Warum der Herr geblieben ist (Vers 7–16)
„Danach spricht er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen! Die Jünger sagen zu ihm: Rabbi, eben suchten die Juden dich zu steinigen, und wieder gehst du dahin?“ (V. 7.8).
Der Herr Jesus wusste, dass Lazarus schon gestorben war (s. V. 11), und Er war bereit, jetzt zu gehen, um zu trösten und zu helfen. Er wollte seine Herrlichkeit und Größe zeigen. Aber Er wollte auch, dass die Jünger mit Ihm gingen, Er wollte sie in seine Gedanken mit hineinnehmen. Er suchte Gemeinschaft da, wo sie möglich war. Auch die Jünger sollten etwas von dem erfahren, was Er zu tun im Begriff stand. Er wollte die Jünger in dieses Geschehen mit einbinden, immer wieder sprach Er deshalb von uns (s. V. 7.11.15). Er wollte auch vor ihren Augen seine Herrlichkeit zeigen.
Auffallend ist, dass der Herr nicht sagt, dass sie nach Bethanien gehen würden, Er spricht von Judäa. Judäa stellt in diesem Evangelium besonders den Charakter der Verwerfung des Herrn vor (vgl. Joh 4,3: 7,1). Der Herr empfand, dass Er in dem Bereich Jerusalems und Judäas, der im Johannes-Evangelium mehr als in den anderen Evangelien der Schauplatz seines Handelns war, der Verworfene war. Ihm war bewusst, dass Er, wenn Er jetzt nach Bethanien ging, Er in den Bereich kam, wo Er endgültig verworfen werden würde, wo sein Volk für Ihn nur das Kreuz hatte.
Die Jünger erkennen Ihn als den Lehrer an und nennen Ihn Rabbi. Das ist nicht ganz die Höhe der Anerkennung seiner Person, wie sie z. B. die Schwestern hatten, die Ihn mit Herr angesprochen hatten (s. V. 3). Auch können die Jünger nicht verstehen, dass Er seinen Weg immer unbeeindruckt von menschlichen Gefühlen ging. Die menschliche Liebe hätte Ihn sofort zum Gehen bewegt, die menschliche Vernunft hätte Ihn davon abgehalten, überhaupt wieder dorthin zu gehen. „Geh sofort“ – „Geh überhaupt nicht“; von keiner dieser menschlichen Überlegungen lässt sich unser Herr leiten. Er ging immer nur dann, wenn es der Wille seines Vaters war, nicht eher und auch nicht später.
Die Jünger erinnerten den Herrn dann daran, dass Er eben noch gesteinigt werden sollte (s. Joh 10,31), aber aus den Worten von Thomas in Vers 16 erkennen wir, dass sie befürchteten, dass dieser Weg nicht nur für Ihn, sondern auch für sie mit Gefahr verbunden wäre.
„Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag wandelt, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht wandelt, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist“ (V. 9.10).
In seiner Antwort erklärt der Herr zwei Dinge. In den Versen 9 und 10 erläutert Er, warum Er jetzt geht. Und in den Versen 14 und 15 stellt Er klar, warum Er bis dahin noch nicht gegangen war.
Aus dem natürlichen Leben kennen wir, dass der Tag zwölf Stunden hat, dass es am Tag hell ist und man im Hellen beim Gehen nicht anstößt, weil Licht da ist. Und in der Nacht stößt man an, weil man in sich kein Licht hat und auf das Licht des Tages angewiesen ist. Dieses natürliche Bild wendet der Herr jetzt an und sagt damit: Wenn es der Wille seines Vaters war, dann war es Tag für Ihn, dann wandelt man im Licht und würde nicht anstoßen. Der Herr ging immer in Übereinstimmung mit dem Willen seines Vaters, ging immer zum richtigen Zeitpunkt. Weil Er um diese Übereinstimmung mit dem Willen seines Vaters wusste, konnte Er ohne Furcht gehen, als die richtige Zeit dazu gekommen war. Diese zwölf Stunden des Tages würden niemals von den Juden verändert oder abgekürzt werden können. Alles stand in der Hand des Vaters.
Dadurch, dass der Herr diese Worte nicht deutlich und konkret auf sich selbst anwendet, sondern sagt: „wenn jemand …“, möchte Er die Jünger in diese Abhängigkeit mit hineinnehmen, möchte das ganz praktisch auch bei uns bewirken, dass wir in unserer Praxis immer nach dem Willen des Vaters fragen. Wenn wir in einer Situation den Willen des Vaters für unseren Weg erkannt haben, dann sollten wir auch das Vertrauen haben, von Umständen abzusehen und alles Weitere dem Vater zu überlassen.
