Rückblick auf die Verse 1–31
Das Johannes-Evangelium stellt besonders die Person des Herrn Jesus vor, wie Er als Mensch auf dieser Erde war und zugleich der ewige Sohn Gottes ist. Wir finden in diesem Evangelium sieben Wunder, die der Herr Jesus vor Seinem Werk am Kreuz getan hat, und diese Wunder werden in fast allen Fällen Zeichen genannt. Es sind also nicht nur übernatürliche Dinge, sondern es ist jeweils eine Botschaft damit verbunden.
Bei dem ersten dieser sieben Zeichen [1] lesen wir in Joh 2,11, dass der Herr Jesus diesen Anfang der Zeichen machte und Seine Herrlichkeit offenbarte. Um diese Herrlichkeit der Person des Herrn Jesus geht es immer bei den Zeichen. In Joh 20,31 sagt Johannes im Blick auf diese Zeichen, dass wir dadurch glauben sollen, dass der Herr Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes.
Am Anfang dieses fünften Kapitels haben wir das dritte Zeichen bei der Heilung des Gelähmten. In der Brotvermehrung bei der Speisung der 5.000 haben wir dann das vierte Zeichen. Mit diesen beiden Zeichen sind wichtige Botschaften verbunden, die die Person des Herrn Jesus groß machen. In Johannes 5 sehen wir, dass der Herr Jesus die Kraft und Macht und Autorität hat, Leben zu geben, wem Er will. In Johannes 6 finden wir dann, dass die Voraussetzung, um dieses Leben zu vermitteln, die Tatsache ist, dass der Herr Jesus als das Brot des Lebens auf die Erde gekommen ist und selbst Sein Leben gegeben hat.
Johannes 5 teilt sich in drei große Abschnitte auf
- Vers 1–18: die Heilung des Gelähmten; wir sehen dabei die Herrlichkeit des Herrn Jesus, aber andererseits auch die Unfähigkeit des natürlichen Menschen, der sich selbst nicht helfen kann und dem auch niemand anderes helfen kann als nur der Herr Jesus, der Sohn Gottes
- Vers 19–30: ein besonderer Höhepunkt in diesem Evangelium: das Eins-Sein zwischen dem Vater und dem Sohn im Handeln, in der Liebe, in der Macht ewiges Leben zu geben, im Gericht und auch in der Ehre
- Vers 31–47: vier verschiedene Zeugnisse über den Herrn Jesus: Johannes der Täufer (Vers 33), die Werke des Herrn Jesus (Vers 36), der Vater (Vers 37), und die Schriften des Alten Testamentes (Vers 39).
Die vier Zeugnisse über den Herrn Jesus
„Wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis nicht wahr.“ (Vers 31)
Ein Vergleich mit Joh 8,14 scheint einen Gegensatz zwischen diesen beiden Aussagen des Herrn zu zeigen. Einmal sagt der Herr Jesus, dass Sein Zeugnis wahr ist, wenn Er von sich selbst zeugt; und hier sagt Er, dass Sein Zeugnis nicht wahr ist, wenn Er von sich selbst zeugt. Aber beide Aussagen sind richtig, es kommt auf den jeweiligen Zusammenhang an, in dem sie stehen. Hier hatte der Herr Jesus vorher von Seinem Eins-Sein mit dem Vater gesprochen; und jetzt sagt Er in diesem Zusammenhang, dass, wenn Er unabhängig von dem Vater zeugen würde – was Er aber nicht tut und auch nicht tun kann – dann wäre Sein Zeugnis nicht wahr.
Wenn der Herr Jesus von sich selbst zeugen würde, dann wäre das als ein vor Menschen gültiges Zeugnis nicht ausreichend. Damit stellt Er, der eben von sich offenbart hatte, dass Er der ewige Sohn ist, sich hier als abhängiger Mensch unter den Vater. Er hätte das Recht gehabt, auf Seinem eigenen Zeugnis zu bestehen. Aber Er sagt hier praktisch, dass Sein eigenes Zeugnis als Mensch nicht ausreichend wäre.
„Ein anderer ist es, der von mir zeugt, und ich weiß, dass das Zeugnis wahr ist, das er von mir zeugt.“ (Vers 32)
Der andere, von dem der Herr Jesus hier spricht, ist der Vater, nicht Johannes der Täufer. Das macht der Zusammenhang und Übergang zwischen diesen beiden Abschnitten deutlich. Außerdem steht dieses Zeugnis des Vaters zweimal in diesem Vers in der Gegenwartsform, es ist ein anhaltendes und fortwährendes Zeugnis, während das Zeugnis von Johannes dem Täufer im nächsten Vers in der Vergangenheitsform steht.
Es ist ein Beweis der Gottheit des Herrn Jesus, wenn Er hier sagt, dass Er weiß, dass das Zeugnis wahr ist, das der Vater von Ihm zeugt. Nur Gott, der Sohn kann das so sagen. In Joh 8,14 spricht Er davon, dass er weiß, woher Er gekommen ist und wohin Er geht.
Dieser Vers ist wie eine Überschrift über den nun folgenden Abschnitt mit den vierfachen Zeugen über den Herrn Jesus. Diese vier Zeugen sind alle übereinstimmend und haben alle ihren Ursprung in dem Vater – deshalb bezieht sich der Herr hier zuerst auf den Vater, bevor Er die vier Zeugnisse der Reihe nach vorstellt. Johannes der Täufer war von Gott gesandt, die Werke, die der Herr Jesus getan hatte, hatte Er bei dem Vater gesehen, der Vater selbst zeugte, und auch die Schriften des Alten Testaments hatten ihren Ursprung in dem Vater. Der Vater wacht darüber, dass die Herrlichkeit Seines Sohnes sichtbar hervorkommt.
Diese vier Zeugnisse sollen den Juden klarmachen, dass der Herr Jesus der Sohn Gottes und der Gesandte des Vaters ist. Und wenn Er das ist, dann ist die Folge, dass sie an Ihn glauben müssen. Auch das Zeugnis des Vaters, dass der Herr Jesus Sein geliebter Sohn ist, hat Autorität, der man sich beugen muss.
„Ihr habt zu Johannes gesandt, und er hat der Wahrheit Zeugnis gegeben.“ (Vers 33)
Was die Kraft und Größe dieser vier Zeugnisse angeht, sind sie zunehmend. Der Herr Jesus beginnt hier mit Johannes dem Täufer, bevor Er daran anschließend dann drei direkt göttliche Zeugen nennt. Er möchte die Herzen der Juden erreichen und nennt deshalb als ersten einen, den sie gesehen und gehört hatten. Sie hatten die Botschaft dieses Mannes gehört, der bei ihnen anfangs auch ein hohes Ansehen hatte.
Der Herr Jesus sagt nicht direkt, dass Johannes der Täufer von Ihm gezeugt hatte, sondern dass er der Wahrheit Zeugnis gegeben hatte. Das ist nicht ganz dasselbe, aber es liegt doch sehr nahe beieinander.
