Der Herr handelt – Auferstehung aus den Toten (Vers 38–44)
„Jesus nun, wieder tief in sich selbst seufzend, kommt zur Gruft. Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag davor“ (V. 38).

In diesen Versen 33–38 haben wir drei Handlungen und drei Reaktionen darauf. Die erste Handlung ist das Weinen der Schwestern und der Juden, und die erste Reaktion darauf ist die Entrüstung des Herrn über diese Not. Als Zweites haben wir die Frage des Herrn nach dem Ort, wo sie Lazarus hingelegt haben und die Antwort: „Herr, komm und sieh“! Die Reaktion darauf ist, dass der Herr Tränen vergoss. Die dritte Handlung ist die Frage der Juden, ob der Herr den Tod des Lazarus nicht hätte verhindern können, und die Reaktion darauf ist die erneute Entrüstung oder Empörung des Herrn, der wieder tief in sich selbst seufzte.
Interessant, dass es hier heißt: „wieder“. Das führt uns zurück zu Vers 33. Es ist wichtig, dass wir in diesen drei Fällen verstehen, worauf der Herr jeweils reagiert. Zuerst reagierte Er, als Er die Seinen Weinen sah; und wir haben gesehen, dass diese Reaktion wie das Schnauben eines Schlachtrosses ist. Der Herr empfand Entrüstung darüber, dass der Tod solche Auswirkungen selbst auf die Gemüter der Seinen hat. Es ist, als würde der Herr zu sich selbst sagen: „Tod, du bewirkst, dass die an mich Glaubenden weinen müssen, deine Tage sind gezählt!“ Seine Entrüstung darin war vollkommen, unvermischt mit irgendwelchen sündigen Motiven, wie es bei uns der Fall gewesen wäre. Diese Art der Entrüstung, die der Herr hier gespürt hat, möchte der Heilige Geist auch in unseren Herzen wachrufen.

Die zweite Reaktion des Herrn folgt auf die Frage und Antwort nach dem Ort, wo Lazarus hingelegt worden ist. Es ist, als hätten die Juden zu Ihm gesagt: „Komm und sieh, wo das Geschöpf, das Du erschaffen hast, sein Ende gefunden hat. Du hast Staub genommen und den Menschen erschaffen; und jetzt sieh, wo wir ihn hingelegt haben, wo alles endet. Das ist das Endergebnis Deiner Schöpfung!“ Daraufhin vergoss Jesus Tränen.

Die dritte Reaktion des Herrn folgt hier auf die Frage, ob Er wohl den Tod hätte aufhalten können. Wie reagiert Er? Wieder wird dieser Ausdruck gebraucht, der an ein Schlachtross erinnert, das empört schnaubt. Der Herr empfindet eine vollkommene Entrüstung bei dieser Frage, noch bevor Er sagt: „Nehmt den Stein weg!“, denn Er würde jetzt seine Macht unter Beweis stellen.

Das „wieder“ in diesem Vers zeigt uns aber auch, dass der Herr Jesus nicht die ganze Zeit ununterbrochen in diesem Zustand der Erschütterung gewesen ist, Er war nie beherrscht von irgendwelchen Emotionen.

Ab Vers 38 steht der Herr nicht mehr in seinem vollkommenem Mitempfinden vor uns, sondern Er wird jetzt der Handelnde, der beweist, dass Er der Sieger über den Tod ist. Er bestimmt, was jetzt geschieht. Er hat in einer Weise vor uns gestanden, die seine vollkommene Menschheit betont; und jetzt kommt Er in einer Weise vor uns, die seine absolute Gottheit betont, seine Macht über den Tod. Aber wenn wir Ihn auch in dieser göttlichen Macht sehen, dann werden wir in diesen Versen finden, dass Er sie vollkommener Abhängigkeit von dem Vater ausübt. Er besitzt diese göttliche Macht, doch Er will sie in völliger Harmonie und Gemeinschaft mit dem Vater ausüben.

„Jesus spricht: Nehmt den Stein weg! Die Schwester des Verstorbenen, Martha, spricht zu ihm: Herr, er riecht schon, denn er ist vier Tage hier“ (V. 39).

