Der Herr kommt – die Auferstehung und das Leben (Vers 17–37)

„Als nun Jesus kam, fand er ihn schon vier Tage in der Gruft liegen“ (V. 17).

In den Versen 17–19 wird uns die Situation geschildert, die der Herr antrifft, als Er nach Bethanien kommt. Lazarus befand sich schon vier Tage im Grab. Für die Menschen war sein Tod eine bestätigte Tatsache.
„Als nun Jesus kam“ – Er war doch mit seinen Jüngern dorthin gegangen. Aber sie verschwinden jetzt aus dem Auge des Betrachters und der Herr allein steht vor den Blicken aller. Die Jünger waren natürlich dabei, aber Er ist die Zentralperson, auf die jetzt aller Augen gerichtet sein sollen. Er kam jetzt persönlich, in der ganzen Fülle seiner Person, und gerade dahin, wo die Not war.

In Vers 34 fragt Er, wo sie Lazarus hingelegt hätten, und erst in Vers 38 kommt Er zu der Gruft. Und doch schildert der Heilige Geist hier, dass Er Lazarus schon vier Tage in der Gruft liegend fand. Das zeigt schon zu Beginn des ganzen Geschehens auch die Allwissenheit des Herrn Jesus; der, der Tote auferwecken kann, weiß auch, wo die Toten liegen.

Er fand Lazarus schon vier Tage in der Gruft liegen. So fand Er ihn vor, in einem hoffnungslosen Zustand. Aber seine Gegenwart macht den Unterschied. Die Gegenwart der Jünger konnte an diesem Zustand von Lazarus nichts ändern, aber die Gegenwart des Herrn macht den Unterschied. Und wenn in unserem Leben Nöte da sind, dann macht auch heute noch seine Gegenwart den Unterschied.

„Bethanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien weit; viele von den Juden aber waren zu Martha und Maria gekommen, um sie über ihren Bruder zu trösten“ (V. 18.19).

Warum erwähnt der Heilige Geist diese Nähe von Bethanien zu Jerusalem? Gott möchte seine Herrlichkeit in seinem Sohn nahe an dem Ort zeigen, wo Er dann sein Werk vollbringen würde. Viele von den Juden waren aus Jerusalem zu Martha und Maria gekommen, um sie zu trösten. Gott hatte das so geführt, damit viele Zeugen dabei sein sollten, wenn die Herrlichkeit Gottes in seinem Sohn gezeigt wird. Später sehen wir dann, dass es durch die Auferweckung von Lazarus zwei Gruppen unter ihnen gab: Die einen glaubten, und die anderen gingen zurück nach Jerusalem, um den Pharisäern von der Auferweckung zu berichten (s. V. 45.46).

Offenbar hatten diese drei Geschwister einen guten Eindruck in ihrer Umgebung hinterlassen, wenn so viele Juden zu den Schwestern gekommen waren, um sie zu trösten. Lazarus war nicht hingegangen, ohne vermisst zu werden, wie es von dem bösen König Joram heißt (s. 2. Chr 21,20). Es gab auch noch andere, die mitempfanden und trösten wollten. Sie gingen in das Haus der Trauer, was schon Salomo als das Bessere bezeichnet hat (s. Pred 7,2). Auch wir werden aufgefordert, mit den Weinenden zu weinen (s. Röm 12,15). Lassen wir uns dadurch ermutigen, einander zu trösten. Auch wenn wir wissen, dass menschlicher Trost immer ein beschränkter Trost ist, so wird es doch als wohltuend empfunden, wenn wir unser herzliches Mitempfinden ausdrücken. Das dürfen wir auch nicht nur auf die Fälle beschränken, wo wie hier der Tod eingetreten ist. Es gibt im Volk Gottes so viel Niederdrückendes, auch im Versammlungsleben, wo göttlicher Trost nötig ist.

„Martha nun, als sie hörte, dass Jesus komme, ging ihm entgegen. Maria aber saß im Haus“ (V. 20).
Die beiden Schwestern haben jede für sich einen Augenblick allein mit dem Herrn. Wir sehen in ihren jeweiligen Gesprächen mit dem Herrn, dass sie verschieden sind in ihrem Charakter und auch in ihrer Glaubensverfassung. Aber es ist sehr schön zu sehen, dass der Herr Jesus ihrem Charakter und auch ihrer Glaubensverfassung entsprechend auf sie eingeht. Er unterweist Martha, und Er tröstet Maria.

Am Anfang des Kapitels haben wir einen der seltenen Fälle, wo beide Schwestern gemeinsam handeln (s. V. 3), hier haben wir wieder Unterschiede; aber wir können nicht sagen, dass das, was Martha tat (dem Herrn entgegengehen), weniger gut war als das, was Maria tat (im Haus bleiben). Sicher war es für beide Charaktere eine typische Verhaltensweise, aber wir können nicht beurteilen, dass das eine besser oder schlechter gewesen wäre, als das andere. Es gibt Situationen in unserem Leben, da gibt es kein „richtig“ oder „falsch“; wir sind unterschiedlich, in unserem Charakter, in unserer Mentalität. Und es ist eine große Gefahr für uns, dass wir meinen, alle müssten sich in einer bestimmten Situation so verhalten, wie wir selbst uns verhalten, nur dann wäre es richtig. Etwas, was für mich richtig ist, muss noch lange nicht für einen anderen richtig sein. Wir sind unterschiedlich, und das berücksichtigt der Herr auch, wenn wir Ihm folgen. Das Aktive ist gut und hat seinen Wert, aber das Passive ist auch gut und wir haben es ebenfalls nötig. Der Herr möchte uns in unserer Unterschiedlichkeit in seiner Nachfolge gebrauchen.