Wenn sich jemand durch die Umstände leiten ließe, wäre es Nacht für denjenigen, er würde anstoßen. Diese Schlussfolgerung müssen wir aus den Worten des Herrn ziehen. Wenn wir an unsere Praxis denken, ist es dann nicht oft so, dass wir uns nur von den Umständen leiten lassen, dass wir manches tun, weil es so naheliegend ist? Der Herr hatte immer ausschließlich den Willen des Vaters vor Augen und handelte dementsprechend, und deshalb stieß Er nie an.
In dieser Abhängigkeit von dem Willen seines Vaters ist der Herr Jesus das vollkommene Vorbild für uns, das wir nachahmen sollen (s. 1. Pet 2,21). Wenn es in unserem Leben, in unseren Häusern, in unseren örtlichen Versammlungen Probleme gibt, ist das Erste, was wir lernen müssen – auch wenn es schwer zu lernen ist –, dass Abhängigkeit darin zur Ehre Gottes ist. Und wir wissen, dass das, was zur Ehre Gottes ist, auch zum Segen für die Glaubenden ist. Aber das ist auch der Weg, auf dem wir lernen müssen, welches der Wille des Herrn in einer bestimmten Sache ist. Wir müssen lernen, zu warten, was der Herr in einer bestimmten Sache zeigt, um erst dann etwas zu unternehmen, wenn wir dazu aufgefordert werden, damit das, was zur Ehre Gottes geschehen soll, auch wirklich geschieht. Darin liegt eine ganz praktische Lektion für uns: Neben der Tatsache, dass wir in diesen Versen etwas von der Herrlichkeit Gottes lernen, lernen wir darin auch, wie unser Wandel sein muss, wenn Schwierigkeiten in unserer Familie oder in besonderer Weise auch in der Versammlung auftreten.
Der Herr Jesus wird in diesem Evangelium sehr oft als das Licht der Welt vorgestellt. Wenn Er nun hier sagt, dass der Tag zwölf Stunden hat, in denen das Licht dieser Welt scheint, dann hat das nicht dieselbe Bedeutung. Der Zusammenhang dieser Worte des Herrn ist doch die Erklärung für seine Jünger, warum dieser Weg nach Bethanien für Ihn nicht nur möglich und nicht nur gefahrlos, sondern sogar nötig ist: weil Er nämlich das Licht von dem Vater für diesen Weg in diesem Augenblick hatte. Ein 24-Stunden-Tag dieser Schöpfung ist in zwei Hälften geteilt, von denen die eine Hälfte die Phase mit Licht und die andere Hälfte die finstere Phase ist. Wenn man in der hellen Phase des Tages wandelt, stößt man nicht an, weil man das Licht dieser natürlichen Welt, das Sonnenlicht, sieht und dadurch die Hindernisse vermeiden kann. Für den Herrn Jesus war das Licht des Vaters die innere Leitung für seinen Weg. Auf dem Weg des Vaters kann nichts Vorzeitiges und Unvorhergesehenes geschehen (vgl. Lk 13,31.32), weil der Vater einen Plan hat, den niemand vereiteln kann. Für den Herrn Jesus war der Wille des Vaters so klar, wie für einen natürlichen Menschen das Licht der Sonne einen Weg weist.
In Johannes 4,34 hatte der Herr Jesus gesagt, dass es seine Speise ist, den Willen dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte. Speise brauchen wir zur Aufrechterhaltung dieses Lebens. Der Herr lebte in beständiger Abhängigkeit von dem Vater und trachtete danach, den Willen seines Vaters zu tun, um darin Gott in seiner Herrlichkeit zu offenbaren.
Im folgenden Satz in Vers 10 ändert sich die Art der Belehrung des Herrn, sie geht aus dem natürlichen Bereich in den moralischen Bereich über. Jetzt spricht Er nicht mehr von dem Sehen des Lichtes, sondern davon, dass das Licht bei einem, der bei Nacht wandelt, nicht in ihm ist. Das Licht dieser Welt ist ein Licht von außen, aber in Vers 10 geht es um ein innerliches Licht. Das kann keine Anspielung mehr auf natürliche Vorgänge sein. Wer im Licht Gottes wandelt, der hat auch innerlich Licht – und das war bei dem Herrn Jesus der Fall. Eine alttestamentliche Illustration davon finden wir in Psalm 36,10.
„Dies sprach er, und danach sagt er zu seinen Jüngern: Lazarus, unser Freund, ist eingeschlafen; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken“ (V. 11).
