Aufzeichnungen aus der Betrachtung über Johannes 7
Dillenburg 2021
Der besondere Charakter des Johannes-Evangeliums
Das Johannes-Evangelium unterscheidet sich deutlich von den übrigen drei Evangelien. Matthäus, Markus und Lukas beschreiben, was der Herr Jesus für uns getan hat, während Johannes betont, was der Herr Jesus für Seinen Gott und Vater gewesen ist. Wenn wir eine Parallele zu den verschiedenen Opfern des Alten Testaments ziehen, dann stellt uns das Johannes-Evangelium den Herrn Jesus als das Brandopfer vor – der Aspekt des Opfers, der besonders zeigt, wie es zur Verherrlichung Gottes war.
Im Matthäus-Evangelium sehen wir Ihn als den Messias für Sein irdisches Volk, im Markus-Evangelium als den dienenden Propheten an den Menschen, im Lukas-Evangelium ist Er der Sohn des Menschen, durch den Gott Gemeinschaft sucht mit dem Menschen. Das Johannes-Evangelium ist erst sehr viel später als die anderen drei Evangelien geschrieben worden und stellt mehr die oben beschriebene Seite des Wohlgefallens des Vaters an dem Sohn vor und wie dieser den Vater kundgemacht hat.
Das Johannes-Evangelium zeigt uns drei große Wahrheiten in Bezug auf die Person des Herrn Jesus:
- Er ist das Leben (Johannes 3 bis 7)
- Er ist das Licht (Johannes 8 bis 12)
- Er ist Liebe (Johannes 13 bis 17)
Der Heilige Geist im Johannes-Evangelium
Das Johannes-Evangelium enthält umfassende Belehrungen über die Person und Wirkungen des Heiligen Geistes, besonders in den Kapiteln 14 bis 16 in den Unterredungen des Herrn Jesus mit Seinen Jüngern auf dem Obersaal und auf dem anschließenden Weg hinaus in den Garten Gethsemane. Aber schon vorher gibt es in diesem Evangelium drei Kapitel, in denen die Wirksamkeit des Heiligen Geistes grundsätzlich vorgestellt wird.
In Johannes 3 sehen wir, dass die neue Geburt durch Wasser und Geist bewirkt wird, dass das neue Leben in dem Ungläubigen durch den Heiligen Geist bewirkt wird. Als Voraussetzung dazu ist auf der Seite des Menschen natürlich der Glaube an den Herrn Jesus und an Sein Werk am Kreuz nötig (Joh 3,14–18). Diese erste Belehrung über den Heiligen Geist in diesem Evangelium ist von höchster Bedeutung.
In Johannes 4 und 7 finden wir dann die Auswirkungen, die in dem Gläubigen durch den Besitz des Heiligen Geistes hervorgerufen werden. In beiden Kapiteln wird wie in Kapitel 3 betont, dass erst der Glaube an den Herrn Jesus notwendig ist, was in den Worten von dem Dürsten zum Ausdruck kommt (Joh 4,13.14; 7,37). Der Ungläubige dürstet nach dem Leben und er bekommt es durch den Glauben. In Johannes 4 haben wir den Aspekt, dass sich die erste Aktivität des Heiligen Geistes in dem Gläubigen in der Anbetung des Vaters äußert. In Johannes 7 finden wir den Gesichtspunkt, dass sich das Innewohnen des Heiligen Geistes in dem Gläubigen nach außen auswirkt zur Erquickung derer, die sich hier auf der Erde wie in einer Wüste befinden. Das sind die drei wesentlichen Belehrungen über den Heiligen Geist im ersten Teil des Johannes-Evangeliums, wo der Herr Jesus vorstellt, was durch den Glauben an Ihn und durch den Besitz des Heiligen Geistes in dem Gläubigen hervorgerufen wird.