Martha hört, dass Jesus kommt. Wie muss das ihr Herz bewegt haben. Sie hatten nichts weiter von Ihm gehört. Inzwischen war ihr Bruder gestorben, obwohl sie doch den Herrn benachrichtigt hatten. Was für ein Schmerz für ihre Herzen, die noch nicht wussten und noch viel weniger ahnten, was geschehen würde. Und jetzt hört sie, dass Er doch kommt. Es löst diese impulsiven Empfindungen in ihr aus, dass sie sofort aktiv wird und Ihm entgegengeht. Offensichtlich warteten beide Schwestern trotz des inzwischen eingetretenen Todes ihres Bruders immer noch auf den Herrn, und als Er dann kam (bei Martha) und rief (bei Maria), waren sie beide sofort unterwegs zu Ihm. Sie zeigten eine grundsätzliche Herzenshaltung des Wartens auf den Herrn – ist das nicht vorbildlich für uns?


Das Zusammentreffen des Herrn zuerst mit Martha und dann mit Maria fand also nicht im Haus der Schwestern statt, sondern noch außerhalb von Bethanien auf dem Weg dorthin (s. V. 30).

„Da sprach Martha zu Jesus: Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben; aber auch jetzt weiß ich, dass, was irgend du von Gott erbitten magst, Gott dir geben wird“ (V. 21.22).

Martha hat nicht den Glauben des Hauptmanns, der dem Herrn zugetraut hatte, seinen Knecht mit einem Wort aus der Ferne zu heilen. Sie weiß, dass der Herr den Tod von Lazarus hätte verhindern können, aber sie verbindet das mit seiner persönlichen Anwesenheit. Sie beschränkt seine Macht auf seine persönliche Anwesenheit. Dabei ist seit der Heilung des Sohnes des königlichen Beamten schon klar, dass der Herr Jesus für eine Heilung und damit für die Verbannung des Todes überhaupt nicht körperlich anwesend sein muss (s. Joh 4,46–53). Es kommt nicht auf seine Anwesenheit an, sondern auf das Wort seiner Macht.

Und wenn Martha auch die gleichen Worte sagt wie später Maria, so vermissen wir bei Martha doch die Haltung der Maria, die vor dem Herrn niederfällt (s. V. 32). Beide waren voller Trauer, beide mussten im Blick auf ihr Erkennen der Person des Herrn noch weitergeführt werden, aber Maria hatte doch mehr Tiefgang und ein größeres Verständnis über die dem Herrn gegenüber gebührende Haltung der Ehrfurcht.
Beide Schwestern offenbaren aber in ihren Worten den festen Glauben, dass in der Gegenwart des Herrn, der das Leben ist, niemand stirbt. Wäre der Herr noch während der Krankheit von Lazarus nach Bethanien gekommen, wäre Lazarus nicht gestorben.

Vielleicht hören wir in diesen Worten auch ein wenig unterschwellig die Frage: „Herr, warum bist Du nicht rechtzeitig gekommen? Wo warst Du, als wir Dich am nötigsten gebraucht haben?“ Wir können diese Fragen gut nachvollziehen, wenn wir nur an uns denken, wie wir in ähnlichen Situationen reagieren. Aber – wie schon einmal gesagt worden ist – der Herr kommt nie zu spät, Er kommt spätestens früh genug.

Dann spricht Martha über den Herrn Jesus, und aus ihren Worten wird deutlich, dass sie Ihn als einen wirksamen Mittler ansieht, als einen, der für sie zu Gott gehen und etwas für sie erbitten kann. Sie sieht Ihn nicht in der Größe seiner Gottheit. Wenn sie von dem erbitten spricht, dann gebraucht sie dabei ein Wort, das für ein demütiges Bitten eines Untergebenen an einen Höhergestellten benutzt wird, als müsste der Herr Jesus als Bittsteller etwas von Gott empfangen. Wenn der Herr Jesus von seinem Bitten an den Vater spricht, dann gebraucht Er ein ganz anderes Wort, was für ein vertrautes Bitten zwischen gleichgestellten Personen benutzt wird (s. Joh 14,16; 16,26).

Der Herr Jesus muss überhaupt nichts von Gott erbitten. Er ist nicht Empfänger von Gaben Gottes, Er ist selbst Geber. Er ist in seiner Person die Auferstehung und das Leben. Er ist nicht niedriger als Gott, Er hat in sich selbst jede Macht und Autorität und Verfügungsgewalt, so dass Er in sich selbst der Geber ist.

Frage: Vielleicht fragen wir uns, was Martha jetzt eigentlich noch erwartete, worum der Herr Jesus seinen Gott bitten sollte? Gesund gemacht werden konnte Lazarus nicht mehr, er war schon gestorben. Und dass der Herr ihn wieder lebendig machen könnte, damit rechnete sie offensichtlich nicht, denn die Ankündigung des Herrn, dass Lazarus auferstehen würde, bezog sie auf die Auferstehung am letzten Tag. Was wird sie dann mit ihrer Bemerkung über das Bitten des Herrn Jesus gemeint haben?