Der Herr bezeichnet Lazarus hier für sich selbst als seinen Freund und bezieht auch die Jünger mit ein. Es waren göttlich gelenkte natürliche Zuneigungen und Mitempfinden gegenüber Lazarus vorhanden. Wir hätten vielleicht gar nicht erwartet, dass so ein stiller und unauffälliger Mann von dem Herrn als unser Freund bezeichnet wird. Es gibt manche, die durch ihr Wesen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und bei Lazarus war das gerade nicht der Fall. Aber der Herr wusste diese gegenseitige Beziehung zu schätzen.
Mit welch mildem Wort umschreibt der Herr hier dieses eigentlich bittere Ereignis des natürlichen Todes bei Lazarus. Schlaf an sich ist vollkommen harmlos, so ist es auch mit dem Schlaf des Todes bei einem Gläubigen. Ist dieser Schlaf nicht auch in manchem Fall eine willkommene Erleichterung, eine Erlösung, ein Zustand der Ruhe? Der natürliche Schlaf ist ein Zustand, der uns dem Bewusstsein aller Schwierigkeiten enthebt, und das trifft auch auf diesen Zwischenzustand zu, wenn Gläubige entschlafen und im Paradies sind. Wenn heimgegangene Gläubige auferweckt werden, hört dieser Schlaf, dieser Zwischenzustand, auf. Wir werden dann mit einem neuen Herrlichkeitsleib aktiv werden.
Einschlafen oder Entschlafen bezieht sich also nur auf Gläubige, und es bezieht sich nur auf den Leib, niemals auf Geist und Seele. Die Lehre von dem Seelenschlaf ist völlig gegen die Heilige Schrift, das sehen wir deutlich bei dem reichen Mann in Lukas 16,19 ff., bei dem jede Erinnerung an sein vorheriges irdisches Leben auch im Hades noch hellwach war. Übrigens kann ein Gläubiger auch nur durch Jesus entschlafen (s. 1. Thes 4,14). Der Herr hat auch Lazarus entschlafen lassen. Ein Gläubiger kann nicht entschlafen, ohne dass es durch Jesus geschieht. Kein Gläubiger stirbt durch einen Schicksalsschlag, er wird durch Jesus schlafen gelegt.
Warum ist der Tod für einen Gläubigen jetzt harmlos? Wir wollen nicht leichthin über diesen schweren Schritt denken oder reden, doch weil wir wissen, dass wir zum ewigen Leben auferweckt werden, hat der Tod seinen Schrecken für uns verloren. Er ist das Durchgangstor zur Herrlichkeit. Auch ist der Stachel des Todes, die Sünde, weggenommen (s. 1. Kor 15,55.56). Deshalb sprechen wir bei einem Heimgang von Gläubigen vom Entschlafen. Der Tod hat für den Gläubigen keinen Schrecken mehr. Aber damit das jetzt so ist, musste der Herr selbst in den Tod gehen; durch seinen Tod hat Er dem die Macht genommen, der die Macht des Todes hat (s. Heb 2,14). Ohne das Werk des Herrn von Golgatha wäre es nicht denkbar, in Bezug auf den Tod von einem Schlafen zu sprechen. So drückt es auch der Apostel Paulus in 1. Thessalonicher 5,10 aus, wenn er von Jesus Christus spricht, „der für uns gestorben ist, damit wir, sei es, dass wir wachen [uns lebend in unserem Leib auf der Erde befinden] oder schlafen [schon heimgegangen sind], zusammen mit ihm leben“. Wachen und schlafen bezieht sich auf den Zustand des Körpers von Gläubigen: entweder im Leben auf der Erde oder in Ruhe im Grab.
Der Herr weiß, dass Er über die Macht des Todes triumphiert! Mit dieser Auferstehungs-Macht ist eine großartige göttliche Macht verbunden (s. Eph 1,19.20). Aber nicht nur das, Bruder Kelly hat einmal gesagt: „In der Auferweckung wird das Wohlgefallen dessen, der auferweckt, an demjenigen, der auferweckt wird, offenbar.“ Das war bei der Auferweckung des Lazarus so, das war auch bei der Auferweckung des Herrn Jesus so, und das wird auch im Blick auf die entschlafenen Gläubigen so sein.
Wenn der Herr auch die Jünger auf diesem Weg nach Bethanien mitnehmen wollte und mehrmals zu ihnen gesagt hatte: „Lasst uns gehen“ (s. V. 7.15), so bleibt doch die Handlung der Auferweckung des Lazarus allein Ihm vorbehalten: „Ich gehe hin, um ihn aufzuwecken.“
„Da sprachen die Jünger zu ihm: Herr, wenn er eingeschlafen ist, wird er geheilt werden. Jesus aber hatte von seinem Tod gesprochen; sie aber meinten, er rede von der Ruhe des Schlafes“ (V. 12.13).