Die Menschen hatten alles getan, um den Zustand des Todes zu verdecken. Das muss beseitigt sein, bevor der Herr Jesus handelt. Der Stein war kein Hindernis für Ihn, aber es sollte deutlich werden, dass der Tod bei Lazarus wirklich eingetreten war. Und für die beiden Schwestern und die Juden war das doch auch die Ermutigung, dass Er jetzt handeln würde, dass Er sich jetzt dieses Problems wirklich annehmen würde.

Es gibt noch einen weiteren Grund für diese Aufforderung, den Stein wegzunehmen: Bei der Auferweckung von Lazarus handelt es sich um eine Auferweckung für diese Erde. Lazarus würde seine Beziehung zu seinen Schwestern wieder aufnehmen, würde seine früheren Tätigkeiten wieder aufnehmen; und er würde auch seinen Körper, den er vor seinem Tod hatte, wiedererhalten. Der Stein musste also auch deswegen weggenommen werden, damit Lazarus mit seinem früheren Leib aus der Gruft herauskommen konnte. Wenn die Toten auferweckt werden, um in den Himmel einzugehen, wird das anders sein; da muss nichts weggenommen werden, damit die Entschlafenen aus ihren Gräbern hervorkommen können. Das wird Lazarus auch einmal erleben, aber hier wird er für diese Erde aus den Toten auferweckt. Als der Herr Jesus auferstanden war, wurde der Stein vor der Gruft als Beweis für seine bereits geschehene Auferstehung weggenommen. Er ist der Erste, der aus den Toten auferstanden ist, um nie wieder in den Zustand des Todes zu kommen! Darauf müssen wir Glaubende noch warten: die Entschlafenen, um auferweckt zu werden, die Lebenden, um verwandelt zu werden – um danach nie wieder etwas mit dem Tod zu tun zu haben.

Marthas Antwort zeigt die ganze Schrecklichkeit des Todes, die jedem offenbar werden würde, wenn jetzt der Stein weggewälzt werden würde. Wir sehen, dass ihr Glaube noch einmal erprobt wird, dass sie dieser Aufforderung des Herrn nicht mit Glauben begegnet.

Die Verwesung eines gestorbenen Körpers setzt direkt nach dem Tod ein, nicht erst nach vier Tagen. Es ist vielleicht noch nicht wahrzunehmen, aber die Verwesung eines Körpers beginnt sofort nach dem Tod. Die große Ausnahme davon ist der Herr Jesus selbst, aus dessen gestorbenem Leib nach dem Lanzenstich des Soldaten Blut und Wasser hervorkamen. Gott ließ nicht zu, dass sein Frommer die Verwesung sehe (s. Ps 16,10; Apg 2,27.31).

Praktische Bemerkung: Es gibt wohl kaum jemanden unter uns, der nicht in Sorge um den geistlichen Zustand eines nahen Verwandten oder Familienangehörigen ist; wir empfinden, dass die Sünde und der Tod schon ihren Gestank verbreiten und wir würden auch einwenden: „Herr, er riecht schon.“ Dann müssen wir unseren Blick auf den richten, der jetzt in dieser Szene die Hauptrolle einnimmt und in tiefer Überzeugung sagt: „Nehmt den Stein weg!“ Jedem war bewusst, dass jetzt etwas geschehen würde, dass Er die Sache in die Hand nehmen würde. Was bei Menschen unmöglich ist, wo nach unserer Auffassung nur Versagen zu sehen ist und keine Hoffnung mehr zu sein scheint, ist dem Fürst des Lebens möglich! Sein Wort hat Macht über die Toten, auch über die geistlich Toten! Rechnen wir damit, auch in unseren Familien! Bei Gott sind alle Dinge möglich.

„Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubtest, so würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ (V. 40).

In der Erwiderung des Herrn wird deutlich, dass es Ihm tatsächlich um den Glauben bei Martha und den Übrigen ging. Er wollte durch all das, was Er gesagt hatte und was Er jetzt tun würde, den Glauben fördern. Sie sollten weitere Herrlichkeiten Gottes sehen und dadurch in ihrem Glauben weitergebracht werden.

