Bei manchen Bibelversen wird sehr häufig eine ANWENDUNG gemacht, so dass die Gefahr besteht, dass die eigentliche Bedeutung verdunkelt wird. Dazu gehört m.E. auch Jesaja 55,8.9:

„Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR. Denn wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“

Diese Verse werden gern herangezogen, wenn Gott Wege geht, die einem unerklärlich sind und man darüber grübelt. Sie sollen darauf hinweisen, dass es „normal“ ist, wenn man Gottes Gedanken und Wege nicht zu erkennen vermag.

Doch der Zusammenhang in Jesaja 55 macht klar, dass die Zielrichtung des Schreibers eine andere ist, ja, eine gegenteilige ist. Lesen wir Vers 7 dieses Kapitels:

„Der Gesetzlose verlasse seinen Weg und der Mann des Frevels seine Gedanken; und er kehre um zu dem HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserem Gott, denn er ist reich an Vergebung.“

Der Böse soll seinen WEG und seine GEDANKEN verlassen. Zu welchem Zweck? Um auf Gottes WEGE zu treten und in seine GEDANKEN einzugehen! Sie sind zwar höher als die Wege und Gedanken des Menschen, aber durchaus nicht unerreichbar (so wie es hier dargestellt wird).

Das Evangelium – mit diesem Wort könnte man das zusammenfassen, wovon Jesaja hier spricht – entspricht nicht den Gedanken des Menschen (vgl. Gal 1,11 und 1. Kor 1), aber jeder ist aufgefordert, sie zu akzeptieren.