Josua 20

„Damit wir ... einen starken Trost hätten, die wir Zuflucht genommen haben zum Ergreifen der vor uns liegenden Hoffnung“ (Heb 6,18).

Nachdem das Land unterjocht (Josua 12) und die Anbetung des Herrn in ihrem Zentrum eingerichtet war (Jos 18,1) und nachdem alle Stämme ihr zugeteiltes Erbteil empfangen hatten, ordnete der Herr an, dass Vorsorge getroffen werden sollte, um das Land schuldlos von unschuldigem Blut zu erhalten. Zufluchtsstädte wurden bestimmt, wohin derjenige, der einen Mann unwissend und unabsichtlich erschlug, vor dem Bluträcher fliehen konnte, der den Totschläger gemäß der morgenländischen Sitte verfolgen und töten würde.

Diese Städte, sechs an der Zahl, bot dem, der seinen Nächsten unabsichtlich erschlagen hatte, eine gnädige Vorsorge. Sechs ist die Zahl menschlicher Unvollkommenheit, ihr fehlt etwas an der biblischen Zahl der Vollkommenheit (sieben). Und da jeweils drei von ihnen diesseits und jenseits des Jordan gelegen waren (5. Mo 19,2; Jos 20,7–8), gab Gott damit auf beiden Seiten des Flusses ein vollkommenes Zeugnis seiner Barmherzigkeit. Wohin wir auch schauen, überall sehen wir nur unsere eigene Sünde und Unvollkommenheit. Doch wo die Sünde überströmt, überströmt die Gnade noch mehr und die Barmherzigkeit Gottes gilt für alle.

Im verheißenen Land lagen diese Städte, jede auf einem Berg, für alle Augen sichtbar. Breite Straßen führten dahin. Alles war so ausgelegt, dass man ohne Schwierigkeiten den Weg finden könnte. Die Tore der Zufluchtsstädte waren immer offen, „damit jeder Totschläger dahin fliehe“ (5. Mo 19,3).

Wenn der Totschläger unter dem Schirm der Stadt Zuflucht gesucht hatte, sollten sich die Richter seinen Fall an dem anerkannten Ort der Rechtsprechung – dem Tor – anhören. Und wenn sich zeigen würde, dass er seinen Nächsten weder willentlich erschlagen noch ihn zuvor gehasst hatte, dann fand der Totschläger in ihren Mauern Asyl. Während das Leben des Totschlägers in Sicherheit war, war das Erbteil für die Dauer seines Aufenthalts in der Zufluchtsstadt verwirkt. Er war nur ein Zufluchtsuchender unter Beschützung. Bei dem „Tod des Hohenpriesters, der in jenen Tagen sein wird“, änderte sich seine Situation vollständig. Denn mit dem nächsten Hohenpriester erhielt der Totschläger volle Vergebung für seine Bluttat, absolute Freiheit und durfte in sein Erbteil zurückkehren. „Dann mag der Totschläger zurückkehren und in seine Stadt und in sein Haus kommen, in die Stadt, aus der er geflohen ist.“

Warum werden nach der Verteilung des Landes unter die Stämme und nach der Aufrichtung des Zeltes in der Mitte des Volkes diese Zufluchtsstädte und diese wunderbare Vorsorge für den Totschläger erwähnt? Die Antwort finden wir in den Grundsätzen der Gerechtigkeit, die Gott an den Händen seines Volkes sehen will und in seiner Sorge, das Land vor der Verunreinigung mit Blut zu bewahren. Doch darüber hinaus liegt eine symbolische Belehrung in diesen Städten, und in dem Tod des Hohenpriesters, auf die zweifellos unser Augenmerk gelenkt werden soll.