Es gab eine Zeit, wo die Juden zu Johannes dem Täufer gesandt hatten (Joh 1,19 ff.; 3,26). Immer wieder wurde er gefragt und angesprochen wegen seines Zeugnisses über Christus. Und was hat er über Ihn gesagt? „Und ich habe gesehen und habe bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes ist“ (Joh 1,34). Das war genau die Tatsache, die hier in Kap 5 die Wut der Juden herausgefordert hatte (Vers 18). „Der von oben kommt, ist über allen… der vom Himmel kommt, ist über allen“ (Joh 3,31) – ein wunderbares Zeugnis von Johannes dem Täufer über den Herrn Jesus als dem Himmlischen!
Drei Dinge sagt der Herr über Johannes den Täufer:
- er hat der Wahrheit Zeugnis gegeben (Vers 33)
- er war die brennende und scheinende Lampe (Vers 35)
- in seinem Licht konnte man fröhlich sein (Vers 35)
Wenn es um den ersten Punkt geht, dann hat Johannes der Täufer einerseits über sich selbst der Wahrheit entsprechend Zeugnis gegeben, er hat aber auch in Bezug auf den Zustand der Menschen der Wahrheit entsprechend Zeugnis gegeben. Aber die schönste Seite ist doch die, dass er der Wahrheit entsprechend Zeugnis gegeben hat über den Herrn Jesus (vgl. Joh 10,41), er hat Ihn groß gemacht.
„Ich aber nehme kein Zeugnis von einem Menschen an, sondern dies sage ich, damit ihr errettet werdet“ (Vers 34)
Johannes der Täufer hatte von dem Herrn Jesus als dem Licht gezeugt (Joh 1,6+7), er hatte bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes und das Lamm Gottes ist (Joh 1,34+29), und doch sagt der Herr Jesus hier, dass Er kein Zeugnis von einem Menschen annimmt. Er steht hier vor uns als der Sohn Gottes; und der Sohn Gottes hat nicht das Zeugnis eines Menschen notwendig, um anderen zu beweisen, dass Er Gott ist. Man wird auch nicht eine Kerze anzünden, um zu beweisen, dass die Sonne scheint und wärmt. Der Herr Jesus brauchte das Zeugnis des Johannes überhaupt nicht.
Johannes der Täufer wird also etwas separiert von den nächsten drei Zeugen. Die Werke, der Vater selbst und die Schriften können für sich allein ein vollkommenes Zeugnis in Bezug auf die Herrlichkeit des Herrn Jesus ablegen. Das Zeugnis von Johannes, einem Menschen, ist für sich nicht kompetent, von dem Herrn Jesus zu zeugen. Und doch lässt der Herr Jesus diesen Zeugen stehen, damit die Juden glauben. Aber Er lässt ihn nicht nur stehen, sondern Er legitimiert diesen Zeugen und unterstreicht damit sein Zeugnis. Johannes der Täufer als Mensch brauchte eine solche Bestätigung, und die bekam er von dem, von dem er zeugte! So ehrt der Herr die, die in Aufrichtigkeit und Treue von Seiner Herrlichkeit zeugen.
Wir sehen hier den tiefen Beweggrund des Herrn Jesus für Seine Worte: Er wollte nicht Gericht üben, sondern suchte ihre Errettung. Er hatte bisher fast nur Ablehnung von Seinem Volk erfahren, und Er kannte ihre Herzen und wusste, dass es nicht anders werden würde. Und legt Er ihnen hier mit diesem vierfachen Zeugnis sogar ein umfassenderes Zeugnis vor, als es das Gesetz von einem Juden forderte (5. Mo 17,6; 19,15; Mt 18,16) – welche Gnade!
„Er war die brennende und scheinende Lampe; ihr aber wolltet für eine Zeit in seinem Licht fröhlich sein.“ (Vers 35)
Die Bilder, die der Herr Jesus benutzt, sind immer vollkommen. Er bezeichnet Johannes den Täufer als brennende und scheinende Lampe, innerlich für seinen Herrn brennend und nach außen scheinend. Das war seine Lebenserfüllung (Apg 13,24+25), seine kurze Lebenszeit von ca. 30 Jahren wird als eine erfüllte Lebenszeit dargestellt. Ist es nicht unser Wunsch, dass der Herr uns als heute noch treuen Zeugen ein solches Zeugnis ausstellen könnte? Er sucht bei uns ein brennendes Herz für Ihn und ein aktives Licht des Zeugnisses über Ihn nach draußen. Sind wir Himmelslichter in dieser Welt, die das Wort des Lebens darstellen (Phil 2,15+16)? Die Welt ist ohnehin in Finsternis, aber es liegt auch mancher Dunstschleier über vielen Kindern Gottes. Auch da haben wir eine Aufgabe, unser Licht leuchten zu lassen und der Wahrheit Zeugnis zu geben.
Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf besuchte einmal eine Galerie in Paris, dort stand er eine Zeit vor einem Bild von der Kreuzigungsszene, das die Unterschrift trug: „Das tat ich für dich – was tust du für mich?“ Das hat eine fundamentale Wende in seinem Leben verursacht. Welch eine Antwort des Glaubens geben wir Ihm? Ist Er immer noch die Person, die unsere Herzen wirklich brennend macht und unter deren Eindruck wir dann unserem Auftrag nachkommen und unser Licht nach draußen scheinen lassen?
Erfüllt diese Person unser Herz? Wir fragen uns oft, warum unser Zeugnis so schwach ist, und dabei denken wir meistens an äußere Aktivität für den Herrn. Das Brennen für Ihn ist Voraussetzung dafür, dass das Scheinen überhaupt erfolgen kann. Wenn wir innerlich nur wenig von dem Herrn Jesu erfüllt sind, müssen wir uns nicht wundern, dass das Zeugnis nach außen wenig Überzeugungskraft hat. Wenn wir dagegen innerlich von dieser wunderbaren Person erfüllt sind, dann ist das Zeugnis für Ihn eine Selbstverständlichkeit. Dann kann es gar nicht anders sein, dass wir lebendige Zeugen von dem sind, was wir in Seiner Person gefunden haben.
Und was kann uns hindern, mit Seiner Person erfüllt zu sein? Mt 5,15 und Mk 4,21 zeigen uns, dass wir unser Licht nicht unter den Scheffel und nicht unter das Bett stellen sollen. Das eine spricht von übergroßer Geschäftigkeit z.B. in unserem Berufsleben, das andere von einem gewissen Hang zur Bequemlichkeit. Beides kann uns Zeit und Energie rauben, uns mit Seiner Person zu beschäftigen, mit der Folge, dass unser Zeugnis nach außen schwach wird.
Eine brennende Lampe gibt auch Wärme, und eine scheinende Lampe gibt Licht. Wir denken bei dieser Ausdrucksweise auch an unseren Herrn selbst, der sowohl die wärmende Liebe als auch das klar scheinende Licht offenbart hat. Auch unser Zeugnis sollte diese Ausgewogenheit von Gnade und Wahrheit haben, von Liebe und Licht.