Wir müssen auch die Reihenfolge gut beachten, von der der Herr hier spricht: Erst kommt der Glaube, dann das Sehen. Thomas wollte erst sehen und dann glauben, und der Herr muss ihm sagen: „Glückselig sind, die nicht gesehen und doch geglaubt haben“ (s. Joh 20,24–29). Martha erlebt das, was der Herr vorher noch zu Thomas gesagt hatte: „Weil du gesehen hast, hast du geglaubt.“ Das bedeutet Verlust, es ist ein Zurückbleiben hinter dem, wozu uns der Herr führen möchte.

„Sie nahmen nun den Stein weg. Jesus aber hob die Augen empor und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich aber wusste, dass du mich allezeit erhörst; doch um der Volksmenge willen, die umhersteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast“ (V. 41.42).

Der Herr beauftragt nicht jemanden persönlich damit, den Stein wegzunehmen. Das tut Er auch später nicht bei der Aufforderung, Lazarus loszumachen. Es ist eine ganz allgemeine Aufforderung, an jeden gerichtet, der zugegen war. Bei dem Stein hatten sich offensichtlich mehrere angesprochen gefühlt. Diese Anregung sollen wir sicher auch mitnehmen, wenn es um solche Aufgaben geht. Derartige Dienste sollten idealerweise auf mehrere Schultern verteilt werden. Der Gelähmte in Markus 2 wurde auch nicht von einem allein getragen, sondern von vieren.

Es ist bemerkenswert, dass der Herr hier im Gebet zu seinem Vater sagt, dass Er ihn erhört hat. Er drückt nicht sein Vertrauen in den Vater aus, dass Er Ihn jetzt im nächsten Augenblick erhören würde. Es ist ein erneuter Hinweis auf die bestehende vollkommene Übereinstimmung zwischen dem Vater und dem Sohn, dass der Sohn ihn jetzt aus den Toten herausrufen wird. Der Sohn hatte mit der Ausführung dieser Handlung sozusagen noch gewartet, bis alle Umstehenden bereit waren für diese neue Offenbarung der Herrlichkeit Gottes in dem Sohn. Wir sehen darin, dass unser Unglaube das Handeln Gottes verzögern oder aufschieben kann. Der Herr wollte wirken, aber der Unglaube Marthas war dazwischengetreten.

Der Herr Jesus war vor den Umstehenden mit seinem Vater über diese Situation im Gebet gewesen. Das ist auch eine Besonderheit, denn wenn wir beten, beten wir nicht wegen der Zuhörer, sondern wir wenden uns an den Vater oder auch an den Herrn Jesus. Aber die Menschen sollten nicht nur sehen, dass Lazarus aus der Gruft herauskommt, sie sollten unbedingt auch hören, dass der Herr in vollkommener Übereinstimmung mit dem Vater handelt. Er hatte Ihn um diese Gelegenheit gebeten, noch einmal die Herrlichkeit Gottes offenbaren zu können. Und der Vater gewährte Ihm diese Bitte, und das angesichts des Weges tiefster Schmach, der vor dem Sohn lag. Mit diesem fünften und größten Zeichen im Johannes-Evangelium (in Joh 12,18 wird die Auferweckung von Lazarus ein Zeichen genannt) zeigt Er noch einmal, wer Er wirklich ist – der Gesandte vom Vater! Als dieser Gesandte des Vaters war der Herr hier auf der Erde vollkommen in dem Willen Gottes tätig.

Dieses Gebet zeigte auch, dass der Herr nicht jetzt erst an der Gruft, sondern die ganze Zeit hindurch mit dem Vater in dieser Gemeinschaft war. Er wusste, dass Er allezeit vom Vater erhört werden würde; nicht nur dann, wenn Er – wie Martha meinte – als ein Untergeordneter den Vater demütig um etwas bitten würde (vgl. V. 22). Diese ununterbrochene Gemeinschaft mit dem Vater wurde durch nichts berührt, durch keine Erschütterung, durch keine Tränen. In voller Gewissheit, allezeit erhört zu werden, spricht der Sohn mit dem Vater. Das ist einzigartig! Der Sohn auf der Erde hatte den Willen des Vaters in vollkommener Einsicht und Harmonie in sich selbst und konnte deshalb dieser absoluten Gewissheit Ausdruck geben. Der, der allezeit das dem Vater Wohlgefällige tat (s. Joh 8,29), ist derselbe, der allezeit bei dem Vater Erhörung fand.