Antwort: Martha sieht den Herrn Jesus hier als den Vermittler, als den, der Gott um irgendetwas bitten kann, und Gott würde es Ihm geben. Sie scheint dabei nicht an eine konkrete Bitte zu denken, sondern Ihn ganz allgemein als den Vermittler zu sehen. Sie drückt einfach ihr grundsätzliches Vertrauen aus, dass der Herr Jesus etwas von Gott erbitten kann. Ihre Gedanken drehten sich um die jüdische Erwartung, dass der Herr Jesus der Messias sei; aber die Hauptlinie in diesem Kapitel, die in Vers 4 beginnt, führt dahin, zu zeigen, dass Er etwas weitaus Höheres als der Messias ist. Martha sieht in Ihm einen Empfänger in diesem messianischen Sinn, der seinem Volk den von Gott empfangenen Segen weitergeben würde (vgl. Ps 21,3.5; 72,1.16). Aber sie soll lernen, dass Er nicht Empfänger, sondern selbst Geber ist. Es geht also nicht um die Frage, was Er von Gott erbitten müsse, sondern ob Er überhaupt irgendetwas von Gott erbitten muss. Und der Herr macht Martha in den folgenden Versen klar, dass Er gar nichts von Gott erbitten muss, sondern in sich alles besitzt und jederzeit alles geben kann – dass Er sogar Leben geben kann.


„Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen“ (V. 23).

Wir sehen nicht nur bei den Schwestern Unterschiede, wie sie dem Herrn begegnen, sondern auch Unterschiede in der Art, wie der Herr den Schwestern begegnet. Martha hört wunderbare Worte über seine Person von Ihm, bei Maria hören wir überhaupt nicht, dass der Herr zu ihr spricht – in heftiger innerer Bewegung steht Er bei ihr und bringt dadurch seine ganzen göttlichen Empfindungen zum Ausdruck.

Wenn dann der Herr diese gewaltige Tatsache der Auferstehung von Lazarus anspricht, nennt Er ihn nicht bei seinem Namen, sondern spricht die Beziehung an, in der er zu seinen Schwestern steht – dein Bruder.
„Martha spricht zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tag“ (V. 24).

Martha kann die Tragweite dieser Worte des Herrn nicht erfassen. Aber sie zeigt in ihren Worten, dass sie das kannte und davon wusste, was Gott schon im Alten Testament über die Auferstehung offenbart hatte. Es war ihr persönlicher Glaubensbesitz, dass einmal eine Auferstehung stattfinden wird. Aber es entsprach genau der jüdischen Perspektive, sie erwartete nicht, dass der Herr ihren Bruder Lazarus jetzt auferwecken würde. Und doch wollte der Herr ihr deutlich machen, dass Lazarus eben nicht bis zum letzten Tag warten müsste, weil Er jetzt da war.

Mit der Auferstehung am letzten Tag (vgl. Dan 12,13) ist die Erwartung der Juden an eine Auferstehung am letzten Tag der damaligen Haushaltung verbunden, die sie in die Segnungen des 1000-jährigen Reiches auf der Erde einführen würde. Die eingeschaltete Haushaltung der Gnade und die Entrückung der Gläubigen findet im Alten Testament keine Erwähnung. Es wird auch noch kein Unterschied gemacht zwischen der Auferstehung zum Leben und der Auferstehung zum Gericht. Das hören wir erst aus dem Mund des Herrn Jesus selbst in Johannes 5,28.29.

Der letzte Tag beginnt mit der ersten Auferstehung (s. Off 20,5), der Auferstehung zum Leben. Sie findet in drei Phasen statt: Sie beginnt mit der Auferstehung des Herrn Jesus, dem Erstling der Entschlafenen (s. 1. Kor 15,20.23); die zweite Phase finden wir in 1. Thessalonicher 4,16.17 bei der Entrückung der Gläubigen, bei der auch die alttestamentlichen und neutestamentlichen Entschlafenen auferstehen werden. Die dritte Phase der Auferstehung von Gläubigen stellen die Märtyrer der Drangsalszeit dar, die in Offenbarung 20,4 unterschieden werden in die Märtyrer der ersten 3 ½ Jahre der Drangsalszeit („die um des Zeugnisses Jesu und des Wortes Gottes willen enthauptet worden waren“ [vgl. Off 6,9]), und die Märtyrer der zweiten Hälfte der Drangsalszeit („die das Tier nicht angebetet hatten noch sein Bild, und das Malzeichen nicht angenommen hatten an ihre Stirn und ihre Hand“ [vgl. Off 13,15]).

Etwa tausend Jahre später wird eine weitere Auferstehung stattfinden, die Auferstehung zum Gericht, bei der vor dem großen weißen Thron alle Ungläubigen auferstehen und nach ihren Werken gerichtet und in den Feuersee geworfen werden (s. Off 20,11–15).

Die Auferstehung, die hier in Johannes 11 an Lazarus geschieht, gehört weder zu der ersten Auferstehung noch zu der Auferstehung zum Gericht. Es ist eine Auferstehung zu einem natürlichen Leben auf der Erde, das auch wieder durch den Tod sein Ende finden würde. Sie dient der Darstellung der Macht und Herrlichkeit des Sohnes Gottes, der tatsächlich die Mauer des Todes zu durchbrechen vermag und Auferstehungsmacht besitzt.