Einleitung zu Johannes 7
Die Kapitel 5 bis 7 haben einen inneren Zusammenhang. Alle drei Kapitel beginnen mit einem Fest, in deren Ablauf sich ganz praktische Dinge ereignen. Und an diese Schilderungen der Ereignisse schließen sich jeweils ausführliche und tiefgehende Belehrungen des Herrn Jesus an. In Johannes 5 wird betont, dass der Herr Jesus das Leben ist und das Leben gibt; in Johannes 6 sehen wir, dass Er auf die Erde kommen musste und Sein Leben als das Brot der Welt geben musste. Hier in Johannes 7 werden wir finden, dass der Herr Jesus derjenige ist, der nach vollbrachtem Werk in den Himmel zurückkehrt und den Heiligen Geist gibt.
Kapitel 7 ist also einerseits der Abschluss der Kapitel 3 bis 7, gleichzeitig aber auch die Hinführung auf die folgenden Kapitel, denn von den Geschehnissen in diesem Kapitel bis zum Ende von Kapitel 10 ist der Herr zusammenhängend in Jerusalem.
Es handelt sich in diesen Kapiteln nicht immer um dieselben Feste. In Johannes 5 ist es wahrscheinlich das Passah, auch in Johannes 6 eindeutig das Passah (V. 4), aber hier in Johannes 7 ist es das Laubhüttenfest. Dieses Fest war im Zyklus des jüdischen Festkalenders das letzte Fest im Jahr nach der Ernte (3. Mo 23,33–44). Das Volk Israel sollte in diesen Tagen in Laubhütten wohnen; sie erinnerten sich dabei an die Erlösung aus Ägypten und konnten jetzt die Segnungen des Landes genießen. Zu der Zeit, als der Herr Jesus auf der Erde war, war das Volk Israel nicht in dem Zustand, dass sie diesen Segen empfangen konnten. Sie waren in ihren Herzen nicht vorbereitet, diesen Segen Gottes in Verbindung mit dem Christus zu empfangen. Deswegen war Seine Zeit noch nicht gekommen (V. 6). Aber in dieser Zeit, seit Er von Seinem Volk verworfen wurde und noch immer abgelehnt ist, gibt Er etwas Größeres, Himmlisches, das über jeden irdischen Segen hinausgeht (V. 39).
Zwischen Kapitel 6 und Kapitel 7 liegt also ungefähr ein halbes Jahr, denn die Geschehnisse in Kapitel 6 ereigneten sich an dem Passah, das nach dem jüdischen Festtagskalender am vierzehnten des ersten Monats stattfand, während das Laubhüttenfest am fünfzehnten Tag des siebten Monats begann ((s. 3. Mo 23,5.34).
„Und danach wandelte Jesus in Galiläa; denn er wollte nicht in Judäa wandeln, weil die Juden ihn zu töten suchten.“ (V. 1)
In den ersten Versen dieses Kapitels finden wir drei Gruppen von Menschen. Da sind zum einen die Juden; damit ist bei Johannes nie das ganze Volk der Juden gemeint, sondern die Führer der Juden in Jerusalem, die den Herrn Jesus am meisten hassten. Zum anderen finden wir das Volk oder die Volksmenge; das sind natürlich auch Juden, aber solche, die schwankend waren, die größtenteils ungläubig, aber auch unwissend waren, weil sie von den Obersten verachtet wurden (V. 49). Und zuletzt haben wir hier die Brüder des Herrn, die vier leiblichen Brüder (s. Mk 6,3), die auch nicht an den Herrn glaubten.
Am Ende von Kapitel 6 wird die Verwerfung des Herrn offenkundig, viele von Seinen Jüngern gingen zurück und wandelten nicht mehr mit Ihm. Dabei steht auch vor den Augen des Herrn, dass einer der zwölf Jünger, die Er ausgewählt hatte, Ihn überliefern würde. Und jetzt finden wir in diesem ersten Vers, dass Er von Judäa nach Galiläa ging, weil die Juden Ihn zu töten suchten. Den Bezug dazu finden wir in Johannes 5,16–18, wo gezeigt wird, dass die Juden Ihn zu töten suchten, weil Er am Sabbat geheilt hatte und weil Er Gott Seinen eigenen Vater nannte. In diesem Kapitel 7 kommt der Herr dann darauf zurück (V. 19 ff.).