Vor 2000 Jahren erhob der Totschläger seine Hand, unschuldiges Blut wurde vergossen, und von jenem Tag an ist das Land Kanaan durch das Blut Jesu verunreinigt. Der Totschläger hat sein Erbteil verloren, er ist aus seiner eigenen Stadt geflohen; die Juden sind aus ihrem Land verbannt. Fremde wohnen in dem Los, das der Herr den Stämmen zugeteilt hatte; der Besitz ist verwirkt und scheinbar verloren. Doch innerhalb des Vorhangs, im himmlischen Heiligtum, wohnt der Hohepriester. Der Herr ist durch die Himmel gegangen, und lebt droben, obwohl er der Nation unbekannt ist, die ihn mit bösen Händen erschlug. Solange er dort bleibt, wird Israel ohne Erbteil sein. Doch er wird hervorkommen, der himmlische Hohepriester, und dann wird Israel volle Vergebung erlangen und jeder wird noch einmal seinen Wohnort erben. An jenem Tag, in der Herrlichkeit des Tausendjährigen Reiches, wird der Name des Herrn und seine Gegenwart der Mittelpunkt sein, der wahre Schilo, der „Frieden“ des verheißenen Besitzes auf der Erde.

Die Worte: „Und der Herr redete zu Josua und sprach: Rede zu den Kindern Israel und sprich: Bestimmt euch die Zufluchtsstädte, von denen ich durch Mose zu euch geredet habe“, kommen unmittelbar nach der Feststellung: „Und so vollendeten sie die Verteilung des Landes.“ Das weist auf die gnädige Vorsorge Gottes für Israel hin. Nachdem sie das Land, das der Herr ihnen gab, verloren haben und wegen ihrer Schuld aus dem Besitztum vertrieben wurden, werden sie doch trotzdem in größter Barmherzigkeit von Gott getragen bis der Tag kommt, an dem sie wieder in ihr Erbteil zurückkehren werden. Auch wenn Israel es nicht verstand, verkündigten daher diese Städte, jede von ihrer Anhöhe, auf der sie stand, mit den Straßen, die zu ihren Toren hinführten, die Gnade Gottes ihnen gegenüber an dem dunklen und schrecklichen Tag ihres Verbrechens, seinen Sohn zu erschlagen.

Während jene Tage, die Israel in Kanaan lebte, für die Augen der Menschen nur eine vorübergegangene Szene nationaler Herrlichkeit sind, hängt für das Auge des Glaubens die Rückkehr des Volkes in das verheißene Land von dem Hervorkommen des Hohenpriesters ab, der jetzt im Himmel ist. Hätten die Juden Buße getan, als der Heilige Geist zu Pfingsten durch die Apostel von dem Tod und der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi Zeugnis gab, dann wäre ihnen das Erbteil wieder zugefallen, denn wir lesen: „So tut nun Buße und bekehrt euch, damit eure Sünden ausgetilgt werden, damit Zeiten der Erquickung kommen vom Angesicht des Herrn und er den euch zuvor bestimmten Christus Jesus sende, den freilich der Himmel aufnehmen muss bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von denen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat“ (Apg 3,19–21). Sie taten nicht Buße und die versprochenen Zeiten der Wiederherstellung sind bis heute nicht gekommen. Doch die sichere Zusage bleibt, es ist unmöglich, dass Gott lügen würde (Heb 6,18), und das den Vätern zugeschworene Wort wird sich noch erfüllen.

In unserer christlichen Ära ist der Priester innerhalb des Vorhangs verborgen, Jesus ist im Himmel und übt dort in der Gegenwart Gottes seinen Dienst aus. Es ist ein himmlischer nicht ein irdischer Priester, und er ist mit den täglichen Bedürfnissen seines Volkes beschäftigt, indem er jeden von ihnen in die himmlische Heimat leitet. Doch nichtsdestoweniger wird seine versprengte Nation Israel wieder in ihr Erbteil bringen, wenn sich die Himmel, die ihn jetzt verbergen, öffnen werden und er hervorkommen wird. Dieser Tag rückt näher. „Ja, er wird den Tempel des Herrn bauen; und er wird Herrlichkeit tragen; und er wird auf seinem Thron sitzen und herrschen, und er wird Priester sein auf seinem Thron“ (Sach 6,13). In seiner doppelten Herrlichkeit als König und Priester wird er Israel in sein Erbteil bringen, jeder Stamm wird sein Los besitzen, der Tempel und der Thron werden erhöht werden, und Alt und Jung werden sich an dem Herrn erfreuen, dessen Worte nie vergehen. „So spricht der Herr der Heerscharen: Es werden noch Greise und Greisinnen in den Straßen von Jerusalem sitzen, jeder mit seinem Stab in seiner Hand vor Menge der Tage. Und die Straßen der Stadt werden voll sein von Knaben und Mädchen, die auf ihren Straßen spielen“ (Sach 8,4–5).