„Jesus sprach zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du dies?“ (V. 25.26).

Das Wunder, dass der Herr Jesus an Lazarus auszuführen im Begriff stand, war wirklich ein Zeichen von etwas Größerem, das bei seinem Kommen geschehen wird, wenn Er seine Macht über den Tod an allen Glaubenden offenbaren wird. Denn die Auferweckung von Lazarus würde eine Auferweckung für diese erste Schöpfung sein. Der Herr macht Martha mit diesen Worten deutlich, dass Er nicht als der Messias nach ihrer jüdischen Erwartung vor ihr steht, sondern als der Ich bin, der ewig Unveränderliche, der Allmächtige des Alten Testaments. Er stellt hier eine Herrlichkeit seiner Person als der ewige Sohn Gottes vor. Diese Herrlichkeit ist verknüpft mit dem, was wir als glaubende Christen der jetzigen Haushaltung besitzen.

Wenn Er sagt: „Ich bin die Auferstehung“, dann bringt Er damit zum Ausdruck, dass Er die Macht über den Tod in seiner ganzen Tragweite hat. Und wenn Er sagt: „Ich bin das Leben“, dann heißt das, dass Er Leben in sich hat, welches vom Tod nicht angetastet werden kann. Und das hat für uns in der heutigen Zeit schon geistliche Auswirkungen, denn Er gibt denen, die an Ihn glauben, ewiges Leben – dieses Leben, das vom Tod nicht angetastet werden kann. Er führt Menschen, die an Ihn glauben, geistlicherweise aus dem Bereich des Todes in den Bereich des Lebens.

Es wird aber auch noch weitere Auswirkungen haben, Auswirkungen zu einem anderen Zeitpunkt. Damit deutet der Herr auf das Ereignis hin, dass stattfinden wird, wenn Er wiederkommen wird, um die Seinen zu sich zu nehmen – der Augenblick der Entrückung. Dann wird diese wunderbare Tatsache, dass Er die Auferstehung und das Leben ist, eine zweifache Auswirkung haben: Wer an Ihn glaubt, wird leben, auch wenn er physisch stirbt (Auferweckung der bereits entschlafenen Gläubigen); und wer physisch lebt und an Ihn glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit (Verwandlung der dann lebenden Gläubigen, wenn das Sterbliche verschlungen wird von dem Leben [s. 2. Kor 5,4]). Seine Worte sind also eine gewisse Vorwegnahme von dem, was in 1. Thessalonicher 4,16.17 erklärt wird.

Im Alten Testament sind auch Menschen auferweckt worden, z. B. im Wirken von Elia und Elisa; aber keiner von denen, durch die Gott damals die Auferstehung bewirkt hatte, konnte von sich sagen: „Ich bin die Auferstehung.“ Jetzt stand aber derjenige vor Martha, der nicht nur Auferstehung bewirkt, sondern der gegenwärtig ohne jeden Zeitbezug in seiner Person die Auferstehung ist.

Die Reihenfolge Auferstehung – Leben ist wichtig! Der Herr spricht von einem Leben, das auf dem Weg der Auferstehung geschenkt wird. Dieses Leben gehört zu einem Bereich, der nichts mehr mit der Sünde, mit dem Tod oder dem Feind zu tun hat. Leben, das auf dem Weg der Auferstehung erlangt wird, ist Leben, das zu einem anderen Bereich gehört und durch nichts angetastet werden kann.

Wenn die Auferstehung an erster Stelle steht, ist auch völlig klar, dass das mit Tod zu tun hat – und das zuallererst auch für denjenigen, der die Auferstehung ist. Das Wirksamwerden seiner Auferstehungsmacht wäre undenkbar ohne seinen Tod! Der Herr Jesus würde diesen Titel in seinem tiefsten Sinn darin erweisen, dass Er am Kreuz sterben und auferstehen würde. Er ist die Auferstehung, weil Er der Anfang der neuen Schöpfung ist. Und während Er diese Worte zu Martha spricht, weiß Er natürlich um diese ganze Tragweite für Ihn selbst!

Die Belehrung, die der Herr Jesus hier über seine eigene Person gibt, wird jetzt in dieser Situation in Bethanien eine Auswirkung haben. Lazarus würde auferweckt werden, weil derjenige da war, der die Auferstehung und das Leben ist. Aber das würde „nur“ eine Auferstehung für diese erste Schöpfung sein.
„Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll“ (V. 27).

Nach seinen tiefgehenden Worten hatte der Herr Martha gefragt: „Glaubst du dies?“ Und Martha antwortet genauso, wie sie es in ihrem Herzen aufgenommen hatte. Was sie sagt, ist absolut groß, und genau das Gegenteil dessen, was die Feinde des Herrn von Ihm gesagt hatten. Sie stützte sich dabei auf das Wort Gottes des Alten Testaments. Aber sie zeigt in ihren Worten auch, dass sie noch in den jüdischen Erwartungen im Blick auf den Messias gefangen war. Sie befindet sich auf der Höhe der Erkenntnis von Andreas in Johannes 1,41; auch Philippus hatte zu Nathanael von dieser Überzeugung gesprochen (s. V. 45), ebenso auch Nathanael selbst (s. V. 49). Martha steht praktisch noch auf dem Boden von Johannes 1. Die Samariter hatten von Ihm als dem Heiland der Welt gesprochen (s. Joh 4,42), das ist weit mehr, als das, was Martha hier über Ihn sagt. Petrus hatte in Johannes 6,69 von dem Herrn als dem Heiligen Gottes gesprochen, auch weit mehr als die Worte Marthas.