Als die Jünger Ihn bei einer anderen Gelegenheit davon abhalten wollten, wieder nach Judäa zu gehen, weil die Juden Ihn eben noch zu steinigen versucht hatten (s. Joh 11,8), reagierte Er ganz anders als hier in Kapitel 7. Hier steht in ganz besonderer Weise Seine Verwerfung und Sein Tod vor Ihm und die Zeit dazu war noch nicht gekommen.
„Es war aber das Fest der Juden nahe, das Laubhüttenfest.“ (V. 2)
Häufig werden in diesem Evangelium die von Gott festgesetzten Feste als Feste der Juden bezeichnet, so z. B. in Johannes 2,13; 5,1; 6,4. Diese Feste wurden zwar noch gefeiert, aber es ging nicht mehr darum, dass es Feste des HERRN waren. Das Laubhüttenfest war das letzte dieser Feste. Aber bevor das Laubhüttenfest mit all seinen Segnungen in der prophetischen Bedeutung für das Volk der Juden Wirklichkeit werden kann, müssen Gerichte über dieses Volk kommen, und zwar in zweierlei Hinsicht:
- das Erntegericht aus Off 14,14–16; es ist ein Gericht der Unterscheidung zwischen Weizen und Unkraut, zwischen Gut und Böse (s. Mt 13,39–43).
- das Keltergericht aus Off 14,17–20; es hat die allgemeine Vernichtung der Feinde Christi zum Ziel.
Erst danach beginnt für das jüdische Volk das Laubhüttenfest, ein Bild der Freude, die Gott mit Seinem Volk im 1000jährigen Reich genießen wird. In Verbindung mit diesem zukünftigen Segen wird der Herr Jesus dann öffentlich erscheinen – und diese Zeit war hier noch nicht gekommen (Vers 6).
Aber dieser irdische Segen für das irdische Volk Gottes ist in diesem Kapitel gar nicht der Hauptgedanke. In Verbindung mit dem Sohn Gottes, der hier auf der Erde ein Werk vollbringt und als Mensch zurückkehrt in den Himmel, gibt es hier auf der Erde einen viel größeren und herrlicheren Segen! Darauf richtet der Herr hier die Blicke, wenn Er ab Vers 37 von der Gabe des Heiligen Geistes und den gesegneten Auswirkungen davon spricht. Es ist übrigens sehr bewegend, dass sowohl der irdische Segen für das Volk im 1000-jährigen Reich als auch der gegenwärtige Segen für die Gläubigen der jetzigen Haushaltung verbunden sind mit Ihm selbst! Jeder Segen ist verbunden mit der Person des Herrn Jesus.
Die Praxis des Feierns des Laubhüttenfestes war unter den Juden der damaligen Zeit degeneriert zu einem Fest der Juden; sie übten es aus reinem, toten Formalismus aus und hatten sogar noch eigene zusätzliche Bräuche eingeführt. Es gab sieben Tage lang die sogenannte Wasserspende: Vor dem Morgen-Brandopfer ging der Priester zum Teich Siloah und füllte dort einen goldenen Krug mit Wasser aus diesem Teich und goss dieses Wasser am Altar des Tempels aus. Diese symbolische Handlung sollte an die Fürsorge Gottes während der Wüstenwanderung des Volkes zurückerinnern (s. Ps 78,15.16). Sie hatte aber auch eine prophetische Sichtweise, die die Juden aus Jesaja 12 begründeten, wenn sie mit dem Messias in ihrer Mitte Wasser des Heils schöpfen würden.