In den Tagen, die auf den Tod Christi folgten, sprach der Geist Gottes durch die Apostel und sagte: „Den Urheber des Lebens aber habt ihr getötet, den Gott aus den Toten auferweckt hat, wovon wir Zeugen sind“, und: „Und jetzt, Brüder, ich weiß, dass ihr in Unwissenheit gehandelt habt, so wie auch eure Obersten“ (Apg 3,15+17), denn Gott wertete die Ermordung Jesu als Unwissenheit. Und sogar von den Nationen spricht Gott in einer ganz ähnlichen Weise, indem er über die Weisheit Gottes sagt: „die keiner von den Fürsten dieses Zeitlaufs erkannt hat (denn wenn sie sie erkannt hätten, so würden sie wohl den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt haben)“ (1. Kor 2,8). Die willentliche und vorsätzliche Ermordung des Herrn, des Gesandten Gottes, wäre eine Sünde gewesen, für die es keine Vergebung gab.

Der Herr Jesus ist jetzt sowohl Zufluchtsstadt als auch Priester, und das nicht allein für Juden, sondern auch für Heiden; unsere Sicherheit und unser Erbteil sind beide mit ihm verbunden. Wir haben „Zuflucht genommen zum Ergreifen der vor uns liegenden Hoffnung, die wir als einen sicheren und festen Anker der Seele haben, der auch in das Innere des Vorhangs hineingeht (Heb 6,18–19). Die ernste Erinnerung, das die Schuld des Menschen, der das Blut Christi vergossen hat, auf der Welt ruht, sollte dem Christen immer vor Augen stehen, während der Sünder, der seine Sünden bekennt, in der Zufluchtsstadt Tag und Nacht die Bereitschaft findet, ihn aufzunehmen.

Die jüdische Tradition besagt, dass die Straßen, die zu den Zufluchtsstädten hinführten, ständig instandgehalten wurden; dass an den Kreuzungen Wegweiser aufgestellt waren, auf denen „Zuflucht! Zuflucht!“ zu lesen war und dass Läufer stationiert waren, die im Gesetz des Herrn unterwiesen waren, um den Flüchtling an den sicheren Ort zu geleiten. Höchst lehrreich sind diese Traditionen für den Seelengewinner, und diese Läufer sind ein schönes Bild von dem Evangelisten, dessen Füße schnell sein sollten, um Seelen zu Christus zu führen, und deren Lippen erfüllt sein sollten mit den Wahrheiten des heiligen Wortes Gottes.

Das Blut Christi hat die Ansprüche der göttlichen Gerechtigkeit in Gnaden verherrlicht, und die Tore der Rettung sind weit geöffnet, um den Übertreter zu empfangen. Gott verkündet seinen Namen der Liebe und lädt durch seine Diener, die Leviten, die sein Wort verkünden, Sünder ein, hineinzukommen und an seiner Gnade teilzuhaben. Liebe ruft nun laut von dem Thron der Majestät in der Höhe herab – der Herr Jesus im Himmel wird als der verkündet, der das Leben derer rettet, die aus der schuldigen Rasse seiner Mörder stammen. Und nicht nur sind die, die zu Christus Zuflucht genommen haben, in Sicherheit, sondern ihnen, die in Hoffnung errettet sind – in der Hoffnung zukünftiger Herrlichkeit – liegt auch ein herrliches Erbteil bereit, welches sie erwarten dürfen.