An dem Ort, wo Gott alles so arrangiert hatte, dass vor den Augen vieler Zeugen die größtmögliche Ausstrahlung seiner Herrlichkeit erfolgen sollte, indem der Sohn einen seit vier Tagen Verstorbenen ins Leben zurückrufen würde, beginnt der Sohn diese Handlung mit den Worten: „Vater, ich danke dir …“ Das zeigt in aller Deutlichkeit, dass es dem Sohn immer darum ging, den Vater zu ehren (vgl. Joh 8,49). Immer hat der Sohn durch alles, was Er tat, den Namen des Vaters geehrt. Und auch noch, als die Leiden des Kreuzes vor Ihm standen und Er den Vater bat: „Vater, rette mich aus dieser Stunde“, fügte Er hinzu: „Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen.“ Was war die Antwort des Vaters aus dem Himmel auf diese einmalige Hingabe? „Ich habe ihn verherrlicht [durch die Auferweckung des Lazarus durch den Sohn] und werde ihn auch wiederum verherrlichen [durch die Auferweckung des Sohnes].“ Und Er konnte ihn so verherrlichen, weil dieser Sohn nicht seine eigene Ehre gesucht hat, sondern die Ehre seines Vaters.

„Und als er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!“ (V. 43).

In dieser Szene der Auferweckung werden vier Sinne angesprochen. Zuerst der Geruchs-Sinn (s. V. 39); der Verwesungsprozess hatte bereits begonnen, und durch die Auferweckung musste der in Verwesung befindliche Körper reorganisiert werden. Dann war das Gehör betroffen; die Stimme des Herrn im Gebet mit seinem Vater und auch hier die laute Stimme, an Lazarus gerichtet, wurde von den Umstehenden gehört. Dann wurde das, was der Herr getan hatte, von den Umstehenden auch gesehen (s. V. 45), optisch mit den Augen wahrgenommen. Und als sie Lazarus schließlich von den Grabtüchern losmachen sollten (s. V. 44), war auch ihr Tast-Sinn angesprochen. Ein überdeutliches Zeugnis für die menschlichen Sinneseindrücke, dass hier wirklich ein Mensch aus den Toten zurück ins Leben gerufen worden war.

Der Herr Jesus hätte auch mit leiser Stimme reden können oder flüstern können oder gar nichts sagen können, allein auf seinen Willen hin hätte Lazarus herauskommen müssen. Aber Er ruft mit lauter Stimme, Er gibt ein weithin wahrnehmbares Zeichen seiner Macht. Es ist der Ruf eines Siegers, eines Triumphators, der über dem Tod steht. Psalm 29 beschreibt in siebenfacher Hinsicht diese majestätische Stimme des HERRN. Diese Stimme werden auch wir einmal mit gebietendem Zuruf bei dem Wiederkommen des Herrn zur Entrückung hören (s. 1. Thes 4,16.17). Dann wird der Herr seinen Triumph über den Tod krönen, indem Er all die Seinen aus dem Tod in die Heimat des ewigen Lebens führt.

Dreimal lesen wir von dem Herrn Jesus, dass Er während seines Lebens etwas mit lauter Stimme gerufen hat. Außer bei der Auferweckung des Lazarus finden wir seinen lauten Ruf noch zweimal am Kreuz von Golgatha: seinen Wehschrei wegen des Verlassen-Seins von Gott und am Ende, als Er sein Leben in den Tod gab (s. Mt 27,46.50). Alle drei lauten Rufe des Herrn haben mit dem Tod zu tun, doch hier ist es der laute Ruf des Triumphes über den Tod.