Diese Tradition pflegten sie mit der Wasserspende. Und dieselbe Person, in der sich einmal Jesaja 12 erfüllen wird, der der Mittelpunkt dieses Festes und auch dieser Tradition war, war mitten unter ihnen – und dennoch suchten die Juden, Ihn zu töten! Wie muss es den Herrn geschmerzt haben, dass ein toter Ritus in einem bloßen Formalismus gefeiert wurde und dass man dabei keinen Blick hatte für die Person, die gegenwärtig war und in der sich das einmal erfüllen wird.
Es wird in den Evangelien nie berichtet, dass der Herr Jesus auf dem Fest der Wochen, dem Pfingstfest, gewesen wäre. Dieses Fest, das zeitlich zwischen dem Passahfest und dem Laubhüttenfest lag, spricht davon, dass die Zeit der Versammlung anbrechen würde. Und da die Zeit der Versammlung dadurch charakterisiert ist, dass Er nicht gegenwärtig auf der Erde, sondern verborgen im Himmel ist, wäre es unpassend gewesen, wenn der Herr Jesus persönlich bei diesem Fest gegenwärtig gewesen wäre. In der Apostelgeschichte und auch in den Briefen finden wir das Pfingstfest sehr wohl, zum ersten Mal in Apostelgeschichte 2, wo durch das Herabkommen des Heiligen Geistes die Versammlung gebildet wurde.
In Hesekiel 45 finden wir prophetisch beschrieben, wie die Feste des HERRN im 1000-jährigen Reich gefeiert werden; in Vers 21 wird das Passahfest erwähnt und in Vers 25 das Laubhüttenfest (siehe Fußnote). Genau wie hier in den Kapiteln 6 und 7 des Johannes–Evangeliums wird erst das Passahfest gezeigt und dann das Laubhüttenfest – aber das dazwischenliegende Pfingstfest wird auch nicht erwähnt, weil es darauf hinweist, dass die Zeit der Versammlung anbrechen würde.
„Da sprachen seine Brüder zu ihm: Zieh von hier weg und geh nach Judäa, damit auch deine Jünger deine Werke sehen, die du tust; denn niemand tut etwas im Verborgenen und sucht dabei selbst öffentlich bekannt zu sein. Wenn du diese Dinge tust, so zeige dich der Welt.“ (V. 3.4)
Bis hier muss der Herr noch in Galiläa gewesen sein, denn Seine Brüder fordern Ihn auf, wegzugehen nach Judäa. Das macht auch der Vers 9 deutlich. Wenn die Brüder sagen, dass auch Seine Jünger Seine Werke sehen sollten, dann meinen sie damit nicht die zwölf Apostel, sondern die Menschen, die in den einzelnen Orten an Ihn glaubten.
Die leiblichen Brüder des Herrn dachten und handelten rein weltlich. Sie gehörten hier auch noch zu der Welt. In der Welt gilt das Prinzip: Tue Gutes und rede darüber! Ihnen ging es nur um Ansehen, Publicity, danach trachteten sie. Und auch bei uns kann sich diese Haltung sehr leicht einschleichen. Sind wir wirklich immer ganz frei davon, das Bekanntwerden in der Öffentlichkeit zu suchen? Der Herr Jesus tat immer das Gegenteil! Wie oft wird von Ihm gesagt, dass Er sich verbarg, sich zurückzog; Er suchte nie Seine eigene Ehre (V. 18), sondern die Ehre Seines Gottes und Vaters.
Sicher wollten die Brüder des Herrn sich auch noch in Seinem Licht mitsonnen. Was sie hier im Sinn haben, ist Weltlichkeit in einer ganz krassen Form. Sie wollten die Wunder des Herrn Jesus nutzen, um selbst Anerkennung in der Welt zu bekommen. Sehen wir die Gefahr dieses Strebens auch für uns? Wenn man geistliche Befähigungen nutzen will, um für sich selbst Ehre zu suchen, dann ist das genau dieses Prinzip!