Martha zeigt damit, dass sie an den Herrn Jesus glaubte, aber dass sie das, was Er von sich offenbart und ihr vorgestellt hatte, nicht erfasst hat. Haben wir durch die Betrachtung dieser Verse einen tieferen Eindruck gewonnen von dieser Herrlichkeit des Herrn Jesus als die Auferstehung und das Leben?

In Matthäus 16,16 spricht Petrus sehr ähnliche Worte wie Martha hier. Wir können eine gewisse Parallelität darin sehen. Wenn es darum geht, dass der Herr Jesus der Christus – also der Messias – ist, dann ist das die jüdische Ebene, das, was man aus dem Alten Testament wissen und glauben konnte. Aber wenn es um den Glauben an den ewigen Sohn Gottes geht, wie Er in diesen beiden Stellen gezeigt wird, dann geht es um christliche Vorrechte. Aber Martha erkannte Ihn nicht als den ewigen Sohn, sondern als den Sohn im Sinn von Psalm 2. Dort wird in Vers 7 gesagt: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ Das beschreibt den Herrn nicht als den ewigen Sohn Gottes, sondern weist darauf hin, dass Er in seiner Abstammung als Mensch von Gott gezeugt war (vgl. Lk 1,35) – Sohn Gottes also in der Zeit, von seiner Zeugung an.

„Und als sie dies gesagt hatte, ging sie hin und rief ihre Schwester Maria heimlich und sagte: Der Lehrer ist da und ruft dich“ (V. 28).

Man hat den Eindruck, dass Martha sich überfordert fühlt, dass sie sich eingestehen muss, dass die Worte des Herrn ihr Fassungsvermögen übersteigen und sie deshalb diese Unterredung beendet, indem sie Ihn verlässt und zu Maria geht. Der Herr hätte sie niemals weggeschickt, aber Martha scheint zu empfinden, dass das Herz ihrer Schwester Maria empfänglicher war für die Art und Weise, in der der Lehrer zu ihr gesprochen hatte. Dass der Herr Maria tatsächlich zu sich gerufen hatte, lesen wir ja nicht in diesen Versen. Es scheint auf jeden Fall das wirkliche Empfinden Marthas gewesen zu sein, dass es Worte des Herrn waren, die Maria eher erfassen würde als sie selbst.

Martha hatte heimlich zu Maria gesprochen, die zum Trost ins Haus gekommenen Juden hatten nicht mitbekommen, was sie ihr gesagt hatte. Damals in Lukas 10 hatte sie den Herrn noch vor allen anderen auf das Verhalten Marias angesprochen. Daraus hatte sie offenbar gelernt und redete jetzt so zu ihr, dass die anderen das nicht mitbekamen.

„Als aber diese es hörte, stand sie schnell auf und ging zu ihm. Jesus aber war noch nicht in das Dorf gekommen, sondern war noch an dem Ort, wo Martha ihm begegnet war“ (V. 29.30).

Offenbar hatte zuerst nur Martha davon gehört, dass der Herr Jesus kommen würde, Maria hatte im Haus gesessen (s. V. 20). Aber jetzt, als auch Maria es hört, steht sie genauso schnell auf wie vorher Martha. Als der Lehrer ruft, reagiert sie sofort und geht zu Ihm. Sie wusste, dass Er viel mehr zu tun vermochte als die vielen Juden, die bei ihr im Haus waren und sie trösteten.

In völliger Ruhe war der Herr Jesus an diesem Ort der Begegnung mit Martha geblieben und nicht weiter nach Bethanien geeilt. Er blieb dort, bis auch Maria Ihn dort erreicht hatte. Er wollte jeder der beiden Schwestern eine ganz persönliche Begegnung und Unterredung mit Ihm ermöglichen.

„Als nun die Juden, die bei ihr im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass Maria schnell aufstand und hinausging, folgten sie ihr, indem sie sagten: Sie geht zur Gruft, um dort zu weinen“ (V. 31).
Die Juden irrten sich, als sie meinten, Maria ginge zur Gruft, um dort zu weinen. Vielmehr ging Maria zu Jesus, um bei Ihm zu weinen. An einer Gruft zu weinen, hat durchaus seinen Platz, aber es gibt nicht wirklich Trost. Glaubende Menschen haben etwas Besseres: Sie können zu dem Herrn Jesus gehen und bei Ihm weinen und ihr Herz vor Ihm ausschütten.

„Als nun Maria dahin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sprach zu ihm: Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben“ (V. 32).

Wenn Maria auch die gleichen Worte spricht wie Martha (s. V. 21), so tut sie es doch in einer anderen Haltung: Sie fällt Ihm zu Füßen. Dreimal finden wir sie zu den Füßen des Herrn Jesus. Die erste Erwähnung haben wir in Lukas 10,39, wo sie zu den Füßen des Herrn Jesus sitzt und seinem Wort zuhört. Martha sah bei dieser Begebenheit die Bedürfnisse des Menschen Jesus und wollte Ihm geben. Maria sah die Fülle des Sohnes Gottes und wollte von Ihm nehmen. Und der Herr lohnt das mit den Worten, dass sie das gute Teil erwählt hat. Dieses gute Teil haben wir alle elementar nötig, um dann später auch einmal ein gutes Werk an Ihm zu tun!