Zum ersten Mal erfüllte sich hier buchstäblich, was der Herr Jesus in Johannes 5,28 im Blick auf die Auferstehung bei der Entrückung gesagt hatte: Einer, der in seinem Grab lag, hörte die Stimme des Sohnes des Menschen und kam heraus aus dem Grab.

Wir haben hier die tatsächliche Auferweckung eines Toten zu einem Leben auf dieser Erde. In geistlicher Hinsicht kennen wir auch das Lebendig-Machen eines geistlich Toten zu einem neuen Leben. Und wir haben eben an die Entrückung gedacht, an der auch gestorbene Gläubige teilhaben und in die Heimat des ewigen Lebens geführt werden. Wir können nicht alles, was hier bei Lazarus geschieht, auf die anderen beiden Aspekte übertragen, aber es gibt etwas, was bei allen drei Erweckungen gleich ist: Göttliche Macht muss tätig werden, um dieses Werk auszuführen!

Wenn ein Mensch aus dem geistlichen Tod zum Leben geführt wird, können wir drei Bereiche sehen. Es gibt eine gewisse Verantwortung darin, das Evangelium zu verbreiten, um die Seelen vorzubereiten. Dann muss aber der Mensch, der das Evangelium hört, auch selbst Buße tun und glauben. Außerdem haben wir als dritten Punkt, dass Gott ein Werk wirken muss. Wir können diese drei Punkte nicht gegeneinander ausspielen, oder den einen auf Kosten eines anderen vernachlässigen. Die Verantwortung des Menschen, sich zu bekehren, bleibt immer bestehen, aber das Werk Gottes, der einen solchen Menschen zum Leben führt, muss dazu kommen.

„Und der Verstorbene kam heraus, an Füßen und Händen mit Grabtüchern gebunden, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch umbunden. Jesus spricht zu ihnen: Macht ihn los und lasst ihn gehen!“ (V. 44).

Wir können uns dieses Ereignis und den Anblick des aus der Gruft hervorkommenden Lazarus kaum vorstellen. Er wird hier ausdrücklich als der Verstorbene bezeichnet, er war wirklich gestorben und hatte als Toter vier Tage in dieser Gruft gelegen. Aber auf die Stimme des Herrn hin gab es kein Halten; wenn der Herr Jesus ruft, ist damit eine überwältigende und unwiderstehliche Kraft verbunden. Mit dieser lauten Stimme wurde hier auch nur genau eine einzige Person mit Namen gerufen, und auch nur diese einzige Person steht aus den Toten auf und kommt heraus, kein anderer! Das zeigt ganz plastisch, was wir oft als „Heraus-Auferstehung“ bezeichnen und was auch bei der Entrückung der Gläubigen geschehen wird: Nur die gläubigen Entschlafenen werden aus den Toten heraus auferstehen, alle übrigen Toten bleiben noch wenigstens tausend Jahre in ihren Gräbern liegen bis zur Auferstehung des Gerichts.

Wir wollen nicht vergessen, dass die gleiche Kraft im Blick auf uns wirksam werden musste, um uns aus unserem Zustand des geistlichen Todes zum Leben zu erwecken. In Epheser 1,19 wird von der „überragenden Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke“ gesprochen. Epheser 2,1 macht deutlich, dass diese überragende Kraft, die Christus aus den Toten auferweckte, auch an uns wirksam werden musste. Auch in Kolosser 2,12 wird im Blick auf unsere geistliche Auferweckung von dieser wirksamen Kraft Gottes gesprochen.

Bei Lazarus war schon Leben vorhanden, aber die Zeichen des Todes waren noch an ihm. Und auch da ist wieder die Hilfe anderer nötig, das wegzunehmen, was noch an den Tod erinnert, damit er wirklich in die Freiheit gehen kann. Was nur der Herr bewirken kann, das tut Er; aber wo Er uns gebrauchen kann, möchte Er auch, dass wir uns engagieren. So ist es auch bei einer Bekehrung: Sie ist ein Werk Gottes, zu dem wir vielleicht in der Verbreitung des Evangeliums eine Hilfestellung leisten konnten. Aber danach ist unser Dienst nicht beendet, er fängt gerade erst an. Alte Gewohnheiten, Gebundenheiten, Beziehungen – alles muss gelöst werden. Wir müssen solchen helfen, Dinge abzulegen, die aus der Vergangenheit stammen.