Die Brüder des Herrn hatten allerdings übersehen, dass, bevor der Herr sich der Welt zeigen und sichtbar Seine Herrlichkeit offenbaren kann, schreckliche Gerichte über Sein irdisches Volk kommen müssen. Wir haben darauf schon im Zusammenhang mit Vers 2 hingewiesen.
„Denn auch seine Brüder glaubten nicht an ihn.“ (V. 5)
Der Herr hatte in Seiner eigenen Familie erfahren, dass sie hinsichtlich des Glaubens eine geteilte Familie war. Er war ein Fremder unter Seinen Brüdern (s. Ps 69,9). Seine Mutter Maria war schon gläubig, als der Engel zu ihr kam; sie gehörte zu denen, die auf den Trost Israels warteten. Auch in dieser Familie finden wir – zumindest zu diesem Zeitpunkt – die bedrückende Tatsache, dass nicht alle Familienmitglieder errettet sind. Jeder Einzelne muss für sich persönlich glauben! Und es ist eine große Verantwortung, wenn man als Kind das beiseiteschiebt, was einem die Eltern gesagt haben.
Zu Nikodemus hatte der Herr einmal gesagt: „Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch“ (Joh 3,6) und bei einer anderen Gelegenheit hatte Er gesagt: „Das Fleisch nützt nichts.“ (Joh 6,63). Die Brüder des Herrn waren zu diesem Zeitpunkt eine traurige, treffende Illustration dieser Worte. Das Fleisch ist unverbesserlich, es bleibt auch unter günstigsten Umständen und besten Einflüssen Fleisch! Diese Brüder waren ja in einer zweifellos sehr gottesfürchtigen Familie aufgewachsen; hatten Eltern, die beide Gott dienten. Jahrelang hatten sie den Herrn Jesus persönlich ständig vor Augen – und doch hatte es sie innerlich nicht verändert. Das Fleisch bleibt das Fleisch. Erleben wir das nicht auch heute in vielen unserer Familien?
Aber der Herr Jesus hatte auch gesagt: „Der Geist ist es, der lebendig macht“ (Joh 6,63; s. 2. Kor 3,6). Und später sehen wir das auch bei diesen Brüdern: Sie sind innerlich verändert worden, sie werden betend im Obersaal gefunden, wo sie mit den Übrigen auf den Heiligen Geist warteten (s. Apg 1,12–14). Zu welchem Zeitpunkt dieses Werk des Heiligen Geistes in ihnen stattgefunden hat, wissen wir nicht; aber es war ein Werk an ihren Seelen geschehen. Deshalb wollen wir auch in Bezug auf unsere Kinder, die vielleicht jahrelang unverändert eine weltliche Gesinnung offenbaren, darauf vertrauen, dass der Geist Gottes auch bei ihnen eine Veränderung bewirken kann!
„Da spricht Jesus zu ihnen: Meine Zeit ist noch nicht da, eure Zeit aber ist stets bereit.“ (V. 6)
Die Zeit des Herrn, Sich der Welt öffentlich zu zeigen, wird erst bei Seiner Erscheinung kommen. Der Zeitpunkt, zu dem das Volk Israel mit dem Messias in seiner Mitte die Segnungen des 1000-jährigen Reiches, wovon das Laubhüttenfest ein Bild ist, genießen kann, ist noch nicht gekommen. Am Ende von Johannes 6 hatte Er in Vers 62 davon gesprochen, dass Er in den Himmel zurückkehren würde. Sein Auffahren in den Himmel geht Seinem Kommen in Herrlichkeit zur Aufrichtung Seines Reiches voraus. Das 1000-jährige Reich hat eine zweifache Blickrichtung: auf der einen Seite ist es der Abschluss der gegenwärtigen Welt in Herrlichkeit, auf der anderen Seite blickt es voraus in die Ewigkeit.