Früher gab es Licht nur, wenn wirklich etwas brannte; ein angezündetes Feuer oder eine Fackel verbreitete Licht. Bis vor wenigen Jahren noch gab es Licht nicht ohne Hitzeentwicklung. Bei den früheren Glühbirnen war die Hitzeentwicklung sogar größer als die Leuchtkraft der Lampe. Heute gibt es LED-Leuchten, die ein Übermaß an Licht verbreiten, aber die kalt bleiben dabei. Wie sieht das bei uns aus? Funktionieren wir wie eine LED-Lampe – hartes und grelles Licht, aber innerlich kalt, oder verbreiten wir durch unser Zeugnis auch anziehende Wärme? Wir müssen zuerst innerlich brennen durch die Größe und Herrlichkeit der Person des Herrn Jesus und können dann ein wärmendes und hell scheinendes Zeugnis für Ihn ablegen.
In diesem Vers haben wir durch das „aber“ einen von mehreren Gegensätzen in diesem Abschnitt: einerseits Johannes der Täufer andererseits die Juden, zu denen der Herr Jesus hier spricht. Er gibt hier ein Zeugnis über diesen Johannes ab, aber was die Juden in diesem Zusammenhang wollten, war zu wenig. Diese brennende und scheinende Lampe wollte mehr bewirken, als nur Fröhlichkeit für eine vorübergehende Zeit. Die Botschaft des Johannes war auch keine Botschaft, um fröhlich sein zu können, sie traf das Gewissen und stellte sie bloß und forderte ernste innere Einkehr und Buße. Eine solche Botschaft mit Freuden aufzunehmen ist nur oberflächlich und ohne Wurzeln (Mt 13,20+21). Zunächst einmal muss Trauer und Buße über den sündigen Zustand da sein, wenn man durch die Botschaft wirkliche Freude finden will. Die Juden aber wollten keine andauernden, beständigen Konsequenzen in ihrem Leben ziehen, sondern nur für eine Zeit fröhlich sein. Was für eine Verblendung! Mangelnde Ernsthaftigkeit führt dazu, dass es keine Dauerhaftigkeit in den Herzen gibt.
Wir denken dabei an Hesekiel, der auch keine freudigen Botschaften den Juden zu überbringen hatte. Aber sie kamen – wie hier bei Johannes – scharenweise zu ihm und hörten seine Worte, aber sie handelten nicht danach (Hes 33,31–33). Offensichtlich kann man sich selbst bei einer so ernsten und auch herrlichen Botschaft innerlich versperren. Das führt dann dazu, dass das Zeugnis, das eigentlich zur Rettung gegeben ist, das Gericht zur Folge hat.
Johannes selbst hat eine erfüllte Freude, als er die Stimme des Bräutigams hörte (Joh 3,29). Er hatte den Herrn Jesus gehört und gesehen und von Ihm als dem Sohn Gottes gezeugt. Und genau das wollten die, denen Johannes gegenüber von dem Herrn Jesus gezeugt hatte, nicht. Genau die Person wollten sie nicht annehmen. Sie brachten zwar dem Johannes eine hohe Anerkennung als Prophet entgegen, aber den, der für diesen Johannes die wahre Freude bedeutete, den wollten sie nicht.
„Ich aber habe das Zeugnis, das größer ist als das des Johannes; denn die Werke, die der Vater mir gegeben hat, damit ich sie vollbringe, die Werke selbst, die ich tue, zeugen von mir, dass der Vater mich gesandt hat“. (Vers 36)
Johannes war zwar von Gott gesandt (Joh 1,6), aber was er als Zeugnis weitergab, das hatte er selbst nur empfangen. Wenn es jetzt um das Zeugnis der Werke geht, kommen diese direkt von dem Vater, deshalb wird es als größer bezeichnet. Dadurch wird eine gewisse Rangfolge angedeutet. Das Zeugnis der Werke steht über dem Zeugnis des Johannes des Täufers. In Joh 10,25 verweist der Herr noch einmal auf Seine Werke als eine deutliche Legitimation davon, dass Er der Christus, der Messias, ist (vgl. auch Joh 10,37+38). In beiden Fällen tut Er das, weil die Juden Seine Worte nicht angenommen hatten. Eigentlich stellen die Worte des Herrn das höhere Zeugnis dar gegenüber den Werken, deshalb kommt der Herr ihnen entgegen und verweist sie auf Seine Werke, die eindeutig bestätigten, dass Er nicht nur der Messias, sondern sogar der Sohn Gottes war (vgl. Apg 2,22).
Wenn man einen Menschen kennenlernen will, dann achtet man auf das, was er tut und auf das, was er sagt. Eine Person offenbart sich durch Handlungen und durch Worte. Bei dem Herrn Jesus war das nicht anders. Hier wiesen Ihn Seine Werke als den vom Vater Gesandten aus, in Joh 17,8 spricht Er davon, dass Seine Worte erkennen ließen, dass Er vom Vater gesandt war.
Der Herr Jesus hat hier auf der Erde nur die Werke getan, die der Vater Ihm gezeigt hat und die der Vater Ihm gegeben hat (Joh 5,19), nicht ein einziges Werk hat Er aus sich heraus getan. Und Er hat auch nicht ein einziges Werk getan, das nicht den Vater offenbart hat. Er hat nicht einen einzigen Schritt auf dieser Erde getan, an dem der Vater nicht Sein Wohlgefallen gefunden hatte. Ob Er blieb oder ob Er ging, ob Er schwieg oder ob Er redete, es gab nichts in Seinem Leben, was noch zu steigern gewesen wäre im Blick auf das Wohlgefallen des Vaters. Unser Vorstellungsvermögen und Empfinden reicht bei weitem nicht aus, um zu erahnen, was alles der Vater an Ihm gesehen hat (Joh 21,25)!
Bei diesen Werken des Herrn Jesus geht es nicht so sehr um die darin zum Ausdruck gekommene Machtentfaltung, sondern in erster Linie um den Charakter dieser Werke. Hier im Johannes-Evangelium werden diese Werke ja Zeichen genannt, nicht nur übernatürliche Wunderwerke, sondern verbunden mit einer zeichenhaften Bedeutung. In diesen Werken offenbarte sich der Herr Jesus als der Sohn des Vaters, und Er offenbarte darin auch den Vater (Joh 14,10).
Diese Werke waren Ihm von dem Vater gegeben, und sie zeugten davon, dass der Vater Ihn gesandt hatte. Wir dürfen diese Werke aber nicht beschränken auf die Wunder, die Er gewirkt hatte. Auch z.B. Seine Unterredung mit der Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4) gehört dazu, so dass neben dieser Frau auch noch viele andere aus Sichar zum Glauben kamen. Auch das wies Ihn als den aus, der Leben zu geben vermochte. Alles in dem Leben des Herrn Jesus war von Gott gewirkt. Er öffnete Ihm jeden Morgen das Ohr (Jes 50,4), Er zeigte Ihm den Weg, den Er zu wandeln hatte, und Er gab Ihm auch die Kraft, um diese Werke zu vollbringen, die davon zeugten, dass Er der Sohn Gottes war. Und obwohl Er so viele Zeichen vor den Juden getan hatte, glaubten sie nicht an Ihn (Joh 12,37). Niemand vor oder nach Ihm hat jemals so deutliche Werke gezeigt, wie Er (Joh 15,24). Jedes Zeugnis in sich war ein unwiderlegbarer Beweis dafür, wer Er war.