Immer wieder stellen wir fest, dass die Menschen den Herrn Jesus missverstanden, hier sogar die Jünger. Nun war aus den Worten des Herrn über „einschlafen“ und „aufwecken“ auch nicht sofort zu erkennen, von welcher Art des Schlafens und des Aufweckens der Herr sprach. Aber hatten die Jünger ähnliche Worte des Herrn nicht schon im Zusammenhang einer Auferweckung aus dem Tod gehört (s. Mk 5,39 ff.)? Sie hätten also durchaus weiterdenken und verstehen können, dass der Herr bei Lazarus von seinem Tod und der Auferweckung aus dem Tod gesprochen hatte. Aber wir wollen vorsichtig sein in einem abschätzigen Urteil über die Jünger.
Johannes als der Schreiber dieses Evangeliums schließt sich jetzt mit darin ein und gibt zu, dass sich die Jünger geirrt und den Herrn Jesus nicht richtig verstanden hatten. Er steht zu diesem Fehler, den er auch mit den Übrigen gemacht hatte. Wir lernen daraus, dass wir über die Worte des Herrn Jesus gründlich nachsinnen müssen und vielleicht auch einmal andere Bibelstellen hinzuziehen müssen, um wirklich zu erkennen, was Er gesagt und was Er gemeint hat, damit wir in der Auslegung nicht in irgendwelche Missverständnisse geraten.
„Dann nun sagte ihnen Jesus geradeheraus: Lazarus ist gestorben; und ich bin froh um euretwillen, dass ich nicht dort war, damit ihr glaubt; aber lasst uns zu ihm gehen!“ (V. 14.15).
Jetzt lässt sich der Sohn Gottes zu dem schmalen Verständnis seiner Jünger herab und erklärt ihnen auf unmissverständliche Weise, wovon Er gesprochen hat. Welche Geduld, welche Empathie, so auf ihre Schwachheit und ihr fehlendes Verständnis einzugehen! Er ändert die Art und Weise, wie Er mit ihnen spricht: Als Er in Vergleichen gesprochen hatte, hatten sie Ihn nicht verstanden, deshalb spricht Er jetzt geradeheraus. Aber noch erklärt Er nicht, was Er tun würde, sondern nur was geschehen war.
Der Herr Jesus hatte auch noch diese beiden Tage gewartet, um den Glauben der Jünger zu stärken. Er sagt nicht, dass Er froh sei, dass Lazarus gestorben war, sondern dass Er froh um der Jünger willen war, dass Er nicht dort in Bethanien gewesen war. Wäre der Herr Jesus in Bethanien gewesen, als Lazarus noch krank war, wäre Lazarus nicht gestorben. In der Gegenwart des Fürsten des Lebens stirbt man nicht. Selbst die beiden Verbrecher am Kreuz sind erst gestorben, nachdem der Herr Jesus sein Leben gelassen hatte.
Die Jünger sollten glauben. Von was für einem Glauben spricht der Herr hier? Wohl nicht davon, „dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“ (Joh 20,31), denn das hatten die Jünger längst geglaubt. Vielmehr sollte ihr Glaubensvertrauen in den Herrn Jesus gestärkt werden. Sie waren in Sorge um ihren Herrn und auch um sich selbst, jetzt wieder nach Judäa zu gehen, und der Herr Jesus wollte ihren Glauben in Ihn durch das, was Er in Bethanien tun würde, stärken.
Wir lernen also auch, dass die Krankheit des Lazarus nicht nur ein Ziel hat, sondern mehrere Absichten verfolgt: zuerst die Herrlichkeit des Sohnes Gottes und die Herrlichkeit Gottes selbst; dann sehen wir aber auch, wie der Herr Jesus Menschen in solchen Umständen tröstet; und hier sehen wir als einen dritten Grund, dass der Glaube gestärkt werden soll. Krankheiten oder andere Widrigkeiten in unserem Leben haben oft nicht nur eine einzelne Absicht. Gott verfolgt manchmal mehrere Ziele damit.