Die Antworten des Herrn sind ja immer sehr tiefgründig und gehen oft über eine Frage oder Bemerkung, mit der Er konfrontiert wurde, hinaus. Auch hier ist das so; zunächst dürfen wir sehen, dass Er immer in völliger Abhängigkeit von Seinem Vater handelte. Offensichtlich gab der Vater Ihm erst um die Mitte des Festes (V. 10) den Auftrag, hinaufzugehen, sodass Er hier noch keinen Auftrag von Seinem Vater hatte. Gleichzeitig dürfen wir darüber hinaus daran denken, dass Er hier sein Kommen als Messias für Sein Volk zur Erfüllung des Laubhüttenfestes andeutet – die Zeit dafür war in der Tat noch nicht erfüllt.
Weil die Brüder des Herrn hier noch zu der Welt gehörten, musste Er von ihnen sagen, dass ihre Zeit stets bereit sei, dass sie sich jederzeit dort sehen lassen könnten. Diese Worte können auch als ein Appell des Herrn an ihre Herzen verstanden werden: Noch gab es für sie die Zeit und Gelegenheit, Ihn im Glauben anzunehmen. Diese ihre Zeit war stets bereit, sie brauchten sie nur zu nutzen. In diesem Sinn ist dieser Satz heute am Ende der Gnadenzeit noch immer wahr: Noch ist die Zeit für jeden bereit, den Herrn im Glauben anzunehmen.
„Die Welt kann euch nicht hassen; mich aber hasst sie, weil ich von ihr zeuge, dass ihre Werke böse sind.“ (V. 7)
Die Brüder des Herrn suchten die Ehre der Welt, sie gehörten selbst zur Welt, und deshalb konnte die Welt sie nicht hassen. Aber der Herr war ganz anders, Er war völlig getrennt von dieser Welt. In Johannes 15,18.19 kommt Er auf dieses Verhältnis zur Welt noch einmal zurück. Der Hass der Welt ist darin begründet, dass die Gläubigen nicht zu ihr gehören.
Hier in Vers 7 gibt der Herr einen weiteren Grund für den Hass der Welt: Er zeugt von ihr, dass ihre Werke böse sind. Der Herr Jesus sprach das, was der Vater Ihm aufgetragen hatte; Er bezeugte nicht das, was die Menschen gern hören wollten, sondern was nach den Gedanken Gottes gesagt werden sollte, auch wenn es unangenehme Wahrheiten waren. Er wollte in seinen Worten nicht Menschen gefallen (s. Gal 1,10).
Die Werke der Welt sind böse. Hier geht es auch um die religiösen Handlungen am Laubhüttenfest. Unbestritten gibt es auch ungläubige Menschen, die erstaunliche Werke der Barmherzigkeit tun. Denken wir nur daran, wie oft Angehörige ihre Familienangehörigen viele Jahre hindurch pflegen. Können wir da sagen, dass das böse Werke sind? Sie mögen für andere nützlich sein, aber dem, der sie tut, nützen sie nichts (s. 1. Kor 13,3).
„Geht ihr hinauf zu dem Fest; ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest; denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt. Nachdem er aber dies zu ihnen gesagt hatte, blieb er in Galiläa.“ (V. 8.9)
Die Betonung in den Worten des Herrn muss auf diesem Fest liegen. Damit sagt Er: Ich gehe nicht zu einem Fest der Juden! Mein Platz ist nicht dort, wo man nur hingeht, um zu sehen und gesehen zu werden! Sie hatten dieses Fest zu einem Fest der Juden gemacht und es damit seines eigenen Zweckes entfremdet. Zu dieser Art von Fest wollte der Herr nicht gehen.