Natürlich ragen aus all diesen Worten und Werken, die der Herr Jesus getan hat, die sieben Zeichen und Wunder im Johannes-Evangelium heraus. Gerade das erste Zeichen (die Hochzeit zu Kana) und das letzte Zeichen (die Auferweckung des Lazarus) erklären genau, welchen Zeichen-Charakter diese Wunder hatten. Wunder offenbaren Allmacht, und Zeichen deuten darauf hin, wer dieses Wunder tun konnte – und nur Gott konnte solche Zeichen wirken. Schon bei dem ersten Zeichen lesen wir, dass der Herr darin Seine Herrlichkeit offenbarte (Joh 2,11). Was Er darin von sich zeigte, war das Wirken göttlicher Herrlichkeit. Und das gibt allen Zeichen und Wundern sein Gepräge. Und was das letzte Zeichen betrifft, so sagte Er selbst, dass dies um der Herrlichkeit Gottes willen geschah (Joh 11,4). Es waren unmissverständliche Zeichen, wer diese Wunder unter ihnen wirkte – aber sie haben das nicht wahrhaben wollen.
Bei Johannes dem Täufer war das prägende Kennzeichen seine Worte, die er sprach, er redete Klartext; bei dem Herrn sind es Seine Werke, die Ihn als den vom Vater Gesandten auswiesen. Auch unser Zeugnis heute muss diese beiden wesentlichen Elemente haben: Worte und Werke, nicht nur das, was wir sagen, sondern auch das, was wir sind. Manchmal ist sogar ein Zeugnis ohne Worte deutlicher als vieles Reden (vgl. 1. Pet 3,1).
Der Herr spricht in diesem Vers davon, dass Er diese Werke vollbringt, und dass Er sie tut. Tun ist Aktivität (vgl. Joh 8,29), Vollbringen bedeutet, eine Sache nicht nur zu beginnen, sondern sie auch abzuschließen. Wenn Gott etwas zu tun beginnt, dann führt Er es auch mit dem Ergebnis zu Ende, das Er sich vorgesetzt hat. Wenn der Herr Jesus als vom Vater Gesandter die Werke des Vaters tut, dann vollendet Er sie auch – in höchstem Maß hat Er das getan, als Er am Kreuz ausrief: „Es ist vollbracht“ (Joh 19,30).
„Und der Vater, der mich gesandt hat, er hat Zeugnis von mir gegeben. Ihr habt weder jemals seine Stimme gehört noch seine Gestalt gesehen“ (Vers 37)
Noch einmal wiederholt der Herr Jesus diese Tatsache, dass Er vom Vater gesandt war und verbindet das mit dem dritten Zeugnis in diesem Abschnitt. Wann hat der Vater Zeugnis gegeben von dem Sohn? Ist es nur die Szene bei der Taufe des Herrn und auf dem Berg der Verklärung (Mt 3,17; 17,5)? Sicher ist das darin eingeschlossen, aber wir können sicher auch sehen, dass alles, was der Vater über Seinen auf der Erde lebenden Sohn ausgesprochen hat, was die Gläubigen gehört und verstanden und die Ungläubigen nur akustisch gehört aber nicht verstanden haben – auch in den Schriften des Alten Testaments – zu diesem Zeugnis über den Sohn gehört (z.B. auch Joh 12,28)[2].
Eine solche Aussage konnte nur der Sohn Gottes, der Mensch geworden war, treffen. Nur Er konnte sagen, dass der Vater Ihn gesandt hatte; und nur Er konnte sagen, dass der Vater Zeugnis von Ihm gegeben hatte. Was für ein gewaltiges Zeugnis ist das Zeugnis des Vaters über den Sohn! Und mit welcher Freude hat der Vater über den Sohn gezeugt!
Kein Mensch kann Gott sehen, denn Gott ist unsichtbar (Joh 1,18; 1. Tim 6,16). Allein in dem Sohn sehen wir die Gottheit, in Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig (Kol 2,9) – sowohl als Mensch auf der Erde als auch als verherrlichter Mensch im Himmel. Wer Ihn gesehen hat, hat den Vater gesehen (Joh 14,9), d.h. dass auch der Vater an sich unsichtbar ist.
Aber hatten die Juden denn nicht am Jordan die Stimme des Vaters doch gehört? Warum sagt der Herr dann, dass sie Seine Stimme nicht gehört hätten? Der griechische Wortlaut an dieser Stelle mit dem Akkusativ verbunden bedeutet: hören und verstehen. Das gleiche Wort wird auch mit dem Genitiv verbunden, und da bedeutet es: den Schall hören. Diesen Unterschied kann man im Deutschen nicht wiedergeben[3] Die Juden hatten die Stimme des Vaters vom Himmel her akustisch wohl gehört, aber nicht verstanden. Der Herr bleibt hier nicht an der Oberfläche stehen, sondern geht in die Tiefe.
„…und sein Wort habt ihr nicht bleibend in euch; denn dem, den er gesandt hat, diesem glaubt ihr nicht“ (Vers 38)
Mit diesem letzten Vorwurf an die Juden, dass sie das Wort Gottes nicht bleibend in sich hätten, leitet der Herr dann zu dem vierten Zeugnis, den Schriften des Alten Testaments, über. Aber wir wollen hier sehr die Demut unseres Herrn betonen, der mit diesen Worten Sein eigenes Wort unter die Schriften des Alten Testaments stellt! Wir sehen darin eine Erniedrigung bei dem Herrn, in die wir uns nicht hineinversetzen können. Er, der das Wort gegeben hat, der eins ist mit dem Vater, der als Diener auf die Erde kam – Er nimmt als Mensch in jeder Hinsicht eine dienende Stellung ein und stellt das Wort noch über sich selbst!
Mit dieser Bloßstellung des wahren Zustandes der Juden meint der Herr nicht alle Juden ausnahmslos, sondern die Feinde innerhalb dieses Seines eigenen Volkes. Im Grunde drückt Er damit aus, dass Er wusste, dass sie keine Buße mehr tun würden. Wir dürfen niemals so etwas über Menschen sagen, aber Gott kann Menschen oder sogar ganze Völker verhärten. Hier konfrontiert der Mensch gewordene Sohn Gottes Sein eigenes Volk mit allen Beweisen, dass Er der Sohn Gottes ist, und empfindet in aller Klarheit, dass sie diese vier Zeugnisse nicht annehmen und in ihrer starren Haltung bleiben würden.
Es ist also nicht nur die Feststellung einer Tatsache, dass sie Ihm nicht geglaubt hatten, sondern ein schuldhafter Vorwurf. Sie wollten nicht, und das tadelt der Herr deutlich. Diese Begründung unterstreicht auch sehr deutlich, warum sie dieses Zeugnis hätten annehmen sollen. Durch den Glauben an Ihn würden sie diese ganze Offenbarung des Vaters bekommen; sie hatten nicht gesehen und nicht gehört, weil sie nicht geglaubt hatten. Hätten sie geglaubt, stünde ihnen die Tür weit offen zur ganzen Kenntnis des Vaters (vgl. Joh 8,18+19). Wenn sie Ihn, den Sohn, angenommen hätten, dann hätten sie den Vater erkannt. Wer den Herrn Jesus nicht annimmt, kann auch nicht in die Offenbarung des Vaters eingeführt werden (2. Joh 9).