Ein weiterer Aspekt des Glaubens hier ist sicher auch der, dass sowohl die Jünger als auch die beiden Schwestern in diesem Kapitel glauben sollten, wer der Herr wirklich ist. Martha bleibt ja bei seiner Herrlichkeit als Messias stehen; aber der Herr möchte, dass sie zu dem Glauben gelangen, dass Er die Auferstehung ist, dass das Leben in Ihm seinen Sitz hat, und dass Er als Person Leben und Unverweslichkeit ans Licht bringt gebracht hat (s. 2. Tim 1,10). Sie hatten Ihn schon erlebt als denjenigen, der Leben hervorgerufen hat, aber sie hatten noch keinen rechten Glauben daran. Deshalb sollte das, was jetzt passieren würde, den Glauben an seine Person vertiefen. Sie sollten durch das, was Er zu tun im Begriff stand, einen Eindruck von der Herrlichkeit und Allmacht, die in seiner Person wohnt, erhalten.
Und schließlich sollte ihr Glaube darin gefestigt werden, dass sie – wie auch wir – erkennen sollten, dass die Wege des Herrn immer richtig, zielführend und herrlich sind. Fällt es uns nicht auch oft schwer, die Wege des Herrn Jesus so anzunehmen, wie Er sie geht? Möchte das doch mehr vor unseren Herzen stehen, wenn unsere Wege nach unserem Empfinden durch Täler führen.
Ist die Ausdrucksweise: „aber lasst uns zu ihm gehen“, nicht auffallend? Der Herr meint damit Lazarus, der bereits gestorben war. Würden wir so reden, wenn wir dahin gehen, wo jemand gestorben ist? Aber der Herr drückt sich so aus, als würde Lazarus leben; und es ist tatsächlich so: „Für ihn leben alle“ (Lk 20,38).
„Da sprach Thomas, der Zwilling genannt wird, zu den Mitjüngern: Lasst auch uns gehen, dass wir mit ihm sterben!“ (V. 16).
Durch Thomas kommt noch einmal ein gewisser pessimistischer Einwand. Er scheint davon auszugehen, dass das Ganze mit ihrem eigenen Tod enden würde. Tatsächlich war das ja auch die Situation dort in Bethanien (s. V. 53). Und doch kommt in seinen Worten auch eine bemerkenswerte Haltung zum Ausdruck: Er wollte lieber mit dem Herrn sterben, als allein ohne den Herrn zurückbleiben! Er hätte ja auch sagen können, dass er lieber dort bleiben würde, wo sie sich befanden. Aber er war bereit mitzugehen, auch wenn er mit dem Schlimmsten rechnete. Einerseits zeigt er uns eine gewisse pessimistische Grundeinstellung, weil er sich zu viel mit den Umständen beschäftigt, andererseits aber auch seine große Liebe zu dem Herrn.
Wären auch wir bereit, so etwas zu sagen: lieber mit Ihm zu sterben, als ohne Ihn zu leben? Thomas war es ernst damit gewesen. Und warum hatte er dann diese pessimistische Haltung? Er hatte den Blick nicht wirklich auf den Herrn gerichtet, hatte nicht vor seinem Herzen, dass der Herr gesagt hatte, Er würde hingehen, um Lazarus aufzuwecken und dadurch seine Herrlichkeit zu zeigen. Er hatte die Umstände vor Augen, aber nicht den Herrn Jesus. Einerseits eine tiefe und aufrichtige Liebe zu dem Herrn Jesus, andererseits der Blick nicht auf Ihn, sondern auf die Umstände gerichtet. Diese Liebe von Thomas spornt uns an, und anderseits wollen wir auch lernen, unseren Blick auf den Herrn Jesus und nicht auf die Umstände zu richten. Dann werden wir mit einer anderen Perspektive, als Thomas sie hatte, unseren Weg mit dem Herrn Jesus gehen.
Denn Thomas irrte sich trotz seiner aufrichtigen Liebe zu dem Herrn Jesus. Der Herr ging nicht nach Bethanien, um zu sterben, sondern ganz im Gegenteil, um Leben zu geben. Thomas hatte den Tod vor Augen, und der Herr Jesus wollte zeigen, dass Er das Leben ist. Sie würden nicht dem Tod entgegengehen, sondern dem Leben.
Wenn wir von Thomas sprechen, wird er ja oft der ungläubige Thomas genannt. Eigentlich aber kennzeichnet ihn etwas anderes, ein gewisser Pessimismus und dennoch eine aufrichtige Liebe zu seinem Herrn. Er stellt sich hier auch nicht – wie später Petrus, der von sich behauptete, er würde als Einziger dem Herrn treu bleiben, wenn sich alle anderen von Ihm abwenden würden (s. Mt 26,33–35) – über die anderen Jünger, sondern er ermutigt die übrigen Jünger, auch mitzugehen. Und trotz seiner Schwächen, die wir in seinem Glaubensleben sehen, beschäftigt sich der Herr auch immer wieder mit ihm, besonders nach seiner Auferstehung, bis Thomas zu dieser bewegenden Erkenntnis kommt: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28).