„Als aber seine Brüder hinaufgegangen waren zu dem Fest, da ging auch er hinauf, nicht öffentlich, sondern wie im Verborgenen.“ (V. 10)
In älteren Ausgaben der Elberfelder Übersetzung wird dieser Vers noch so übersetzt: „Als aber seine Brüder hinaufgegangen waren, da ging auch er hinauf zu dem Feste, nicht offenbarlich, sondern wie im Verborgenen“. Diese Satzstellung ist jedoch vom Grundtext her nicht vertretbar, deshalb ist das in der überarbeiteten Fassung geändert worden. Es steht im Grundtext nicht da, dass der Herr zu dem Fest hinaufgegangen ist. Hier liegt kein Widerspruch zu den Worten des Herrn in Vers 8 vor; der Herr ging nicht zu diesem Fest, sondern Er ging hinauf. Er ging zwar nach Jerusalem, aber nicht, um das Fest zu feiern.
Der Herr handelte immer in vollkommener Abhängigkeit von Seinem Vater, und hier war offensichtlich der Zeitpunkt gekommen, wo Er nach dem Willen des Vaters gehen sollte. Und wenn Er jetzt ging, dann tat Er es nicht, um öffentlich bekannt zu werden, sondern Er ging wie im Verborgenen, ganz im Gegensatz zu dem, was Seine leiblichen Brüder Ihm vorgeschlagen hatten. Er wollte Seine Stimme nicht auf der Straße hören lassen (s. Jes 42,2). Wenn in den Tagen des Alten Testaments die Juden anlässlich der Feste nach Jerusalem hinaufzogen, so geschah das in Scharen mit der Stimme des Jubels und des Lobes – eine feiernde Menge (s. Ps 42,5). Aber der Herr ging hier allein, wie im Verborgenen.
Ein zweiter Grund, dass Er jetzt nach Jerusalem auf das Laubhüttenfest ging, kann auch darin gesehen werden, dass Er das Gesetz erfüllen wollte, denn nach 5. Mose 16,16 sollten alle Männlichen im Volk Israel dreimal im Jahr nach Jerusalem hinaufgehen: zum Fest der ungesäuerten Brote, zum Fest der Wochen und eben zum Laubhüttenfest. Und der Herr, der gekommen war, um das Gesetz in allen Einzelheiten zu erfüllen, ging daher hier doch noch zu diesem Fest.
Wir sehen also darin sowohl die Abhängigkeit von Seinem Gott und Vater als auch den Gehorsam dem göttlichen Gebot gegenüber – wie können wir darin von Ihm lernen, in wirklicher Abhängigkeit von Ihm und im Gehorsam gegenüber Gottes Wort unseren Weg zu gehen! Gerade auch, wenn wir einen Dienst unter dem Volk Gottes für Ihn tun möchten – fragen wir dann wirklich, ob wir diesen Dienst tun oder lassen sollen? Wir dürfen nie zulassen, dass sich hierbei Automatismen einschleichen. Wir werden erleben, dass wir einmal ein Ja, aber manchmal auch ein Nein zu unseren Erwägungen erhalten. Wir haben dabei viel Feingefühl nötig; aber wenn wir Ihm wirklich nahe sind, wird Er uns deutlich machen, was und wie und wann wir etwas für Ihn tun dürfen.
Wenn wir die vier Evangelien miteinander vergleichen, finden wir, dass der Herr siebenmal in Jerusalem war – eine vollkommene Anzahl von Besuchen des Ortes, den Gott Sich einst erwählt hatte, um Seinen Namen dort wohnen zu lassen:
- Lukas 2,22–39: Seine Darstellung als neugeborenes Kind
- Lukas 2,41–50: als 12-Jähriger Knabe im Tempel
- Johannes 2,13–25: bei der ersten Tempelreinigung (1. Passah)
- Johannes 5: die Heilung des Kranken am Teich Bethesda (2. Passah)
- Johannes 7,10–52: bei dem Laubhüttenfest
- Johannes 10,22ff.: bei dem Fest der Tempelweihe im Winter
- Matthäus 21,1–11; Markus 11,1–11; Lukas 19,29–44; Johannes 12,12–19: Sein letzter Einzug in Jerusalem vor Seinem Kreuzestod
„Die Juden nun suchten ihn auf dem Fest und sprachen: Wo ist er?“ (V. 11)
Die Betonung in dieser Frage der Juden liegt auf dem Wörtchen „er“; wo ist Er, dieser Verachtete, den man nicht wollte. Offenbar war der Herr auf dem Fest im Bereich des Tempels noch gar nicht erschienen.
