens gedient. Engel sind die höchsten Repräsentanten der Schöpfung; sie werden in der Zukunft, im 1000-jährigen Reich, dem Sohn des Menschen dienen – das deutet der Herr in diesen Worten an. Mit diesen Worten des Herrn wird also eine allgemeine, grundsätzliche Tatsache vorgestellt.
Dass der Herr Jesus Gegenstand des geöffneten Himmels ist, geht weiter als das Zeugnis Nathanaels. Es ist heute noch nicht erfüllt, was der Herr hier ankündigt, es ist noch Prophetie. Außer an dieser Stelle finden wir noch bei vier weiteren Begebenheiten im Neuen Testament den Umstand, dass der Himmel geöffnet wurde, insgesamt also fünf Mal:
- bei der Taufe des Herrn Jesus durch Johannes den Täufer (Mt 3,16)
- bei der Steinigung des Stephanus (Apg 7,56)
- bei der Verzückung, die über Petrus auf dem Dach seines Hauses kam (Apg 10,11)
- bei dem Heraustreten des Herrn Jesus aus dem Himmel zum Gericht (Off 19,11)
- bei dieser zukünftigen Szene der Verherrlichung des Sohnes des Menschen (Joh 1,51)
Der Herr spielt dann noch auf die Leiter Jakobs in 1. Mo 28 an. Jakob hatte dort einen Traum von dieser Leiter, die bis an den Himmel reichte, und von den Engeln Gottes, die daran auf- und niederstiegen. Hier bezieht der Herr das auf sich als dem Sohn des Menschen. Der Verwirklichung dieser Prophezeiung ist heute noch zukünftig. Es wird ein Augenblick kommen, wo die gesamte Engelwelt, die Gewaltigen an Kraft und Täter Seines Wohlgefallens (Ps 103,20+21), alle Ihm unterworfen sein werden – dem, der der Sohn des Menschen ist – weil Gott Ihm alles unterworfen hat.
Vers 51 scheint aber noch über Psalm 8 hinauszugehen. Hier wird angedeutet, dass es zum ersten Mal eine Zeit geben wird, wo Himmel und Erde in vollkommener Harmonie miteinander sein werden. In dieser Zeit wird der zweite Schritt in der Erfüllung von Vers 29 erreicht sein: in einer bis dahin nie gekannten Weise wird die Sünde für 1000 Jahre unterdrückt und die Schöpfung erlöst und freigemacht worden sein, und es wird nichts mehr geben, was zwischen Himmel und Erde steht. Das wird bewirkt durch den Sohn des Menschen, den Mittelpunkt der Ratschlüsse Gottes, und es wird ungeschmälert 1000 Jahre anhalten.
Psalm 2 – Psalm 8; Sohn Gottes – Sohn des Menschen
Der Titel Sohn des Menschen ist eine höhere Wahrheit als das Zeugnis Nathanaels in Vers 49. Der Sohn des Menschen ist etwas Höheres als Sohn Gottes im Sinn von Psalm 2 und König Israels. Dieser Unterschied wird deutlich in den beiden Psalm 2 und 8. Der Ausdruck Sohn Gottes bezieht sich hier nicht auf die ewige Sohnschaft des Herrn Jesus. Das ist ein ganz wichtiger Punkt! Hier geht es um den Sohn von Ps 2,7. Der, von dem dort gesagt wird: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“, wird in Lk 1,35 das Heilige genannt, das Sohn Gottes genannt werden wird. Gott, der Sohn, wird als Mensch geboren von Maria als Seiner Mutter und Gott als Seinem Vater, und deshalb Sohn Gottes genannt. Das ist nicht identisch mit Seiner ewigen Sohnschaft. Es ist Sein Titel, den Herr in Bezug auf Israel als dessen König angenommen hat, und diese Zeit wird einmal ein Ende nehmen, denn Israel wird in der Ewigkeit nach dem 1000-jährigen Reich nicht mehr als Volk existieren. Der Titel König Israels hat deshalb keine ewige Bedeutung, weil dann keine Herrschaft über Israel mehr sein wird. Aber der Titel Sohn des Menschen wird in alle Ewigkeit bestehen bleiben.