Anhand dieses Verses können wir gut verstehen, was der Herr Jesus später zu Thomas sagt: „Niemand kommt zum Vater, als nur durch mich“ (Joh 14,6). Die Juden wollten den Sohn nicht annehmen, glaubten nicht an Ihn, glaubten Ihm nicht, deshalb konnten sie auch nicht das Wort bleibend in sich haben, und auch nicht den, der Ihn gesandt hatte. Nur durch den Sohn kommen wir zu dem wahren Gott als Vater. Wer den Sohn ablehnt, lehnt den Vater ab, denn der Vater hat den Sohn gesandt. Als Gott Seinen Sohn sandte, sich in Ihm als Vater offenbarte, war die Zeit des einen Gottes Abrahams zu Ende. Gott ist immer noch Einer, aber seit dem Kommen des Sohnes auf die Erde kennen wir Gott auch in Seiner Drei-Einheit: Gott, der Vater, Gott der Sohn, und Gott, der Heilige Geist.
Es ist gut, das zu betonen, weil in unseren Tagen der jüdische Gedanke immer mehr in den Vordergrund drängt. Wir müssen klar festhalten, dass mit dem Kommen des Sohnes auf die Erde das Judentum als eine Religion vollkommen zu Ende gekommen ist. Als Gläubige der Gnadenzeit haben wir mit den alten jüdischen Gebräuchen und Anordnungen überhaupt nichts zu tun. Sie haben uns als Vorbilder neutestamentlicher Wahrheiten viel zu sagen, aber sie haben heute keine aktuelle Bedeutung mehr – auch nicht für einen Juden, der in dieser Zeit der Gnade zum Glauben gekommen ist! Er ist zwar der nationalen Herkunft nach ein Jude, aber er gehört von dem Zeitpunkt seiner Bekehrung an zur Versammlung, ist ein Glied des Leibes Christi. Vor fast 2000 Jahren hat ein Jude zu Juden gesagt: „Es ist in keinem anderen das Heil, denn es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel, der unter den Menschen gegeben ist, in dem wir errettet werden müssen“ (Apg 4,12). Trotzdem ist das Alte Testament elementarer Bestandteil des Wortes Gottes; es wäre ganz verkehrt, würden wir die Schriften des Alten Testaments als für uns unwichtig einordnen, denn sie zeugen von Christus, wie wir in den folgenden Versen deutlich sehen.
Was müssen das für innere Leiden für den Herrn Jesus gewesen sein, wenn Er hier Seinem eigenen Volk vorwerfen muss, dass sie Ihm als den vom Vater Gesandten nicht glaubten (Joh 1,11)! Wir lesen ab diesem Vers von einer siebenfachen Verneinung, was diese Juden alles nicht hatten und nicht wollten:
- „sein Wort habt ihr nicht bleibend in euch“ (Vers 38):
- „dem, den er gesandt hat, diesem glaubt ihr nicht“ (Vers 38)
- „ihr wollt nicht zu mir kommen“ (Vers 40)
- „ihr habt die Liebe Gottes nicht in euch“ (Vers 42)
- „ihr nehmt mich nicht auf“ (Vers 43)
- „die Ehre, die von Gott allein ist, sucht ihr nicht“ (Vers 44)
- „ihr glaubt den Schriften Moses nicht“ (Vers 47)
Eine erschreckende Aufzählung des Unglaubens angesichts dieser überwältigenden Zeugnisse! Sie befanden sich fest im Griff satanischer Macht, des Menschenmörders von Anfang (Joh 8,44).
„Ihr erforscht die Schriften, denn ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und sie sind es, die von mir zeugen“ (Vers 39)
Petrus schreibt, dass wir wiedergeboren sind „durch das lebendige und bleibende Wort Gottes“ (1. Pet 1,23), aber dieses ewige Leben bekommen wir nicht losgelöst von der Person des Herrn Jesus, und das war es, was die Juden suchten. In dieser Hinsicht war die Anwesenheit des Sohnes Gottes, des Gesandten vom Vater, der Test für sie, ob sie die Schriften annahmen oder nicht. Die Schriften zeugen von Ihm, und jetzt war Er lebendig unter ihnen, und das war der Test für sie, ob sie wirklich die Schriften befolgen wollten, ob sie Ihn annehmen wollten. Aber sie haben nicht geglaubt. Sie erforschten nicht die Schriften, um Christus darin zu finden. Sie kannten sich im Alten Testament gut aus und rühmten sich damit, das Gesetz zu kennen (vgl. Joh 7,49). Aber sie erkannten die Person nicht, die der Inhalt und das Wesen dieser Schriften ist. Sie waren gar nicht daran interessiert, im Gegensatz zu den Jüngern von Emmaus, die in diesen Schriften des Alten Testaments das erkennen durften, was Ihn selbst betraf (Lk 24,27). Wer das Alte Testament in dieser Hinsicht verwirft, der verwirft letzten Endes auch den Sohn Gottes.
Die Juden überschlagen übrigens heute noch bei ihren öffentlichen Lesungen das Kapitel Jesaja 53, eine der deutlichsten Prophezeiungen auf Christus, das zeigt ihre stolze Orthodoxie. Im Gegensatz dazu las der heidnische Kämmerer dieses Kapitel, aber mit einem fragenden und suchenden Herzen. Und dann stellt er dem Philippus diese Frage: „Von wem sagt der Prophet dieses, von sich selbst oder von einem anderen“ (Apg 8,32–34)? Und Philippus stellt ihm dann die Person vor, von der diese Stelle spricht.
Es kommt also darauf an, mit welcher Gesinnung man dieses Wort liest und erforscht. Durch das Lesen allein kann man kein Leben bekommen. Philippus hatte auch in den Schriften gelesen (Joh 1,45), aber nicht wie diese Juden, sondern er hatte sich durch Gott auf den zentralen Inhalt des Alten Testamentes hinweisen lassen. Dadurch hatte er erkannt, dass diese Schriften von dem Herrn zeugten. Wenn auch die Juden damals das Neue Testament und auch den Heiligen Geist nicht besaßen, trifft doch der Vorwurf des Herrn absolut zu, weil es an ihrer rechten Gesinnung mangelte. Sie hätten dieses Zeugnis annehmen müssen.
Wir dürfen auch in den Schriften des Alten Testaments forschen und darin finden, wie Vieles sie über den Herrn Jesus zeugen. Wenn man mit dieser Blickrichtung liest, enthalten diese Schriften einen wertvollen und unerschöpflichen Schatz für unsere Herzen. Sie zeugen konkret z.B. von Seiner Geburt (Jes 7,14), Seinem Geburtsort Bethlehem (Micha 5,1), der Salbung mit Heiligem Geist nach Seiner Taufe (Ps 89,20+21), Seine Leiden in vielen Einzelheiten (z.B. Ps 22, 42, 69, 88, 102), Sein Tod (Jes 53,8–12), Seine anschließende Erhöhung (Jes 52,13). Petrus hatte in Apg 3,18 auch bestätigt, dass Gott durch den Mund aller Propheten zuvor verkündigt hatte, dass der Christus leiden sollte. Auch Paulus konnte später so aus den Schriften des Alten Testaments argumentieren (Apg 9,22; 17,2+3).