Hier sehen wir sie zum zweiten Mal zu den Füßen des Herrn, wo sie ihre Demut und ihr eigenes Unvermögen offenbart. Später finden wir sie noch einmal zu seinen Füßen, um anzubeten; ihre Handlung wird vom Herrn mit den Worten gewürdigt: „Sie hat getan, was sie vermochte“ (s. Joh 12,3; Mk 14,8).

„Als nun Jesus sie weinen sah und die Juden weinen, die mit ihr gekommen waren, seufzte er tief im Geist und erschütterte sich und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sagen zu ihm: Herr, komm und sieh!“ (V. 33.34).

Ungläubigen Menschen bleibt nichts anderes, als an einem Gab zu weinen, Maria aber weinte zu den Füßen des Herrn Jesus. Der Herr sieht die Tränen dieser Frau und auch die Tränen der Juden. Und dann finden wir eine zweifache Reaktion bei Ihm. Als Erstes lesen wir davon, dass Er tief im Geist seufzte und sich erschütterte; das ist der Ausdruck seiner Empfindungen Gott gegenüber.

Die Fußnote zeigt, dass dieses tiefe Seufzen eine heftige (innere) Bewegung bedeutet. An anderen Stellen wird dieser Ausdruck auch wie folgt übersetzt: „Er gebot ernstlich“ (s. Mt 9,30; Mk 1,43), oder: „sie fuhren sie an“ (Mk 14,5). Der ursprüngliche Sinn dieses Wortes hat zu tun mit der Entrüstung wegen etwas Entgegenstehendem. Es wird zum Beispiel benutzt für das heftige Schnauben eines Pferdes, das in den Kampf drängt. Es beschreibt das tiefe, heftige Empfinden, das der Herr Jesus hier angesichts der entgegenstehenden Mächte Satans und des Todes hat.

Das Wort, das hier mit sich erschüttern wiedergegeben wird, wird in Johannes 12,27 so übersetzt: „Jetzt ist meine Seele bestürzt.“ In Johannes 13,21 wird es in Bezug auf den Herrn Jesus zum dritten Mal benutzt: auf dem Obersaal angesichts des Offenbar-Machens des Verräters Judas. An allen drei Stellen, in denen dieses Wort auf den Herrn Jesus bezogen ist, steht es im Zusammenhang mit dem Vorausempfinden seines Todes.

Hier befinden wir uns auf heiligem Boden. Wir haben es nicht oft in Gottes Wort, dass uns das Herz des Herrn Jesus so offen vorgestellt wird. Und gerade in diesen Versen werden uns tiefe Einblicke in sein Herz gewährt. Doch genau dann empfinden wir, dass unser Erkennen nur stückweise ist (s. 1. Kor 13,9). So ist es auch in diesen Versen. Wir erblicken etwas von den Empfindungen unseres Herrn, aber wir können seine menschlichen Empfindungen nicht davon trennen, dass Er zur gleichen Zeit vollkommen Gott ist. Seine Gefühle waren nicht beides, menschlich und göttlich als zwei verschiedene Dinge, sondern sie waren menschlich und göttlich, aber eins darin. Man kann die Person des Herrn Jesus nicht zertrennen. Er war in jedem Augenblick vollkommen Mensch und vollkommen Gott. Und all seine Empfindungen entsprachen diesem vollkommenen Wesen gleicherweise in einem. Wie könnten wir diese Dinge verstehen, wenn wir sie
nicht einzeln nacheinander betrachten? Wenn wir dann jeden Aspekt separat vor uns gehabt haben, dann ist es überwältigend für uns, diese Dinge miteinander zu verbinden und das Gesamtbild vor uns zu haben!
Tiefe Empfindungen und eine innere Erschütterung über die Folgen der Sünde und über die Ergebnisse der Macht Satans bewegen den Herrn hier. Man könnte auch sagen, dass es sogar eine gewisse Entrüstung ist über das Wirken Satans und die Folgen der Sünde. Auch empfand der Herr, welche Verunehrung der Tod als sichtbares Zeichen der Folgen der Sünde für Gott ist. Denn als Gott die Schöpfung geschaffen hatte, war alles sehr gut aus seiner Hand hervorgegangen. Dann kam die Sünde in die Welt, und durch die Sünde der Tod. Dieser Tod ist seit 6000 Jahren der äußerliche Beweis des Herrschaftsanspruchs Satans. Wie sehr wird Gott durch die Tatsache des Todes in seiner Schöpfung verunehrt. Und Er würde jetzt als der Triumphator über diesen Tod auftreten, indem Er am Beispiel von Lazarus einen aus diesem Tod entreißt!

Einer derartigen inneren Bewegung bei dem Herrn Jesus sind wir bisher in der Betrachtung des Johannes-Evangeliums noch nicht begegnet. Diese erste Reaktion auf das Weinen Marias und der Juden wird ja noch einmal unterschieden in zwei getrennte Auswirkungen: das innere Seufzen im Geist und das Bestürzt-Sein. Der Mensch Jesus sieht diese Trauer, diese Folgen des Todes in den Empfindungen der Angehörigen und Betroffenen. In dem Bewusstsein dessen, was der Tod in sich birgt und was die Folgen dieses Todes für die ganze Menschheit sind, lässt Er sich aktiv davon ergreifen. Wir dürfen es nicht so sehen, dass Er jetzt unter einen derartigen Eindruck kommt, sondern Er selbst nimmt diese Empfindungen im Blick auf das, was vor Ihm ist.