Wenn hier ausdrücklich betont wird, dass Hände und Füße gebunden waren, dann zeigt das geistlicherweise, dass wir im Zustand des Todes weder dem Herrn nachfolgen noch Ihm dienen konnten. Aber wenn wir neues Leben haben und von diesen alten Gebundenheiten gelöst worden sind, sind wir fähig zum Wandel und Dienst für Ihn.


Der Herr Jesus hatte von sich gesagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (V. 25), und damit sind für uns unendlich tiefe christliche Segnungen verbunden. Deshalb können wir in diesen Grabtüchern und dem Schweißtuch auch daran denken, dass das, was der Herr Jesus bringt, nichts mehr zu tun hat mit dem Gesetz. Als die Auferstehung und das Leben befreit Er auch völlig von dem Gesetz. Das hat nicht nur einen jüdischen Blickwinkel: Auch heute gibt es manche christlichen Kreise, in denen gelehrt wird, man müsse verschiedene „Stufen“ durchlaufen haben, um zu der Gewissheit gelangen zu können, als errettet zu gelten. Solche Lehren können die Betroffenen derart prägen, dass sie nur mit großer geistlicher Mühe davon frei werden können. Viele Gläubige aus kirchlichen Kreisen kommen nur sehr schwer zu der befreienden Erkenntnis, dass sie nicht mehr unter Gesetz, sondern unter der Gnade leben; sie können diesen „Geruch“, in dem sie jahrelang gelebt haben, nur schwer hinter sich lassen. Wie wichtig ist es für uns, solchen Gläubigen dabei zu helfen. Dazu müssen wir das selbst für uns verstanden haben und auch darin leben.


Wir finden in diesem Evangelium noch einmal, dass von Grabtüchern und dem Schweißtuch gesprochen wird, und zwar in Johannes 20 im Zusammenhang mit unserem Herrn selbst und der Gruft, in die man Ihn gelegt hatte. Aber zwischen beiden Begebenheiten gibt es einen großen Unterschied: Lazarus konnte sich selbst nicht befreien, er war auch nach seiner Auferweckung noch behaftet mit den Folgen des Todes und musste durch Hilfe von außen davon gelöst werden, um in Freiheit gehen zu können. Aber unser Herr musste nicht losgemacht werden, Er ist durch diese Umhüllungen hindurchgegangen und hat sie so an ihrem Platz liegen lassen, wie sie seinen Leib umhüllt hatten. Er überstrahlte in sich selbst auch das, was hier in Johannes 11 bei Lazarus geschehen muss.


Das letzte Wort in dieser ganzen Szene hat der Herr Jesus! Menschliche Beschreibungen hätten sicher die Reaktion der Betroffenen, der beiden Schwestern oder sogar von Lazarus selbst geschildert, aber der Geist Gottes endet mit dem Wort des Herrn. Alle Ehre, alle Herrlichkeit ruht auf Ihm! Selbst Lazarus, der lebende Beweis der Auferstehungsmacht des Herrn, sollte gehen, sollte der Sensationslust der Volksmenge entzogen werden; alle Blicke sollten auf den Herrn gerichtet bleiben. So wird es auch bei uns sein, wenn wir an der großen Machtentfaltung des Herrn bei unserer Entrückung teilhaben werden: Unsere Augen werden nicht auf unsere Mitgeschwister, nicht auf die auferweckten Heiligen gerichtet sein, sondern allein auf Ihn – wunderbarer Ausblick!
Herr Jesus, Du, Du hast das Leben
und Unvergänglichkeit gebracht,
wirst auch den Leib vom Staub erheben
durch Deine Auferstehungsmacht.
Dann sind wir frei von dieser Hütte,
dann werden wir Dein Antlitz sehn
und werden – Du in unsrer Mitte –
vor unserm Gott verherrlicht stehn.1
1 Aus „Kleine Sammlung Geistlicher Lieder“, Lied 99 Strophe 2