Neben diesen konkreten Zeugnissen von der Person des Herrn Jesus gibt es im Alten Testament auch noch eine sehr große Zahl an Vorbildern; das können z.B. Personen sein, wie Isaak als der geopferte Sohn, oder Joseph als der von seinen Brüdern Verworfene; es können auch Gegenstände sein, wie z.B. die Bundeslade, oder Vorgänge wie z.B. die Opfer- und Priesterdienste (Heb 10) – und all diese Vorbilder werden im Neuen Testament deutlich erklärt. Sie sind ein Schatten der zukünftigen Dinge, der Körper aber ist des Christus (Kol 2,17), d.h. nicht, dass sie alle direkt von Ihm sprechen, dass sie aber zu Ihm gehören. In Galater 4 macht Paulus deutlich, dass das Geschehen von Abraham, Sara und Hagar und von Ismael und Isaak einen bildlichen Sinn hat.
Das Traurige ist, dass man in den theologischen Auslegungen der Christenheit über die alttestamentlichen Bücher nichts von diesen Hinweisen findet. Dort werden die Erfüllungen so vieler Weissagungen des Alten Testaments als reiner Zufall abgetan. Sie werden demontiert, und damit wird die Bibel auf das Niveau eines ganz gewöhnlichen Buches herabgezogen. Wie dankbar dürfen wir sein, dass wir unter der Leitung des Heiligen Geistes und im Licht des abgeschlossenen Neuen Testamentes Licht über diese wunderbaren Bilder des Alten Testamentes haben und das tun dürfen, wovon der Herr hier spricht: diese Schriften erforschen, um den Herrn Jesus darin zu finden!
„…und ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben habt“ (Vers 40)
Mit diesen Worten des Herrn wird deutlich gemacht, dass es nur einen Weg zum Leben gibt, und das ist das Annehmen des Herrn Jesus. Zu Ihm kommen heißt, Ihn im Glauben annehmen. Das galt damals und das gilt auch heute noch. Zweitens wird hier die Seite der Verantwortung des Menschen vorgestellt, der Mensch muss auch wollen. Die Seite Gottes ist, dass Er zum Sohn zieht; die Seite der Verantwortung des Menschen ist, dass der wollen muss. Es gibt heute vielfach Menschen, die sagen, sie können nicht glauben. Aber das ist nichts anderes als eine faule Ausrede. ‚Ich kann nicht glauben‘ heißt: ‚Ich will nicht glauben‘, und das ist etwas ganz Ernstes (Lk 13,34)! Es ist kein Versehen, keine Nachlässigkeit etwa, es ist eine bewusste Willensentscheidung gegen das Heilsangebot. Die Juden hatten eine gewisse intellektuelle Kenntnis der Schriften, sie forschten ja darin, aber sie wollten den nicht haben, der der Inhalt dieser Schriften war.
Es gab übrigens Juden, die zu Ihm gekommen waren, Petrus schreibt von ihnen in seinem ersten Brief (1. Pet 2,4). Und auch da weist er darauf hin, dass diese wunderbare Person, zu dem sie gekommen waren, von Menschen verworfen wurde.
Wir haben jetzt diese vier Zeugnisse vor uns gehabt, die für uns heute als Erlöste der Gnadenzeit rückblickend alle eins sind im Wort Gottes. Für uns finden wir das Zeugnis Johannes des Täufers im Wort Gottes, das Zeugnis der Werke des Herrn im Wort Gottes, das Zeugnis des Vaters im Wort Gottes, und das Zeugnis der Schriften eben auch im Wort Gottes. Für uns sind diese vier Zeugnisse ein gemeinsames Zeugnis, in dem wir Christus finden. Auch für uns gilt grundsätzlich, dass wir nur dann Nutzen aus dem Wort Gottes ziehen können, wenn wir das Gelesene immer in Verbindung bringen mit der Person des Herrn Jesus. Ob es die Vorbilder des Alten Testaments sind, ob es die Prophetie ist, oder ob es die neutestamentlichen Wahrheiten über die Versammlung sind, wir werden nur dann inneren Gewinn davon haben, wenn wir sie mit dem Herrn Jesus in Verbindung bringen. Deshalb wollen wir auch bei unserer Literatur bei Auslegungen über Gottes Wort bleiben, in denen Christus großgemacht wird.
„Ich nehme keine Ehre von Menschen an…“ (Vers 41)
Der Herr Jesus hat nie Seine eigene Ehre gesucht, aber was Er hier sagt, geht noch etwas weiter: Er nahm noch nicht einmal Ehre von Menschen an. Als Nikodemus zu Ihm kam und Ihn mit seinen wohlmeinenden Worten ansprach, geht Er gar nicht darauf ein, was Nikodemus da über Ihn und zu Ihm sagte (Joh 3,1–3). Und als Er von dem reichen Obersten mit den Worten angesprochen wurde: „Guter Lehrer“, wies Er ihn auch sofort zurück (Lk 18,18+19). Wenn sie Ihn im nächsten Kapitel nach dem Zeichen der Brotvermehrung zum König machen wollen, zieht Er sich wieder zurück auf den Berg (Joh 6,14+15). Er hat nie Ehre von Menschen angenommen. Welch eine hohe moralische Schönheit und Herrlichkeit der Person unseres Herrn. Er hat Seinen Dienst ausgeübt und ist Seinen Weg gegangen unabhängig vom Widerstand oder Beifall der Menschen.
Dieser Vers ist eine gewisse Ergänzung zu Vers 40. Dort hatte der Herr zu den Juden gesagt, dass sie nicht zu Ihm kommen wollten. Mit diesen Worten hier macht Er deutlich, dass es Ihm nicht darum ging, dass sie zu Ihm kommen sollten, um Ihn in irgendeiner Hinsicht Ehre zu erweisen. Aber gerade das entsprach so gar nicht ihren Vorstellungen von dem Messias, der kommen sollte. Und es entsprach auch so gar nicht ihrem Naturell, denn sie suchten ihre eigene Ehre. Und sie erwarteten von dem, der als der Messias kommen würde, dass der auch seine eigene Ehre suchen würde und ihre Ehrerbietung annehmen würde.
„…sondern ich kenne euch, dass ihr die Liebe Gottes nicht in euch habt.“ (Vers 42)
In Vers 38 hatten wir gesehen, dass der Herr den Juden vorwirft, dass sie das Wort des Vaters nicht bleibend in sich hatten, jetzt fügt Er hinzu, dass sie auch nicht einen Hauch von Liebe zu Gott in ihren Herzen hatten. Wäre diese Liebe in ihren Herzen gewesen, hätten sie erkannt, dass Er von dem Vater gesandt worden war und wären deshalb zu Ihm gekommen.
„Ich bin in dem Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht auf; wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen.“ (Vers 43)
Und dann folgt ein neuer Beweis Seiner Niedriggesinntheit, wenn Er hier sagt, dass Er eben nicht in Seinem eigenen Namen gekommen ist, sondern in dem Namen Seines Vaters, als der Gesandte des Vaters, die Offenbarung des Vaters. Der Herr Jesus hätte als Schöpfer ein Recht dazu gehabt, in Seinem eigenen Namen zu kommen, aber Er hat freiwillig auf dieses Recht verzichtet und sich als Mensch in allem dem Willen Seines Vaters untergeordnet.