„Und viel Gemurmel war über ihn unter den Volksmengen; die einen sagten: Er ist gut; andere sagten: Nein, sondern er verführt die Volksmenge.“ (V.12)
Es gibt im Blick auf diese eine Person sehr unterschiedliche Einstellungen, sie reichen von gut bis Verführung. So ist es bis heute geblieben: Die Geister scheiden sich an Seiner Person (s. Lk 12,51–53; Joh 9,39; 7,43). Für gut steht im Grundtext ein Wort (agathos), das bedeutet: gut in seinen Auswirkungen auf andere, wohltätig. Die Juden hatten die Auswirkungen der Handlungen des Herrn bislang beobachten können. Er hatte Wunder getan, Heilungen gewirkt, die Menge gespeist. Die andere Meinung war, dass Er verführen würde, d. h. in religiöser Hinsicht in eine andere Richtung steuerte als ihre Führer.
So ist es bis heute geblieben: der Unglaube hat manches Bild von Christus. Für viele ist Er ein guter Mensch, ein Humanist.
Für andere ist Er ein religiöser Verführer. Der Herr Jesus hat selbst einmal Seine Jünger gefragt, was die Menschen über Ihn sagen würden und da werden viele gute Personen angeführt. Aber Er war keine dieser Personen. Und dann geht die Frage an Seine Jünger: „Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?“. Daraufhin kommt die Äußerung des Glaubens durch Petrus: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“. Ein solches Bewusstsein über die Person des Herrn Jesus kann nur der Glaube haben, denn das Herz des Glaubens ist offen für Offenbarungen Gottes (s. Mt 16,13–17). Der Glaube erfreut sich an der wahren Identität dieser wunderbaren Person!
Wenn man nicht an den Herrn Jesus glaubt, kann man auch kein klares Urteil über Ihn haben. Auch wir als Gläubige werden mit unserem eigenen Verstand den Herrn, Sein Werk und Sein Wesen nie ergründen können. Daran sind schon die frühen Kirchenväter mit ihrer hohen Intelligenz irregegangen. Gerade in Bezug auf Seine ewige Sohnschaft sind sie zu keinem wirklichen Verständnis gekommen. Man kann kein klares Bild über den Herrn bekommen, wenn man nicht die Aussagen des Wortes Gottes über Ihn in einfältigem Glauben annimmt.
„Niemand jedoch sprach öffentlich von ihm aus Furcht vor den Juden.“ (V. 13)
In diesem Abschnitt wird die Unterscheidung der verschiedenen Personengruppen ganz deutlich. Die einfachen Volksmengen schwiegen aus Menschenfurcht vor den ungläubigen und den Herrn hassenden Führern der Juden, der Oberschicht aus Pharisäern und Schriftgelehrten (s. Joh 9,22; 20,19). Die Begebenheit in Johannes 9 zeigt deutlich, welche radikalen Folgen es für jemanden aus der Volksmenge hatte, wenn die jüdische Führerschaft solche aus der Synagoge ausschloss. Es bedeutete, komplett von dem öffentlichen jüdischen Leben abgeschnitten zu werden.
Auch für uns heute besteht die Gefahr, aus Menschenfurcht kein Zeugnis von unserem Herrn abzulegen oder die Wahrheit zu verschweigen. Da wollen wir uns durch Sprüche 29,25 ermutigen lassen: „Menschenfurcht legt einen Fallstrick; wer aber auf den HERRN vertraut, wird in Sicherheit gesetzt“.