Wir haben hier etwas vor uns, was genau dem entspricht, was der Herr Jesus im Blick auf das Kreuz in Gethsemane vorausempfunden hat. Keiner von uns kann ergründen, was es für den Einen war, der stets im Schoß des Vaters weilte, jetzt als Mensch zu empfinden, von Gott verlassen zu sein. In Gethsemane hat der Herr Jesus im Voraus empfunden, was das Kreuz in seinen ganzen Dimensionen für Ihn bedeuten würde. Genau das haben wir hier auch, denn der Herr hat Lazarus nicht einfach aus den Toten auferweckt, sondern ein tiefes Empfinden von dem Leid und der Last davon auf sich genommen, bevor Er das getan hat. So sagt es auch Matthäus in seinem Evangelium, wenn es um das Heilen der Leidenden durch den Herrn Jesus geht. Er hat nicht einfach geheilt, sondern „Er selbst nahm unsere Schwachheiten und trug unsere Krankheiten“ (Mt 8,17). Hier am Grab von Lazarus hat Er das Leid des Todes als Folge der Sünde innerlich auf sich genommen.

Wenn wir in uns selbst seufzen, wissen wir unsere Empfindungen oft nicht recht vor Gott auszudrücken und haben nötig, dass sich der Heilige Geist unserer Schwachheit annimmt und sich für uns in unaussprechlichen Seufzern verwendet (s. Röm 8,23–26). Doch Er, der vollkommen Gott und Mensch in einer Person ist, konnte seine Empfindungen vor Gott in einer in jeder Hinsicht wohlgefälligen Weise ausdrücken. Aber es war Leid für Ihn! Mit innerer Beteiligung und innerem Leiden nimmt Er sich dieser Sache an und trägt sie in erster Linie vor Gott. Dennoch übersieht Er dabei nicht das Leid der beiden Schwestern und hat auch noch vollkommenes Mitempfinden mit ihnen. Das Bewusstsein seiner göttlichen Herrlichkeit tat seinen menschlichen Empfindungen keinen Abbruch!

Zwischen dem tiefen Seufzen des Herrn und den von Ihm vergossenen Tränen haben wir jetzt noch eine Frage des Herrn nach dem Ort, wo Lazarus hingelegt worden war. Der Herr hat diese Frage nicht um seinetwillen gestellt, denn Er wusste die Antwort natürlich. Aber Er hatte sie gestellt für die anderen, denn Er wollte, dass sie Ihn zu der Gruft begleiteten und dort seine Auferstehungs-Herrlichkeit sehen sollten. Außerdem weckte Er dadurch auch Hoffnung bei ihnen, dass Er sich jetzt dieser Sache annehmen würde.
„Jesus vergoss Tränen“ (V. 35).

Hier haben wir jetzt die zweite Reaktion des Herrn: den Ausdruck seiner Empfindungen den Menschen gegenüber. Sein ganzes Mitempfinden wird darin deutlich, dass Er Tränen vergoss. Wir sehen Ihn in seiner Herrlichkeit als der wahre Gott, der das ganze Ausmaß der Situation sah; und wir sehen Ihn auch in seiner Herrlichkeit als wahrer Mensch, der tiefes Mitempfinden mit Maria und ihren Tränen hat. Es ist schon mal gesagt worden, dass dieser Vers der kürzeste Vers in der ganzen Bibel ist – und was für eine Bedeutung haben diese wenigen Worte.

Dieses Tränen vergießen bei dem Herrn ist nicht das Gleiche wie das Weinen bei Maria und bei den Juden in Vers 33. Dort sind laut hörbare Ausdrücke des Weinens gemeint, Wehklagen (vgl. auch Lk 19,41). Aber was hier von dem Herrn gesagt wird, ist ein stilles Tränen vergießen. Man kann auch übersetzen, dass Er in Tränen ausbrach; und das zeigt, dass es nicht weniger intensiv war, wenn es auch kein lautes Weinen war. Was für eine Sprache reden diese stillen Tränen unseres Herrn! Er hat es nicht zur Schau gestellt, aber dennoch war es Ihm sehr ernst um diese Dinge. Was für einen Beweis seines vollkommenen Menschseins und seines Mitempfindens geben uns diese Tränen! Er sagt nichts, zeigt aber in dem Vergießen seiner Tränen sein ganzes Mitempfinden – auch ohne Worte eine sehr beredte Sprache!

Tod bedeutet Trennung, eine Beziehung auf dieser Erde wird aufgelöst. Man kann irdische Beziehungen nicht in den Himmel projizieren, Bindungen auf dieser Erde sind nur für diese Erde. Und wenn der Tod eintritt, ist diese Bindung für immer aufgelöst. Den damit verbundenen Schmerz für die Betroffenen fühlte der Herr hier, und Er fühlte das sogar viel tiefer als die Betroffenen selbst! Wenn der Weingärtner die Reben beschneiden muss, dann tut Ihm das mehr weh als uns.