Neben den ungläubigen Juden hatten auch die Jünger diese Worte gehört, aber sie hatten Sein Wort und Seine Liebe in sich – im Gegensatz zu den Juden. Nur kannten sie den Vater damals noch nicht so, wie wir in kennen dürfen. Dazu musste der Herr Jesus erst sterben und auferstehen und zurückkehren zu Seinem Vater und unserem Vater (Joh 20,17). Die Offenbarung des Vaters geschah hier, aber die Kenntnis über den Vater konnte erst dann kommen, nachdem das Sühnungswerk geschehen war.
Hier spricht der Herr Jesus von einem weiteren Test, den es für die Juden einmal geben wird. Es wird einmal ein anderer kommen, der so ganz verschieden ist von dem Herrn Jesus, dem Gesandten vom Vater, der einen ganz anderen Ursprung haben wird und der auch etwas ganz anderes suchen wird. Diese Person wird Ehre von Menschen annehmen, sie wird keine moralische Veränderung bei den Juden bewirken wollen – und den werden sie annehmen. Der Herr spricht hier von dem Antichrist, der kommen wird.
Es ist ein sehr betonter Gegensatz, den der Herr hier deutlich macht: Er war gekommen, und sie hatten Ihn nicht angekommen; der andere, der kommen wird, den werden sie aufnehmen. In 2. Thes 2,3–8 wird diese Person des Antichristen der Mensch der Sünde, Sohn des Verderbens und der Gesetzlose genannt. In Sach 11,15 ff wird er als der törichte Hirte bezeichnet; in Off 19,20 und 20,10 ist er der falsche Prophet. Moralisch gesehen wird er beschrieben als das Tier (Off 13,11), als ein Mensch, der überhaupt nicht aufblickt zu Gott. Er geht in den offenen Konflikt mit Gott, er setzt sich in den Tempel und lässt sich anbeten und stellt sich dar, dass er Gott sei (2. Thes 2,4). Hinzu kommt noch, dass er den allein wahren Gott, den Vater und den Sohn leugnet (1. Joh 2,22). Schlimmer kann man nicht formulieren, was es bedeutet, dass er in seinem eigenen Namen kommen wird. Er wird sich selber als Gott darstellen, und zugleich wird er sagen, dass der allein wahre Gott, der Vater und der Sohn, nicht existieren.
Eine Person dieses Charakters würden sie anstelle der Person des Herrn Jesus vorziehen – wie muss das den Herrn betrübt haben. Er war und ist wahrer Gott und wurde in grenzenloser Demut freiwillig Mensch; der Antichrist ist sterblicher Mensch und will sich in einer nie dagewesenen Anmaßung an die Stelle Gottes erheben.
„Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt und die Ehre, die von Gott allein ist, nicht sucht?“ (Vers 44)
Ehre voneinander zu nehmen geschieht oft mit dem Hintergedanken, dass wir einen anderen ehren, damit von dessen Ehre dann auch etwas auf uns zurückfällt. Im Judas-Brief wird von solchen gesprochen, die um des Vorteils willen Personen bewundern (Judas 16). Halten wir uns nicht auch schon mal – auch auf geistlichem Gebiet – zu solchen, von deren Position wir uns auch etwas Glanz für uns selbst versprechen? Sind wir wirklich ganz frei davon? Vergessen wir nicht, dass der Ehre Demut vorausgeht (Spr 18,12). Wer war demütiger als unser Herr (Mt 11,29)! Er war von solchen Gedanken völlig frei!
Gott hat in 1. Sam 2,30 dem Eli schon gesagt, dass Er die ehren wird, die Ihn ehren. Viele treue gläubige Männer und Frauen haben das erleben dürfen. Ein besonders schönes und ermunterndes Beispiel ist Maria von Bethanien, die den Herrn dadurch ehrt, dass sie Ihm Seine Füße mit echter, sehr kostbarer Narde salbt – und der Herr ehrt sie gegenüber dem Unwillen der Jünger, indem Er ihre Handlung als ein gutes Werk an Ihm bezeichnet (Joh 12,1–8; Mt 26,6–13).
Im Grunde genommen sagt der Herr hier den Juden, dass sie von derselben Art sind wie der Antichrist, von dem er im vorigen Vers gesprochen hatte. Sie nahmen Ehre voneinander, und das ist gerade das, was der Antichrist tun wird. Sie werden ihn deshalb aufnehmen, weil er zu ihnen, zu ihrem Wesen, passt. Für einen Menschen, der in diesem Zustand ist, der diesen Charakter trägt, gibt es keine Hoffnung, deshalb sagt der Herr, dass sie nicht glauben können, dass sie auf dem Weg sind, verloren zu gehen.
„Meint nicht, dass ich euch bei dem Vater verklagen werde; da ist einer, der euch verklagt, Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.“ (Vers 45)
Aber nicht der Herr selbst würde der Hauptzeuge gegen sie vor dem Vater sein, sondern ihre eigenen Schriften. Gerade auf Mose beriefen sie sich ja in besonderer Weise (vgl. Joh 9,28+29). Und eben dieses inspirierte Wort Moses, das sie so hochhielten, verurteilte sie, weil in diesem Wort der Herr Jesus in vielfacher Weise angekündigt war. Die Schriften von Mose waren eigentlich in einer zweifachen Hinsicht eine Anklage gegen die Juden:
- seine Schriften sprechen von Christus, und das lehnten die Juden ab
- in konkreten Schriftstellen wird ein Zeugnis gegen das Volk abgelegt (z.B. 5. Mo 31,19+26)
Es gibt auch noch zwei weitere Verkläger, die aufstehen werden im Gericht mit diesem Geschlecht: Männer von Ninive und die Königin des Südens (Mt 12,41+42). Die Männer von Ninive taten in Sacktuch und Asche Buße, sie waren mit ihrer eigenen Ehre am Ende, und die Königin von Scheba war von weither gekommen, um die Weisheit Salomos zu hören – von beidem waren die religiösen Führer des jüdischen Volkes weit entfernt.
Die ungläubigen Juden stellten in ihrer Haltung Mose gegen Christus. Sie setzten ihre Hoffnung auf Mose und auf das Alte Testament – und schlossen damit Christus aus und wiesen Ihn ab. In ihren Augen war Er nicht der zentrale Inhalt des Alten Testaments, nicht der Messias. Aber ohne Seine Person geht keine der Verheißungen des Alten Testaments in Erfüllung, ohne Ihn gibt es keine Hoffnung und keine Rettung für sie.
Der Vater hat das ganze Gericht in die Hände des Herrn Jesus gegeben (Vers 22+27), und doch stellt Er sich hier in vollkommener Demut hinter die Schriften des Alten Testaments. Der Herr Jesus wird richten, aber Er ist nicht der Verkläger. Auch Mose als Person wird nicht irgendwann bei einem künftigen Gerichtstermin gegen sie auftreten und Anklage erheben, sondern die Anklage des Mose ergibt sich aus seinen Schriften.