Und dann kommt die große Wende in Psalm 8: „Mit Herrlichkeit und Pracht hast du ihn gekrönt“. Das wurde wahr, als der Herr Jesus auferstand und in den Himmel auffuhr. Darauf bezog sich der Herr in Seinen Worten dem Hohenpriester gegenüber: „Von jetzt an werdet ihr den Sohn des Menschen zur Rechten der Macht sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen“ (Mt 26,64). Das ist das nächste Mal, wo Israel den Herrn Jesus sehen wird. Einmal sahen sie Ihn als Sohn des Menschen in Seiner Erniedrigung, bald werden sie Ihn sehen als Sohn des Menschen in Seiner Macht und Herrlichkeit.
So sehen wir in Psalm 8 die beiden äußersten Eckpunkte: die totale Erniedrigung bis in den Tod hinein, die Er als Sohn des Menschen auf sich genommen hat; und dann der Gegenpunkt: Seine Erhöhung zur Rechten der Macht. Und darin wird auch noch ein Unterschied zu Psalm 2, dem gesalbten König in Zion deutlich. Dort wird gesagt, dass Ihm alle Enden der Erde zum Besitztum gegeben werden (Vers 8), hier in Ps 8,7 wird gesagt, dass Er zum Herrscher über alle Werke Seiner Hände gemacht wird. In Psalm 2 ist der Herrschaftsbereich des Königs in Verbindung mit Seinem irdischen Volk die Erde, in Psalm 8 ist der universelle Herrschaftsbereich des Sohnes des Menschen die gesamte Schöpfung. Außerdem wird die Herrschaft als König Israels ein Ende nehmen.
Wir können die ewige Sohnschaft des Herrn Jesus nicht trennen von der Wahrheit, dass Er auch als Mensch der Sohn Gottes ist, aber es ist doch wichtig, diese beiden Seiten Seiner Person unterscheiden zu können. Es ist eben nicht vollkommen dasselbe. Bevor der Herr Jesus Mensch wurde, war Er ewig der Sohn im Schoß des Vaters (Joh 1,1–18). Nur dadurch, dass der Herr Jesus der ewige Sohn war, konnte Er den Vater offenbaren. Vater und Sohn sind ewig, sonst hätte Gott in Seinem tiefsten Wesen als Vater gar nicht offenbart werden können (Joh 14,9). Aber es ist ein anderer Gesichtspunkt, dass Gott, als Er Seinen Sohn zu Seinem Volk Israel sandte, schon 1000 Jahre vorher durch David hatte offenbaren lassen, dass dieser Gesalbte nicht ein Mensch wie jeder andere Mensch sein würde, sondern auch Sohn Gottes sein würde (Ps 2,6+7). Und das ist nicht genau dasselbe wie das Hauptthema des Johannes-Evangeliums, es ist nicht identisch damit, dass der ewige Sohn Fleisch geworden ist. Es ist der andere Gedanke, dass dieser Mensch von Gott gezeugt wurde und deshalb den Titel Sohn Gottes bekommt.
In Röm 1,4 finden wir noch eine dritte Seite: Er ist sowohl der ewige Sohn Gottes, Er ist als Mensch der von Gott gezeugte Sohn Gottes, und Er ist drittens auch der Sohn Gottes, der als Mensch aus den Toten aufersteht. Es ist die Rückkehr des Sohnes als Mensch aus den Toten durch Seine eigene Auferstehung. Die Auferstehung ist der triumphale und glorreiche Abschluss Seines Werkes vom Kreuz. Ohne Seine Auferstehung gäbe es kein Zeugnis dafür, dass Gott Sein Werk anerkannt hat. Und hier sehen wir, dass der Herr Jesus in Seiner eigenen Auferstehung aus den Toten bewiesen hat, dass Er wirklich Sohn Gottes ist. In Seiner eigenen Machtvollkommenheit, die kein Geschöpf haben kann, ist Er aus den Toten auferstanden und hat dadurch bewiesen, dass Er kein Geschöpf sondern Gottes Sohn ist. Darin hat Er sich als Mensch erwiesen als Sohn Gottes.
Zusammengefasst noch einmal:
- der Herr Jesus war und ist Sohn Gottes als ewiger Sohn im Schoß des Vaters;
- Er war Sohn Gottes als Mensch in Niedrigkeit auf der Erde;
- Er ist Sohn Gottes auch in der Auferstehung.
Drei verschiedene Aspekte, die uns zeigen, wer der Herr Jesus als Sohn Gottes ist. Wir können sie unterscheiden und von diesen verschiedenen Seiten anbetend betrachten, aber es ist untrennbar diese eine wunderbare und unergründliche Person unseres&