„Nicht von Herzen plagt und betrübt er die Menschenkinder“ (Klgl 3,33), aber es gehört zu seinen weisen Plänen, so zu handeln. Durch den Trost, den Er in diesen Übungen zu geben vermag, will Er uns auch zeigen, dass dieser Trennungsschmerz nicht das Ziel dieser Not ist. Er will die Lücke, die durch solch eine Trennung bei uns entsteht, mit seiner wunderbaren Person füllen. Wenn wir dann zu der Erkenntnis kommen, dass solch eine schmerzvolle Trennung wirklich Gewinn gebracht hat, ist das Ziel erreicht. Aber es kann sein, dass wir Zeit unseres Lebens nicht zu dieser Erkenntnis kommen.

Der Herr trauerte hier nicht über den Verlust von Lazarus, zeigte aber sein tiefstes Mitempfinden. Und doch war Er Herr aller Empfindungen, seien sie noch so tief gewesen. Je nach unserer Veranlagung fällt uns das möglicherweise schwer. Manchmal fehlt uns vielleicht dieses Mitempfinden, und manchmal beherrschen uns die Trauer, das Seufzen oder unsere Empfindungen. Bei dem Herrn Jesus war das nie der Fall.

In Römer 12,15 lesen wir: „Freut euch mit den sich Freuenden, weint mit den Weinenden.“ Beides finden wir bei dem Herrn Jesus hier im Johannes-Evangelium. Bei dem ersten Zeichen, das Er gewirkt hat, bei der Hochzeit zu Kana, freute Er sich mit den sich Freuenden; Er vermehrte sogar die Freude, indem Er aus Wasser Wein machte. Er teilte diese Freude mit den Feiernden. Hier bei dem fünften und letzten Zeichen im Johannes-Evangelium weint der Herr mit den Weinenden und zeigte ihnen damit sein vollkommenes Interesse und Mitempfinden.

„Da sprachen die Juden: Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt! Einige aber von ihnen sagten: Konnte dieser, der die Augen des Blinden auftat, nicht bewirken, dass auch dieser nicht gestorben wäre?“ (V. 36.37).

Die Juden reagieren sehr emotional auf die Tränen des Herrn und bringen seine Tränen mit seiner Liebe zu Lazarus in Verbindung. Dass der Herr Lazarus liebte, haben wir in Vers 5 gesehen, daran besteht kein Zweifel. Aber seine Tränen hier waren eben nicht Tränen des Verlustes um einen Freund, sondern Tränen des Mitempfindens mit den beiden Schwestern.

Dann bringen einige von den Juden mit ihren Worten zum Ausdruck, dass dieser Verlust doch gar nicht hätte eintreten müssen, wenn der Herr bloß eher gekommen wäre. Sie schließen von der einen Wunderheilung in Kapitel 9 darauf, dass der Herr auch bei Lazarus eine Heilung hätte bewirken können. Ja, Er hätte das bewirken können, aber dann wäre die Herrlichkeit Gottes nicht so sichtbar geworden, wie es in der Absicht des Herrn lag. Er konnte sich so noch viel mehr verherrlichen, als wenn Er den Tod von Lazarus verhindert hätte.

Wir haben in diesen Versen also zwei Kommentare von Menschen über die Tatsache, dass der Herr Jesus geweint hat. Aus beiden Aussagen können wir lernen, und zwar durch den Kontrast. Denn beide Aussagen stehen im Kontrast zu dem, was der Heilige Geist uns hier vorstellen möchte. Die erste Aussage macht deutlich, dass die Juden meinten, der Herr würde weinen wegen des eingetretenen Todes und der damit verbundenen Trennung von Lazarus. Sie hatten recht damit, dass sie Ihm Liebe zu Lazarus zusprachen, aber sie verbanden seine Tränen mit einer durch den Tod von Lazarus bewirkten Traurigkeit. Doch aus dem, was wir in Vers 25 betrachtet haben, wissen wir, dass die Ursache seiner Tränen nicht diese Art von Traurigkeit gewesen ist. Er wusste ganz genau, dass Lazarus in wenigen Augenblicken lebendig vor ihnen stehen würde, und dass dadurch auch der Schmerz der Übrigen gestillt sein würde. Der zweite Kommentar zielt darauf ab, dass die Lösung aus Sicht der Juden gewesen wäre, das Eintreten des Todes bei Lazarus durch rechtzeitiges Handeln und Heilen zu verhindern. Aber wir sollen ja in diesem Geschehen lernen, dass der Herr Macht über den Tod hat. So helfen uns diese beiden Aussagen, zu erkennen, dass die menschlichen Gedanken sich nicht zur Höhe der göttlichen Absichten in diesem Kapitel erheben können.

Zeigt uns das alles nicht auch die Einsamkeit unseres Herrn? Martha hatte Ihn nicht verstanden, von Maria hören wir nichts über ihr Gespräch mit dem Herrn; und die Juden hier besaßen auch kein Verständnis im Blick auf seine Person, sie schreiben Ihm nur beschränkte Fähigkeiten zu. Sicher ist das hier nicht böse oder ablehnend gemeint, aber es erinnert doch ein wenig an das, was andere später unter seinem Kreuz über Ihn sagten: „Andere hat er gerettet …“ (Mt 27,42). Er hatte schon so viele Wunder getan, warum war Er dann nicht in der Lage, bei seinem Freund Lazarus den Tod zu verhindern?