Der Herr erwähnt hier in dieser Ansprache an die Juden zum letzten Mal Seinen Vater. In Vers 17 hatte er Ihn zum ersten Mal erwähnt, und bei den Juden hatte das den Wunsch verstärkt, Ihn zu töten, weil Er Gott zu Seinem Vater machte. Wie sehr hat der Herr in der zwischen diesen Versen liegenden Ansprache immer wieder Sein Eins-Sein mit dem Vater betont, und wie muss das den Hass der Juden immer weiter gereizt haben. Aber Er würde sie nicht bei dem Vater verklagen, Er war die Offenbarung der Gnade Gottes und hatte ganz im Gegenteil noch am Kreuz für sie gebetet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34).
„Denn wenn ihr Mose glaubtet, so würdet ihr mir glauben, denn er hat von mir geschrieben.“ (Vers 46)
Hier ist sicher ganz konkret an 5. Mo 18,15+18 zu denken. Zweimal wird diese Stelle mit Bezug auf den Herrn Jesus im Neuen Testament angeführt, von Petrus in Apg 3,22 und von Stephanus in Apg 7,37. Und gerade diese Stelle fordert die Juden auf, nicht nur auf das zu achten, was dieser kommende Prophet tun würde, sondern sie sollten auf Ihn hören. Aber das taten sie überhaupt nicht.
Natürlich finden wir auch viele weitere Hinweise und Andeutungen auf die Person des Herrn Jesus in den fünf Büchern Mose. Die früheste auf den kommenden Erlöser wohl nach dem Sündenfall in 1. Mo 3,15, wo von dem Samen der Frau die Rede ist, welcher der Schlange den Kopf zermalmen wird. Auch wenn Jakob in seinem Segen über Juda von dem kommenden Schilo (der Ruhebringende, der Friedenschaffende) spricht, haben wir einen Hinweis auf den Herrn Jesus, der aus dem Stamm Juda kommen würde (1. Mo 49,10). Viele weitere Hinweise auf den Herrn Jesus haben wir schon bei der Betrachtung von Vers 39 gesehen. Einen ganz konkreten Hinweis im Alten Testament selbst, dass ein Vorbild des Alten Testaments in der Person des Herrn Jesus ihre tatsächliche Erfüllung finden würde, haben wir in der Erwähnung des Schuldopfers in Jes 53,10.
David hatte erkannt, dass die Opfer an sich keinen Wert hatten. Wenn er in Ps 51,18 sagt: „Denn du hast kein Gefallen an Schlachtopfern, sonst gäbe ich sie; an Brandopfern hast du kein Wohlgefallen“, dann beweist er damit, dass er durch Nachsinnen und Beugung vor dem Wort Gottes mehr verstanden hatte, als Gott offiziell offenbart hatte. Auch Abraham hatte nie etwas von der Auferstehung gehört, aber er urteilte, dass Gott auch aus Toten aufzuerwecken vermag (Heb 11,19). Wir staunen über das Licht, das sie aufgrund ihrer Ehrfurcht und Demut von Gott erlangt haben.
„Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“ (Vers 47)
Welche Ehre gibt der Herr Jesus hier den Schriften Moses, in völliger Demut stellt Er Sein Wort unter das Wort Moses! Welch ein Herr! Er, der als Gott dieses Gesetz gegeben hatte, Er kommt als Mensch auf die Erde, wird geboren unter diesem Gesetz (Gal 4,4), und achtet das Gesetz höher als Seine Worte.
In ähnlicher Weise spricht der Herr in Seinem Gleichnis von dem reichen Mann und dem armen Lazarus über das Wort Moses (Lk 16,29+31). Das Hören auf die Schriften, die Mose hinterlassen hat, war der Weg zum Heil – und wäre es auch hier für die Juden gewesen.
Der Herr sagt nicht, dass sie den Schriften Moses gehorchen müssten; es geht nicht um den gesetzmäßigen und autoritativen Charakter der Aussprüche Moses, denen der Mensch sich im Gehorsam zu unterwerfen hat. Es geht darum, seinen Schriften zu glauben, und Glauben geht viel weiter als formales Gehorchen. Ihrer eigenen Überzeugung nach gehorchten sie ja den Geboten Moses, aber sie glaubten nicht, dass der vor ihnen Stehende dieser Prophet aus 5. Mo 18,15 ist. Es besteht also ein großer Unterschied darin, etwas nur zu beachten, oder es auch wirklich zu glauben.
Fußnoten:
- Zu den fünf ausdrücklichen Zeichen im Johannes-Evangelium, wie sie in den Aufzeichnungen der Konferenz-Betrachtung zu Johannes 4,54 aufgezählt sind (Seite 16), gehören also noch die weiteren Wunder der Heilung des Gelähmten in Joh 5,1–18 und das Gehen des Herrn Jesus auf dem See in Joh 6,16–21 vor Seinem Werk am Kreuz, und der wunderbare Fischfang in Joh 21,1–14 nach Seiner Auferstehung. Bei diesen drei Wundern fehlt die ausdrückliche Bezeichnung als Zeichen, aber sie gehören zu der Zielsetzung des Heiligen Geistes, in diesem Evangelium durch acht Wunder eine besondere Darstellung der Herrlichkeit des Herrn Jesus als dem Christus und dem Sohn Gottes zu geben.
- Wenn der Vater hier antwortet: „Ich habe ihn verherrlicht“, dann meint das nicht, dass Er den Herrn Jesus selbst verherrlicht habe. Der Herr Jesus hatte gebetet: „Vater, verherrliche deinen Namen“, und als Antwort darauf kam die Stimme aus dem Himmel: „Ich habe ihn [meinen Namen] verherrlicht [durch die Auferweckung des Lazarus für diese Erde] und werde ihn [meinen Namen] auch wiederum verherrlichen [durch die Auferweckung meines Sohnes für den Himmel]“. Das ist die Bedeutung dieser oft falsch verstandenen Stelle.
- „Das Wort hören kann im Griechischen den Genitiv oder Akkusativ nach sich ziehen; das heißt das, was man hört, kann im Genitiv (2.Fall) oder im Akkusativ (4.Fall) stehen. Steht nach hören der Genitiv…dann wird mehr auf das hingewiesen, was man mit den Sinnen wahrnehmen kann: man hört etwas von der Sache. Nun, dieser Fall liegt in Apg 9,7 vor: Die Männer standen sprachlos, da sie wohl die Stimme (im Genitiv) hörten, aber niemand sahen. Sie hörten etwas von der Stimme, nämlich den äußeren Schall; den Inhalt, die Bedeutung der Stimme aber, die durch die Verwendung des Akkusativs wiedergegeben wird, blieb ihnen verborgen. Dieser Akkusativ steht nun folgerichtig in Apg 22: Die Männer um Saulus hörten nicht die Stimme (im Akkusativ) Dessen, der mit ihm redete; das heißt, sie verstanden nicht, was die Stimme redete.
Schön ist auch der in Kapitel 9 vom Heiligen Geist sicher beabsichtigte Gegensatz zwischen dem, was Saulus hörte, und dem, was die Männer hörten. Während letztere die Stimme hörten, ohne zu verstehen (was durch den Genitiv angedeutet wird; Vers 7), hörte Saulus die Stimme (im Akkusativ) des verherrlichten Herrn (Vers 4): Er verstand, was gesagt wurde.“ (Chr. Briem, Antworten auf Fragen zu biblischen Themen, Seite 391 ff.)